Claudio Casula / 11.06.2023 / 10:00 / Foto: Rudolf Wildermann / 37 / Seite ausdrucken

Warum meine Laudatio auf Robert Habeck ausfiel

In der Frankfurter Paulskirche bekommt der Wirtschaftsminister heute einen mit 20.000 Euro dotierten Preis verliehen. Ein Missverständnis führte dazu, dass die geplante Lobrede bei Achgut an diesem Tag nicht erscheinen kann. 

Im Februar wurde bekannt, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 11. Juni mit dem Boerne-Preis 2023 geehrt wird. Das gefiel mir, denn Habeck hat ja einiges mit Prof. Boerne, dem Rechtsmediziner aus dem Münsteraner „Tatort“, gemeinsam. Boerne bezeichnet sich selbst als „Jahrhundertkoryphäe“, ist arrogant bis zum Anschlag, dabei ein eloquenter Plauderer, der auf alle Fragen zwar nicht immer eine Antwort weiß, aber zumindest einen beeindruckenden Text parat hat. Nicht selten kommt er unfreiwillig komisch rüber, wie Habeck, wenn er etwa bei Begriffen wie Pendlerpauschale oder Insolvenz ins Schleudern kommt. Und sein Verhältnis zur Selbstkritik ähnelt Boernes Antwort auf Kommissar Thiels Frage, ob er eigentlich irgendwann in seinem Leben mal seine Meinung revidiert habe: „Nein, ich hatte immer recht.“

Dann aber erfuhr ich, dass der Preis gar nicht nach Karl-Friedrich Boerne benannt ist, sondern nach dem Journalisten, Literatur- und Theaterkritiker Carl Ludwig Börne, der als Wegbereiter des Feuilletons in Deutschland gilt. Und man den Politiker, der kein Feuilletonist ist, sondern vor allem zusammen mit seiner Frau Kinderbücher geschrieben hat, tatsächlich für einen würdigen Preisträger hält. Dass die hessischen Grünen ihm unter anderem mit der Begründung gratulieren, er versuche immer wieder, „die Notwendigkeit der Veränderung zu erklären, in seinem ganz eigenen Stil, ohne Phrasen, in der Hektik des politischen Alltages auch einmal nachdenklich…“. Und dass Jürgen Kaube in seiner Begründung ebenfalls schreibt: 

„In den Zwängen der Politik erkämpft er sich auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit.“

Das wiederum machte mich nachdenklich: Wie kann man eine Nachdenklichkeitssimulation ernstnehmen, die durchsichtiger ist als eine Frischhaltefolie? Wie kann man einen Robert Habeck „für hervorragende Leistungen deutschsprachiger Autoren in den Bereichen Reportage, Essay und Kritik“ ehren? Ihm einen Preis überreichen, den vor ihm unter anderem Marcel Reich-Ranicki, Joachim Fest, Hans Magnus Enzensberger, Frank Schirrmacher und Henryk M. Broder verliehen bekamen?

Dazu fiel mir dann gar nichts mehr ein, und deshalb muss unsere Laudatio auf den Wirtschaftsminister an dieser Stelle leider entfallen. Wir bitten um Entschuldigung für das Missverständnis.

Foto: Illustration Rudolf Wildermann

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Leserpost

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D. Katz / 11.06.2023

Der Wirtschaftsminister ist nicht inkompetent. Er hat nur aufgehört zu denken (falls er es denn jemals getan hat).

Horst Jungsbluth / 11.06.2023

Sie, sehr geehrter Herr Casula,  können daran erkennen, dass wir “noch” in einer Demokratie leben, denn hier gibt es “noch richtige Knete”, während man sich in Diktaturen meist mit Lametta und Blech begnügen muss. Und es hat noch ein Gutes: Da sowohl der Antiarbeitsminister, als auch der Antiwirtschaftsminister im Verbund aus Klimaschutzgründen die Arbeit komplett abschaffen (wollen), füllen sie eben die üppige Freizeit mit Reisen und Ordensverleihungen. Man kann launige Reden halten, die vielleicht zum Grimme-Preis führen, sich am veganen Büffet bedienen und sich gegenseitig versichern, wie toll man doch ist, dass das “dumme Volk” doch so furchtbar undankbar ist und all diese großartigen Wohltaten partout nicht bemerken will. Haben wir wirklich die Regierung, die wir verdient haben?

Dietrich Herrmann / 11.06.2023

Das Geld sollte er sofort an die Ukraine spenden, damit die paar Granaten kaufen können. Oder gibt es für die Summe nur eine Einzige?

Bertram Scharpf / 11.06.2023

Da es den Gaddafi-Preis für Menschenrechte nicht mehr gibt, müssen nun alle anderen Preise auf dessen Niveau kommen.

Patrick Meiser / 11.06.2023

Kein Grund sich zu entschuldigen, Herr Casula. “Wie kann man eine Nachdenklichkeitssimulation ernstnehmen, die durchsichtiger ist als eine Frischhaltefolie?” Das hier ist Laudatio für diesen Kompetenz befreiten Märchenonkel genug. “Wupps, auf einmal war ER weg”, das ist es, was ich schnellstmöglich erleben will.

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