Schon wieder hat ein scheinbar harmloses Dinner die deutsche Demokratie erschüttert: Ein Unternehmer hat in Cannes mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel gespeist. Und sich mit ihr über Politik unterhalten! Darf der das?
Was für ein Schreck zu früher Morgenstunde! Meine Frau weckte mich, ganz aufgeregt: „Du, wach auf, es ist etwas Schreckliches passiert!“ Ich war sofort hellwach, mein Herz pochte. Was war los? Stand der Russe an der Oder? Hatte Ricarda sich zum Essen angemeldet? Nein, es war viel schlimmer: Wie sich herausstellte, hatte sich ein Molkerei-Unternehmer mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel getroffen. Ein gewisser Müller. Theo Müller. Der mit der Müller-Milch. Hätte Weidel ein Date mit einem Mullah gehabt, wäre nicht gleich ein Aufschrei der Empörung durchs Land gegangen.
Also: Alles Mullah oder was?! Der Milchmann hat, wie es heißt, den Kontakt bereits „eingeräumt“, also gewissermaßen gestanden. Schuldig. Unfassbar: Wie Müller dem Handelsblatt weiter sagte, sei es noch nicht einmal das erste Treffen gewesen. Ende des Jahres sei zudem ein weiteres Treffen mit der AfD-Politikerin geplant. Der Wiederholungstäter versuchte gar nicht erst, sich herauszureden, etwa derart, man habe sich nur ganz zwanglos über die Fortpflanzung der Klippschliefer und deren Einfluss auf die innerasiatische Binnenschifffahrt unterhalten, nein: Sein Interesse habe „dem Programm der AfD sowie ihrer persönlichen Ansicht zur aktuellen Politik" gegolten!
Politische Beobachter in Berlin fühlen sich sogleich an den Fall Hans Joachim Mendig erinnert. Der Geschäftsführer der hessischen Filmförderung HessenFilm hatte sich 2019 mit dem damaligen Bundessprecher der AfD, Jörg Meuthen, zum Mittagessen getroffen. Auch bei diesem brisanten Termin ging es nicht um das Wetter, um die Frage, ob es die oder das Nutella heißt, oder um philosophische Dilemmata („Wenn ein Masochist darunter leidet, dass er Masochist ist – ist das für ihn dann ein Vergnügen?“), sondern um einen „sehr angeregten und konstruktiven politischen Gedankenaustausch“, wie Meuthen anschließend in den sozialen Netzwerken, von Mendig unwidersprochen, postete. Also wahrscheinlich um nicht weniger als den Umsturz. Kein Wunder, dass Mendig für den Lunch gelyncht wurde (also: beruflich) und seinen Posten aufgeben musste, weil sich 350 Schaffende schlechter Filme und 90 Prozent der Presse ganz furchtbar aufgeregt hatten.
Was erlaube Theo?!
Nun wird sogar die Milch in den Betrieben von Müller, Weihenstephan und Landliebe sauer. Woher wir das wissen, was dem Molkerei-Oligarchen alles so gehört? Von Renate Künast. Sie hinterließ bei Twitter / X folgende Produktinformation:
„Sollt ihr wissen! Theo Müller: Molkerei-Milliardär bestätigt Kontakte zur #AfD . Müller ist Haupteigner der gleichnamigen Unternehmensgruppe. Zur größten Privatmolkerei Deutschlands gehören bekannte Marken wie #Müllermilch , #Weihenstephan #Landliebe .“
Warum sollen wir das wissen? Ruft Frau Künast hier etwa implizit zum Boykott dieser Marken auf? „Kauft nicht bei Müller“? Was erlaube Theo?! Weiß er nicht um die Kontaktschuld oder, schrecklicher Verdacht: Sind ihm solche Vorwürfe vielleicht sogar egal? Meint er, er kann auf die Empörung pfeifen, weil er finanziell unabhängig ist? Ist Müller unser Elon Musk?
Dieses im besten Fall leichtsinnige Verhalten konterkariert jedes Bemühen, die Demokratie zu retten. Da versucht man etwa mit allen Mitteln, die Rechtspopulisten von den Fleischtrögen fernzuhalten, macht extra ein Gesetz, das so maßgeschneidert ist, dass eine parteinahe Stiftung – anders als die politische Konkurrenz – keinen müden Cent bekommt. Gut, man hätte es auch anders formulieren können: „…erhält keine Fördermittel, wenn die Gründung der Partei nach 2012 erfolgte.“ Oder: „Stiftungen sind von der Förderung ausgeschlossen, wenn ein Ex-Vorsitzender der Partei eine Hundekrawatte getragen hat.“ Hauptsache, die gehen leer aus. Wie auch bei den Vizepräsidentenposten, neulich hat es ja wieder einer von denen versucht (ein Mann namens Braun!), nur um sogleich wieder abgelehnt zu werden, wie es seit sechs Jahren Praxis ist, Geschäftsordnung hin oder her.
Wer speist wo und mit wem?
Wer weiß, ob dieser Müller, der bestimmt sehr reich ist, die AfD nicht doch durch die Hintertür finanziert, auch wenn er das (noch) abstreitet. Vielleicht schiebt er mal eben heimlich 100.000 Euro in bar in einem Koffer rüber, solchen Leuten ist ja jede Ferkelei zuzutrauen.
Was also tun? Müller enteignen!, werden die Linken rufen. Theo in die Produktion! Oder nach Bayerisch-Sibirien. Am sichersten wäre allerdings ein Verbot der AfD, wie es eben erneut gefordert wurde, diesmal vom Arbeitnehmerflügel der Union. Der NSDAP-Vergleich hinkt wie der Fuß des Humpelstilzchens: Auch die Nazis seien eben damals durch Wahlen an die Macht gekommen, weshalb man jetzt eine Oppositionspartei, die zwar nicht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefährlich wird, aber doch den etablierten Parteien, endlich verbieten müsse.
Vor allem muss – als Sofortmaßnahme im Notstand – das mit diesen scheinbar harmlosen, dabei hochgradig konspirativen gemeinsamen Mahlzeiten von AfD-Politikern und vermeintlich unschuldigen Zivilisten unverzüglich ein Ende haben. Es muss geheimdienstlich erfasst werden, wer wo welchen Tisch reserviert und mit welchem Mitesser er schließlich im Restaurant aufschlägt. Die Nachverfolgung in der Corona-Zeit war da doch wegweisend. Frau Faeser, Herr Haldenwang – handeln Sie!
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten