Vera Lengsfeld / 13.04.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 96 / Seite ausdrucken

Vom Zurückgetreten werden

Die Grünen haben mit der Affäre um Anne Spiegel ein Problem offenbart, das weit über die Causa Spiegel hinausreicht. Deshalb schreiben sich ihre Anhänger in den sozialen Netzwerken die Finger wund, um das Debakel möglichst kleinzureden und vom Eigentlichen abzulenken.

Schließlich ist Familienministerin Spiegel nach langem, zähen Kampf doch zurückgetreten. Man soll in solchen Fällen nicht nachtreten, aber Respekt kann ich der Politikerin nicht zollen. Sie hat bis zum Schluss nicht das Gefühl gehabt, dass sie die Verantwortung für ihre Fehler und ihr charakterliches Versagen übernehmen muss. Nicht der Tod von über hundert Menschen im Ahrtal hat zu ihrer Demissionierung geführt. Im Gegenteil, sie ist danach noch von den Grünen zur Bundesministerin befördert worden.

Als die Umweltministerin von NRW Ursula Heinen-Esser (CDU) wegen ihres Mallorca-Urlaubs mitten in der Ahrtal-Katastrophe zurücktrat, schwieg Frau Spiegel, offenbar in der Hoffnung, dass die grünenfreundliche Presse ihren eigenen Urlaub nicht thematisieren würde. Als es doch herauskam, versuchte sich Spiegel mit einem hochemotionalen Auftritt zu retten, in dem sie mit stockender Stimme über ihre familiären Schwierigkeiten berichtete und eine Entschuldigung für den Fehler, in den Urlaub gefahren zu sein, anfügte.

Vergeblich, die Parteispitze hatte sich bereits entschieden, dass sie eine Belastung darstellte. Die Frage, warum Spiegel nach ihrem offensichtlichen Versagen während der Hochwasserkatastrophe, die 134 Menschen den Tod gebracht hat, von der Partei noch befördert wurde, wird von den Politikern und den ihnen verbundenen Medien umgangen.

Als Mutter von drei Kindern weiß ich genau, wie aufreibend das politische Geschäft ist, selbst wenn man sich mit der Hinterbank begnügt. Als ich noch bei den Grünen war und Krieg zwischen der Bundestagsfraktion und dem Parteivorstand herrschte, wurden die Parteitage in der Regel auf das Wochenende zwischen zwei Sitzungswochen gelegt. Ich zog damals daraus die Konsequenz, den Parteitagen fernzubleiben, um bei meinen Kindern zu sein. Karrierefördernd war das nicht, das war mir aber egal. Wie man, wie Spiegel, als Mutter mehrerer Kinder Ämterhäufung betreiben kann, ist mir unverständlich. Verständnis kann ich dagegen dafür aufbringen, dass sie in den Urlaub gefahren ist.

Spiegel ist ein Abbild des heutigen Politikertypus

Was aber gar nicht geht, ist, dass sie die Öffentlichkeit belogen hat mit ihrer Behauptung, sie hätte virtuell an den Kabinettsitzungen teilgenommen. Als das aufflog, kam sie noch mit der Ausrede, sie habe „nachprüfen“ lassen, ob sie teilgenommen hätte. Diese vorgetäuschte Erinnerungslücke ist an Dreistigkeit schwer zu überbieten. In Anbetracht dessen fragt man sich, was von ihren Videoauftritt echt und was Berechnung war.

Spiegel ist ein Abbild des heutigen Politikertypus, der Amt und Mandat als Pfründe betrachtet und kein Verantwortungsgefühl hat. Insofern wirft sie ein Schlaglicht auf diejenigen, die uns beherrschen. Die Grünen haben mit der Spiegel-Affäre ein Problem offenbart, das weit über die Causa Spiegel hinausreicht. Deshalb schreiben sich ihre Anhänger in den sozialen Netzwerken die Finger wund, um das Debakel möglichst kleinzureden und vom Eigentlichen abzulenken. Wie ernst die Lage ist, zeigt, dass selbst Annalena Baerbock in den Ring stieg, um die Öffentlichkeit abzulenken. „Mit dem heutigen Tag ist für sie (Spiegel) nicht nur politisch, sondern auch persönlich ein Weg beschritten worden, der glaube ich deutlich macht, wie brutal Politik sein kann.“

Eine interessante Satzkonstruktion, die erkennen lässt, wie wenig es Spiegels eigener Entschluss war, zurückzutreten. Aber nicht die brutale Politik ist es, über die Spiegel gestolpert ist. Es ist der Einbruch der Realität in die Politik. So etwas passiert immer mal wieder, wie jüngst deutlich wurde, als die jüngste grüne Abgeordnete ihre Jungfernrede im Bundestag hielt. In der behauptete sie, in der Corona-Zeit nicht ins Ausland gefahren zu sein, was noch, während sie sprach, in den sozialen Netzwerken mit ihren eigenen Posts aus Dänemark widerlegt wurde. Hinterher beklagte sie sich, man habe versucht, sie mit Tatsachen als Lügnerin hinzustellen.

Da verwundert es nicht mehr, dass sie den Rücktritt als „Schande“ bezeichnet. Wahr ist nur, was die Grünen dafür halten – die Realität stört.

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Leserpost

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Carlo Mayer / 13.04.2022

Selbstüberschätzung ist in der Politik weit verbreitet. Die Spiegel hätte nie nach Berlin gehen dürfen, sie war ja schon in Rheinland-Pfalz total überfordert. Vielleicht hatte sie ja gehofft, der Ahrtal-Skandal würde sie dort nicht einholen. Tatsächlich ist es genau anders herum gekommen. Bei der mindestens ebenso verlogenen und verschlagenen Dreyer wird in Rheinland-Pfalz offensichtlich gar nichts nachgefragt, während jetzt der Skandal nur über die Spiegel in Berlin hereinbricht - und die Dreyer sich mitsamt dem Lawrenz zu Haus’ die Hände reibt. Nochmal gut gegangen für die Meenzer Kanaille.

Fridolin Kiesewetter / 13.04.2022

“Ich schwöre, meine Kraft dem Wohl des deutschen Volkes zu widmen ... ”  hat sie uns versprochen. So etwas sollte man nur auf seinen Eid nehmen, wenn man es auch einhalten kann. Niemand zwang sie dazu.

tho Pesch, Markus / 13.04.2022

In solchen Fällen darf und sollte man nachtreten. Was für eine niederträchtige Person. Sie sollte sich vor Gericht wegen fahrllssiger Tötung verantworten.

Silas Loy / 13.04.2022

Nach der Katastrophe an der Ahr mit diesen vielen Todesopfern hätte Spiegel selbstverständlich zurücktreten müssen, allein schon rein formal als die politisch Verantwortliche. Sie hätte sich auch nicht einfach entschuldigen dürfen, sondern um Entschuldigung zu bitten gehabt. Dreyer hätte dafür sorgen müssen. Das hätte Spiegel vielleicht eine echte zweite Chance diesmal eben als Gedönsministerin möglich gemacht, denn das wäre wenigstens anständig gewesen. Aber Dreyer und Spiegel sind nicht anständig.

R. Link / 13.04.2022

Hätte diese “Dame” noch einen letzten Funken Anstand im Leib würde sie wenigstens die hinterher geworfenen 75.000 € den Flutopfern im Ahrtal spenden.

James Napier / 13.04.2022

“Hinterher beklagte sie sich, man habe versucht, sie mit Tatsachen als Lügnerin hinzustellen”. Es gibt keine frappantere Möglichkeit der Entlarvung; es gibt keinen schlagenderen Beweis für absolute Verkommenheit. Sehr gut, Frau Lengsfeld!

Patrick Meiser / 13.04.2022

“Deshalb schreiben sich ihre Anhänger in den sozialen Netzwerken die Finger wund, um das Debakel möglichst kleinzureden und vom Eigentlichen abzulenken.” Da können die Asphaltfestkleber und Windkraftfanatiker samt FfF-Kids und Fans von tiktok-Emilia F. sich die Finger wund schreiben - Nicht vorhandene Kompetenz Null Berufs- und Lebenserfahrung kann man nicht wegschreiben. Die knallharte Realität in Gestalt von W. Putin holt diese Tagträumer alle auf den Boden des wirklichen Lebens. Es sollte mich wundern, wenn diese Bullerbü-Truppe in Berlin die volle Legislaturperiode übersteht.

T.Grote / 13.04.2022

Sehr verehrte Frau Lengsfeld Sie haben schön dargestellt, daß es diesen Gestalten nur um Pfründe und Macht geht, was aber schon lange so ist. Schlimmer als das ist, daß dort völlig unfähige Personen agieren, welche aufgrund mangelnder Bildung und beruflicher Expertise nirgends anders einem Gelderwerb hätten nachgehen können. Und das wirft einen noch dunkleren Schatten auf die deutsche Politik- und Demokratiesimulation.

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