Sehr geehrter Herr K.,
Sie schreiben ganz richtig, dass nach Artikel 38 GG der Abgeordnete des Deutschen Bundestages bei seinen Entscheidungen im Plenum grundsätzlich frei und nur seinem Gewissen unterworfen ist. Auch die Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 6. Mai 2014 hebt unter § 17 (Abstimmungen im Deutschen Bundestag) nochmals hervor, dass es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion keinen Fraktionszwang gibt und die Abstimmung frei ist.
Die Aufgabe der Fraktion bzw. der Fraktionsversammlung ist es, „die Politik“ der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zu beschließen (§ 4 Nr. 1 der Arbeitsordnung). Sie hat als größte, die Bundesregierung tragende Fraktion die Verantwortung dafür, dass politische Vorhaben in Form von Beschlüssen, Anträgen oder Gesetzesvorhaben im Deutschen Bundestag umgesetzt werden. Dieser von der Mehrheit der Wähler beauftragte politische Gestaltungsanspruch kann sich aber nur realisieren, wenn die dafür notwendigen parlamentarischen Mehrheiten auch wirklich sichergestellt sind.
Alle Vorhaben werden innerhalb der Fraktionsversammlung ausgiebig diskutiert. Jedes Fraktionsmitglied hat hier die Möglichkeit und auch Gelegenheit, seine persönliche Meinung zu sagen und seine Kollegen von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Am Ende dieser häufig langwierigen und sich mitunter über mehrere Sitzungstermine ziehenden Diskussionen wird über das jeweilige Vorhaben innerhalb der Fraktion abgestimmt, um so zu einer einheitlichen, von der Fraktionsmehrheit getragenen Meinung zu kommen. Es entspricht besten demokratischen Grundsätzen, wenn sich die unterlegene Minderheit der Fraktionsmitglieder bei der dann folgenden Abstimmung im Deutschen Bundestag der Mehrheit der Fraktion mit ihrem Votum anschließt. Ohne diese Form der „Fraktionsdisziplin“ wären ein effektives Regierungshandeln und damit der Erfolg der von der CDU/CSU-Fraktion getragenen Bundesregierung kaum möglich.
Bestimmte Gesetzesvorhaben, die den sehr persönlichen Bereich eines Menschen oder ethische Fragen betreffen, wie etwa in der Vergangenheit die Themen Präimplantationsdiagnostik oder Sterbebegleitung, werden – vielleicht irreführenderweise – in der Öffentlichkeit als „Gewissensentscheidungen“ bezeichnet, über die nicht in der Fraktion in ihrer Gesamtheit entschieden wird. Bei diesen Themen wird davon ausgegangen, dass jeder einzelne Abgeordnete persönliche Erfahrungen und Überzeugungen hat, die er in seine Entscheidung einfließen lässt. Diese Entscheidungen fallen dann übrigens meistens nicht mehr entlang von Partei- oder Fraktionsgrenzen.
Ich hoffe, ich konnte mit meinen Ausführungen zur Klärung Ihrer Fragen beitragen.