Henryk M. Broder / 03.08.2017 / 09:35 / 4 / Seite ausdrucken

Volker Kauder erklärt das Wesen von “Gewissensentscheidungen”

Sehr geehrter Herr K.,

Sie schreiben ganz richtig, dass nach Artikel 38 GG der Abgeordnete des Deutschen Bundestages bei seinen Entscheidungen im Plenum grundsätzlich frei und nur seinem Gewissen unterworfen ist. Auch die Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 6. Mai 2014 hebt unter § 17 (Abstimmungen im Deutschen Bundestag) nochmals hervor, dass es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion keinen Fraktionszwang gibt und die Abstimmung frei ist.

Die Aufgabe der Fraktion bzw. der Fraktionsversammlung ist es, „die Politik“ der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zu beschließen (§ 4 Nr. 1 der Arbeitsordnung). Sie hat als größte, die Bundesregierung tragende Fraktion die Verantwortung dafür, dass politische Vorhaben in Form von Beschlüssen, Anträgen oder Gesetzesvorhaben im Deutschen Bundestag umgesetzt werden. Dieser von der Mehrheit der Wähler beauftragte politische Gestaltungsanspruch kann sich aber nur realisieren, wenn die dafür notwendigen parlamentarischen Mehrheiten auch wirklich sichergestellt sind.

Alle Vorhaben werden innerhalb der Fraktionsversammlung ausgiebig diskutiert. Jedes Fraktionsmitglied hat hier die Möglichkeit und auch Gelegenheit, seine persönliche Meinung zu sagen und seine Kollegen von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Am Ende dieser häufig langwierigen und sich mitunter über mehrere Sitzungstermine ziehenden Diskussionen wird über das jeweilige Vorhaben innerhalb der Fraktion abgestimmt, um so zu einer einheitlichen, von der Fraktionsmehrheit getragenen Meinung zu kommen. Es entspricht besten demokratischen Grundsätzen, wenn sich die unterlegene Minderheit der Fraktionsmitglieder bei der dann folgenden Abstimmung im Deutschen Bundestag der Mehrheit der Fraktion mit ihrem Votum anschließt. Ohne diese Form der „Fraktionsdisziplin“ wären ein effektives Regierungshandeln und damit der Erfolg der von der CDU/CSU-Fraktion getragenen Bundesregierung kaum möglich.

Bestimmte Gesetzesvorhaben, die den sehr persönlichen Bereich eines Menschen oder ethische Fragen betreffen, wie etwa in der Vergangenheit die Themen Präimplantationsdiagnostik oder Sterbebegleitung, werden – vielleicht irreführenderweise – in der Öffentlichkeit als „Gewissensentscheidungen“ bezeichnet, über die nicht in der Fraktion in ihrer Gesamtheit entschieden wird. Bei diesen Themen wird davon ausgegangen, dass jeder einzelne Abgeordnete persönliche Erfahrungen und Überzeugungen hat, die er in seine Entscheidung einfließen lässt. Diese Entscheidungen fallen dann übrigens meistens nicht mehr entlang von Partei- oder Fraktionsgrenzen.

Ich hoffe, ich konnte mit meinen Ausführungen zur Klärung Ihrer Fragen beitragen. 

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Test 45: 46251

Dirk Ahlbrecht / 04.08.2017

"Ohne diese Form der „Fraktionsdisziplin“ wären ein effektives Regierungshandeln und damit der Erfolg der von der CDU/CSU-Fraktion getragenen Bundesregierung kaum möglich."Obiges schreibt dieser Mann völlig frei von jeglicher Ironie, und ohne das es, so wie Sie, Herr Broder, es bisweilen formulieren "Frösche regnet!"

Peter Gruber / 04.08.2017

... ja, und?!

Thomas Schlosser / 03.08.2017

gez. Horst Sindermann, Präsident der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik.Freundschaft..!!

Karla Kuhn / 03.08.2017

"Jedes Fraktionsmitglied hat hier die Möglichkeit und auch Gelegenheit, seine persönliche Meinung zu sagen und seine Kollegen von ihrer Richtigkeit zu überzeugen." Fraktionsmitglieder dürfen ihre Meinung sagen und sollen dann die Kollegen von ihrer Richtigkeit überzeugen. Was passiert, wenn jedes Fraktionsmitglied eine andere Meinung hat. Wie lange dauert dann die Überzeugungsarbeit ? Jahre ? Nein, natürlich nicht, denn am Ende sind ja meistens alle einer Meinung. So gehört sich das auch, oder ??

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 13.07.2025 / 10:00 / 45

Der Beauftragte badet in seinem Element

Der Beauftragte für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus nimmt als Moderator an einem Tribunal teil, in dem Israel wegen „Völkermords“ und „Verbrechen gegen…/ mehr

Henryk M. Broder / 05.07.2025 / 06:15 / 103

Dunja Hayali und die Wege der Diplomatie

Dunja Hayali hat vor kurzem Sigmar Gabriel im heute journal interviewt, routiniert wie immer. Dabei berief sie sich auf das Völkerrecht und behauptete, Kriege würden…/ mehr

Henryk M. Broder / 15.06.2025 / 13:00 / 14

Was Sie schon immer über den Antizionismus wissen wollten ...

An diesem Wochenende findet in Wien der erste jüdisch-antizionistische Kongress statt. Das Ereignis wird seit Wochen in den sozialen Medien konspirativ beworben. Der Veranstaltungsort wird…/ mehr

Henryk M. Broder / 10.06.2025 / 16:00 / 54

Der antisemitische Furor der gehobenen Stände

Die Zeit wird offenbar auch von Lesern konsumiert, die nicht ganz zum postulierten liberalen Profil des Blattes passen. Was sich bei deren Online-Ausgabe unter den…/ mehr

Henryk M. Broder / 01.06.2025 / 06:00 / 94

Endlich muss man „Messerstecher*innen“ sagen

Was wollte die Messerstecherin von Hamburg mit ihrer Tat beweisen? Die 39-jährige weiße deutsche Frau, die im Getümmel des Hamburger Hauptbahnhofs unter Einsatz eines Messers…/ mehr

Henryk M. Broder / 26.05.2025 / 12:00 / 59

Überleben, um von Kriegsverbrechen abzulenken?

Warum wächst der Antisemitismus eigentlich, wenn es immer mehr und neue Antisemitismus-Beauftragte gibt? Vielleicht, weil manch einer, der sich dazu berufen fühlt, auch schon mal…/ mehr

Henryk M. Broder / 21.05.2025 / 17:00 / 0

Bedeutende Denkerinnen und Denker des 21. Jahrhunderts – Heute: Wolfgang K.

Wolfgang Koydl plädiert in der Weltwoche für einen "Diktatfrieden" zu Lasten der Ukraine. Denn: "Diktatfrieden werden dem Kriegsgegner auferlegt, der den Krieg verloren hat. Dies…/ mehr

Henryk M. Broder / 20.04.2025 / 12:00 / 40

Eine Chronik der Massaker in Kosovo

Dies ist kein Coffee-Table-Buch, kein Buch, das man auf Reisen mitnimmt. Und keine erbauliche Lektüre. Der Inhalt kommt einer Schocktherapie sehr nahe. Es ist eine…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com