Claudio Casula / 15.10.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 108 / Seite ausdrucken

Und noch ein Umsturzversuch

Entführung eines Ministers und in der Folge Umsturz der demokratischen Ordnung – das konnte offenbar eben so gerade noch verhindert werden. Wenn man davon ausgeht, dass der Staat sich von einer 75-jährigen Rentnerin ernsthaft bedroht sieht.

Die Zeiten, in denen ein Staatsstreich noch die Sache von mannhaften Offizieren war, sind lange vorbei. Jetzt fürchtet sich der Staat vor Gruppen und Grüppchen, die nicht einmal ernsthaft bewaffnet sind und deren Pläne ebenso wirr scheinen wie die Politik, die sie ins Visier genommen haben. Eine kleine Chronologie der mysteriösen Staatsstreichversuche der vergangenen Jahre.

2018 flog die Telegram-Gruppe „Revolution Chemnitz“ auf. Acht Neonazi-Typen, die schon mal eine Gruppe von Ausländern und Deutschen mit Glasflaschen, Quarzhandschuhen und einem Elektroschocker angegriffen hatten, sollen sich vorgenommen haben, sich Schusswaffen zu beschaffen, „um unter Inkaufnahme der Tötung von Menschen“ nicht weniger als „einen Umsturz der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland in Gang zu setzen.“ Die Ermittler fanden bei „Revolution Chemnitz“ allerdings weder Schusswaffen noch Sprengstoff, sondern nur ein Luftgewehr und einen Schlagstock

2020 kam es zum berüchtigten „Sturm auf den Reichstag“. Der sah so aus: Teilnehmern einer Demonstration war es gelungen, das Absperrgitter vor dem Bauwerk zu überwinden und die Treppen hochzustürmen, sich „triumphierend und lautstark“ vor dem verglasten Besuchereingang aufzubauen und Selfies zu machen. Zum „Sturm“ aufgerufen hatte die Heilpraktikerin Tamara K. Nach allgemeiner Darstellung in den Medien konnte nur durch den heldenhaften Einsatz dreier Polizisten verhindert werden, dass die Bundesrepublik in ihren Grundfesten erschüttert wurde, sonst müssten wir heute wohl alle zum Gruß den rechten Arm hochreißen und „Heil Praktikerin!“ rufen.

Ein arabischer Flüchtling, der kein Arabisch spricht

Nur ein Jahr später stand ein Mann vor Gericht, der bereits im Februar 2017 festgenommen worden war. Der Bundeswehroffizier, Franco A. geheißen, soll ein Doppelleben als Flüchtling geführt haben, konkret: Ende 2015 soll er in einer Flüchtlingsunterkunft in seiner Heimatstadt Offenbach aufgeschlagen sein und angegeben haben, ein christlicher syrischer Flüchtling namens „David Benjamin“ zu sein, der über die Balkanroute gekommen sei. Dass der „Syrer“ zwar kein arabisch, sondern nur französisch sprach, machte offenbar niemanden stutzig, der Asylantrag von Franco A. wurde genehmigt (!). Franco A. geriet dann in die Schlagzeilen, weil er laut Staatsanwaltschaft den seltsamen Plan gefasst hatte, auf den Justizminister ein Attentat zu verüben und diese Tat dann Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben, um Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu diskreditieren, also „eine schwere staatsgefährdende Straftat“ vorbereitet zu haben.

Ähnlich wirr wie bei diesem Plan geht es im aktuellen Fall zu: der unglaublichen Entführung des verrückten Mr. Lauterbach. Oder wenigstens des Vorhabens. Als Mastermind des administrativen Arms einer Verschwörergruppe wurde Reichsrädelsführerin Elisabeth R. (75) ausgemacht. 

Laut Bundesanwaltschaft haben sich die Rentnerin und ihre Spießgesellen zum Ziel gesetzt, bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland auszulösen und damit letztlich den Sturz der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen, sowie im allgemeinen Chaos mal eben eine neue Regierung zu installieren. Eine interessante Kausalkette, vielleicht nicht bis ins Detail durchdacht, aber das ist ja in diversen Chatgruppen ohnehin nicht immer der Fall. 

Rollator-Revolution radikalisierter Rentner?

Jetzt warten wir auf Einzelheiten des geplanten Verbrechens respektive des Umsturzversuchs. Wollte die Gruppe wirklich einen Blackout herbeiführen, obwohl der doch auch ganz ohne ihr Zutun kommen dürfte? Sah der perfide Plan vor, Lauterbach und seine Personenschützer mit Rollatoren anzufahren und zu verschleppen? Gar den Minister in seiner Geiselhaft mit Salzgebäck zu verpflegen? Steht die 75-jährige An-Führerin vielleicht in Verbindung zu Bruno K. aus Leipzig und einer Gruppe von Gewichthebern, die planen, Ricarda Lang zu kidnappen?

Scherz beiseite. Die kleine Chronik wirft allerdings schon die Frage auf, wie es um eine Staatsmacht steht, die sich vor acht kleinkriminellen Neonazis, einigen Demonstranten vor dem Parlament, einem Bundeswehroffizier mit einer grotesken Geschichte und einer durchgeknallten evangelischen Theologin Mitte siebzig ernsthaft gefährdet sieht.

Hat man im Land der gefühlten Mikroaggressionen da wirklich schon die Hosen voll? Oder wird hier vielleicht gern mal ein Popanz aufgebaut, um die große Gefahr von rechts beschwören zu können, während die Demokratie in der Realität eher von einer politischen Klasse bedroht wird, die eine Ministerpräsidentenwahl rückgängig macht, Stimmabgaben in der Hauptstadt manipuliert und ein saisonales Erkältungsvirus zum Anlass nimmt, jahrelang Grundrechte der Bürger zu schreddern?

Fragt sich, wovor man sich mehr fürchten sollte.

Foto: Pixabay

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Boris Kotchoubey / 15.10.2022

Das ist der Reichstagsbrand in einer Farceform.

Wilfried Düring / 15.10.2022

Aus ‘Der Postillon’ (14.04.2022) - Vorsicht Satire: Eine Gruppe von militanten Querdenkern hat nach Behördenangaben geplant, Minister Lauterbach zu entführen. Nach exklusiven Informationen des Postillon war die tatsächliche Lage jedoch noch viel dramatischer: Wie aus Vernehmungen der inzwischen Festgenommenen hervorgeht, wurde Lauterbach vor einigen Wochen tatsächlich entführt. Doch schon nach wenigen Stunden wurde der Minister von den völlig entnervten Gangstern wieder auf freien Fuß gesetzt, nachdem er permanent Statistiken zum Coronavirus zitiert hatte. Demnach war Lauterbach bereits am 7. März dieses Jahres aus seiner Wohnung in Berlin entführt und über 5 Stunden von der Gruppe festgehalten worden. Doch schon bald merkten die Kriminellen, worauf sie sich eingelassen hatten. ‘Es war schrecklich. Ich bin einfach nur froh, dass diese Tortur zu Ende ist’, schluchzte einer der Entführer laut Polizeiprotokollen in seiner Vernehmung, nachdem er zuvor von dem SPD-Politiker nonstop mit Daten, Fakten und ungewöhnlichen wissenschaftlichen Thesen zum Coronavirus bombardiert worden war. ‘Er hat einfach eine Studie nach der anderen aus dem Kopf zitiert. Corona aus Toiletten, irgendwas mit Kindergärten, immer wieder Oxford, und immer hat er gesagt, es könnte ganz schlimm werden, wenn sich das bewahrheitet. Und alles in diesem Lauterbach-Singsang! Das geht echt an die Substanz.’ Zudem kommentierte Lauterbach jede Handlung der Entführer: ‘Als ich ihn am Stuhl fesselte, zitierte er eine Studie über Hautausschläge durch Kabelbinder’, klagt ein anderer. ‘Dann wollte ich ihn knebeln, damit er Ruhe gibt, aber da führte er ein noch nicht peer-reviewtes medizinisches Preprint über Erstickungsgefahr durch Knebel an. Es war nicht auszuhalten!’ Da Lauterbach zusätzlich sämtliche von den Entführern angebotene Verpflegung aufgrund ihres hohen Salzgehalts ablehnte und in mehreren Monologen für salzarme Ernährung warb, gaben die Querdenker schließlich auf und fuhren ihn wieder nach Hause.

W. van Dyk / 15.10.2022

Jetzt stehen alle Omis mit Rollator wohl unter Generalverdacht? Gab es da nicht auch mal einen Film: Aufstand der Rentner oder ähnliches? Das ist dann wie bei den Ballerspielen oder Horrorfilmen,  zu viel davon geguckt macht agressiv. Ich glaube ich nehme vorbeugend meiner Mutter den Fernseher weg. :-)

Ilse Polifka / 15.10.2022

„Eine Gruppe von Gewichthebern, die planen Ricarda L. zu kidnappen“- das gefällt mir.

N. Kari / 15.10.2022

Den Artikel über das verplante Gebrechen - pardon geplante Verbrechen habe ich zum Anlass genommen, der Achse des Guten einen kleinen Euro-Pieks zu verpassen. Herzhaft gelacht, vielen Dank!

Thomas Müller / 15.10.2022

Noch ein Nachtrag zu meiner Theorie, dass es um ein Erlösegeld ging mit der bösen Drohung, Karlchen wieder frei zu lassen: Das ist deshalb so staatsgefährdend, weil diese geniale Idee unendlich viele Nachahmer gefunden hätte, so dass die BRD innerhalb von Monaten zu 99% politikerfrei geworden wäre.

Andreas Rühl / 15.10.2022

Im ernst…. Als ich die Meldung gestern gelesen habe, fielen mir spontan ein paar Namen aus den Reihen der vielkommentierer hier ein, gewisse Damen, zu denen die Beschreibung passt. Aber es scheint so, als wären alle noch an Bord des Narrenschiffs.

Gus Schiller / 15.10.2022

Super, ein Blinder, ein Lahmer und eine im Rollstuhl (jeweils m/w/d) stürzen die DDR2.0 im Alleingang und der Verfassungsschutz hat es als Letzter gemerkt. Ich mach mich nass.

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