Cora Stephan / 07.09.2023 / 11:00 / Foto: Pixabay / 12 / Seite ausdrucken

Stimme der Provinz: „Ein Hof und elf Geschwister“

Deutscher Sachbuchpreis 2023. Spiegel Bestseller Platz 1. Erschienen im Februar 2023 und bereits im August in der 11. Auflage. Worum geht es? Um das Buch „Ein Hof und elf Geschwister“ des Historikers Ewald Frie. Dieser autobiografische Bericht über den „stillen Abschied vom bäuerlichen Leben“ scheint einen Nerv zu treffen.

Deutscher Sachbuchpreis 2023. Spiegel Bestseller Platz 1. Erschienen im Februar 2023 und bereits im August in der 11. Auflage. Worum geht es? Um die neueste feministische Erkenntnis über das Patriarchat? Um die Autobiografie von Sawsan Chebli? Um einen skandalösen Sexroman von Till Lindemann? Natürlich nicht, schon klar. Doch woher kommt dieses offenbar große Interesse an einem 191 Seiten starken Buch, in dem es über den „stillen Abschied vom bäuerlichen Leben“ geht, Titel: „Ein Hof und elf Geschwister“?

Es ist ein anderer Abschied als der, den sich die Grünen wünschen und alle anderen, die, wie Renate Künast, die Landwirtschaft nicht nur für alle möglichen Übel, sondern sogar für Corona verantwortlich machen. Dieser Abschied ist nicht irgendeinem politischen Willen geschuldet, sondern ergibt sich aus Entwicklung und, ja, Fortschritt der Landwirtschaft. Der Historiker Ewald Frie, 1962 als neuntes von elf Kindern einer katholischen Bauernfamilie im Münsterland geboren, erzählt von diesem Abschied am Beispiel seiner Familie.

Für alle, die an Haufen- und Straßendörfer oder an die südwestdeutsche Gemengelage denken: Die Höfe im Münsterland liegen nicht im Dorf, sondern einzeln in der Flur, verbunden in Bauerschaften, lockeren Siedlungsverbänden. Arbeitskräfte auf den Höfen der größeren Bauern wohnten in „Kotten“ und hießen Kötter. Das Dorf war ein Ort der kleinen Leute, zu denen Bauernfamilien sich nicht zählten, dorthin ging man zur Kirche, zum Amt, zur Post und zum Frühschoppen.

Damals eine Macht im Münsterland

Der Wandel begann in der Nachkriegszeit. Bis 1960 verzehnfachte sich die Zahl der Traktoren und verschwand die Hälfte aller Pferde von den Bauernhöfen, wodurch sich die Schwerstarbeit auf den Feldern reduzierte. Der Vater der Großfamilie erlebte seine Hochzeit in den 1950er Jahren als Züchter von rotbuntem Vieh und züchtete mit „Wolke II“ eine wegen ihres „überwältigenden Bildes“ und „voller Bemuskelung“ preisgekrönte Kuh. Überhaupt die Rinderzüchter: Sie waren damals eine Macht im Münsterland. Der Zuchtviehmarkt in der Halle Münsterland war das Hochamt der westfälischen Rotbuntzucht. So ein Zuchtbulle konnte schon mal 17.000 DM einbringen.

Das änderte sich jäh mit der künstlichen Besamung – man brauchte jetzt natürlich immer weniger Bullen. Und anstelle ästhetischer Kriterien zählte nun die von den Kühen gelieferte Milchmenge. Ein letztes Mal gewann Vater Frie 1966 einen 1b-Preis für eine Kuh. Ihr Name: Ruine.

Auch für die Frauenarbeit änderte sich einiges im Zug des technischen Fortschritts. Bis in die 1960er Jahre hinein hatten die Frauen Butter und Eier verkauft, der Erlös ging in die eigene Kasse. Mit der Melkmaschine wurde Milch Männerarbeit, und als die Milch komplett an die Molkerei geliefert wurde, hatten Butterproduktion und Butterverkauf ein Ende und damit auch eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit der Frauen. Auch handwerkliche Fähigkeiten verloren an Bedeutung, durch elektrische Haushaltsgeräte und sinkende Preise der Lebensmittel. Irgendwann wurden bei Besuchen nicht mehr stolz die Einmachgläser im Keller vorgezeigt.

Die Bauernkinder rochen anders

Je weniger externe Arbeitskräfte benötigt wurden, desto mehr wurde der Hof zum Familienbetrieb. Dreckige, schwere oder eklige Arbeit konnte nicht mehr delegiert werden. Die Zahl der Mädchen, die einen Bauern heiraten wollten, sank bis 1968 von über 25 auf unter 10 Prozent. Die elf Kinder des Ehepaars – das jüngste wurde geboren, als die Mutter bereits 47 Jahre alt war – gingen gänzlich unterschiedliche Wege. Die Tochter wollte nicht mehr aufs Haus festgelegt sein, während es für die Mutter einen Freiheitsgewinn bedeutete, sich auf reine Hausarbeit konzentrieren zu können. Für sie bedeutete das kein Zurückstecken, ganz im Gegenteil: Von der guten Wirtschaft der Hausfrau hing der Erfolg des Hofes ebensosehr ab wie von den landwirtschaftlichen Fähigkeiten des Vaters. Das bäuerliche Unternehmen führten beide.

Ab 1989 waren Fries Eltern allein auf dem Hof, das hatte es seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht gegeben. Die Kinder waren längst ihrer Wege gegangen, der Bauernstand verlor an Macht, Bildung war die neue Münze und der Schulbus der Weg dorthin. Gerüche entschieden, wer in der Schule dazugehörte und wer nicht. Die Bauernkinder rochen anders. Ich kenne das, seit meine Eltern mit mir in einen Kotten aufs niedersächsische Land zogen. Im Schulbus saßen die Bauernkinder oft allein: Sie rochen nach Kuh und Schwein. Doch der Schulbus (ins Gymnasium) bot ebenso einen Ausweg wie das Bafög: Bildung war die Alternative zur Versorgung über den Hof, die nicht mehr gegeben war. Der Staat bezahlte mit dem Bafög ab 1971 die Ausbildung auch für die Bauernkinder.

Frie erzählt eine fast vergessene Geschichte, vergessen, weil Landwirtschaft heute gänzlich anders funktioniert. Die Bauern sind keine Macht mehr, auf die eine Partei wie die CDU stets Rücksicht nehmen musste. 1950 gab es noch 1.646.750 bäuerliche Betriebe, 2017 nur noch 280.800. Für die Ernte eines Hektars Getreide benötigte man 1950 um die 30 Stunden, heute dauert das weniger als 2 Stunden. Vor allem aber schildert Frie detailliert einen Alltag, den sich wenige heute noch vorstellen können.

Kurios eigentlich: Es hat in den 1970er und 80er Jahren eine Art Flucht aufs Land gegeben, Aussteiger und Hippies wollten sich die alten Tugenden und Techniken wieder aneignen. Hacken und Säen und Melken von Hand, umweltfreundliches Ausmisten und im Winter frieren … Das haben nur wenige der Landflüchtigen lange ausgehalten. Es fragt sich jetzt, wie lange es Landwirte und „freie Bauern“ noch aushalten, deren Lebensgrundlage mehr und mehr eingeschränkt wird.

Die Interessensvertretung „Freie Bauern“ formuliert es auf ihrer Homepage wie folgt:

„Landwirtschaft ist die Erzeugung von Lebensmitteln durch Bodenfruchtbarkeit, Sonnenenergie und menschliche Arbeit. Sie ist damit Grundlage jeder Kultur und Schlüsselbranche für die Zukunft. Wir Bauern haben aus Wildnis erst blühende Landschaften geschaffen mit einer großen Artenvielfalt und dem reizvollen Wechsel aus Ackerland, Grünland, Wald und unterschiedlichen Biotopen. Deshalb lassen wir uns nur ungern belehren, wie die Natur funktioniert und wie wir mit ihr umzugehen haben.“

 

Cora Stephan, geb. 1951, ist Publizistin und Schriftstellerin. Sie veröffentlichte Beiträge in zahlreichen Medien, darunter beim NDR. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Soeben ist ihr neuer Roman „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“ erschienen.

 

Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben, Verlag C. H. Beck, 11. Auflage 2023, 23 Euro. Hier bestellbar.

Foto: Pixabay

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Sam Lowry / 07.09.2023

@Claudius Pappe: Sie haben doch völlig recht. Man zieht sich irgendein Bild aus dem Net und das Thema ist erledigt. Mit Liebe gemacht? Never ever… nix mehr!

Karsten Dörre / 07.09.2023

@Claudius Pappe, “Cora Stephan : Leider lernen sie nicht dazu ! Schauen sie sich das Foto zu ihrem Artikel mal genauer an…” - Zur reinen Illustration eines Themas wurde für Analphabeten und solche, die es werden wollen, ein halbwegs passendes Bild zum Inhalt hinzugefügt.

Manfred Knake / 07.09.2023

Sicher, vieles hat sich geändert, die bäuerliche Landwirtschaft ist weitgehend tot, aber zu welchem Preis? Zitat der “Freien Bauern”: “Wir Bauern haben aus Wildnis erst blühende Landschaften geschaffen mit einer großen Artenvielfalt und dem reizvollen Wechsel aus Ackerland, Grünland, Wald und unterschiedlichen Biotopen. ” - Dreister geht´s wohl nicht: Biovidersität kaputt u.a. wegen “Pflanzenschutzmitteln” des agrar-chemischen Komplexes, viele Insektenarten weg, Wiesenvögel am Limit (kennt doch keiner mehr, kann weg, am wenigsten die Bauern oder Lohnunternehner auf ihren klimatisierten Monstertreckern). Diese Vögel sind am Limit durch mehrfache Grünlandmahd im Jahr, die Gewässer überdüngt und versifft, Boden bis in mehrere Meter Tiefe durch schweres Gerät verdichtet, “Tierwohl” mit Massentierhaltung? Die Propagandalügen des hochsubventionierten Berufsstandes mit der stets offenen Hand werden heute als Wahrheit verkauft, und der naturentwöhnte Städter, der nicht einmal einen Feldspatz von einem Hausspatz unterscheiden kann, glaubt´s. Hat sich die Autorin schon mal in deutschen Landen umgehört und -gesehen? Weiß sie eigentlich, was Artenvielfalt bedeutet? Die frühere Artenvielfalt von Pflanzen und Vögeln ist dahin, innerhalb weniger Jahrzehnte, und das wird heute als Nomalzustand angesehen! Mein Buchtipp wäre “Mein englisches Bauernleben: Die Farm meiner Familie und das Verschwinden einer alten Welt”, war auch mal ein Spiegel Bestseller.

Ludwig Luhmann / 07.09.2023

“„Landwirtschaft ist die Erzeugung von Lebensmitteln durch Bodenfruchtbarkeit, Sonnenenergie und menschliche Arbeit. Sie ist damit Grundlage jeder Kultur und Schlüsselbranche für die Zukunft. Wir Bauern haben aus Wildnis erst blühende Landschaften geschaffen mit einer großen Artenvielfalt und dem reizvollen Wechsel aus Ackerland, Grünland, Wald und unterschiedlichen Biotopen. Deshalb lassen wir uns nur ungern belehren, wie die Natur funktioniert und wie wir mit ihr umzugehen haben.“”—- Deutschland muss aus dem verdammten UN-WHO-EU-WEF-Komplex raus!

Claudius Pappe / 07.09.2023

Was brauchen wir deutsche Landwirtschaft, wir haben doch laut Baerbock, kokainisches Getreide, geerntet von Kobolden, damit füllen wir unsere Kühltruhen die uns im Winter als Speicher dienen.

Christian Feider / 07.09.2023

ich lach mich immer scheckig aus Erfahrung,wenn die Leute,darunter gern auch Bauern,von “nachhaltig” und “ökologisch” reden…. Hintergrund? einfach erklärt,die Agrarchemie wurde entwickelt,weil die deutsche Nachkriegsindustrie die billigen Tagelöhner abwarb und die Bauern komplett umdenken mussten! Anstatt tageweise die Leute zu dem von ihnen festgesetzten Lohn ackern zu lassen,musste jetzt anders gearbeitet werden. Heute sehe ich auf “Bio-Nachhaltigkeits-Höfen” die wandernden Rumänisch-Bulgarischen Tagelöhnerkolonnen,während die “Bauersleut” das Bild der “Ökobauern” für die Umgebung geben….dabei ginge es ohne die Billigkräfte nullkommanull. Einfach ein Dummenbetrug,wobei gleichzeitig noch die Kulturböden “nachhaltig” versaut werden,denn den Unkrauteintrag kriegt man manuell-ökologisch auch über Jahre hinweg nicht mehr raus und damit den Ertragsverlust ebenso wenig

Berthold Bohner / 07.09.2023

Gerade frisch mit E-mail gekommen : Das Umweltbundesamt fordert einen Schutzstreifen entlang jedes Bachs/ Kleingewässer in der Breite von 18 m wo jeder einsatz von Pflanzenschutzmitteln unterbleiben soll. Ich bin Kleinlandwirt und soll also auf einem 50 Meter breiten Acker 18 Meter Unkraut wachsen lassen, zusätzlich zu den 5 Metern zum Gewässer auf dem ackerbauliche Nutzung schon bisher verboten war, zugegeben noch nicht so lange. Bei den 500.000 Quadratmeter Schlägen in den neuen Bundesländern wohl kein Problem, aber wenn ein Acker nur 3000 Quadratmeter groß ist? Die Vernichtung der verbleibenden Landwirtschaft ist in vollem Gang ! Da kann ich nur den Häuptling Seattle in aktualisierter Form zitieren : Wenn der letzte Bauer verschwunden ist , werdet ihr merken, dass man EU Verordnungen nicht essen kann!

Claudius Pappe / 07.09.2023

Cora Stephan : Leider lernen sie nicht dazu ! Schauen sie sich das Foto zu ihrem Artikel mal genauer an. Leider mal wieder kein Bild aus Deutschland in einem ihrer Artikel vom Landleben in Deutschland. Schon an den Gebäuden erkennt man : Bilder aus Amerika…..........wie so oft . Auf dem Bild ist ein Massey Harris 744 in einer amerikanischen oder kanadischen Landschaft zu sehen. Wenn sie über Äpfel schreiben, bilden sie dann eine Tomate ab ?

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