Henryk M. Broder / 20.12.2020 / 15:00 / Foto: Acgut.com / 58 / Seite ausdrucken

Steinmeiers Prüfung und Kretschmers Einsamkeit

Also sprach der Bundespräsident: „Das Virus hat uns nach wie vor fest im Griff. Unser öffentliches und unser privates Leben wird so stark eingeschränkt wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Lage ist bitterernst.“ Das Infektionsgeschehen drohe, „außer Kontrolle“ zu geraten, deswegen kämen wir „an einschneidenden Maßnahmen“ nicht vorbei. „Unsere bisherigen Anstrengungen im Kampf gegen die Pandemie reichen nicht aus, wir müssen noch konsequenter handeln… Jeder und Jede muss sich fragen, was kann ich zusätzlich tun, um mich und andere zu schützen und vor allem die zu schützen, die besonders gefährdet sind?“

Fest steht: „Wir werden Weihnachten und Neujahr anders feiern, als wir gehofft hatten. Die kommenden Wochen werden für viele Menschen eine belastende Zeit sein… Wir sind jedoch dem Virus nicht schicksalhaft ausgeliefert. Wir wissen, was zu tun ist. Feiern lassen sich nachholen und über Geschenke freuen sich Freunde und Verwandte auch später noch.“ Jetzt komme es darauf an, die Gesundheit zu erhalten und Menschenleben zu retten. Deswegen müssten wir in den nächsten Wochen unsere Kontakte und Begegnungen radikal begrenzen.

„Die Verantwortung, die wir jetzt zeigen, die Lasten, die wir jetzt und noch eine Zeit tragen werden, die sind nicht vergeblich, sie bringen uns dem Ende der Pandemie näher… Die kommenden Wochen sind eine Prüfung für uns alle… Wir alle sind in den letzten Monaten einen weiten Weg gegangen, gehen wir ihn gemeinsam und in Rücksicht aufeinander weiter und zu Ende.“

Anleihen bei Wilhelm II, Kennedy, Adenauer und Strauß

Er sei sich ganz sicher, so der Bundespräsident am Ende seiner sechs Minuten langen Rede an das Volk/die Bevölkerung, „die Pandemie wird uns die Zukunft nicht rauben, wir werden diese Krise überwinden, das muss gelingen und das wird gelingen“.

Dass ich diese Rede so ausführlich zitiere, hat zwei Gründe. Erstens enthält sie stilistische Anleihen aus den Reden anderer Majestäten, Präsidenten und Politiker. Mal klingt Steinmeier wie Wilhelm II („Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“) mal wie Kennedy („Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst!“), mal wie Adenauer („Die Lage war noch nie so ernst…“), mal wie Franz Josef Strauß: „Ich sage nicht, wir werden siegen, weil wir siegen müssen, aber ich sage, wir können siegen, wenn wir siegen wollen, und wir werden siegen, weil wir siegen wollen!“

Auch Steinmeier ist ein Meister der redundanten Logik; hält er eine Rede, rechne ich jeden Moment damit, dass er „die Basis ist die Grundlage des Fundaments“ sagt und dabei ein Gesicht macht, als habe er eben den Zusammenhang zwischen der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie begriffen. Zweitens verhebt er sich maßlos, wenn er z.B. sagt, die folgenden Wochen würden „eine Prüfung für uns alle“ werden. So reden Erweckungsprediger, wenn sie ihre Gemeinden daran erinnern, wie Gott Abraham „prüfen“ wollte, als er ihm befahl, seinen Sohn Isaak zu töten, als Beweis unbedingten Gehorsams gegenüber dem Allmächtigen. 

Kommt der Eintopfsonntag zurück?

Was passiert, wenn die Deutschen diese „Prüfung“ nicht bestehen? Wird die Wiedervereinigung rückgängig gemacht? Der Eintopfsonntag ausgerufen? Das Benzin rationiert? Gibt es im Schloss Bellevue niemanden, der dem Bundespräsidenten die Bedeutung des Begriffes „Prüfung“ erklären könnte?

Leider ist Frank-Walter Steinmeier auch ein Beispiel für den Bildungsnotstand, der die Bundesrepublik als Kollateralschaden des kulturellen Föderalismus erfasst hat. Ein anderes, ebenso anschauliches Beispiel ist der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Er hat es für nötig gehalten, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass er dieses Jahr zum ersten Mal in seinem Leben keinen Gottesdienst an Heiligabend besuchen wird. Wegen Corona werde er schweren Herzens zu Hause bleiben.

„Ich brauche es für meinen Glauben nicht. Und ich finde es richtig, wenn wir alle uns in diesem sensiblen Moment zurückhalten.“ Außerdem: „Jesus und Maria waren Heiligabend auch alleine.“ Unter normalen Umständen hätte sich das Land über eine solche Aussage eines Landesfürsten vor Lachen gebogen, ihn darauf hingewiesen, dass Jesus und Maria mitnichten „alleine“ waren und ihm empfohlen, „Weihnachten im Stall“ von Astrid Lindgren zu lesen. Aber die Zeiten sind nicht normal, und das Virus befällt nicht nur die Atemwege, sondern auch das Denkvermögen.

So gesehen, mag es sich tatsächlich um eine Prüfung handeln, die weder der Bundespräsident noch der Ministerpräsident von Sachsen bestanden haben. 

Foto: Achgut.com

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R.Stefan / 20.12.2020

Seit Anfang Dezember graust’s mir schon vor dem bevorstehenden Jahresende und dem Gedanken an die dann von unserem obersten Schnarchnasen - Vertretern via ÖR verbreitete Durchhalte - Diarrhoe. Und gerade jetzt wurde im Ganze Reich verkündet, daß die Gudste gerade eben den nächsten Ehrendoktor für die beste Rethorik(Dr.rer.?)an ihre bescheidene Oberweite geheftet bekam. Müssen wir jetzt davon ausgehen,daß das diesjährige Jahrhundertfeuerwerk mal ausnahmsweise die Feuerwerker der Antifa in Berlin und anderen Hotspots des zivilgesellschaftlichen Zusammenlebens eröffnen dürfen ? Wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, wird auch dieses Jahr im Fernsehen wieder der seit Jahrzehnten dauerschleifende Slapstick “Dinner for One"ausgesendet- man hat sich heuer für eine etwas aktuellere Fassung entschieden: Mit Miss Äntschie an Stelle Miss Sophie, den stolpernden Ober hat sich der bereits mit Bettvorlegern auskennende Horsti gesichert( aber nur ganz knapp vor dem Maasmännchen und Helge Lindh).Am Tisch haben Platz genommen,die Kandidaten der nationalen Fr….ähm für den Parteivorsitz bzw.dem der BK*In- die Herren Lass et,Merz,Röttgen und der Fürst der bayrischen Finsternis Maggirus Söderus.Kredenzt werden ein grüner Veltliner aus der Ostmark und ein Schwarzburgunder vom Westwall. Auf die Darreichung eines “Primitivo"wird aus protokollarischen Gründen verzichtet.Und ja - Freibier für alle bzw. es wird heimlich durchgesoffen bis zum Ramadan, also nach Ostern !

Bernd Große-Lordemann / 20.12.2020

Mit ihren Durchhalte- und Supergau-Parolen kommen mir unsere Politiker wie Touris vor , die mit Turnschuhen auf einen schlüpfrigen, felsig steilen Gipfel geklettert sind und jetzt nicht wissen, wie sie von dort oben wieder herunter kommen können, ohne abzustürzen. Der nächste Vorwand, der den Abstieg vom Coronagipfel vermutlich weiter in die Ferne rücken lässt, ist die von UKs Gesundheitsminister Matt Hancock medial verbreitete Mär von der angeblich neuen, noch virulenteren SARS-Cov-2 Variante. Der muss sich allerdings von Fach-Wissenschaftlern mittlerweile unangenehme Fragen gefallen lassen. (Quelle: ScienceFiles)

Heinrich Wägner / 20.12.2020

Sehr geehrter Herr Broder, die Wiedervereinigung wird rückgängig gemacht .Ich sehe keinen Unterschied mehr zwischen Margot und Angela. Keiner darf raus hatten wir schon ,nicht alle dürfen rein kommt wieder, was kommen könnte hatten wir schon ,sind darauf spezialisiert. Vom Eintopf Jahreszeit bedingt bis Zeitung lesen zwischen den Zeilen. Die Kretschmers mit ihren Parteien der Nationalen Front sind auch früher nicht zum Pfaffen gerannt ,sahen es doch die Genossen nicht gerne und man wollte auch nicht negativ auffallen. Margot ist nicht mehr Angela übernimmt für sie .

Tobias Kramer / 20.12.2020

Kretschmer war intellektuell seinem Amt noch nie gewachsen, vom Auftreten und rhetorisch gleich gar nicht. Wir Sachsen rätseln ja immer noch, woher der eigentlich damals so plötzlich kam. Sprichwörtlich kannte den bisher keine Sau. Und bisher hat er sich auch nirgends mit Ruhm bekleckert, außer als Steigbügelhalter der Miniparteien SPD und Grüne (beide unter 8 Prozent bei der letzten LTW) zu fungieren und wortleere Reden zu halten.

Thomas Kache / 20.12.2020

Im übrigen bin ich der Meinung, das Steinmeiersches, Kretschmann et al. Geschwurbel genau das ist, was die Mensch***innen da draußen gerade jetzt hören wollen. Wem dieses Gesülze nicht gefällt, der sollte halt nicht hinhören. Die zwingen uns unter die Mund- Nasebedeckung, aber unser Hirn können wir weiter gebrauchen. Als denne: die Gedanken sind frei!

Ernst Dinkel / 20.12.2020

@Henryk M. Broder: “So reden Erweckungsprediger, ...”. Steinmeier und “erwecken”? Ich bekomme immer Narkolepsie-Anfälle, wenn ich versehentlich eine Steinmeier-Rede höre. Valium ist gegen ihn ein Aufputschmittel.

Jupp Posipal / 20.12.2020

Auch als Bundespräsident bleibt Herr Steinmeier das was er seit Jahrzehnten eigentlich ist. Berufspolitiker, der via forciertem Habitus und salbungsvoll daneben gegriffener Wortwahl kaum der essentiell aktuell zu bewältigenden Herausforderung gerecht wird. Statt nachhaltig eine spürbare Aufarbeitung des kompletten Staatsversagens mindestens auf Länderebene (sowie kommunale Gesundheitsamtstrukturen und lokales Lavieren deutlich zum missbilligen) einzuforden, wird das Volk mit plakativen Aussagen wieder einmal nur “eingelullt”. Wo sind halbwegs abgewogene und klar kausal kommunizierte Exekutivstrategien zum gesellschaftlichen Umgang miteinander (ja, auch ggf. mit realisitisch machbaren Zwangsmaßnahmen), einer nachhaltigen staatlichen Umstrukturirung des Pflege- und Kliniksektors (attraktive Arbeitsbedingungen und Lohnsteigerung für das Personal, nicht Gewinnmaximierung für private Gesundheitskonzerne wie in USA), einem “angepassten Bildungskonzept aus Präsenz- und Online-Unterricht (oder verlieren wir nicht nur ein Schuljahr, sondern eine ganze Generation), zu öffentlich angemessenen Gefahrenvorsorge (nicht auszuschließende Virenmutationen, Blackout, Hochwasser/Dürre) und vieles mehr. Von verhinderter Cum-/Ex-Gesetzgebung, Maut-Schiebereien, NSU-Versagen, AMRI-Ermittlungspleiten mal ganz abgesehen. Hauptsache die Bevölkerung wird lückenlos überwacht, wenn sie sich denn mal aufrafft nachzuhaken, wie tief wir schon gesunken sind.

Emmanuel Precht / 20.12.2020

Steinmeier am 12.04.2021 im Frühstücksfernsehen: “Ich freue mich Ihnen mitteilen zu können, dass das Infektionsgeschenhen für die nächsten 4 Wochen kontrollierbar sein wird, allahu akbar” Wohlan…

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