Die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen zählt zu den großen Kulturleistungen des Menschen. Nun soll das Rad der Geschichte wieder zurückgedreht werden. „Moorwiedervernässung“ lautet der Schlachtruf. Dabei geht es nur darum, wie viele Tonnen CO2 man „einsparen“ kann, um die Welt vor dem von den Klimajüngern beschworenen Hitzetod der Erde zu bewahren.
O schaurig ist’s übers Moor zu gehen / Wenn es wimmelt vom Heiderauche /
Sich wie Phantome die Dünste drehn / Und die Ranke häkelt am Strauche /
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt / Wenn aus der Spalte es zischt und singt! /
O schaurig ist’s übers Moor zu gehen / Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
So beginnt Annette von Droste-Hülshoffs 1842 erstmals veröffentlichte Ballade „Der Knabe im Moor“. Das Stück handelt von einem Knaben, der im Dunklen durchs Moor wandert und dabei Geistergestalten sieht, die ihn in Angst versetzen. Er läuft immer schneller, um dem Spuk zu entkommen, und sieht schließlich ein heimatlich schimmerndes Licht, das ihn aus den unwirtlichen Gefilden hinausführt. Gerade noch einmal ist er dem Schrecken entkommen.
Einst waren fünf Prozent der deutschen Landesfläche von Sümpfen bedeckt, vor allem in den nord- und ostdeutschen Niederungen und am Alpenrand. Überall dort, wo der Boden infolge hoher Niederschläge dauerhaft mit Wasser gesättigt war und sich unter Sauerstoffabschluss oft meterhohe Torfschichten aus abgestorbenen, aber nicht vollständig zersetzten Pflanzenteilen bilden konnten. Wenn sie den Kontakt zum Grundwasser verloren haben, spricht man von Hochmooren, extrem nährstoffarmen, sauren Lebensräumen, an die nur wenige Spezies angepasst sind wie der Sonnentau, der seinen Mineralstoffbedarf deckt, indem er auf passive Weise Insekten „fängt“ und verdaut.
Lieblingsmotiv zahlreicher Künstler
Die lebensfeindlichen und unfruchtbaren Moore machten den Menschen Angst, eine Angst, die sich noch in Droste-Hülshoffs Ballade spiegelt. In ganz frühen Zeiten dachten die Menschen, dass böse Geister in ihnen hausten, die jene, die sie durchstreifen, in die Tiefe zögen. Manchmal förderte man beim Ackerbau oder Torfabbau schaurige Moorleichen zutage, meist Gesetzesbrecher, die man zur Strafe in den bodenlosen Schlamm geworfen hatte, wo sie jämmerlich ertranken oder erstickten. Moorbauern zählten zu den ärmsten der Armen. Sie hielten sich mühsam über Wasser, indem sie Torf als Brennmaterial abbauten oder Buchweizen kultivierten, ein anspruchsloses, getreideähnliches Gewächs mit geringem Ertrag.
Erst im Zuge großer Meliorationskampagnen, die bis ins 20. Jahrhundert andauerten, gelang es, viele Sumpf- und Moorgebiete urbar zu machen, um dort zumindest Weidewirtschaft zu betreiben. Die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen zählt zu den großen Kulturleistungen des Menschen in allen Teilen der Welt.
Als sich die unwirtlichen und gefährlichen Feuchtgebiete langsam in grüne Weiden und Äcker verwandelten, begann ihre Verklärung. Künstler zogen mit Staffelei, Farben und Pinsel ins Teufelsmoor bei Worpswede oder ins Dachauer und Murnauer Moos in Oberbayern, um die Reste ihrer prekären Schönheit auf Leinwand zu bannen. Wassily Kandinsky ließ die eintönigen Landschaften in grellen Farben erglühen und schuf die Farb- und Formsprache des Expressionismus. Bald zählte ein meist „realistisch“ gemaltes „Moorstück“ zur Standarddekoration in jeder gutbürgerlichen Stube.
Flutung tausender Hektar „kohlenstoffreicher Niederungsböden“
Nun soll das Rad der Geschichte wieder zurückgedreht werden. „Moorwiedervernässung“ lautet der Schlachtruf. Dabei geht nicht darum, die karge Anmut der Moorlandschaften wiedererstehen zu lassen. Es geht auch nicht wirklich um die dort lebenden Pflanzen und Tiere, um Menschen schon gar nicht. Es geht nur darum, wie viele Tonnen CO2 man „einsparen“ kann, um die Welt vor dem von den Klimajüngern beschworenen Hitzetod der Erde zu bewahren. Trockengelegte Moore zählten zu den größten Emittenten klimarelevanter Gase in Deutschland, weil die Zersetzungsprozesse immer noch anhielten. Wieder vernässte, funktionstüchtige Moore dagegen bänden große Mengen von „Treibhausgasen“: Ein wichtiger „Baustein“ für die Klima- und Energiewende.
Im Prinzip stimmt das sogar. Doch diesmal werden es nicht ein paar eifrige Naturschützer sein, die, mit Stiefeln und Spaten bewaffnet, in die letzten Moorreste ziehen, um Entwässerungsgräben zu verstopfen und einen übermäßigen Bewuchs mit Birken, Kiefern und Fichten zu entfernen, der sie weiter austrocknen lässt. Nein, diesmal handelt es sich, wie einst bei der Melioration, um groß angelegte Kampagnen, um die Flutung tausender Hektar „kohlenstoffreicher Niederungsböden“ – im Fachjargon wird euphemistisch von „Wasserstandsanhebungen“ gesprochen –, denen im Ernstfall hunderte von Bauernhöfen weichen müssen.
Jüngst kam eine von der schleswig-holsteinischen Landesregierung in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis, dass bei einer vollständigen Wiedervernässung von 86.000 Hektar ehemaliger Moorgebiete mit einer Anhebung des Wasserstandes bis nahe der Oberfläche etwa drei Millionen Tonnen CO2-Äquivalentepro Jahr „einsparen“ ließen. Bei einer „moderaten“ Anhebung wären es immerhin noch 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr. „In diesem Fall wäre die Nutzbarkeit in Teilen der Region noch gegeben – und somit der Verlust an landwirtschaftlicher Wertschöpfung deutlich geringer.“ Ein Teil des CO2-Effektes soll dabei auf Tierbestandsreduktionen und einen geringeren Düngemitteleinsatz entfallen.
900 Bauernhöfe in Gefahr
Was zunächst nicht sehr bedrohlich klingt, würde in der Realität zahllose landwirtschaftliche Betriebe betreffen. Für 900 Betriebe, so schreiben die Autoren der Studie, solle über ein „speziell auf diese Gruppe zugeschnittenes Umsiedelungsprogramm“ nachgedacht werden. Wohin die Bauern, denen man die Lebensgrundlage zu entziehen gedenkt, umziehen sollen, wird nicht gesagt. Vielleicht in die Ukraine?
Und natürlich soll sich das Füllhorn staatlicher Förderungen über die ganz oder teilweise enteigneten Landwirte ergießen, das dank Aufhebung der Schuldenbremse hoffentlich bald wieder reich gefüllt sein wird. Zudem könnten manche Bauern auf den Anbau nachwachsender Rohstoffe wie Schilf oder Rohrkolben für Gartenbau, Bau- und Möbelindustrie umsteigen. Paludikultur nennt sich diese neue, alte Art der Subsistenzwirtschaft. Wobei der Bedarf an extrem teuren Reetdächern für die Hamburger Snobs auf Sylt eigentlich gedeckt scheint.
Ein weiteres „Standbein“, das buchstäblich absaufenden Bauern anempfohlen wird: „Moor-PV-Anlagen“, also üppig geföderte Freiflächen-Fotovoltaik, wie sie sich auch in (noch) nicht wiedervernässten ehemaligen Moorgebieten wie dem bayerischen Donaumoos ausbreiten und eine sehr reizvolle Landschaft verschandeln. Hoffentlich finden die Ingenieure eine Lösung, damit die aufgeständerten Paneele nicht im Morast versinken, um vielleicht in Jahrhunderten als moderne Moorleichen wieder zutage gefördert zu werden. Wobei in der Studie ehrlicherweise ausgeführt wird, dass bei allzu hoher Torfmächtigkeit die ingenieurtechnischen „Gründungskosten“ der Anlagen deren Rentabilität infrage stellten.
Werden die Bauern willig zur Schlachtbank marschieren?
Der Bauernverband Schleswig-Holstein protestierte nach Veröffentlichung der Studie recht matt, schließlich will man nicht als Verhinderer der Weltenrettung dastehen: Die geplanten Maßnahmen bei der Moorvernässung dürften nur freiwillig mit der Landwirtschaft vor Ort umgesetzt werden, heißt es. „Angesichts der Unsicherheiten der Finanzen im Landeshaushalt fordert der Berufsstand verlässliche Zusagen zur Finanzierung der Moorvernässung und zur kooperativen Umsetzung.“ Werden die Bauern willig zur Schlachtbank marschieren? Oder kommt es irgendwann auch in Deutschland zu möglicherweise gewaltsamen Bauernprotesten gegen den Amoklauf in Sachen Klima wie vergangenes Jahr in den Niederlanden?
„Es ist schwach im Wasser, Tümpel, Pfützen in Mooraugenhöhlen halten es auf, soll es versauern im Hochsicherheitstrakt unter Seggen und Sonnentau, aber es ist flüchtig es ist gewöhnlich wie jedes Wunder, das nicht aufhört, es hat es schon einmal getan sich wundersam vermehrt und ausgeharrt in der Arche Atmosphäre und plötzlich, binnen 4.000 Jahren, war es planetarischer Hochsommer und Eozän, was konnte, wanderte aus oder verzwergte, und heute ist das kein Geheimnis, sondern eine Blaupause, ein Baustein der Argumentation – es ist nicht zu glauben, aber es ist nicht verantwortlich, es löscht Populationen Blaufrösche, Unken, Gletscher.“
Nein, das ist gewiss nicht Annette von Droste-Hülshoff, die die Bedrohung durchs böse CO2 verreimt, sondern eine gewisse Sylvia Geist. Eine neue Art von Moorpoesie, veröffentlicht vom „Greifswalder Moor Centrum“, einer Kooperation der Universität Greifswald mit der Michael Succow-Stiftung für Moor-, Klimaschutz und Wiedervernässung. Selbst ernannte Barden, die den Irrsinn besingen, finden sich immer und überall.
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.