Rassismus gibt es wirklich. Es gibt Menschen und Gruppen, die andere allein dafür verachten, dass sie anderer Hautfarbe sind oder anderen Völkern angehören. Das ist zweifellos dumm, ein Zeichen von Beschränktheit, es verhindert Austausch, Kooperation und Entwicklung. Jeder vernünftige Mensch begreift: Rassismus schadet. Er mag kurzzeitig dem Selbstgefühl aufhelfen, doch zugleich verhindert er Chancen. Deutschland hat ein besonderes Problem mit Rassismus, nachdem die Nazis mit ihrer Rassentheorie einen gescheiterten Eroberungskrieg und die versuchsweise Vernichtung oder Versklavung anderer Völker begründet haben.
Seither ist Rassismus in Deutschland eine schreckeinflößende Vokabel. Sie erinnert an das Desaster des deutsch-nationalen Größenwahns. Rassismus ist für Deutsche assoziativ verknüpft mit der beispiellosen Niederlage 1945, mit zerbombten Städten, Millionen Toten, verlorenen Gebieten. Ein deutsches Spezifikum, das erklären hilft, warum „Rassismus“ zu einem Terminus geworden ist, der das ganze Land in Tage und Wochen währende angsterfüllte, nicht selten hysterische Kontroversen stürzt.
Ein Fußballspieler genügt. Er begründet seinen Austritt aus der deutschen Mannschaft, die in der letzten Weltmeisterschaft gescheitert ist, raffiniert mit „Rassismus“. Damit hat er geschickt das alte Trauma ins Spiel gebracht: die assoziative Verknüpfung von Rassismus und Scheitern. Kein Wunder, er ist, obwohl Kind türkischer Eltern, in Deutschland geboren und aufgewachsen, er kennt sich bestens aus mit den psychischen Problemen der Deutschen. Indem er die Schreckvokabel „Rassismus“ ins Spiel bringt, spekuliert er auf den bedingten Reflex, der die Impulse deutscher Selbst-Bezichtigung in Gang setzt, die Mühlen des ewigen Themas „deutsche Schuld“. So dass man am Ende ganz vergisst, dass er, der an den Niederlagen beteiligte Fußballspieler, eigentlich mehr Schuld am Scheitern der deutschen Mannschaft trägt als die von ihm angeklagte Gesellschaft.
Ein hohles, doch großformatiges Mordinstrument
Ein Wort wird verbraucht und verbrannt: „Rassismus“ ist inzwischen kein mit nachvollziehbarem Inhalt erfüllter Begriff mehr, sondern ein hohles, doch großformatiges Mordinstrument. Jemand stellt fest, dass Lappländer in der Regel etwas ruhiger und langsamer wirken als Süditaliener – Rassismus. Der Journalist einer Lokalzeitung erwähnt anlässlich der neuesten Vergewaltigung im Stadtpark, der Verdächtige sei von Zeugen als Mann dunkler Hautfarbe beschrieben worden – Rassismus. Die israelische Polizei räumt ein nach bürgerlichem Landrecht illegales Beduinenlager, weil eine Straße durch die Wüste gebaut werden soll – Rassismus. Ein Wissenschaftler referiert über den expansiven Charakter des frühen Islam – Rassismus.
Einmal habe ich auf einer Lesereise in Deutschland ahnungslos das aus meiner Kindheit vertraute, eigentlich liebevoll gemeinte Wort „Negerkuss“ für eine Süßigkeit verwendet – nur mit Rücksicht auf meinen Gast-Status blieb es bei Ermahnungen und der Einschärfung der neuen, politisch korrekten Vokabel. Wobei es weniger unsere dunkelhäutigen Mitbürger sind, die den Gebrauch dieses Wortes zum rassistischen Skandal erklären, als eine Gemeinde von Wortwächtern und Gedankenpolizisten, denen jeder Anlass recht ist, ihre Mitmenschen zu erziehen und mit Verboten zu belegen.
Bei Lichte besehen, galt die Ablehnung des Fußballspielers nicht dem Umstand, dass er von Geburt Türke ist – das war seit 29 Jahren bekannt und hatte niemanden gestört. Sondern seiner kürzlich erfolgten Wahlkampfhilfe für einen türkischen Despoten. Seine plötzliche Unbeliebtheit hat also politische, nicht „rassistische“ Gründe. Egal. Prompt beginnen die Prozeduren der Selbst-Beschuldigung in deutschen Medien. Auch die türkischen melden sich zu Wort, dann der neue Sultan. Der Anlass war ihm gerade recht, die heutigen Deutschen trotz ihrer Bemühungen um grenzenlose Offenheit „faschistisch“ und „rassistisch“ zu nennen.
Großzügiger Umgang mit einem überaus disponiblen Wort
Sie können sich damit trösten, dass er am gleichen Tag Israel den „am meisten rassistischen Staat der Welt“ genannt hat. Das zeigt nicht nur, wie großzügig er mit diesem überaus disponiblen Wort operiert, wie er es austeilt gegen jeden, der ihm politisch im Wege steht. Es zeigt auch, dass man sich heute, wenn man von dieser Seite „faschistisch“ oder „rassistisch“ genannt wird, in bester Gesellschaft wiederfinden kann.
So hat das Wort „Rassismus“ durch übermäßigen Gebrauch mehr und mehr seinen Sinn eingebüßt. Es wird in Fällen angewandt, wo es offensichtlich das Thema verfehlt. Ein bekannter Fall von kollektiver Gehirn-Blockade ist die Beschuldigung aller, die den Islam kritisieren oder ablehnen, als „Rassisten“. Ist es so schwer zu begreifen, dass der Islam keine Rasse ist, sondern eine Religion? Muslime leben auf allen Erdteilen, es gibt sie in jeder Hautfarbe, in Dutzenden Ethnien. Deshalb kann, wer den Islam nicht mag, als alles mögliche bezeichnet werden, als Religionskritiker, Religionsverächter, Atheist, notfalls als „islamophob“, aber nicht als „Rassist“. Und dennoch lesen wir täglich in den Zeitungen, Ablehnung des Islam wäre „Rassismus“ oder würde wenigstens dorthin tendieren.
Um den Fußballspieler muss man sich keine Sorgen machen: Sein genialer PR-Coup hat ihm das Wohlwollen seines Sultans beschert, er wird sich, auch wenn er nicht mehr Millionen durch Fußballspielen verdienen kann, in dessen Reich großer Beliebtheit und Gnade erfreuen. Dieses Reich erstreckt sich inzwischen bis Köln und Berlin, wo der Herrscher demnächst zum Staatsbesuch anreisen wird. Er fordert höchste Ehren, rote Teppiche und ein Staatsbankett, und er wird die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, seine treuen Untertanen zu weiterem Kampf gegen „Rassismus“ aufzurufen.