Putin kann Yulias Traum nicht zerstören

Vor einem Jahr starb die brillante Mathematikerin Yulia Zdanovska in ihrer Heimatstadt Charkiw bei einen russischen Raketenangriff. Ihr zu Ehren rief die US-Spitzenuniversität „Massachusetts Institute of Technology“ ein kostenloses mathematisches Bildungsprogramm für ukrainische Schüler und Flüchtlinge ins Leben, das bereits Erfolge verzeichnet.

Im Sommer 2022 erhielt die damals 37-jährige ukrainische Mathematikerin Maryna Viazovska die aufgrund ihres Prestiges mit dem Nobelpreis vergleichbare Fields-Medaille als eine Auszeichnung für ihre herausragenden Entdeckungen in der Mathematik. Nach der in den USA forschenden iranischstämmigen Mathematikerin Maryam Mirzakhani im Jahr 2014, die 2017 im Alter von nur 40 Jahren in Folge einer Brustkrebserkrankung verstarb, ist Viazovska die überhaupt erst zweite Frau, die mit dieser Ehrung gewürdigt worden ist.

Ob ihre Landsfrau, die Mathematikerin Yulia Zdanovska, die im Jahr 2017 eine Silbermedaille beim internationalen Wettbewerb für Nachwuchsmathematikerinnen, der sogenannten „European Girls’ Mathematical Olympiad“, gewann, und 2016 sogar Siegerin der Ukrainischen Informatik-Olympiade war, es selbst einmal zu solch einer hohen Würdigung hätte bringen können, werden wir leider nie erfahren. 

Denn vor einem Jahr, am 8. Mär2022, starb die 21-jährige Zdanovska in ihrer Heimatstadt Charkiw durch einen von Putins mörderischen Raketenangriffen. Verantwortlich für den Raketenterror zeichnete der Kommandeur der Luftstreitkräfte, Sergei Wladimirowitsch Surowikin, ein Anhänger massiver Raketenschläge, der sich bereits in Tschetschenien und Syrien zahlreicher Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung schuldig gemacht haben soll.

Ihr Tod erschüttert Mathematiker weltweit

Aber die Erinnerung an diese brutale Tat sollte nicht verhallen, vielmehr hat Yulia Zdanovska den jungen Opfern der russischen Aggression ein Gesicht gegeben. Der ehemalige ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, wies in einem Post auf dem Kurznachrichtendienst Twitter seine mehr als 250.000 Follower auf das Schicksal einer „der besten jungen Mathematikerinnen Europas“ hin. Die Nachricht ihres Todes erschütterte insbesondere Mathematiker weltweit, wie etliche Nachrufe bedeutender Mathematik-Fachorganisationen bezeugen.

So von der American Mathematical Society und der Canadian Mathematical Society, des Weiteren von der Internationalen Mathematischen Union wie auch der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Oder ebenso von der 1947 als erste wissenschaftliche Gesellschaft für Informatik gegründeten „Association for Computing Machinery“. Das zweite World Meeting for Women in Mathematics widmete Zdanovska 2022 sogar ein Panel. „Yulia war eine brillante junge Mathematikerin, die eine erfolgreiche Zukunft vor sich hatte“, so die Organisatorinnen.

Fields-Medaillen-Trägerin Viazovska nutzte ihre Preisverleihung, um ebenfalls an Zdanovska zu erinnern. Denn wie Viazovska studierte Zdanovska an der „Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew“ und hatte 2021 mit einem Bachelorabschluss in Computermathematik graduiert. Mathematikprofessorin Oksana Bezushchak, die Dekanin der dortigen Fakultät für Mechanik und Mathematik, sagte seinerzeit über Zdanovska, dass sie „nicht nur extrem talentiert war, sondern eine fantastische, lebensbejahende Energie hatte.“

Vermittelte ihre Vorliebe für Mathematik jungen Ukrainern

Doch nicht nur das. „In ihrem ersten Jahr kam Yulia zu mir, weil sie einen Mathe- und Programmierclub für Sechstklässler leiten wollte. Daraus entwickelte sich ein herausragendes Olympiade-Projekt. In ihrem zweiten Jahr war Yulia die einzige Studentin, die sich dafür qualifizierte, am Samsung R&D Institute Ukraine [kurz SRUKR] zu arbeiten“, so Dekanin Bezushchak weiter. Das SRUKR ist eines von Samsungs insgesamt 16 Forschungs- und Entwicklungszentren weltweit.

Ein besonderes Herzensanliegen war es Zdanovska, ihre Vorliebe für Mathematik und Informatik mit jungen Menschen zu teilen. So engagierte sie sich für den Verein „Teach for Ukraine“ und unterrichtete Kinder in einer ukrainischen Dorfschule. „Teach for Ukraine“ ist Teil der global tätigen Non-Profit-Bildungsorganisation „Teach For All“.

Als der Ukrainekrieg begann, blieb Zdanovska bei ihrer Familie in ihrer Heimatregion, in der sie bereits vor Kriegsbeginn für „Teach for Ukraine“ aktiv war, und arbeitete im Rahmen dieser ehrenamtlichen Tätigkeit als Freiwillige in einem Wohngebiet von Charkiw. „Ich bleibe in Charkiw, bis wir gewinnen“, soll sie damals gesagt haben. Leider hat Zdanovska die ukrainische Gegenoffensive, beginnend im Mai 2022, wie auch die endgültige Befreiung Charkiws durch die ukrainische Armee im September 2022 nicht mehr erlebt.

Mag Putins Regime das Leben eines vielversprechenden Mathematiktalents auch auf so grausame Art und Weise beendet haben, konnte es dennoch Yulia Zdanovskas Traum, jungen Ukrainern Bildungschancen in Mathematik zu eröffnen, nicht zerstören. Ganz im Gegenteil. Bereits wenige Wochen nach ihrem Tod begründete das „Department of Mathematics“ der US-amerikanischen Spitzenuniversität „Massachusetts Institute of Technology“, kurz MIT, zu Ehren von Yulia Zdanovska ein kostenloses mathematisches Bildungsprogramm für ukrainische Schüler und Flüchtlinge in den Klassen 9 bis 11 mit dem Namen „Yulia’s Dream”.

US-Spitzenuniversität erfüllt Yulias Traum

„Ich sah Berichte über ihren tragischen Tod, und sie erinnerte mich sofort an unsere typischen Studenten – leidenschaftlich für Mathematik, erfolgreich bei Wettbewerben, Wahl eines Mathematik-Hauptfachs am College und bereit, andere zu unterrichten“, so der MIT-Mathematik-Dozent Slava Gerovitch, der gemeinsam mit MIT-Mathematikprofessor Pavel Etingof das Programm anleitet.

In dieser Bildungsinitiative im Rahmen des MIT-Programms für „Research in Mathematics, Engineering and Science for High School Students“ sollen die Schüler unter anderem fortgeschrittene mathematische Themen über den Lehrplan der High School hinaus studieren und an mathematischen Forschungsprojekten unter Anleitung von akademischen Mentoren arbeiten können.

„Da das MIT eine beträchtliche Anzahl ukrainisch- und russischsprachiger Studenten hat, dachten wir, wir könnten ihr Wissen nutzen, um talentierten ukrainischen Schülern, deren Ausbildung durch den Krieg gewaltsam unterbrochen wurde, zu helfen, ihre Träume zu verwirklichen – etwas, um das Yulia Zdanovska gebracht wurde“, führte Mathematik-Dozent Gerovitch, der selbst auch ukrainische Wurzeln hat, weiter aus.

Sein Kollege Etingof, der wie Zdanovska ebenfalls an der „Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew“ studiert hat, ergänzte im Interview mit einer US-amerikanischen National-Public-Radio-Station zu den Intentionen des Programms: „Das Ziel ist, dass die Ukraine nach dem Krieg wieder aufgebaut werden muss und wir wollen, dass sie ein fortgeschrittenes europäisches Land wird. Dies erfordert viele junge Leute, die sich mit Mathematik auskennen, die gut in Naturwissenschaften sind, insbesondere Forscher, und wir möchten helfen, diese [wissenschaftliche] Pipeline aufzubauen.“

Teilnehmer des Bildungsprogramms gewinnen Medaillen

Das Programm „Yulia’s Dream”, welches 48 ukrainische Schüler umfasst, hat mittlerweile erste Erfolge erzielt. So sind fünf Teilnehmer bei der „International Mathematical Olympiad“ im Juli 2022 für das ukrainische Team angetreten, das eine Gold-, eine Silber- und drei Bronzemedaillen gewonnen hat. Ein Schüler aus dem MIT-Programm erreichte im Wettbewerb sogar die perfekte Punktzahl.

Doch nicht nur in den USA wurde Yulias Traum erfüllt. An der Fakultät für Mathematik und Informatik der 1364 gegründeten polnischen Jagiellonen-Universität in Krakau können sich herausragende Schüler und Absolventen ukrainischer Sekundarschulen seit dem Sommer 2022 für ein Stipendium des Yulia-Zdanovska-Stipendienfonds’ bewerben, das für die gesamte Dauer des Grundstudiums an der Jagiellonen-Universität gewährt wird. Dieser Stipendienfonds soll dabei auch Ausdruck des Gedenkens an die junge ukrainische Mathematikerin sein, die Opfer der russischen Aggression gegen die Ukraine geworden ist, so die Fakultät.

Diese ersten Erfolgsmeldungen bestätigen nicht nur die beiden Wissenschaftler des MIT in ihrem Vorhaben, sondern mehr noch Yulia Zdanovska. Putin hat sie zwar aus dem Leben gerissen, kann aber ihr Vermächtnis nicht zerstören.

 

Dr. Dr. Marcus Ermler ist Mathematiker und Informatiker.

Foto: Screenshot via Wydział Matematyki i Informatyki

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M. Vogel / 26.03.2023

Das Schicksal eines jeden insbesondere so jungen Menschen durch Krieg zu sterben, ist tragisch und übersteigt unsere Vorstellungskraft, die wir nicht vor Ort sind. Und dennoch bleibe ich bei meinem Standpunkt: Ja, Putin hat diesen Krieg begonnen, aber provoziert wurde er vom Westen unter Führung der USA.  Der Westen ist nicht schuldlos am Schicksal dieser jungen Frau.  Doch er sieht sich als Unschuldslamm, wie heuchlerisch.

Roland Völlmer / 26.03.2023

Und genau aus diesem Grund bin ich für Waffenstillstandsverhandlungen. Menschenleben sind zu wertvoll für sinnlose Kriege. Oder werden die Opfer geringer wenn weiterhin geschossen wird?

Hans Kloss / 26.03.2023

Eine Tragödie. Dass sie eine junge brillante Frau betroffen hat, macht das noch ein Stück schlimmer. Was mich dabei stört und das leider auch nachhaltig: niemanden auf Achse interessiert, dass in Jahren 2014-2022 durch Artilleriebeschuss (von wem?) Mehr als 10.000 Leute (wer waren sie?) Gestorben sind. Es ist eine noch größere Tragödie, dass man den Tod dieser Frau für üble Propaganda dermaßen instrumentalisiert.

U. Langer / 26.03.2023

Krieg zwischen Russland und der Ukraine gibt es seit dem 24.3.2022. Wenn diese junge Mathematikerin am 8.3.2022 ums Leben kam, kann das nicht die Folge von “Putins mörderischen Raketenangriffen” gewesen sein. So viel Zahlenverständnis muss man bei einem Autor, der Mathematiker ist, schon annehmen! Das heißt, dass der Autor den Tod dieser jungen Frau benutzt, um gegen Russland zu hetzen! Den Tod der jungen Frau finde ich schrecklich - seine Instrumentalisierung für Propaganda wiederlich!

T. Gilde / 26.03.2023

Audiatur et altera pars.

Stefan Müller / 26.03.2023

Ich habe auch Träume, die interessieren aber niemanden.

Emil.Meins / 26.03.2023

Fängt die Achse jetzt auch mit diesen Tränendrüsengeschichten an? Natürlich ist es tragisch, wenn diese junge Frau ums Leben kam, aber das auf diese Weise zu Propagandazwecken auszuschlachten, ist einfach erbärmlich. Und ausweislich der Diktion des Artikels ist es nichts anderes als Propaganda! Wenn ich solche Machwerke lesen will, brauche ich nur die FAZ öffnen, die sogar eine eigene UKRAINE-Rubrik eingerichtet hat. Dort “weint dann eine Sportlerin jeden Tag”, und eine andere darf “wegen Putin” nicht an Wettkämpfen teilnehmen. Und es wird jede Möglichkeit genutzt, Putin im schlecht möglichsten Licht darzustellen, indem jeder Bericht über ihn auf Schwachstellen abgeklopft wird, die man gegen ihn verwenden kann. Dann distanzieren sich irgendwelche Judokas, weil er früher öfter im Judodress mit Kindern posiert hat. Das ist, völlig unabhängig von Putins Politik, einfach nur noch abstoßend und hinterhältig bösartig. Langsam kotzt mich diese einseitige Parteinahme für das elende korrupte Land in meiner Nachbarschaft an.

Alexander Mazurek / 26.03.2023

Die Einteilung der Welt in würdige (die im Lichte) und unwürdige (die im Dunkeln) Opfer ist eine Taktik, mit der wir unsere Verbrechen rechtfertigen und unsere Feinde dämonisieren (denn wir sehen die im Lichte, die im Dunkel sehen wir nicht). Konflikte werden erst dann gelöst, wenn sich alle Nationen an das Völkerrecht halten und alle Opfer als würdig erachtet werden!

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