Im Zuge der Verleihung des diesjährigen Buchpreises an Kim de l’Horizon ist eine Debatte um angemessene Pronomen für „nicht-binäre Personen“ entstanden. Die Uni Bielefeld hielt kürzlich dazu eine Konferenz ab.
Über die Verleihung des diesjährigen Buchpreises an Kim de l’Horizon ist bereits viel geschrieben worden. Die Auszeichnung des bis dato so gut wie unbekannten Autors für seinen Debütroman „Blutbuch“ stand ganz im Zeichen seiner Identifikation als „non-binäre Person“, also als Mensch, der sich selbst weder als Mann noch als Frau betrachtet. Im Feuilleton der großen Medien brach großer Jubel darüber aus, dass „endlich“ ein „Non-Binärer“ einen solchen Preis erhielt, während Kritiker argwöhnten, dass dies der einzige (politische) Grund für die Auszeichnung des Newcomers gewesen sei. Und in der Tat erweckten bekannt gewordene Auszüge aus dem autobiografisch angelegten Werk den Eindruck, dass die Begabung des Autors bei seiner Auszeichnung eher ein zweitrangiges Kriterium gewesen sein könnte.
Was mich bei der Berichterstattung jedoch am meisten erstaunte, war die Sprache, der sich die meisten Kommentatoren bedienten. Genauer gesagt, wie sie bereitwillig im Dienste des Autors zur Beschreibung seiner Person gänzlich auf Pronomen verzichteten. Dies fiel mir als erstes beim pünktlich zur Preisverleihung aus der Taufe gehobenen Wikipedia-Beitrag über Kim de l‘Horizon auf. In fast jedem Satz kommt der Name l’Horizon vor, weil an keiner Stelle Pronomen wie er/sie oder ihm/ihr etc. stehen, die ihn ersetzen könnten, ebenso wenig entsprechende alternative Substantive wie „der Autor“ oder „der Künstler“. Lediglich zweimal wird er als „Person“ betitelt und bekommt an diesen Stellen jeweils weibliche Pronomen verpasst.
Abbau des Ausdrucksvermögens
Auch Medien wie die Zeit, die Süddeutsche, die Deutsche Welle oder die NZZ veröffentlichten Beiträge, in denen der Name „de l’Horizon“ in mehreren Sätzen monoton hintereinander angeführt wird, um verräterische Pronomen möglichst zu vermeiden. Das klingt dann zum Beispiel so, wie im folgenden Beitrag der taz:
„Allerdings schützen diese zeremoniellen Manieren auch eine Person wie Kim de l’Horizon nicht vor jeder Form der Transphobie. Im Netz untersuchen und sezieren die Verfechter*innen der Zweigeschlechter-Norm emsig Kim de l’Horizons Äußeres und sprühen dabei Hass und Paranoia. Der Kölner Stadtanzeiger berichtete am Donnerstag, dass Kim de l'Horizons Verlag DuMont für de l'Horizon nach queerfeindlichen Bedrohungen einen Sicherheitsdienst engagiert habe.“
Ein erstaunliches Verfahren für Medien, die eigentlich dafür bekannt sind, sich um eine elegante Sprache zu bemühen. Schließlich lernt man schon als Grundschüler, dass Wortwiederholungen in einem Text dringend vermieden werden sollten. Die Homepage des NDR setzt noch eine Schippe obendrauf und nennt ihn in einem Text „die*den Autor*in“.
Die Anbiederung an einen jungen Kreativen, der weder Männlein noch Weiblein sein will, aber eindeutig ein biologischer Mann ist, ist das eine. „Wir jedenfalls bleiben dabei, dass Kim ein netter Junge ist, der seine Muddi lieb hat“, stellte Achgut-Autorin Cora Stephan letzte Woche verständnisvoll, aber konsequent fest.
Viel bedenklicher finde ich, wie leichtfertig das vorgeblich schöngeistige Feuilleton einen geschliffenen Schreibstil für die vermeintlich gute Sache aufgibt. Es gilt doch heutzutage als Konsens, dass Sprache das Bewusstsein formt und demzufolge wäre ein Abbau des Ausdrucksvermögens doch eigentlich entschieden abzulehnen.
Wie politisch ist die Grammatik?
Doch für die Opferung ambitionierten Schreibens scheint es mittlerweile eine Lobby zu geben, wie eine bemerkenswerte Konferenz beweist, die ebenfalls letzte Woche stattfand. Das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld lud zur Tagung „Personalpronomen: Ansätze einer interdisziplinären Grammatik der Person“. Da Personalpronomen „unterschiedliche Identitätskonzepte“ ausdrückten, lauteten die zentralen Fragen der Konferenz: Wie persönlich ist das Personalpronomen? Wie politisch ist die Grammatik?
Geleitet wurde die Veranstaltung von Professorin Dr. Mona Körte, Dr. Elisa Ronzheimer und Dr. Sebastian Schönbeck, allesamt von der Uni Bielefeld. Die Literaturwissenschaftlerin Körte sprach im Vorfeld davon, dass der Umgang mit Personalpronomen im Schreiben und Sprechen „variabel“ geworden sei, während „Sprachschützer*innen“ darauf bestünden, dass Personalpronomen unveränderbar seien. Teilnehmer der Tagung waren Vertreter aus Altphilologie, Literaturwissenschaft, Linguistik, Philosophie, Biologie, Soziologie und Tierethik. Tierethik? Ja, denn auch die Pronomen in Tier-Enzyklopädien wurden untersucht.
Das Handelsblatt führt in diesem Kontext an, dass vor allem in den USA immer mehr junge Menschen explizit ihre Pronomen angäben, etwa in E-Mail-Signaturen oder Social-Media-Profilen. Viele sich als „nicht-binäre“ Personen definierende Menschen würden im Englischen auf die Pronomen „they/them“, also die eigentliche 3. Person Plural zurückgreifen.
Konferenz-Leiterin Körte ergänzt, dass sich im Deutschen einfach die Nennung des Namens durchsetze – wie oben zitierte Medien bereits unter Beweis stellten. Körte ist eine Anhängerin dieser Idee, „weil wir dann keine neuen Worte erfinden müssen“. Als Beispiel liefert sie folgenden Satz: „Steffi putzt sich die Zähne, bevor Steffi ins Bett geht.”
Dass dies eher an die Ausdrucksweise eines Vorschulkindes erinnert, stört die Literaturwissenschaftlerin nicht, ebenso wenig eine mögliche „Sprachverunstaltung“. Denn: „Wichtiger wäre, dass niemand diskriminiert wird.“ Es gehe neben der Repräsentation auch um „Verantwortung, die ich dafür habe, respektvoll und anerkennend meinem Gegenüber zu begegnen, für den respektvollen Umgang miteinander“. Die schnöden Gefilde der Literaturforschung scheint die Wissenschaftlerin hinter sich gelassen und die Klärung der Pronomen-Frage zu ihrem Hauptanliegen erhoben zu haben. Man kann nur hoffen, dass das Sprachgefühl der Allgemeinheit diesen Ideen einen Strich durch die Rechnung macht.