Necla Kelek (1): Nützt der Familiennachzug der Integration?

Sahin aus Homs, heute 26, wurde vor sieben Jahren in Syrien mit der 13-jährigen Tochter seiner Tante verheiratet. Vor vier Jahren floh die Familie – Vater, Mutter, Brüder und Schwestern, Schwiegertöchter und Kinder – in die Türkei, wo sie inzwischen eine Bäckerei betreibt. Zwei Jahre später nahm Sahin das Angebot von Schleppern an, ihn für 4.000 Euro nach Deutschland zu bringen. Seit Ende 2015 ist er hier und inzwischen auch als Flüchtling anerkannt. Er hat die Genehmigung erhalten, seine Frau nachzuholen. Die Familie in der Türkei will sie aber nicht ziehen lassen, sie müsse Sahins Eltern versorgen.

Ahmed ist 14 und allein über das Mittelmeer von Syrien nach Deutschland gekommen. Er wurde als unbegleiteter Jugendlicher von einer deutschen Pflegefamilie aufgenommen, schaffte es sogar in die siebte Klasse eines Gymnasiums. Für seine Familie war er der Türöffner zu ungeahntem Wohlstand. Inzwischen konnte er seine Familie, dem Wunsch seines Vaters entsprechend und mithilfe seiner Pflegeeltern, nachholen: Vater, Mutter, sieben ältere und jüngere Geschwister und eine Tante, die schon immer bei der Familie lebte. Alle leben in einem Hamburger Vorort in einer großen Sozialwohnung von Sozialhilfe. Kurze Zeit nach der Ankunft der Familie musste Ahmed die Schule verlassen. Er habe zu viele „familiäre Aufgaben“ erfüllen müssen, heißt es in der Schule. Ahmed hat seine Chance auf ein neues Leben verpasst, er muss nun wieder seinem Vater gehorchen.

Der Familiennachzug bei Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz wurde zur Schicksalsfrage der Nation stilisiert, an ihr drohte 2017 die Regierungsbildung der Großen Koalition zu scheitern. Politikerinnen wie Claudia Roth von den Grünen verteidigten die Familienzusammenführung als Menschenrecht, entdeckten plötzlich die heilige Familie. Alt-Linke wie Jürgen Trittin gemahnten an christliche Werte. Ohne Familie sei Integration sinnlos, das christliche Abendland verspiele seine Reputation.

Man stritt und streitet sich über Zahlen, aber nicht darüber, was Familie und damit Familiennachzug überhaupt bedeutet. Es geht bei orientalisch-muslimischen Familien eben nicht um Kleinfamilien, in denen Vater, Mutter und Kinder zusammenleben, sondern um Großfamilien und Sippen, die patriarchalisch organisiert sind. Wer Familiennachzug als Akt der Nächstenliebe preist, produziert einen Popanz, verkennt die Strukturen und hilft, unter dem Mantel der Vielfalt und Toleranz Gegengesellschaften zu etablieren.

Über Tausende Kilometer fest im Griff

Dabei gibt es für das Scheitern dieser Politik bereits ein Beispiel aus der Geschichte der jungen Bundesrepublik. Als man 1972 einen Anwerbestopp für Gastarbeiter beschloss, erlaubte man gleichzeitig den Nachzug von Frauen und Kindern, vor allem aus der Türkei. Ihr Nachzug führte innerhalb kürzester Zeit zum „Import“ des islamischen Familiensystems. Man tauschte das anatolische Dorf gegen eine bald schon in sich geschlossene Community von Moschee, Kulturverein und Dönerladen. Dies hat – auch durch mangelnde Angebote seitens des Staates und der aufnehmenden Gesellschaft – Integrationsprobleme und Parallelgesellschaften erst geschaffen. Niemand brauchte sich mehr anzupassen, man blieb unter sich, verhaftet in der Kultur des anatolischen Dorfes. Ähnlich war es ab 1975, als Bürgerkriegsflüchtlinge kamen, hauptsächlich aus dem Libanon, und sich über Zuzug und Familiennachzug geschlossene Clanverbände herausbilden konnten.

Aktuell sehen die Zahlen so aus: Laut Bundestagsdrucksache 19/9418 vom 12. April 2019 wurden 2018 insgesamt 132.312 Anträge auf Familienzusammenführung in Deutschland gestellt, 107.354 wurden bewilligt. Ein guter Teil der genehmigten Anträge (insgesamt 32.962) betraf Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Afghanistan, Iran, Eritrea, Jemen und Somalia.

Ahmed hatte keine andere Wahl, als sich dem Willen seines Vaters zu unterwerfen. Sahin wird sein Schicksal ebenfalls erdulden, ein selbstbestimmtes Leben wird auch er nicht führen können. Die Familienbande haben ihn auch über Tausende Kilometer fest im Griff.

Familienzusammenführung ist keine vorrangig humanitäre Frage, solange wir keine Ideen oder Konzepte haben, die diesen verlorenen Söhnen und Töchtern eine Zukunft ermöglichen könnten. Klar ist aber auch, dass wichtige Weichenstellungen im Vorfeld erfolgen müssen. Wer in einer unterstützenden Familie und nicht in einer „unheiligen“ aufwächst, hat es leichter, in einer neuen Welt anzukommen.

Dies ist ein Auszug aus Necla Keleks neuestem Buch „Die unheilige Familie. Wie die islamische Tradition Frauen und Kinder entrechtet“, 2019, München: Droemer, hier bestellbar.

Lesen Sie morgen: Auszug aus dem syrischen Personalstatusgesetz zur Ehe.

Teil 2 finden Sie hier.

Teil 3 finden Sie hier.

Teil 4 finden Sie hier.

 

Necla Kelek, Soziologin, wurde 1957 in Istanbul geboren. Als Autorin verschiedener Bücher prägte sie die deutsche Debatte um Integration, vor allem als Kritikerin des autoritären Frauenbilds im traditionellen Islam. Sie ist Teil des Vorstands der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“.

Foto: Medienmagazin pro Flickr CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Sabine Schönfelder / 10.03.2020

Tatsächlich formuliert die Autorin, vielleicht unbewußt, das wahre Ziel muslimischer Einwanderung: man möchte hier genau so leben, wie in der ehemaligen Heimat, nur von deutschem geschenkten Geld finanziert. Auch die Vorstellungen von einem besseren Leben der eigenen Kinder in der Fremde, sind nur im Rahmen der islamischen Kultur erwünscht. Es ist kein Wunder, daß sich der erzwungene Gastgeber langsam mit Abscheu von der Migration abwendet, die für den indigenen Deutschen KEINEN Vorteil bringt; AUßER, man redet ihm ein, daß er sich wohlfühlen soll, weil er moralisch der Größte ist. Das ist das linke Narrativ auf dem die ganze Ausbeutung und Umverteilung beruht. Schon im Ansatz geht es NICHT darum, daß Eingewanderte MIT uns leben, sondern VON uns leben. Das ist das linke Umverteilungsziel und auch der Wunsch der allermeisten eingewanderten Gruppierungen, die zum allergrößten Teil überhaupt kein Interesse an Völkervermischung haben, ganz im GEGENTEIL. Das weiß die Autorin selbst am besten. Sinnvolle Eingliederung von integrationswilligen Einwanderern ist nie das erklärte politische Ziel gewesen und ist es auch jetzt nicht. Wir haben die wahren Absichten schon unzählige Male hier erörtert. Es gibt nicht den Wunsch eines Zusammenlebens, von keiner Seite, nur ideologische Ziele einer bestimmten Politikerkaste, und genau so stellt es sich auch in unserer Gesellschaft dar.

Heiko Engel / 10.03.2020

Das gesamte Thema gehört auf den Prüfstand. Der Islam ist weder demokratisierbar noch sekularisierbar. Familienzusammenführung ist schlichte Heuchelei und Negation von Verantwortung. Diese Kriege werden da unten geführt, um Migration zu veranlassen. Obama und H. Clinton sind die beliebten Experten und Verantwortlichen für dieses Desaster. Eine Migration in kultergleiche Kreise ist die einzig sinnstiftende Lösung. Aber Koudenhove - Kalergi hatte da etwas anderes vor. Und das läuft !!!

Lars Hemer / 10.03.2020

In Saudi Arabien darf man schon lange nur noch nach einem DNA Test heiraten,ja selbst dort hat man erkannt das die Inzucht das grösste Problem der Araber sei(so das Arabische Genom Institut). Bekanntlich führt das auch zu Geisteskrankheiten und was G. so machen hat man in Hanau und an Bahnhöfen gesehen.

Martin Stumpp / 10.03.2020

Ich verstehe die Wut von Michael Müller, sein Zorn trifft mit Frau Necla Kelek aber die Falsche. Das ist leider sehr häufig der Fall. Ich weiß nicht genau was Frau Kelek mit dem Hinweis auf fehlende Angebote des Staates meint, aber sicher nicht die Rundumversorgung, die umgehend ohne Gegenleistung gewährt wird. Ich vermute eher, dass sie das Angebot vermisst, den zuziehenden Familienangehörigen zuvor die gültigen Verhaltensregeln, näher zu bringen. Ob es gefruchtet hätte, wage ich allerdings zu bezweifeln Aus meiner Sicht, war deshalb nicht das mangelnde Angebot das Problem sondern die übertriebene Toleranz gegenüber dem deutschen Recht, die auch heute fröhliche Urstände feiert, wenn die Verantwortlichen sogar bei Kindesmissbrauch wegschauen und sich lieber der Strafvereitelung im Amt schuldig machen, als dich Islamophobie vorwerfen zu lassen. Man hätte damals schon die Einhaltung der Regeln verlangen müssen. Sportunterricht auch für Mädchen, Teilnahme am Schwimmunterricht im Badeanzug, nicht im Burkini. Dauerhafte Aufenthaltsberechtigung nur bei ausreichenden Sprachkenntnissen und Abschiebung von Straftätern. Das alles wäre auch in der heutigen Zeit noch angebracht. Aber leider macht die derzeitige übertriebene im Grunde schon krankhafte “Toleranz” alles noch viel schlimmer.

Michael Müller / 10.03.2020

@ Karl Eduard und @ Karl Baumgart: Selbstverständlich kenne ich die Bücher von Frau Kelek. Ich empfinde es als Unverschämtheit, in einem (offensichtlich) fremden Land Geld zu fordern oder zu erhalten, um mich dort einzugliedern. Zweitens, jeder dieser Menschen steht unter dem Schutz unserer Rechtsordnung und kann jederzeit mit Familie und Tradition brechen. Damit sind die Leute genauso selbstverantwortlich wie wir auch. Drittens, “verlorene Töchter und Söhne” , denen “wir Zukunft ermöglichen” in einer “neuen Welt” - neue Welt, oha. Frau Kelek möchte mohammedanische Probleme therapieren. Und offene Grenzen, wie übrigens alle anderen Migrationshintergrundsmenschen auch. Ich möchte das nicht.

Herbert Exner / 10.03.2020

Alleinreisende Kinder, die mit dem Einwandererstrom als Vorausabteilung zwecks Aufklärung für den Familien-Nachzug geschickt werden,  kennen wir seit 2015.  Dem Kanzleramt, den Bundestags-Einheitsparteien in Kooperation mit den Schlepper-Organisationen kommen die Kinder deshalb sehr gelegen, weil die übrigen EU-Staaten nicht mehr alle Merkel’schen Kapriolen mitmachen.  Um auf die von Merkel und Rotgrün angestrebten Einwandererzahlen an Muslimen zu kommen hilft hier die Durchsetzung mittels “Familiennachzug”.  Das bringt bei z.Zt. 5000 alleinreisenden Kindern, dank orientalischer Familiengröße leicht das Zehnfache.

Sirius Bellt / 10.03.2020

@Gerhard Hotz. Ah ja, und um dieses Dilemma für unsere Gäste nicht noch unerträglicher zu machen wird demnächst auf dem Oktoberfest nur noch Limo ausgeschenkt? Sollten passend dazu dann alle nichtmuslimischen Frauen aus Solidarität ein Kopftuch tragen? Wegen des Dilemmas?

Alexander Schilling / 10.03.2020

@Georg Dumme—“Wie der Islam mit Ungläubigen verfährt, ist bekannt”.—Der Spruch von Harald Schmidt, “Sport? Mache ich nicht mehr selber… lasse ich machen!” (o.ä.), lässt sich leicht auf unsere Situation übertragen. Man “verfährt” nicht selbst, das lässt man—von willigen Helfern—machen. Oder ist es nicht längst so, dass WIR diejenigen sind, die (inmitten einer Mehrheit der hier länger oder kürzer Lebenden) allmählich zu “Leuten des Buches” mutiert sind: eines Grundgesetzes, dessen Grundsätze bei Bedarf freilich außer Kraft gesetzt, oder um ein Linsengericht neu ausgehandelt werden können; WIR diejenigen sind, die ǧizya zahlen (und zakāt und ṣadaqāt zum Wohlergehen der Menschheit obendrauf legen); diejenigen sind, die beim Ruf des Muezzin die öffentlich-rechtliche Predigt entweder auf Durchzug, oder ganz abschalten; diejenigen endlich, die unser Starrsinn zum Kandidaten für die Wohltätigkeit einer bestimmten NGO gemacht hat—der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)?——Ein Völkchen, das mehrheitlich eine Sprache in zwei Rechtschreibungen beherrscht und womöglich prüfen sollte, ob die “Geschäftsbedingungen des Tickets” (um das Bild eines linken Staatsphilosophen jüngster Baureihe aufzugreifen) es nicht etwa hergeben sollten, bei besagter GfbV aus Mitteln von Frau Dokter Giffeys listigem “Demokratiefördergesetz” hinterlistig etwas “Staatsknete abzugreifen”?

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