Cora Stephan / 17.04.2021 / 10:00 / Foto: Bundesarchiv/Grubitzsch / 43 / Seite ausdrucken

„Normal“ ist vorbei! Ach, wirklich?

Vorbei! „Normal“ gibt es nicht mehr, weder das alte noch das neue Normal. Ein Weltkonzern namens Unilever hat das Wort und was es bezeichnet kurzerhand abgeschafft. Bei Verpackungen und Werbeanzeigen für Shampoos und Cremes gibt es normales Haar und normale Haut nicht mehr. Warum? Das Wort „normal“ könne dazu führen, dass Kunden sich ausgeschlossen fühlen. Bravo! Ein Weltkonzern macht sich zum „Leader of Wokeness“, wird ab sofort gegen „Diskriminierung in der Beauty-Branche“ vorgehen und „gerechter und inklusiver“ werden – weil man „den Menschen und dem Planeten Gutes tun will“. Warum bescheiden sein?

Eigentlich hatten wir bis vor Kurzem noch gedacht, „normal“ bei Pflegeprodukten bedeute, dass jeder sie benutzen kann, der kein besonderes Problem hat. Das ist doch maximal inklusiv? Irrtum. Normal gilt heutzutage als bloße Norm, wahrscheinlich von toxischen weißen Männern erfunden. Also weg damit.

Zieht euch warm an, ihr Normalen! Heterosexualität? Ist nicht normal, sondern eine bloße Norm, kann man also ebenso dekonstruieren wie „männlich“ oder „weiblich“. Darüber lachen, es für Spinnereien ideologischer Minderheiten halten, die sich als „woke“ empfinden – als aufgeklärte, sensible Menschen, die allen Gutes wollen? Vorsicht. Die meinen das ernst.

Was sagt der stinknormale Hausmann dazu?

In der schnöden Wirklichkeit aber stellen die, pardon, Normalen noch immer die Mehrheit im Lande, in westeuropäischen Ländern und den USA sind sie auch noch mehrheitlich weiß. Will Unilever auf 95 Prozent der Bevölkerung verzichten? Oder nur auf alle, die weder trockene noch fettige Haare haben? Inklusiv ist nur, was exkludiert? Da macht man sich glatt Sorgen um einen Konzern, der auch für Knorr, Pfanni und Vaseline zuständig ist. Was sagt der stinknormale Hausmann dazu? Kocht künftig ohne Knorr?

Nein, vielleicht darf man darüber wirklich nicht mehr lachen. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der Minderheiten nicht diskriminiert werden, ganz im Gegenteil: wer auch nur ein missverständliches Wort benutzt, das jemanden kränken könnte, muss mit schärfsten Konsequenzen rechnen. Aber darf man deshalb gleich die Mehrheit diskriminieren? Je schriller die Anklagen gekränkter Minderheiten, desto mehr fühlen sich alle anderen missbraucht, die sich gezwungen sehen, zu beweisen, was sie alles nicht sind: Keine Sexisten, keine Rassisten, keine Trans- oder Sonstwiephoben, keine Menschen also, die andere kränken wollen.

Sowohl die Abstimmung über den Brexit als auch die Wahl von Donald Trump kann man als Hinweis darauf lesen, dass ihre Wähler, also etwa die Hälfte der Gesellschaft, sich mittlerweile erniedrigt und beleidigt fühlt durch identitätspolitische Angriffe, von „Check your privileges“ bis „Männer sind Müll“ – oder gar durch solche Absurditäten wie die Umbenennung von Frauen in „Menschen, die menstruieren“, damit Transfrauen, deren Biologie Menstruation nunmal nicht zulässt, nicht gekränkt sind. Dumm nur, dass damit auch Frauen nach der Menopause ausgeschlossen werden.

Heterosexuell, doch oft zu müde dafür

Es gibt sie, die Spaltung der Gesellschaft – in ein Land von buntdiversen Stämmen, die sich noch nicht einmal sonderlich einig sind, und in eine andere Hälfte, in der alle die leben, die sich weder als Opfer der Verhältnisse sehen noch als Menschen mit irgendwelchen Kollektivmerkmalen definieren möchten.

Mag sein, dass die Normalen irgendwie langweiliger sind als die Regenbogenfraktion. Das liegt vielleicht daran, dass sie keine Zeit haben für aufwendige Selbstinszenierung. So unauffällig sind sie, dass sie seit einem halben Jahrhundert totgesagt werden. Doch in der Krise zeigt sich, dass nichts ohne sie geht: die hundsnormalen Leute, christlich geprägt, verheiratet, ein bis zwei Kinder, geregeltes Einkommen, verlässliche Steuerzahler. Menschen, die das Abweichende und Abenteuerliche keineswegs verurteilen, nur, weil sie es sich selbst längst nicht mehr erlauben.

Heterosexuell, doch oft zu müde dafür. Männer, die ebenso wenig wie ihre Frauen scharf darauf sind, die Vorstandsposten zu besetzen und in die Parlamente zu ziehen, sie haben wichtigeres zu tun. In Krisenzeiten erweist sich, wie dringend man sie braucht, die Handwerker und LKW-Fahrer, Polizisten und Feuerwehrleute, Verkäufer, Reinigungskräfte, Pfleger. Verzichtbar sind vielmehr die schrillen Kopfwerker mit den schnittigen Thesen, die Plaudertaschen in den Talkshows, die von Steuergeldern bezahlten Berater und Beauftragten für dieses oder jenes Weh.

Was soll an einer biologischen Tatsache ausschließend sein?

Vor einem Ende von „normal“ oder gar einem „neuen Normal“, auf das wir uns seit der Panikpandemie namens Corona einstellen sollen, steht das alte Normal wie ein Fels in der Brandung, es ist extrem zäh und überlebensfähig, und wir brauchen es – nicht nur in Krisenzeiten. Normal ist, was Gewohnheit begründet, etwas, das man nicht erklären muss und auf das man sich verlassen kann. Eine Gesellschaft, in der täglich neu ausgehandelt werden soll, wie man miteinander umgeht, endet in Stress und Chaos. Menschen geben sich Regeln, damit sie halbwegs unfallfrei miteinander verkehren können, sie haben es gern überschaubar und nicht grenzenlos und sie möchten sich darauf verlassen können, dass das, was heute gilt, nicht morgen schon für obsolet erklärt wird. Menschen leben miteinander seit Jahrtausenden nach ähnlichen Mustern, egal, was die neueste Mode vorsieht.

„Normal“ ist keine irgendwann einmal (vom Patriarchat, also toxischen Männern) erfundene Norm, Heterosexualität ist nicht „heteronormativ“, sondern, sorry, normal. Was soll an einer schlichten biologischen Tatsache verletzend oder ausschließend sein?

Gewiss gehören zum Normalen auch gesetzte Normen. Doch die Behauptung, dies oder jenes sei „rein normativ“ erinnert an die Vorstellung, Neugeborene seien eine Art leere Tafel, die von ihrer Umwelt beschrieben werden müsse, damit ein Mensch daraus wird. Menschen bringen vieles mit, was Einflüssen nicht unterliegt. Ja, tatsächlich, es gibt eine menschliche Natur, eine angeborene menschliche Konstitution. Das ist gewiss eine Kränkung für alle, die sich als unendlich fluide empfinden. Doch die Vorstellung von der unendlichen Formbarkeit der Menschen hat nichts Emanzipatorisches, im Gegenteil: das ist das Spielfeld allerhand autoritärer Regimes, die den neuen Menschen herstellen wollen, zur Not mit Gewalt.

Wie schrieb Hans Magnus Enzensberger vor vierzig Jahren? „Sofern die Gattung fähig ist zu überleben, wird sie ihre Fortdauer vermutlich nicht irgendwelchen Außenseitern verdanken, sondern ganz gewöhnlichen Leuten.“

Dieser Beitrag erschien zuerst bei „Die Presse“.

 

Mehr von Cora Stephan lesen Sie in ihrem neuen Buch „Lob des Normalen: Vom Glück des Bewährten“. Hier bestellbar.

Foto: Bundesarchiv/Grubitzsch CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Christa Born / 17.04.2021

Mir reicht die eine Unterscheidung zwischen Idioten und Nichtidioten. Alles andere ist mir sowas von egal.

Albert Pflüger / 17.04.2021

Die Normalen reden nicht ständig davon, daß sie normal seien, und sie verlangen auch keine besonderen Privilegien dafür. Das tun nur die, die merken, daß sie etwas neben der Spur sind. Die Normalen haben damit kein Problem, sie lassen sie einfach sein, wie sie wollen. Das ärgert die, das reicht ihnen nicht, sie wollen mehr Beachtung und selbst neue Normen setzen, die aber leider so untauglich sind, daß die Mehrheit mit ihnen nichts anfangen kann, was dann die Normsetzer in Spe mächtig ärgert und zu immer heftigeren Angriffen anstachelt. Der Schwanz will unbedingt mit dem Hund wackeln.

Albert Pflüger / 17.04.2021

@ Sabine Schönfeld: Das haben Sie schön ausgedrückt! Es geht um die Freiheit des Einzelnen. Die muß verteidigt werden, weil sie unter Dauerfeuer von Leuten steht, die sich nur im Kollektiv ihrer eigenen Bedeutung versichern können.  Und von solchen, die das zur Unterdrückung nutzen, um ihre Macht zu beweisen und zu stärken. Die Corona-Maßnahmen sind ein Beispiel dafür, wie dem Einzelnen sogar die Verantwortung für seine eigene Gesundheit weggenommen wird, um daraus dann allerlei Ver-und Gebote abzuleiten, die im Kollektiv zu befolgen sind. Abartig ist das!

Rainer Mewes / 17.04.2021

Bei aller Zustimmung zum Text, danke ganz besonders für das Foto. Jaaaa, da schien die “normale” Welt noch in Ordnung und es könnte nachdenkenswert sein, was für ein Elend die abgelichteten Persönlichkeiten sich im weiteren Verlauf ihrers normalen Lebens aufgeladen haben. Heute ist es normal, daß kein Schwein mehr von ihnen spricht. So wird es auch der großen Vorsitzenden und Gottgleichen gehen. Die Hunde bellen und die Karawane zieht weiter.

Frank (in SA) Theimer / 17.04.2021

Herr Seiler, es wäre ja sogar schön, wenn es (nur) Deutschland wäre. Der Wahn ist aber überall im Westen. In Australien und Neuseeland, in Kanada und sogar besonders ausgeprägt in den ach so freien USA. Biden sagte schon vor Jahren, dass europäisch stämmige Amerikaner (“Weissen”) bald in der Minderheit wären, weil die Regierung für konstante Zuwanderung in Massen aus Minderheiten- und dritte Welt Ländern sorgt. Und er fügte hinzu “And that’s a good thing”.

Richard Loewe / 17.04.2021

Deutschland! Aber normal! Nur noch zu 15%.

A. Kaltenhauser / 17.04.2021

Normal ist inzwischen, dass Kosmetikkonzerne Begriffe wie Aufheller und Bleiche vermeiden um die weltweite Rassismusdebatte zu unterstützen. Bisherige Flüssigseifen und Haarshampoos wechseln in den Aggregatzustand Fest und sollen so mehr für die Umwelt tun (bei gleichen Inhaltsstoffen?). Kinder sollen ja auch nicht mehr selbständig ihre Buntwäsche erledigen (Kinderarbeit?), weshalb man Waschmittel außerhalb ihrer Reichweite lagern soll. Der “Quotenneger” springt inzwischen aus Neuwagen und führt Mode vor, was mich jetzt mehr irritiert als persönlich anspricht/repräsentiert. Schmarotzende NGOs treten vermehrt in Rudeln auf und wollen mittels eigenem Ablasshandel möglichst viele Erbschaften von Tanten und Onkels abgreifen (“ein Klavier, ein Klavier; Tante wir danken Dir!”). Stehen aber in Konkurrenz zum Dauerauftrag, denn man will doch jungen Afrikanern nicht den Schulbesuch versagen müssen; Hinweis: damit sie nicht arbeiten müssen!? Zumindest mein Auto wollen einige noch kaufen und es lautet noch nicht: wirkaufenDeinE-auto.de. Die Werbung zeigt uns: Verrückt ist das neue Normal.

J. Heini / 17.04.2021

Das Normale ist bestimmt durch unsere Umwelt. Unser Gehirn sortiert danach. Es beschäftigt sich dann mit dem, was nicht ins Bild passt. “Umwelt” soll inzwischen das sein, was die - ich sag’ mal - Mode vorgibt. Alles soll “natürlich” werden, aber für den Menschen können wir Natur nicht akzeptieren. Unsere menschliche Natur soll ein weisses Blatt sein. Was sie definitiv nicht ist. Und vor allem soll sich jeder dem definierten Normal anpassen. Und das ist m. E. das Verbrechen an der Natur, am Menschen und an einer demokratischen Gesellschaft.

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