Volker Seitz / 14.02.2019 / 12:30 / 13 / Seite ausdrucken

Nigeria: Supermacht der Zukunfts-Sorgen

Jährlich kommen zehntausende von Asylbewerbern aus Nigeria nach Deutschland und Österreich. Nigeria zählt zwar zu jenen Ländern, die am stärksten von Terrorismus betroffen sind, aber aus den entsprechenden Gebieten kommen nur wenige nach Europa. Die meisten Nigerianer, die kommen, stammen aus dem Süden. Wirtschaftliche Probleme, Korruption und keine Chancen, eine Arbeit zu finden, sind für viele wesentliche Gründe, ihre Heimat zu verlassen. Obwohl Nigeria neben Südafrika die leistungsstärkste Volkswirtschaft ist, leben viele Nigerianer an der Armutsgrenze.

Soziale Auffangnetze wie in Europa gibt es nicht. Armutsreduzierung scheint aber für die Regierung keine Priorität zu haben. Im „Commitment to reducing inequality index“, einem globalen Vergleich der Anstrengungen, Ungleichheit zu bekämpfen, ist Nigeria bei den Schlusslichtern. Bei den Ausgaben für Gesundheit, Bildung und sozialen Schutz seiner Bürger belegt es sogar den letzten Platz. Die Armut großer Teile der Bevölkerung steht in krassem Kontrast zur wirtschaftlichen Entwicklung. 2014 hat das Land Südafrika als größte Volkswirtschaft Afrikas abgelöst. 

Nigeria ist der bevölkerungsreichste afrikanische Staat und hat ein sehr hohes Bevölkerungswachstum mit einer steigenden Zahl von Arbeitslosen, vor allem auch jugendlichen Arbeitslosen. Nigeria könnte mit seinem Ölreichtum reich sein, die Mehrheit der Bevölkerung ist jedoch bettelarm. Beispielsweise betrugen im Jahr 2014 Nigerias Öleinnahmen 85,6 Milliarden Dollar, Migranten überwiesen etwa 20 Milliarden an ihre Familien und Freunde in der Heimat. Dazu kamen 2,5 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe. Die Entwicklung ist dennoch alles andere als positiv verlaufen.

Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind in Nigeria extrem. Die Lebenserwartung der Frauen liegt bei 54, die der Männer bei 52 Jahren. 60 Prozent der Nigerianer arbeiten in der Landwirtschaft. Die Produktivität der Kleinbauern ist allerdings gering. Viele junge Leute drängen in die großen Städte und träumen davon, nach Europa auszuwandern. Migranten aus Nigeria, die nach Deutschland kommen, stehen schon an vierter Stelle aller Asylbewerber-Herkunftsländer. Jedoch sind die Nigerianer, die nach Europa kommen, größtenteils nicht vor Boko Haram geflohen. Von den knapp 1,8 Millionen von der Islamistengruppe Vertriebenen haben die meisten vielmehr in anderen Teilen des Landes Zuflucht gesucht, manche auch in Nachbarländern. Denn sie hoffen, irgendwann in ihre Heimatdörfer zurückkehren zu können.

Jugendarbeitslosenrate schon jetzt bei 65 Prozent

Nigeria ist 2,6-mal größer als Deutschland und damit eines der größten Länder in Afrika. Über 1.769 Quadratkilometer erstreckt sich allein schon die Hauptstadt Abuja. „Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 ist die Bevölkerung Nigerias um das Viereinhalbfache gewachsen und die von Lagos gleichzeitig – um das sechzigfache“... „Bereits jetzt gibt ein Land wie Nigeria rund 10 Milliarden US-Dollar im Jahr für Nahrungsimporte aus. Die Summe entsprach 2016 fast 40 Prozent der Öl-Einnahmen, es wären 15 Prozent, wenn der Preis für Rohöl wieder auf die Rekordhöhe vergangener Zeiten stiege“, schreibt Stephen Smith in seinem Buch „Nach Europa“, Berlin 2018 (S. 58 und 73).

Jedes Jahr werden in dem kaum industrialisierten Staat sieben Millionen Kinder geboren – mehr als in ganz Europa. Dabei liegt die Jugendarbeitslosenrate schon jetzt bei 65 Prozent. Rund drei Viertel der 183 Millionen Nigerianer sind unter 35, die Hälfte ist unter 18. Die Alphabetisierungsrate beläuft sich auf rund 60 Prozent, mehr als zwei Drittel der Menschen leben in extremer Armut, jedes zwölfte Kind stirbt vor Erreichen des fünften Lebensjahres. Die Zahl der Nigerianer, die unter der Armutsgrenze leben, ist in der Folge immer weiter gestiegen. Der UN-Index für menschliche Entwicklung listet Nigeria nur auf Platz 152 von 188 aufgeführten Staaten.

Nigeria gehört wegen seiner Ölvorkommen zu den reichsten Ländern Afrikas. Nigeria ist der achtgrößte Ölexporteur der Welt. Es sind die Pfründe der Politiker und Militärs, die nicht selten zulasten des Wohlergehens des Staates einen geradezu grotesken Reichtum angehäuft haben. Es gibt eine Entwicklung einer Mittelklasse. Davon profitieren die Gesundheits-, Konsumgüter- und Versorgungsbranche. Aber das Land ist von politischen Risiken belastet.

Die soziale Ungleichheit vergrößert sich ständig. Die meisten Nigerianer leben ohne Strom und ohne fließendes Wasser. Die Stromversorgung in Nigeria ist ein Desaster. Das Land produziert lediglich etwa vier Gigawatt (GW) Strom. Zum Vergleich: In Südafrika stehen für 54,5 Millionen Einwohner 40 GW zur Verfügung. Ein weiteres Problem sind die häufigen Anschläge auf Pipelines, die die gasbetriebenen Elektrizitätswerke versorgen, sowie die unzureichende Instandhaltung der Anlagen. Die meisten Unternehmen sind wegen der Unzuverlässigkeit der staatlichen Stromversorgung auf ihre eigenen Benzin- oder Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung angewiesen. 30 Millionen Haushalte haben in Nigeria keinen Stromanschluss. Wer es sich leisten kann, wird zum Energieselbstversorger und legt sich einen Generator und ein Wasserbohrloch zu.

Bildungsniveau niedriger als in den 1950er Jahren

Nigeria möchte attraktiver für ausländische Investoren werden. Die Wirtschaft muss deutlich diversifiziert und modernisiert und so die Abhängigkeit von Öl und Gas reduziert werden. Die bislang verfolgten Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um in Nigeria nachhaltig Wachstum zu sichern. Erforderlich sind vor allem Investitionen in das Stromnetz, den Straßenbau und die Wasserversorgung. Zuverlässige Stromversorgung könnte Marktchancen verbessern und dazu beitragen, die Armut zu mindern. Viele Familien – besonders im ländlichen Raum – haben keinen Strom.

Das Bildungsniveau ist heute niedriger als in den 1950er Jahren, als Nigeria britische Kolonie war – vor allem im islamischen Norden des Landes. In Nigeria, das – gemessen an den Rohstoffen – eine der reichsten Nationen der Welt sein könnte, sind fast drei Viertel der jungen Menschen ohne ein festes Einkommen. Die allgegenwärtige Korruption hat jedes Vertrauen der Bürger in die Institutionen zerstört. Diese Kluft birgt das Risiko, Stabilität und damit auch Wachstum zu gefährden. Nigeria verfügt nicht einmal über genügend Raffinerien, um den Rohstoff in Benzin zu verwandeln und ist auf Benzinimporte angewiesen.

Nigeria zählt zu den größten Exporteuren von Holzkohle weltweit. Nach Angaben des UN-Umweltprogramms hat Nigeria 2017 80.000 Tonnen Kohle für rund 25 Millionen Euro exportiert. Einer der Hauptabnehmer ist Deutschland mit 250.000 Tonnen pro Jahr. Aber auch in Afrika wird die Holzkohle gebraucht. 80 Prozent der afrikanischen Haushalte kochen mit Holzkohle. Vorteil: Tausende Nigerianer leben von der Herstellung der Holzkohle. Nachteil: Durch Wüstenbildung und Erosion verliert Nigeria jährlich 350.000 Hektar fruchtbares Land. Nigerias Waldbedeckung liegt nach Angaben der nigerianischen Umweltbehörde bei weniger als vier Prozent.

Es gibt wegen der schlechten Rahmenbedingungen (marode Infrastruktur, ständig ausfallende Stromversorgung, Korruption, Terror im Norden) keine größeren deutschen Investitionen in Nigeria. Nur etwa 80 deutsche Unternehmen (Vertriebsniederlassungen und Einzelunternehmer) sind in Nigeria aktiv. Warum dies so ist, kann man der F.A.Z. vom 14. November 2018, Seite 18 entnehmen. Dort wird Jean-Marc Ricca, Westafrika-Direktor von BASF zitiert: 

„Die Abfertigung im Hafen [Lagos] ist extrem bürokratisch und der Zoll unberechenbar. Sie brauchen 23 Stempel für jeden Container, bis die Ware durch den Hafen durchkommt... Und nicht selten kommt es vor, dass der Zoll plötzlich den Wert der Chemikalien im Container höher veranschlagt und dreimal so viel Importzoll verlangt.“

Bis vor einigen Jahren war Bilfinger am Baukonzern Julius Berger beteiligt. Größte ausländische Unternehmer sind die Ölkonzerne Shell und Total. Der Unternehmer Aliko Dangote und Peugeot planen 2019 in Kaduna, die Automobilproduktion wieder aufleben zu lassen. Der reichste Mann Afrikas, Aliko Dangote, will auch vier Milliarden Dollar in den Zuckerrohr-, Reis- und Getreide-Anbau stecken. Der nigerianische Staat hat jahrelang die Landwirtschaft vernachlässigt. Der ehemalige Präsident von Nigeria, Olusegun Obasajo: „People talk about poverty in Africa. God did not make Africa poor. The poverty in Africa is not God-created, it is human-made. We made Africa poor with our policies and how we execute them and how we deal with the market, the processing, and the storage of food.” Kurzfassung: Die Armut ist menschengemacht. (Quelle: New African August/September 2017) 

Synonym für Vorteilsnahme

Die Machthaber haben in den letzten vierzig Jahren Öl-Einnahmen von mehr als 400 Mrd. Dollar verschleudert. Das Land ist ein Synonym für Vorteilsnahme, Vetternwirtschaft, Steuerflucht, politischen Niedergang und desolate Staatsverwaltung. In dem gerade veröffentlichten Korruptionsindex 2018 von Transparency International Deutschland liegt Nigeria auf Platz 144 von 180 gelisteten Staaten. Nigeria ist reich an fruchtbaren Böden, trotzdem siecht auch die Landwirtschaft, von der noch immer mehr als die Hälfte der Nigerianer abhängt, dahin. Der Staats- und Sicherheitsapparat gilt als korrumpiert. Dass schon jetzt mehr als zwei Drittel aller Nigerianer in bitterster Armut leben und ein enormes Konfliktpotenzial bilden, scheint die vielen westlichen Unternehmensberatungen, die Nigeria noch immer als den großen Hoffnungsträger Afrikas verkaufen, nicht weiter zu stören. Hinzu kommt, dass Nigeria zu den korruptesten Ländern der Welt gehört.

Erstmals seit der Unabhängigkeit im Jahre 1960 kam es 2015 zu einem friedlichen Machtwechsel. Frühere Wechsel wurden durch Putsche und Gegenputsche herbeigeführt. Wahlsieger Muhammadu Buhari war ein ehemaliger Kommandeur der nigerianischen Streitkräfte. Er hatte sich bereits 1983 an die Macht geputscht, war aber schon 18 Monate später wegen wirtschaftlicher Inkompetenz von einem anderen General gestürzt worden. Vorgänger Goodluck Jonathan war als Präsident schwach, und gegen den Terror von Boko Haram verhielt er sich passiv. Das frühe Eingeständnis seiner Niederlage und der friedliche Übergang von Jonathan zu Buhari machten ihn aber zum Volkshelden.

Die Menschen hofften, dass er tatsächlich handeln würde und die Bevölkerung nicht dauernd mit beschönigenden Erklärungen hinhält. Staatschef Muhammadu Buhari zog tatsächlich Konsequenzen und entließ die gesamte Führung der Armee sowie den nationalen Sicherheitsberater. Streitkräfte wurden komplett neu organisiert. (Seit seinem Amtsantritt hat er bereits viermal die Militärführung ausgewechselt.) Soldaten wurden wieder regelmäßig bezahlt. Korrupte Offiziere, die 15 Milliarden Dollar aus dem Vertei­digungsbudget gestohlen hatten, wurden verhaftet. Durch Korruption bei Rüstungsaufträgen ist Nigeria nach Angaben von Vizepräsident Yemi Osinbajo unter der Vorgängerregierung ein Schaden von 15 Milliarden Dollar (13 Milliarden Euro) entstanden. Die Korruption innerhalb der Streitkräfte wurde auch als einer der Gründe gesehen, weshalb das nigerianische Militär im Kampf gegen die islamistische Terrororganisation Boko Haram lange scheinbar hilflos war.

Buhari zeigte sich anfangs engagierter als sein Vorgänger im Kampf gegen die Islamisten: Mit einer multinationalen „Task Force“ hat er Boko Haram systematisch bekämpfen lassen, allerdings scheint es, dass ihm die Kontrolle des Landes immer mehr entgleitet. Es ist eine komplizierte Mixtur aus Staatsversagen, tödlichen Konflikten zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern in den Staaten Nasarawa, Benue und Taraba. Bei Kämpfen und Massakern (insbesondere in Staaten Yobe, Borno und Adamawa) sind seit 2009 rund 27.000 Menschen getötet und 1,8 Millionen vertrieben worden. Viele flüchteten in die Nachbarländer. Nigerias Militär wird von den USA, Großbritannien, Frankreich und afrikanischen Nachbarn unterstützt.

Im März 2017 blockierte der Senat, gegen den Willen des Präsidenten, die Ernennung eines Chefs der Anti-Korruptionsbehörde. Nigerianische Medien vermuteten, dass die Senatoren keine effektive Behörde wollen, da sie selbst in korrupte Geschäfte verwickelt seien. Ende Dezember 2016 hat die nigerianische Regierung 50.000 „Geisterbeamte“ (Ghost workers) von den Gehaltslisten gestrichen, weil sie nur formell als Staatsbedienstete geführt wurden und nicht gearbeitet haben. Hinweisgeber erhalten bis zu fünf Prozent der dem Staat ersparten Summen.

Trotz angeschlagenem Gesundheitszustand kandidiert der Präsident erneut 

Buhari war 2015 mit zwei Prioritäten angetreten: Der Kampf gegen die Korruption und die Vernichtung der islamistischen Terror-Gruppe "Boko Haram". Bei beiden Punkten sind die Ergebnisse dürftig. Bei der Korruption hat er wenig erreicht, auch weil er bei seinen Angehörigen, die der Korruption verdächtig sind, die Augen schloss. Im Kampf gegen Boko Haram gab es Erfolge. Aber der Norden des Landes leidet weiter unter Angriffen und Massakern. Die Terrormiliz ist zwar in den Busch zurückgedrängt worden, aber dutzendmal haben Terroristen in den letzten Monaten die Zivilbevölkerung und Militäreinrichtungen angegriffen. 

Ungeachtet seines angeschlagenen Gesundheitszustandes und der Rücktrittsforderungen kandidiert Präsident Buhari am 16. Februar 2019 erneut. Von den den insgesamt 73 Präsidentschaftskandidaten hat voraussichtlich nur der Unternehmer Atiku Abubakar (72) eine Chance, Buhari abzulösen. Er war von 1999 bis 2007 Vizepräsident von Olusegun Obasanjo. Anschließend wechselte er mehrfach die Partei. Laut einem Bericht des US-Senats vom 4. Februar 2010 soll er zwischen 2000 und 2008 40 Millionen US-Dollar in die USA gebracht haben. 

„In Afrika ist die Lücke zwischen dem Alter der politischen Führer und der jungen Bevölkerung größer als irgendwo sonst“, sagt Zachariah Mampilly, Professor für Afrikastudien am Vasser College, einer Elitehochschule in Poughkeepsie im Bundesstaat New York. „Aber es gibt keine Anzeichen, dass die junge Generation bald übernimmt.“ Der 76-jährige Buhari war seit Januar 2017 für mehrere Monate aus medizinischen Gründen in London. Er ist offenbar so geschwächt, dass er nur selten öffentlich auftreten konnte. In Nigeria kursierte wochenlang das Gerücht: Buhari sei gestorben und bei öffentlichen Auftritten durch einen Doppelgänger ersetzt worden. 

Buhari hat drei Wochen vor der Wahl den Vorsitzenden Richter des Obersten Gerichtes suspendiert. Das höchste Gericht ist zuständig, sollte es nach der Wahl zu Streit um das Ergebnis kommen. Als Nachfolger für Walter Samuel Nkanu Onnoghen nominierte er nach Angaben des Präsidialamts Ibrahim Tanko Muhammad. Der Interimskandidat stammt, wie Buhari selbst, aus dem muslimischen Norden, Onnoghen dagegen aus dem größtenteils christlichen Süden. Nigerianische Bischöfe haben die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich keinesfalls die Stimme abkaufen zu lassen. „Die eigene Stimme zu verkaufen, bedeutet, das eigene Gewissen zu verscherbeln“, mahnen die Bischöfe der Provinz Lagos in ihrer gemeinsamen Erklärung.

2010 war der damalige nigerianische Präsident Umaru Musa Yar’Adua an einer Nierenerkrankung gestorben, über die die Öffentlichkeit zuvor nicht unterrichtet worden war. Die langwierige Behandlung Yar’Aduas in Saudi Arabien führte in Nigeria zu großer politischer Unsicherheit. Nach seinem Tod übernahm der damalige Stellvertreter Goodluck Jonathan das Amt. Die Staatsgeschäfte führte Vizepräsident Yemi Osinbajo, ein Christ. (In Nigeria gibt es die ungeschriebene Regel, dass sich Kandidaten für die Präsidentschaft als muselmanisch-christliches Tandem den Wählern stellen. Der Norden ist vorwiegend von Moslems und der Süden von Christen bewohnt.) Osinbajo ist Yoruba und hat ein Diplom der London School of Economics, lehrte öffentliches Recht an der Universität Lagos, war Generalstaatsanwalt und schließlich Justizminister des Staates Lagos.

Die Schriftsteller des Landes lesen!

Der nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe (1930-2013) gilt als „Vater der modernen afrikanischen Literatur“. Er schrieb 2008 in seinem Essay „Was bedeutet mir Nigeria?“, erschienen in dem Buch „Wie man unsere Namen schreibt“ (Original: „The Education of a British-Protected Child“) Fischer Klassik, 2015: „Nigerianer zu sein ist zutiefst frustrierend und rasend aufregend. Irgendwo habe ich einmal erklärt, in meinem nächsten Leben würde ich gern wieder Nigerianer, andererseits habe ich in einem recht zornigen Buch – The Trouble with Nigeria – Reisereklame für Nigeria verspottet, indem ich befand, nur Touristen mit einer abseitigen Vorliebe für Selbstgeißelung könnten Nigeria als Urlaubsziel wählen. Beides ist mir ernst.“

In seinem Roman „Einer von uns“, Fischer 2016, schreibt Chinua Achebe: „Was Regierungskritikern zu den Amtssitzen der Minister immer gleich einfällt, sind die sieben Schlaf- und sieben Badezimmer: eines für jeden Wochentag“ (S.49) ... „Ich wusste sehr wohl und musste daran nicht erinnert werden, dass wir nicht im Vereinigten Königreich oder sonst irgendwo lebten, dass ein Mann, der bei uns seinen Hut nahm, das unweigerlich tat, weil er nach dem noch besseren Deal schielte – wie vor ein paar Jahren, als zehn frisch gewählte PAP-Parlamentarier zu Beginn der Sitzungsperiode die Seiten gewechselt und der [konkurrierenden] POP so über Nacht eine bequeme Mehrheit verschafft hatten, im Austausch für Ministerposten und – wenn den Gerüchten Glauben zu schenken war – ein Handgeld.“ (S. 105) ... „Über Nacht schüttelten alle plötzlich den Kopf über die Exzesse der letzten Regierung, ihre Korruption und die Unterdrückung: die Zeitungen, den Rundfunk, der bis dahin schweigenden Intellektuellen und die Beamten – jedermann nannte die Regierung ein übles Pack, und am nächsten Morgen war das allgemeiner Konsens. Dabei waren dies eben die Menschen, die vor gar nicht langer Zeit noch mit tausenden Namen geehrt worden waren, denen auf Schritt und Tritt die Preissänger mit ihren Lobliedern und Trommeln gefolgt waren.“ (S. 185)

Yejide Kilanko ist mit ihrem Roman „Der Weg der Töchter“ (List TB, 2014) eine aufrüttelnde Erzählung gelungen über die Herausforderungen, welchen sich junge Frauen in Nigeria stellen müssen, die ihren eigenen Weg gehen wollen. Die nigerianische Autorin ist eine feinsinnige und sensible Beobachterin der Riten und Gepflogenheiten in ihrem Heimatland. Sie erzählt eine bewegende Geschichte, die viel über das Leben in Nigeria beschreibt.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Udo Kemmerling / 14.02.2019

Deutschland investiert zu wenig in Nigeria! Ernsthaft? Ich würde eher lachend in eine Kreissäge springen als in Nigeria auch nur einen Cent zu investieren. Korruption, Chaos, unfaßbare ÜBERBEVÖLKERUNG, Boko Haram, ein Bildungsniveau, dass ich hier ohne Adjektive lassen muß, massiver Aberglaube und die Zukunftsperspektive, dass das erst der Anfang ist. Das einzige, was wir aus Nigeria lernen sollten, dass selbstverschuldetes Chaos kein Asylgrund ist!!!

Marcus Hallmoser / 14.02.2019

Nigeria ist einerseits Mitglied des Commonwealth of Nations. Die Bürger Nigerias haben u.a. Englisch als Amtssprache. Nigeria ist andererseits aber auch Mitglied der Organisation für Islamische Zusammenarbeit [OIC]. Seit mehreren Jahrzehnten kämpft der Islam um die alleinige Herrschaft gegen andere Religionsgruppen, und zwar insbesondere Gegen das Christentum. Man muss sich fragen, warum überhaupt ein einziger Nigerianer in Deutschland als Asylsuchender anerkannt werden soll. Nigerianer könnten in alle Länder des Commonwealth of Nations gehen, sogar in das UK. Bevor sie in das UK können, müssen sie sich dort um eine Arbeitserlaubnis bewerben. Da ist es wohl einfacher, in die deutschen Sozialsysteme einzudringen.

Joerg Haerter / 14.02.2019

Ein wichtiger, aufklärender Text! Ohne Vorurteile, unaufgeregt und aufklärend. Man ahnt, warum ganz Afrika nicht voran kommt. Parallelen zu Venezuela drängen sich auf, hier die afrikanische Mentalität, dort Staatsozialismus, in beiden verarmte Bevölkerung, die auf riesigen Ressourcen sitzen und diese nicht vermarktet kriegen. Wieviele Jahrzehnte bekommt Afrika jetzt Entwicklungshilfe? Wieviele Milliarden wurden sinnlos verbrannt? Wenn dann Leute wie Noke auch nur den Hauch von Kritik äussern, werden sie als Nazi niedergeknüppelt. Die selbstzusammengestellte Wirklichkeit ist doch so schön. Unterschiede in der Kultur, Intelligenz, Mentalität? Alles Nazi! Wie gut, Dinge aus erster Hand zu hören. Solche Beiträge gehören auf Seite eins der Tageszeitungen. Aber das würde massiv verstörend wirken und Illusionen zerstören, Illusionen eines Wolkenkuckucksheims. Bis dahin immer weiter fleissig die Träume der Theoretiker und Heilsprediger bezahlen, bis die Kohle alle ist.

toni Keller / 14.02.2019

Es gibt eine Sache über die ich beim Lesen immer wieder stolpere. Da wird uns immer wieder erzählt wie arm die Afrikaner sind, wie schlecht es ihnen geht, wie hoch die Arbeitslosigkeit ist, wie sehr Korruption und Vetterwirtschaft das Leben unerträglich machen. Gleichzeitig hören wir aber, die Bevölkerung dort wächst und wächst, und sie wächst auch deshalb, weil jedes geborene Kind auch groß wird und seinerseits wieder Kinder kriegt, trotz allem Elend, trotz aller schlechten Gesundheitsversorgung. Ich weiß dass es sich ungemein zynisch anhört, aber so schlecht scheint es in Afrika nicht zuzugehen, weil Kinder nicht kriegen können, weil man sie sich nicht leisten kann, das ist eine Spezialität des “reichen” Westens! c.c. ich bin dafür etwas ungemein altmodisches zu versuchen, nämlich den Menschen die Verantwortung für sich selber wieder in die Hand zu geben und als ersten Schritt wäre ich dafür dass auch die Länder des Westens und hier vorrangig das der Deutschen anfangen sich wieder um die eigenen Leute zu sorgen und dass Außenpolitik darin besteht dafür zu sorgen, dass auch die Länder weit weg primär für ihre eigenen Leute zuständig sind, was die “Flüchtlingskrise” ungemein entspannen würden, wenn man der nigerianischen Regierung erklären würde, dass sie für ihre eigenen Leute zuständig ist und nicht wir.

Jutta Lotz- Hentschel / 14.02.2019

Diese Tatsachen scheinen unseren Politikern, insbesondere A. Merkel, bis heute völlig unbekannt zu sein, respektive ignoriert zu werden! Ausnahmlos jede Entwicklungshilfezahlung versickert sprichwörtlich im Staub - üppig gezahlt wird jedoch seit Jahren weiterhin. Afrika muss und kann sich nur selbst retten - aus diesem Grund keine Geldleistungen mehr, sondern nur noch Hilfe zur Selbsthilfe! Sehr lesens- und nachdenkenswert zu diesen Thema im übrigen das Buch “Poor Economics: Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut”.

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