Das ist Betrug am Wähler: Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD steht die klare Ansage: „Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ‚filtern‘, lehnen wir als unverhältnismäßig ab.“ (Seite 49)
Jetzt berichten die Initiatoren der Petition „Save the Internet“ – diese hat inzwischen fast eine halbe Million Unterstützer – unter Bezugnahme auf die EU-Abgeordnete Julia Reda: „Anfang dieser Woche haben Frankreich und Deutschland einen Kompromiss zur Frage gefunden, für wen der Einsatz von Uploadfiltern verpflichtend sein soll … Der Kompromiss ist das Resultat eines Telefonats zwischen Frankreichs Premier Macron und Bundeskanzlerin Merkel. Danach hat sich das unter CDU-Leitung stehende Kanzleramt aktiv in die Verhandlungen zur Urheberrechtsreform eingemischt.“ Zu erwarten ist jetzt nach dieser Kehrtwende der Kanzleramtsspitze um 180 Grad sogar eine massive Verschärfung der Regelungen auch für kleinere Plattformen.
Zuvor war die fehlende Einigung zwischen Deutschland und Frankreich ein Hauptgrund dafür, dass der Fortgang der EU-Urheberrechtsreform Mitte Januar ins Stocken geriet. Umstritten dabei sind insbesondere Artikel 13 zum Einsatz von Uploadfiltern und Artikel 11 für ein Leistungsschutzrecht für Verleger. Worum es konkret geht, lässt sich in diesem kompakten Bericht von Netzpolitik erschließen.
Nach dem deutsch-französischen Deal stellt sich die Lage laut Reda so dar:
„Alle müssen Uploadfilter installieren, es sei denn, sie erfüllen alle drei der folgenden extrem engen Kriterien: 1. Die Plattform ist jünger als 3 Jahre alt, 2. Der Jahrsumsatz beträgt weniger als 10 Millionen Euro, 3. Die Plattform hat weniger als 5 Millionen Nutzer pro Monat. Unzählige völlig harmlose Apps und Webseiten, die nicht alle dieser Kriterien erfüllen, müssten demnach Uploadfilter installieren, die User und Betreiber gleichermaßen schädigen, selbst wenn die Plattform bisher überhaupt kein Problem mit Urheberrechtsverletzungen hat.“
„Unbewältigbare Aufgabe“
Dazu zählten Diskussionsforen auf kommerziellen Nachrichtenseiten wie etwa das Heise-Forum; aber auch Youtube und Facebook sowie kleine Wordpress Blogs mit Uploadfunktion, die über Werbung ihre Hosting-Kosten wieder einholen wollen. Die beiden die EU-Politik dominierenden Länder wollen zudem die Plattformen vor die „unbewältigbare Aufgabe“ stellen, Lizenzen für alle möglichen Inhalte einzuholen, die ihre Nutzer potentiell hochladen könnten.
Bei „Save the Internet“ macht man sich nun Sorgen um künftige Wahlergebnisse der SPD: „Auffällig ist, dass die deutsche Position bis zum Stillstand vor zwei Wochen vom SPD-geführten Justizministerium ausgearbeitet wurde und durchaus internetfreundlich war. Wir hoffen daher umso mehr, dass Frau Barley, die derzeitige SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl und Bundesministerin der Justiz und des Verbraucherschutzes, sowie die gesamte deutsche und europäische SPD, sich mit Blick auf den Koalitionsvertrag gegen die Einführung von Uploadfiltern einsetzen wird.“
Das Ergebnis der weiteren Beratungen bei der EU wird vermutlich, als zu begrüßender Nebeneffekt, eine Desillusionierung in Bezug auf die favorisierte Partei bewirken. Spruchreif könnte der Kompromiss eventuell schon heute oder im weiteren Verlauf der Woche werden. Die Verhandler beeilen sich nämlich, weil die Europawahlen im Mai alle Mehrheiten ändern könnten. Die EU-Richtlinie müsste nach dieser Taktik bestenfalls bis April verabschiedet werden. Bis Mitte 2021 sei dann die Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Ob dann tatsächlich die gesamte Kultur des Internets auf den Kopf gestellt wird, wie es bei den Kritikern heißt, ist schwer abzuschätzen. Bei Heise sieht man die Lage in diesem Video ein wenig gelassener. Der aktuelle Stand zur Reform kann auf Twitter verfolgt werden.
Nachtrag: "EU-Staaten einigen sich auf Upload-Filter und Leistungsschutzrecht ... Grundlage der Einigung war ein Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich, den beide Länder vor wenigen Tagen erzielt hatten. 20 Länder stimmten am Freitag dafür, sieben dagegen und eines enthielt sich. Es gab nur leichte Änderungen." Der Börsenverein drängt auf zügige Abschluss-verhandlungen. "Die deutschen Buchverlage brauchen die Richtlinie dringend, um künftig wieder an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften beteiligt werden zu können."
Dieser Beitrag erscheint auch auf Susanne Baumstarks "Luftwurzel"