Für einen politischen Nachruf ist es zu früh, für Lobhudelei gibt es nicht den geringsten Grund. Denn was Nancy Faeser als Innenministerin auch anfasste, geriet gehörig daneben. So kann die einzige Möglichkeit, ihr bisheriges Werk anlässlich der kommenden Wahl zu würdigen, darin bestehen, einige ihrer Fehltritte noch einmal Revue passieren zu lassen.
Die Umfragewerte Nancy Faesers liegen mit gerade einmal 16 Prozent im Keller, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird die zweigleisig fahrende SPD-Spitzenkandidatin bei der morgigen Hessenwahl keinen Sieg davontragen, sondern als angeschlagene Bundesinnenministerin nach Berlin zurückkehren und sich dort wieder den Regierungsgeschäften zuwenden. Doch als solche machte sie seit ihrem Amtsantritt alles andere als eine gute Figur, besonders in den letzten Wochen hagelte es Negativ-Schlagzeilen. Vor allem der Skandal um den ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Arne Schönbohm fiel ihr auf die Füße.
Faeser hatte diesen bekanntlich aus dem Amt entfernt, nachdem Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ behauptet hatte, dass Schönbohm Kontakte zum Lobbyverein Cyber-Sicherheitsrat Deutschland (CSRD) unterhalte, der wiederum in Verbindung mit russischen Geheimdiensten stünde. Die Vorwürfe hielten jedoch einer Überprüfung nicht stand, sodass Faeser laut Bild-Recherchen nachträglich und illegal beim Bundesamt für Verfassungsschutz intern um eine Abfrage zu Schönbohm bat, was die Innenministerin allerdings bestreitet. Dies führte wiederum zu einer Klage Schönbohms und Faesers Befragung vor einem Innenausschuss. Diese fand am 20. September statt, nachdem sie die beiden vorherigen Termine geschwänzt hatte. Neues war durch diese exklusive Befragung ohne Publikum laut Augenzeugenberichten durch Faeser nicht zu erfahren gewesen (Achgut berichtete).
Allein die Schönbohm-Affäre liefert den Stoff, aus dem Rücktritte gemacht sind. Doch dieses ist innerhalb der Ampel-Regierung nur in den allergrößten Notfällen vorgesehen (siehe Anne Spiegel und Christine Lambrecht). Auch Faesers noch im Amt befindliche Kollegen stolpern von einem Skandal in den nächsten, sodass sich der geneigte Bürger sicher kaum entscheiden könnte, welcher Ampel-Minister als nächstes das Zepter abgeben sollte. Angesichts der voraussichtlich miserablen SPD-Ergebnisse bei der Hessenwahl wird dennoch zuweilen der Verdacht geäußert, dass Faeser nach der erwartbaren Schlappe eventuell doch nicht einfach wird auf ihren Ministerposten zurückkehren können. Bereits Mitte September waren laut einer Umfrage 52 Prozent der Deutschen für einen Rücktritt Faesers. Und die tagesschau.de fragte in der vergangenen Woche: „Wird sich Faeser als Bundesinnenministerin halten können, wenn die SPD in Hessen nicht zumindest ein respektables Ergebnis einfahren sollte?“ Die Berliner Zeitung forderte gar: „Die beste Maßnahme zur Bekämpfung der AfD ist Ihr Rücktritt, Frau Faeser.“
„Stürzt Faeser nach der Hessen-Wahl?“, fragte gerade auch die Bild-Zeitung und führte als Grund dagegen unter anderem die Schwierigkeit für Scholz an, eine weibliche Volljuristin mit ausreichend Regierungserfahrung als Ersatz zu finden. Womöglich gibt der Fall Faeser einen weiteren Anlass dazu, darüber nachzudenken, ob bloßes Frausein als politische Qualifikation taugt, beziehungsweise ob ein „Volljurist mit ausreichend Regierungserfahrung“ automatisch einen guten Innenminister abgibt. Auf der Bild-Beitragsseite haben die Leser außerdem die Möglichkeit, darüber abzustimmen, ob Faeser am Ende des Jahres noch Innenministerin sein wird. Bei über 64.000 abgegebenen Stimmen hielten 93 Prozent die Angelegenheit für „zu schwer für Faeser“ (Stand Freitag).
„Da darf man keinen Millimeter weichen“
Wie dem auch sei – für einen (politischen) Nachruf ist es zu früh, für Lobhudelei gibt es nicht den geringsten Grund. Denn was Nancy Faeser als Innenministerin auch anfasste, geriet gehörig daneben. So kann die einzige Möglichkeit, ihr bisheriges Werk anlässlich der kommenden Wahl zu würdigen, darin bestehen, einige ihrer Fehltritte noch einmal Revue passieren zu lassen. Auf Vollständigkeit kann selbstverständlich kein Anspruch erhoben werden. Sollte ich einen aus Ihrer Sicht wichtigen Sachverhalt vergessen haben, können Sie diesen sehr gerne in der Kommentarspalte ergänzen.
Kaum im Amt, kündigte im Dezember 2021 die SPD-Homepage ein „hartes Vorgehen gegen Extremisten“ durch Nancy Faeser an. Damit meinte sie unter anderem die damaligen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, weil dort „in vielen Fällen Rechtsextremisten unterwegs (sind), die versuchen, eine Krise auszunutzen“. Faeser fügte hinzu: „Einige sind gewalttätig, es geht ihnen um Krawall und Einschüchterung. Sie verfolgen ihre eigenen Ziele, die überhaupt nichts mit der Pandemie zu tun haben. Gegen diese kleine Gruppe müssen wir mit aller Härte vorgehen, mit jedem Mittel des Rechtsstaates. Da darf man keinen Millimeter weichen.“
Außerdem erklärte sie angesichts der damaligen Debatte um eine Corona-Impfpflicht, dass der Staat keine Rücksicht auf Extremisten nehmen dürfe. Die SPD sprach außerdem davon, dass Faeser „den bei Extremisten beliebten Messenger-Dienst Telegram stärker in die Pflicht nehmen“ und „im Inland den Ermittlungsdruck gegen Online-Hetzer“ erhöhen wolle.
Eigenwilliges Rechtsverständnis
Bereits zwei Monate nach ihrem Amtsantritt stand Faeser in der Kritik, weil sie 2021 als damalige hessische SPD-Landesvorsitzende einen Beitrag für das Magazin „antifa“ der radikal linken „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)“ geschrieben hatte. Diese Gruppe wird laut Tagesspiegel „von mehreren Verfassungsschutzbehörden wegen linksextremistischer Tendenzen beobachtet, der bayerische Verfassungsschutz nennt die Gruppierung sogar im Jahresbericht 2020 und bezeichnet sie als ‚bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus‘“. Faeser gab sich ungerührt und nannte die Vorwürfe „durchschaubar“.
Am 27. Januar 2023 haben zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und des 78. Jahrestages der Befreiung des NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch und der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, die Vereinbarung „Gemeinsam gegen Antiziganismus – Erklärung des Bundeskriminalamts und des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zur künftigen Zusammenarbeit“ unterzeichnet. Anlässlich der Feierstunde offenbarte Nancy Faeser ein eigenwilliges Rechtsverständnis, als sie zum Thema „Antiziganismus“, also Zigeuner-Feindlichkeit, unter anderem erklärte: „Wir müssen alles daransetzen, diese Straftaten ebenso wie auch Angriffe unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu verhindern. Die Polizei muss Antiziganismus erkennen, erfassen und entschlossen bekämpfen.“
Noch abenteuerlicher nahm sich ihr ebenfalls Anfang des Jahres vom Kabinett beschlossenes „Gesetz zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung“ aus, also bei als extremistisch eingestuften Bundesbeamten. Darunter könnte laut ZDF unter anderem eine Mitgliedschaft in der AfD fallen. Der Gesetzentwurf wurde bislang einmalig vor dem Bundestag beraten. Das ZDF führt zur angestrebten Änderung des Disziplinarverfahrens aus: „Derzeit braucht es dafür ein meistens längeres Verfahren: Die jeweilige Aufsichtsbehörde muss eine Klage vor dem Verwaltungsgericht einreichen, um das Gehalt zurückzustufen und jemanden ganz aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (...) Durch eine Änderung des Gesetzes soll zuerst die Aufsichtsbehörde die Disziplinarmaßnahmen selbst verfügen können. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, kann im Nachhinein vor dem Verwaltungsgericht klagen.“ Faeser will also gewissermaßen die Reihenfolge von Verhandlung und Urteil umkehren.
Die Kirsche auf der Skandal-Torte
Im April dieses Jahres wurde bekannt, dass Faesers Ministerium der Forderung der EU-Kommission nachkommen will, Internet-Dienste wie Google, Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp) und Apple zum anlasslosen Scannen und Überwachen ihrer Nutzer zu verpflichten. Ursprünglich hatte sich die Ampel-Regierung dagegen ausgesprochen. Die Abstimmung vor dem EU-Rat wurde nun verschoben. Angeblich soll die anlasslose Chatkontrolle den Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder erleichtern. Aus demselben Grund wünscht Faeser die anlasslose Speicherung von IP-Adressen. Andererseits hat die Innenministerin gerade die Einführung einer bundesweiten Polizei-Software „eigenmächtig gestoppt“, die ihrerseits unter anderem die Aufdeckung von Kinderpornographie und Kindesmissbrauch erleichtern soll. Sicherheitsbehörden des Bundes und der einzelnen Länder sind empört. Die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen nutzen eine derartige Analyse-Software bereits. Somit wurde etwa 2019 der „Missbrauchskomplex von Bergisch Gladbach“ aufgedeckt.
Einer Innenministerin unwürdig erscheint ebenso ihre Politik der offenen Grenzen. In Zeiten größten Migrationsdruckes wiegelte sie noch im Mai die brandenburgischen und sächsischen Forderungen nach stationären Grenzkontrollen ab. Erst Ende September äußerte sie sich demgegenüber dann plötzlich zustimmend. Zur selben Zeit wurde jedoch bekannt, dass sie die EU-Asylreform sabotierte, wodurch laut Berliner Zeitung „ein wirksamer Grenzschutz an den EU-Außengrenzen, ein beschleunigtes Asylverfahren (im Regelfall maximal sechs Monate) und die Abschiebung in sichere Drittstaaten ermöglicht sowie Sekundärmigration (von einem EU-Land in ein anderes) verhindert werden“ sollen. Außerdem plant Faeser eine Erleichterung des Familiennachzugs und will eine „verpflichtende Diversitätsstrategie“ für den öffentlichen Dienst einführen.
Wie auch Achgut.com berichtete, hatte außerdem in Faesers hessischem SPD-Wahlprogramm bis vor Kurzem gestanden, dass es Nicht-EU-Ausländern bereits nach sechs Monaten erlaubt sein sollte, in Hessen kommunal zu wählen. Nachdem dies medial für Furore gesorgt hatte, verkündete die SPD, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt hätte und statt sechs Monaten eigentlich sechs Jahre veranschlagt gewesen seien. Außerdem wurde noch nachgeschoben, dass die Regelung nur für Nicht-EU-Ausländer mit unbefristetem Aufenthaltstitel gelten solle.
Die Kirsche auf der Skandal-Torte lieferte uns die stur-instinktlose Faeser, als sie am vergangenen Samstag eine Wahlkampf-Pressekonferenz ausrief, zu der nach Möglichkeit nur weibliche Journalisten erscheinen sollten – schließlich würde sie zuvor eine Main-Schifffahrt mit den SPD-Ministerinnen Malu Dreyer, Anke Rehlinger und Manuela Schwesig unternehmen. Und gerade wurde bekannt, dass die hessische SPD in einem Antrag im Landtag die jährliche Reduktion des „motorisierten Individualverkehrs“ um 10 Prozent forderte. Zur Not „mit verhältnismäßigen Eingriffen in das private Recht“. Dieser Gesetzesentwurf wurde abgelehnt. Wie nennt man so etwas – mit fliegenden Fahnen untergehen oder doch lieber Scheitern mit Ansage?
Weitere spannende Einblicke in Nancy Faesers Umtriebe liefern die Beiträge „Ein Tag im Leben der Nancy F.“ und „Noch ein Tag im Leben der Nancy F.“ von Claudio Casula.
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.