Vera Lengsfeld / 30.10.2018 / 06:25 / Foto: Olaf Kosinsky / 56 / Seite ausdrucken

Merz statt Merkel? Es mangelt ihm an Schneid

Am Sonntagabend, nachdem die Hessen-CDU 11 Prozentpunkte verloren und die Große Koalition mit insgesamt 20 Prozent Verlust einen nicht zu übersehenden Denkzettel verpasst bekommen hatte, sah es so aus, als sollte weitergemacht werden wie bisher. Sowohl CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer als auch SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles schlossen personelle Konsequenzen aus. Angeblich wollten die Menschen nichts anderes, als eine Rückkehr zur „Sacharbeit“, weil sie keinen Streit mögen. Alles sah so aus, als würde außer ein paar Phrasen á la „Wir haben verstanden“ nichts passieren. Die Medien zogen eifrig mit und verbreiteten die Legende, Bouffier hätte Merkel „gerettet“, weil er, wenn auch nur mit Hilfe der Grünen, Ministerpräsident bleiben könne.

Über Nacht und am frühen Morgen muss etwas passiert sein, was diese illusionären Planspiele obsolet gemacht hat. Was es war, werden vielleicht erst die Historiker erfahren. Das Ergebnis ist jedenfalls die unerwartete Ankündigung des Rückzugs von Angela Merkel. Zwar nur als Parteivorsitzende, nicht als Kanzlerin. Aber verbunden mit dem Versprechen, bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr anzutreten. Außerdem schloss sie aus, noch einmal irgendwelche politischen Ämter anzustreben.

Kaum war Merkels Absicht in die Öffentlichkeit gelangt, präsentierten sich in kurzer Folge drei Anwärter auf den frei werdenden Posten des CDU-Vorsitzenden. Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und – das war die nächste Überraschung – Friedrich Merz.

Wieder nicht den Schneid gehabt

Bei früheren Spekulationen über einen möglichen Merkel-Nachfolger wurde immer mal wieder der Name von Friedrich Merz genannt. Der Mann war immerhin vor Angela Merkel kurzzeitiger Bundestagsfraktionsvorsitzender. In den Diadochenkämpfen nach dem Sturz von Wolfgang Schäuble in der CDU-Spendenaffäre war dem bislang nicht zum inneren Kreis gehörenden Merz unerwartet der Bundestags-Fraktionsvorsitz zugefallen, nachdem Angela Merkel sich ebenso überraschend den Parteivorsitz gesichert hatte.

Damit verwehrten die damaligen Möchtegern-Kanzlerkandidaten Merkel vorerst den Zugriff auf den Fraktionsvorsitz. Damals glaubte der Rest des berühmten, aber bereits lahmen „Andenpaktes“ jüngerer, ehrgeiziger CDU-Männer, sich noch aussichtsreiche Positionen für die Zeit nach der nächsten Kanzlerwahl sichern zu können. Die Rechnung war, dass Edmund Stoiber den Kampf um die Kanzlerkandidatur gewinnen würde und Merkel danach leicht als Vorsitzende zu stürzen wäre. Wie sehr die damaligen Vorgänge Merkel immer noch beschäftigen, klang an, als sie in ihrer Presseerklärung überraschend darauf zu sprechen kam, dass sie seinerzeit Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatenschaft angeboten hatte.

Auch als sie Parteivorsitzende wurde, hatte „Kohls Mädchen“ noch niemand als ernsthafte Konkurrenz für die Kanzlerschaft gesehen. Merkels Stärke war immer, dass sie unterschätzt wurde. Mit ihrem Coup, nach Wolfratshausen zu Stoiber zu fliegen und ihm beim Frühstück die Kandidatur auf dem Tablett zu servieren, hatte keiner gerechnet. Nun war sie die Kanzlerkandidaten-Macherin und unangreifbar. In dieser Situation ließ sich Friedrich Merz, wie in der Unions-Bundestagsfraktion kolportiert wurde, von Stoiber versprechen, dass er nach der Wahl Fraktionsvorsitzender bleiben würde, angeblich sogar für den Fall, dass Stoiber verlieren sollte. Fakt ist, dass er es in den zwei Jahren als Fraktionsvorsitzender nicht vermocht hat, eine stabile Anhängerschaft zu gewinnen. Er war vor allem nicht Manns genug, mit Merkel um diese Position zu kämpfen.

Merz saß dann noch ein paar Jahre als beleidigte Leberwurst im Bundestag herum, ehe er sich auf einen hoch dotierten Posten verabschiedete. Wegen seiner scheinbar wirtschaftsliberalen Positionen wurde er für einen Konservativen gehalten, wenigstens von den orientierungslosen Konservativen als Verlust betrauert. Nach langem Schweigen hatte sich Merz vor wenigen Monaten kurz als Merkel-Kritiker zu Wort gemeldet, aber wieder nicht den Schneid gehabt, auf den Parteitag zu gehen und sie herauszufordern.

Selbstverleugnung aus Feigheit vor dem linken Mainstream

Als ob damit noch nicht klar genug gewesen wäre, dass man auf Merz als Hoffnungsträger für die inhaltlich völlig entkernte CDU nicht zählen kann, hat er mit der Ablehnung des Preises der Ludwig-Erhard-Stiftung endgültig demonstriert, dass man ihn vergessen kann. Wenn er schon Angst hatte, diesen Preis aus den Händen von Roland Tichy entgegenzunehmen, hätte er es wenigstens für sich behalten sollen. Dabei vertritt Tichy mehr oder weniger die Positionen, für die Merz selbst stand, zuletzt als Merkel-Kritiker. Mehr Selbstverleugnung aus Feigheit vor dem linken Mainstream geht kaum.

Die aktuelle Ankündigung, als Parteivorsitzender zur Verfügung zu stehen, „wenn die Partei das möchte“, ist ein typischer Merz. Statt seinen Hut offen in den Ring zu werfen und dann für den Vorsitz in die Schlacht zu ziehen, lässt er über Bild aus seinem „Umfeld“ verbreiten, dass er als Kandidat zur Verfügung stünde. Offensichtlich soll ihn jemand auffordern und dann für ihn kämpfen. Ob ein Mann mit einer solchen Haltung der Richtige ist, um die CDU aus ihrem selbstverschuldeten Jammertal zu führen, darf bezweifelt werden.

Wahrscheinlicher ist, dass mit dem heutigen Tag die Dinge so ins Rutschen kommen, dass nur erfolgreich sein kann, wer bereit ist, nicht nur die Lippen zu spitzen, sondern auch zu pfeifen. Oder anders gesagt: Wer jetzt nicht springt, hat schon verloren!

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L. Kempf / 30.10.2018

Recht haben Sie, er hat sich in all den Jahren nicht gezeigt, wo die CDU seine Intelligenz und seine Erfahrung dringend benötigt hätte. Entweder war ihm seine Partei fremd geworden oder er wartete auf den richtigen Moment. Letzteres wäre nahe Ihrer Einschätzung. Sein kürzlich gegebenes TV-Interview irritierte, weil es seine politische Richtung nicht erkennen ließ. Es liegen Jahre zwischen seinem letzten politischem Engagement und der heutigen Situation. Die personalpolitische Gemengelage der CDU ist fragmentiert, uneinig und, schaut man sich die Bewerber für künftige Aufgaben an, mit unterqualifizierten, unerfahrenen und variationsgeschmeidigen Personen, weder stabil noch zukunftsorientiert. Was kann Merz einbringen versus AKK, Spahn etc.? Intellektuell stellt er sie allesamt in den Schatten. Er ist konservativ, nicht unmodern, er kennt die gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Themen bestens, er wirkt glaubwürdig und vertrauenswürdig, ist anerkannt, respektiert, ein harter Verhandlungspartner, er spricht ein sauberes und deutliches Deutsch.  Er hat gelernt und Erfahrung gesammelt. Es ist gut und hilfreich, Abstand zu gewinnen und deutsche Politik von außen zu beobachten. Merkel hat mit ihren Vasallen den Zaun um die CDU hochgezogen. Merz (und andere Gegenspieler) wissen sehr genau, dass öffentliche Revolte oder Kritik an der CDU-Politik mit dem Deckmantel der Merkel’schen Nächstenliebe erstickt worden ist,  sie wäre im Sande verlaufen. Ich gebe Merz gerne eine Chance, uns zu überzeugen. Er kann es.

Matthias Braun / 30.10.2018

“Du darfst nicht zu oft mit einem Feinde kämpfen; denn sonst lehrst du ihn deine gesamte Kriegskunst.” Napoleon I. Bonaparte Herr Merz hat sein Pulver frühzeitig verschossen und kann nicht mehr nachladen.

Kay R. Ströhmer / 30.10.2018

Was mir von Merz noch in den Ohren klingt:“Ich unterschreibe jeden Satz!” Ob er mittlerweile den schäbigen Umgang mit Helmut Kohl bereut? Wäre mal interessant zu wissen, ob er heute noch zu seinen Worten steht.

Herwig Mankovsky / 30.10.2018

Machen wir uns nichts vor: Merz hin oder her, ein ,,Erlöser” ist nicht in Sicht oder erwünscht: 87% der Wähler unterstützen Parteien,  die linksgrüne Politik für gut oder unabwendbar halten, der Würgegriff der Medien hat seine Wirkung nicht verfehlt.

Albert Sommer / 30.10.2018

Zitat: “Wegen seiner scheinbar wirtschaftsliberalen Positionen wurde er für einen Konservativen gehalten, wenigstens von den orientierungslosen Konservativen als Verlust betrauert.” Auf den Punkt getroffen frau Lengsfeld. Der Mann war und ist aus meiner Sicht noch um Längen gefährlicher als die derzeitige Katastrophe. Und dann die Alternativen. Die krampfende Karrenbauer, ein Spahn der schon derzeit als Minister hoffnungslos überfordert ist oder der scheinheilige Düsseldorfer, der in Wahrheit noch grüner als Merkel selbst ist.

Anders Dairie / 30.10.2018

Danke, Frau Lengsfeld.  Bis eben habe ich noch gemeint, dass ein guter Redner auch ein guter Politiker sein könne.  Nach ihren Darlegungen habe ich meine Meinung über Fr. Merz geändert.  Er hat wohl neben dem Kampfeswillen auch keine so genannte Hausmacht.  Selbst wenn er durchkäme, würden ihn viele Möchtegern-Aufsteiger zerrütten.  Es fehlt ihm höchstwahrscheinlich das dicke Fell seiner Konkurrenz.

Carl Schurz / 30.10.2018

Ad Merkel: niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen. Ich glaube es erst, wenn sie weg ist. Ich wittere Taktik. Neue Darsteller, alte Linie. Ad Merz: Polit-Darsteller. Leberwurst und Feigling sind treffende Bezeichnungen. Der linke Mainstream ist im Kern eine Minderheit. Er wirkt nur scheinbar so groß, weil die nicht wenigen Michel-Schafe fast jeder Propaganda, die aus den korrekten Funkhäusern geplärrt werden, willig folgen. Den heute lebenden Schafen ist der Wolf als Feind unbekannt. Sie halten ihn für einen Hirtenhund und was folgt kann man sich denken und erfolgt auch so. Aber Grüne sehen im Wolf eine Beteicherung der deutschen Natur. Das ist eine Metapzund beruht auf echte Ereignisse.

Frank Stricker / 30.10.2018

Spannend wird vor allem das Procedere der Wahl. Gibt es vielleicht doch eine Urwahl oder entscheidet die Fraktion über die oder den neuen Vorsitzenden?  Wieviel Kandidaten und wer darf letzendlich in eine vermutliche Stichwahl ? Auch bei diesem Thema hatte sich die Kanzlerin gestern herrlich blamiert. “Es wäre doch eine schöne Sache nach 18 Jahren wieder frei und demokratisch über einen neuen Vorsitzenden zu entscheiden”. Und woran und an wem hat"s die letzten 18 Jahre gelegen , dass es nicht so war ?

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