Je nach politischem Standort macht man sich Gedanken über die gewaltbereite Antifa oder gewaltbereite Rechtsradikale. Wenn in Hamburg ganze Straßenzüge zu Klump geschmissen werden, mehren sich die warnenden Stimmen, die vor rechtsfreien Räumen, Bürgerkrieg und der Herrschaft des Mobs raunen.
Das alles ist übel und bedenklich. Aber harmlos. Natürlich nicht für die Betroffenen, aber harmlos im Sinne, dass davon kein Umsturz, keine Revolution in Deutschland ausgehen wird. Lenin, der Kenner von Revolutionen, sagte schon ganz richtig: In Deutschland wird es keine geben, weil der Revolutionär vor der Stürmung des Bahnhofs zuerst eine Bahnsteigkarte kauft. Als aktuelle Version kann man fortschreiben: Und weil es keine Bahnsteigkarte mehr gibt, gibt es erst recht keine Revolution.
Also all das sind Geplänkel, denen die Staatsmacht mit polizeilichen Mitteln mehr oder minder schnell Herr wird. Was sich vor dreißig Jahren auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking abspielte und sich, so steht zu befürchten, in Hongkong wiederholen könnte, ist die nächste Stufe staatlicher Machtausübung. Panzer, Schüsse, Tote.
Dass es dazu kommt, hat zur Voraussetzung, dass der herrschenden Ordnungsmacht, wer immer das sein mag, das wichtigste Machtmittel entglitten ist: Kontrolle. Geräuscharme, geräuschlose Kontrolle. Unbewaffnete Kontrolle, sozusagen. Wie wird die ausgeübt? Nun, indem man die beiden wichtigsten Körperteile des Menschen kontrolliert. Seinen Pass und sein Portemonnaie.
Der Pass hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg zu ungeheuerlicher Bedeutung aufgeschwungen. Wobei Pass nicht gleich Pass ist. Wem das Schicksal widerfuhr, einen kubanischen Pass zu besitzen, braucht so ziemlich für jedes Land der Welt, mit nur wenigen Ausnahmen, ein Visum. Wer einen deutschen oder Schweizer Pass besitzt, kommt fast überall problemlos rein. Wer nun einen russischen oder arabischen Pass besitzt, hat zwar auch Schwierigkeiten, aber die lassen sich wenigstens mit Geld lösen. Wie? Nun, da habe ich einen spesen- und kick-back-freien Tipp: Wenden Sie sich vertrauensvoll an Henley. Dort wird Ihnen geholfen.
Zwei Pässe sind besser für ungehindertes Reisen
Zwei Pässe sind also besser als ein Pass. Glücklicherweise bieten den inzwischen nicht nur Drittweltländer käuflich an. Zwei sind besser für ungehindertes Reisen. Auch besser, wenn der Herausgeber eines Passes ihn als Machtmittel missbraucht. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zunächst mal die Aberkennung oder Ungültigerklärung. Aus beliebigen Gründen, da findet sich immer was. Als Staatenloser ist man dann doch etwas behindert. Oder aber, am Pass wird die Besteuerung aufgehängt. Also der Passbesitzer muss in seinem Heimatland nach dessen Gesetzen Steuern zahlen.
Bösartige Fantasie? Aber nein, die großen USA praktizieren das schon seit Jahren; die entsprechende Gesetzgebung heisst FATCA, Foreign Account Tax Compliance Act. Dieses sich unscheinbar gebende Monster bewirkt, dass jeder US-Passbesitzer, ja sogar jeder, der an US-Börsen gehandelte Papiere besitzt, jeder, der in oder mit den USA Geschäfte treibt, jeder, der US-Dollar benützt, auch für eine Überweisung von Deutschland nach Italien, all die müssen eine US-Steuererklärung abgeben oder erscheinen auf dem Radarschirm der USA.
Das führt dazu, dass deutsche, Schweizer, überhaupt Banken außerhalb der USA nur sehr, sehr ungern US-Bürger als Kunden haben. Denn nicht nur der Bürger, auch die kontoführende Bank ist dafür verantwortlich, dass gegenüber dem US-Fiskus alles mit rechten Dingen zugeht. Und die FATCA-Gesetzgebung umfasst, zumindest das letzte Mal, als ich reinschaute, über 500 in unverständlichem Juristen-Englisch abgefasste Seiten. Was mit einer Bank passiert, die sich den Zorn der USA zuzieht, davon können nicht nur Schweizer Banken ein Klagelied singen. Was es alles braucht, um die sogenannte GIIN zu kriegen, also eine Nummer, die ein Geldhaus als US-geprüfter Geldverwalter ausweist, ist einem bösen Traum von Kafka entsprungen. Genauso, was es alles braucht, um die Vorschriften einzuhalten. Wer viel, sehr viel überflüssige Lebenszeit hat, kann sich auf dieser Webseite umtun.
Also vermindert der Besitz eines zweiten Passes schon mal eine Form der diskreten Machtausübung des Territorialstaates. Es ist allerdings nicht überall einfach, den Pass und damit die Staatsbürgerschaft und damit die Steuerpflicht wieder loszuwerden. Im Fall der USA braucht es dazu den Nachweis, beglaubigt natürlich von einem dafür zertifizierten Buchhalter, dass in den letzten Jahren alle Steuererklärungen korrekt und vollständig ausgefüllt wurden. Kostet ein kleines Vermögen und dauert. Machen aber immer mehr Amis im Ausland, weil es schon blöd ist, wenn man nicht mal über ein eigenes Bankkonto verfügt.
Da lacht der Scheich aus Saudi-Arabien lauthals
Das zweite und noch wichtigere Machtinstrument der herrschenden Ordnung ist natürlich das Portemonnaie. Also die Möglichkeit des Griffs in den Geldbeutel. In Form von Steuern direkter und indirekter Art, Abgaben, Solidaritätszuschlägen oder schlichtweg nackter Enteignung. Unter dem populistischen Kampfruf "wider steuerhinterziehende Schweinebacken" ist es vielen industrialisierten Staaten gelungen, Versuche, diesem Zu- und Eingriff zu entgehen, zunichte zu machen.
Auch davon können Schweizer Banken ein Klagelied singen. Also das Führen eines Kontos im Ausland, und als höchstes der Gefühle die Anweisung, keine Korrespondenz an seinen Steuerwohnsitz zu schicken, und schon war das Geld dem Zugriff des Fiskus entzogen, diese guten alten Zeiten sind weitgehend vorbei. Also nicht ganz, bis heute dauern staatliche Griffe in Portemonnaies von enttarnten Steuervermeidern und hilfswilligen Banken an. So wurde die UBS erst kürzlich in Frankreich zur Rekordbuße von fast 5 Milliarden Euro verknurrt. Und in vielen europäischen Staaten zeigen sich bis heute Schwarzgeldbesitzer selber an oder befürchten jedesmal, wenn die Türklingel geht, dass der nette Beamte vom Finanzamt mit einem Durchsuchungsbefehl davor steht.
Was den USA ihr FATCA ist, ist den OECD-Staaten der Automatische Informationsaustausch (AIA). Er beinhaltet, kurz gefasst, dass alle teilnehmenden Staaten ausführliche Informationen über ihre Staats- und Steuerbürger bekommen, wenn diese im Ausland eine Bankbeziehung unterhalten. Alle Euro-Länder und die Schweiz sind dabei. Diese Informationen dürfen aber natürlich nur zu steuerlichen Zwecken verwendet werden. Da lacht der Scheich aus Saudi-Arabien lauthals und hält sich nicht mal das Kopftuch vor den Mund dabei. Richtig, dieses Musterland der Gewaltentrennung und der Rechtsstaatlichkeit, das vielleicht ein kleines Problem mit diplomatischen Sitten in seinen Botschaften hat, nimmt auch am AIA teil. Die USA übrigens nicht, die sind ja nicht blöd.
Also wird vonseiten der Herrschenden alles unternommen, um das Portemonnaie des Steuerbürgers unter Kontrolle zu halten. Was kann der dagegen unternehmen? Nun, da trennt sich inzwischen leider die Spreu vom Weizen. Wie das? Ich erkläre es zunächst an zwei Beispielen. Schon mal was von OTC, Schattenbanken oder Dark Pools gehört? Nein, der letzte Begriff bezeichnet nicht das, was Sie wohl meinen. OTC heisst einfach over the counter, über den Ladentisch. Schattenbanken nennt man Finanzhäuser, die nicht den durchaus strengen Regulierungen für Banken unterliegen. Und Dark oder Black Pools nennt man Marktplätze, auf denen sich Verkäufer und Käufer anonym für die schnelle Geschäfts-Nummer treffen.
Schattenbanken halten über die Hälfte der Hypotheken in den USA
Na und? Nun, all das und noch einiges mehr bedeutet: Mit genügend Geld, mit genügend Volumen kann man sich natürlich problemlos Regulierung und Kontrolle entziehen. Ein einfaches Beispiel: Nachdem die USA, im Gefolge der großen Finanzkrise, ausgelöst von Hyposchrott-Papieren, schärfere Regeln für die Vergabe von Hauskrediten einführten, verlagerten die Banken einfach das Geschäft auf genau zu diesem Zweck gegründete Buden auf kleinen, nicht gerade als regulierungswütig bekannte Inseln. Und diese Schattenbanken sind inzwischen für mehr als die Hälfte der Hypotheken in den USA verantwortlich.
Über den Ladentisch heißt, dass Käufer und Verkäufer keinen Marktplatz wie die Börse für ihr Geschäft verwenden. Sondern nur die Regeln gelten, die sie untereinander abgemacht haben. Hat also der Staatsbürger keine Möglichkeit, sein Portemonnaie oder wenigstens einen Teil seines Ersparten vor allzu forschen Übergriffen des Steuerstaats in Sicherheit zu bringen? Jein.
Solche Versuche, das muss man leider sehen, machen heutzutage erst bei Beträgen ab einer Million, besser noch zehn, einen Sinn. Denn wer sich nicht einfach auf Nimmerwiedersehen von seinem Geld verabschieden will, denn diese Gefahr läuft man natürlich, wenn man als sogenannter Beneficial Owner, also eigentlicher Nutznießer, völlig verschwindet, braucht eine doch etwas aufwendigere Konstruktion. Also eben alles mit Holding, Trust, Foundation, Life Insurance Wrapper und so weiter, das die Zunft der Helfershelfer weiterhin anbietet. Wobei dann ein Anwalt oder Treuhänder, der natürlich der Schweigepflicht unterliegt, die letzte Sicherung verkörpert, dass der eigentliche Besitzer anonym bleibt.
Aber während früher ausreichte, dass der Steuerflüchtige mit einem Koffer voll Bargeld über die Grenze nach Liechtenstein oder in die Schweiz fuhr, den Inhalt dem bieder und unschuldig dreinschauenden Schalterbeamten über den Tresen schob, ist das in Zeiten von AIA längst vorbei. Denn die Zeiten sind auch vorbei, dass sich der Banker mit den Krachlauten in der Aussprache an diesen Schwarzgeldern dumm und krumm verdiente, weil er wusste, dass der Besitzer nicht groß meckern wird, wenn er nur eine bescheidene Verzinsung erhält.
Also braucht es doch entschieden mehr Aufwand heutzutage. Richtig, im Kapitalismus bedeutet mehr Aufwand: mehr Kosten. Gebühren für die Errichtung eines Konstrukts, den Unterhalt, die Bewirtschaftung des Batzens und so weiter. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es sich auch in Rechtsstaaten eingebürgert hat, eine rechtsstaatliche Todsünde zu begehen: Im Kampf gegen die Steuersünder gibt es Gesetze und Bestimmungen, die rückwirkend angewendet werden können. Unvorstellbar, aber wahr. Das geht so: "Fahrausweis und Fahrzeugpapiere, bitte." – "Habe ich etwas falsch gemacht?" – "Jawoll, Sie wurden gestern hier geblitzt, als Sie mit 50 durchgebrettert sind. Und wie Sie sehen, ist das 30er-Zone." – "Aber ich bin mir sicher, dass da gestern noch 50 stand." – "Das mag sein, aber 30 gilt auch rückwirkend."
Bargeld hat für die Kontrollmacht eine unangenehme Eigenschaft
Das bedeutet, dass Tarnkonstruktionen, die bei Errichtung gesetzeskonform sind, auch im Nachhinein für rechtswidrig erklärt werden können. Nach der Devise: Früher oder später kriegen wir dich immer. Wer all diesen Ärger längerfristig vermeiden will, muss fast gezwungenermaßen einen Abstecher über Panama oder Singapur machen. Oder aber, meine Empfehlung, über Delaware in den USA. No questions asked, dieses schöne Prinzip gilt dort bis heute. Sie wollen eine Firma eröffnen? Kein Problem, in dem berühmten Haus, das bereits Stammsitz von tausenden von Briefkastenfirmen ist, hat’s immer noch Platz. Die Bude will ein Konto eröffnen, und auf dieses Konto purzeln immer wieder größere Beträge? Welcome, and enjoy your stay. Wenn die Bude in den USA keine Geschäftstätigkeit entfaltet, ist das Geld steuerfrei, und wer dahinter steht, was interessiert’s.
Gibt es also keine Möglichkeit, dem Durchgriff des Steuerstaats zu entkommen? Doch, Bargeld. Bargeld hat für die Kontrollmacht die unangenehme Eigenschaft, dass sich auch harmlose kleine Männer und Frauen von der Straße in Dark Pools treffen können. Wer mit einem Hunderter was an wen bezahlt, das lässt sich im Normalfall nicht nachvollziehen. Also der neue Besitzer kann abstreiten, ihn vom tatsächlichen Käufer erhalten zu haben, der kann abstreiten, ihn dem neuen Besitzer gegeben zu haben. Und beide können natürlich abstreiten, dass es sich um den Kauf von Kokain gehandelt habe.
Genau deshalb, nachdem die Flucht über die Grenze weitgehend vereitelt wurde, mehren sich die Forderungen, dass Bargeld reduziert, abgeschafft, nur in immer kleineren Beträgen verwendet werden darf. Mit der ewig gleichen Begründung: Damit könne kriminelle Verwendung bekämpft werden, und wer nichts zu verbergen habe, könne ja auch nichts dagegen haben. Im Umkehrschluss: Wer gegen die Abschaffung von Bargeld ist, hat etwas zu verbergen.
Nun, da ich in der Schweiz lebe, habe ich wirklich nichts zu verbergen, bin aber ausgesprochen gegen die Abschaffung des Bargelds und gegen die Begrenzung seiner Verwendung. In den meisten EU-Ländern gibt es bereits Obergrenzen, in Italien zum Beispiel 1.000 Euro. Auch eine Bezahlung in Raten ist verboten, um damit diese Grenze zu umgehen. Und selbst innerhalb der EU muss man auf Nachfrage Beträge von mehr als 10.000 Euro angeben. Mitsamt der Erklärung, woher die denn sind und ob sie auch ordentlich versteuert wurden.
Die Schweizer zahlen am liebsten bar
Auch in der Schweiz, den müden Eidgenossen, die sich nicht mehr wirklich für ihren Finanzplatz wehren wollen, sei’s geklagt, gelten ebenfalls solche Grenzen. Wer mehr als 10.000 Franken auf die Bank bringt, muss sich erklären. Wobei: „Habe ich im Casino gewonnen“ normalerweise akzeptiert wird. Oder er bringt mehrere Male Beträge, die unter 10.000 liegen, auf die Bank. Tut er das nicht täglich und regelmäßig, sieht sich auch hier die Bank kaum bemüßigt, ihrer Pflicht im Rahmen des Geldwäschereigesetzes nachzukommen und die Herkunft abzuklären.
Aber an der Bahnhofstraße in Zürich kann doch immer noch eine Rolex mit Brillanten auch für über 100.000 Franken in Cash bezahlt werden? Genauso wie eine glückliche Schweizer Kuh auf dem Viehmarkt? Genauso wie Immobilien, Antiquitäten? Richtig; und wenn der Scheich die rundum mit Protzdiamanten bestückte Uhr für 300.000 kaufen will, dann ist’s auch okay, wenn er und zwei Bodyguards jeweils einen Drittel offiziell auf den Tisch des Hauses legen.
Es ist bezeichnend, dass die Schweizer bis heute Bargeld lieben und immer noch stramme zwei Drittel ihrer Zahlungen bar abwickelt. Wofür sie auch gerne die 1.000er-Note benutzen, falls sie größere Summen begleichen müssen. Aha, die Schweiz, ein Volk von Steuerhinterziehern und Schwarzgeldbenutzern, wo jeder Drogenhändler, Kriminelle und sonst suspekte Ausländer fröhlich schwarzes und schmutziges Geld unter die Leute bringen kann?
Gemach. In erster Linie benutzt der Schweizer Bargeld nicht aus finsteren Absichten. Sondern nach der Devise: goht di nüt ah. Das ist Dialekt für: geht keinen was an. Ein gesundes Prinzip. Leider für Euro-Untertanen nur sehr begrenzt anwendbar. Liebe Leser, da sieht man es mal wieder: Reich sein ist doch besser als arm sein. Man hat zwar mehr Sorgen ums Geld, aber auch mehr Möglichkeiten, es in Sicherheit zu bringen. Allerdings: Das neue Prekariat, früher Mittelstand genannt, ist mangels genügend Nullen hinter der ersten Zahl des Vermögensstands gekniffen.