Komitee zur Rettung der Welt

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Menschen finanziell und psychisch zerrüttet und mit der Bewältigung des Neubeginns beschäftigt. Das war eine historische Gelegenheit für einen radikalen Reset: Der Wohlfahrtsstaat wurde ausgebaut, die Charta der UNO in Kraft gesetzt, in Bretton Woods einigten sich 44 Länder auf feste Wechselkurse.

Klaus Schwab (*1938), Gründer des Weltwirtschaftsforums (WEF), schrieb zusammen mit seinem Team den Bestseller „Covid-19: Der Große Umbruch (Covid-19: The Great Reset)“. Er glaubt, dass nun auch Covid-19 als „Gelegenheit genutzt werden sollte, um institutionelle Veränderungen in die Wege zu leiten“ und einen Reset zu erzwingen: zurück auf Start, Geschichte ausblenden und nochmals alle historisch gescheiterten Rezepte wiederholen.

Er beginnt mit Analysen, denen viele zustimmen können. Er beschreibt differenziert die Verkettung historischer, wirtschaftlicher, geopolitischer, gesellschaftlicher, ökologischer und technologischer Fakten, doch in seinem komplexen Räderwerk klammert er ein Zahnrad aus: Die Überbevölkerung mit all ihren gravierenden Auswirkungen auf Ressourcen, Klima und Migration. Er glaubt offenbar, im Gegensatz zu Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman, dass man sowohl offene Grenzen als auch ein Sozialsystem haben kann.

Egoismus bleibt die treibende Kraft

Irritierend ist auch seine Behauptung, es habe während des Lockdowns „keine Luftverschmutzung“ gegeben, weltfremd sein Glaube, wonach die Menschen während und nach der Pandemie mehr Empathie und Solidarität zeigen werden. Die Geschichte zeigt, dass in Pandemien Angst und Panik stets zu egoistischem und asozialem Verhalten geführt haben. Nur gerade bei örtlich und zeitlich begrenzten Naturkatastrophen bewiesen die Menschen Solidarität. Doch bei einer Pandemie macht das unsichtbare Virus jeden Nachbarn zum potenziellen Totengräber. Klaus Schwab weiß das, aber er glaubt, dass diesmal alles anders wird.

Die Realität widerspricht ihm. Seit Greta Thunberg Altersdiskriminierung salonfähig gemacht hat, ist von Solidarität zwischen den Generationen nicht mehr viel übrig. In einer stark fragmentierten Ich-Gesellschaft, die Partikularinteressen über das Gemeinwohl setzt, bleibt Egoismus die treibende Kraft. Auch die sozialen Medien widersprechen: Sie sind zum Schlachtfeld von Rechthaberei und Intoleranz geworden, draußen demonstrieren zornige Menschen gegen Corona-Maßnahmen. Der Pizzabäcker, der seinen Laden schließen muss, hat nicht die gleichen Interessen wie der Bankangestellte, der seine Pizza im Homeoffice isst. Das Einzige, was die beiden gemeinsam haben, ist die Wut. Covid-19 hat allen die Zündschnur gekürzt.

In der ersten Hälfte des Buches versucht Schwab mit einer Sowohl-als-auch-Rhetorik, Neutralität vorzutäuschen. Er gewährt kontroversen Ansichten Raum und man weiß nie, was eigentlich seine Meinung ist. Hat er eine? Ja, aber die erfährt man erst am Ende des Buches.

Die Akzeptanz in der freien Welt ist eine Frage des Marketings

Schwab zitiert Laotse: „Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt.“ Der erste Schritt in Schwabs „Schöner Neuer Welt“ ist wohl die Abschaffung des Bargeldes, denn „sein Staat“ braucht die Möglichkeit, bei Bedarf die digitalen Sparguthaben der Bevölkerung per Mausklick zu plündern. Wie 2013 auf Zypern, als übers Wochenende der „größte Bankraub der Geschichte“ (Spiegel) abgewickelt wurde. Fast alle Notenbanken planen heute die Einführung von digitalem Zentralbankgeld. Wir wissen alle, dass man die aktuelle Staatsverschuldung von 53 Billionen Dollar nicht mehr auf anständige Art und Weise tilgen kann.

Die Pandemie bietet nun die Chance, aus hygienischen Gründen die Abschaffung des Bargeldes zu beschleunigen. Dank Covid-19 zahlen viele Leute nur noch digital und akzeptieren, dass sie dadurch zum gläsernen Bürger geworden sind. Schwab blendet die negativen Seiten nicht aus, er beschreibt die Vorteile jedoch so, dass die Leserschaft zur Einsicht gelangen muss, dass ein „Gesundheitsarmband“ mit Tracing- und Traffic-Funktion einen besonderen Schutz bieten könnte. Das chinesische Social-Credit-System kann bereits jedes Fehlverhalten mit Bewegungseinschränkungen oder mit Geldbußen (die in Echtzeit abgebucht werden) bestrafen. Die Akzeptanz in der freien Welt ist eine Frage des Marketings. Wäre es nicht auch für das Klima hilfreich, wenn der CO2-Fußabdruck jedes Individuums sichtbar wäre? Ein grünes Social-Credit-System zur Rettung der Erde?

Allmählich wird deutlich, was der Sinn und Zweck dieses Buches ist: der „richtige Weg“. Nachdem uns Schwab mit einer Dystopie im Konjunktiv erschreckt hat, bietet er im letzten Kapitel seine Lösung an: Er wünscht sich ein „Komitee zur Rettung der Welt“, das die „Tyrannei des BIP Wachstums“ beendet, er träumt von einer „globalen Ordnungsmacht“ nach marxistischen Prinzipien, von einer EU im Weltformat unter dem Kommando von WHO, UNO, IWF und dem „Großen Steuermann“ Klaus Schwab. Er bestreitet nicht, dass die Umsetzung seiner Ideen viele Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzen würde und empfiehlt deshalb einen massiven Ausbau des Sozialstaates. Man hat den Eindruck, er würde am liebsten alle Menschen enteignen und ihnen monatlich Sozialhilfe überweisen.

In seiner „Schönen Neuen Welt“ wird der Mensch zur Datenquelle degradiert, zu einem kleinen Pixel, der, von einem Software-Algorithmus von der Wiege bis zum Tod begleitet, bevormundet, belohnt und bestraft wird. Schwabs Utopie ignoriert die Natur des Menschen und unterschätzt den Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung. Seine Welt nützt nur denen, die sie entworfen haben.

Das 1971 von Professor Klaus Schwab gegründete Weltwirtschaftsforum zählt die tausend größten Weltkonzerne zu seinen Mitgliedern. Jeder Konzern bezahlt eine Basis-Jahresmitgliedsgebühr von 39.497 Euro und eine Gebühr von 16.726 Euro für die Teilnahme am Jahrestreffen. Industrie- und strategische Partner bezahlen zwischen 232.400 und 464.800 Euro, um an den Initiativen des Forums mitzuwirken.

 

Claude Cueni (64) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Dieser Beitrag erschien in einer gekürzten Fassung zuerst in der Schweizer Weltwoche. Sein neuer Thriller „Genesis – Pandemie aus dem Eis“ ist im Verlag Nagel & Kimche erschienen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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E. Albert / 11.12.2020

” [...] er würde am liebsten alle Menschen enteignen und ihnen monatlich Sozialhilfe überweisen.[...]” Das will er ja auch tatsächlich. Er sagte es doch ganz offen (26. Oktober 2020): “In zehn Jahren werden Sie nichts mehr be­sit­zen, und Sie werden sich da­rüber freuen.” - Ich musste spontan an “Animal Farm” denken. Manche sind halt gleicher und werden noch mehr auf Kosten der enteigneten Masse besitzen! Schließlich heißt es sonst immer “WIR”...In was für Zeiten leben wir eigentlich? Jeder Spinner mit Guru-Ambitionen kann sich mit den krudesten, totalitären Ideen aufschwingen - und die Masse klatscht und jubelt! Der Mann gehört in eine Zwangsjacke und weggesperrt, wie seine Anhänger…(die Merkel und deren Kabinett kann er gleich mitnehmen!)

Marc Greiner / 11.12.2020

Man muss von gar Nichts eine Ahnung haben, nur die Begleitumstände beobachten. Früher protestierten linke Gruppierungen gegen das WEF, also musste es damals etwas Gutes sein. Heutzutage sitzen die Linken mittendrin im WEF, also ist diese Veranstaltung obsolet geworden. Nicht nur das, sie ist sogar gefährlich.

Frances Johnson / 11.12.2020

Wieso müssen Normalos in Rente gehen, aber dieser Herr darf mit 82 Jahren seine krassen Thesen verkünden und mibestimmen?

Jürgen Fischer / 11.12.2020

Ich frag’ mich, wie so einem realitätsfernen Phantasten so viel Bedeutung beigemessen werden kann. Und ausgerechnet der will uns das Märchen von “glücklich ohne Eigentum” verkaufen - das selbstverständlich für ihn selbst und seine Trabanten nicht gilt. Naja. Eine der unumstößlichen bekannten Wahrheiten lautet »Alles wird vorübergehen.«

sybille eden / 11.12.2020

Kann nicht mal jemand diesem 82 jährigen Faschisten den Stecker ziehen ?

Udo Kemmerling / 11.12.2020

Zur Errichtung und Erhaltung eines solchen orwell´schen Horrorszenarios wird es mehr Opfer geben als Stalin und Mao zusammen gefordert haben. Vielleicht sollte dieser Globalisierungs-Extremist daran denken, dass so mancher schon im Nachgang seiner geisteskranken Utopie von einem Gericht, dass nicht zwingend in Nürnberg tagen muß, zum Tode verurteilt wurde. Von Dareios III. bis Gaddafi könnten einige noch häßlichere Geschichten erzählen…

Thea Wilk / 11.12.2020

Nachtrag zu meinem ersten Kommentar, weil mich Ihr Artikel nicht losgelassen hat. Der einzige Schutz gegen Weltregierungspläne einer Elite wären souveräne und demokratische Nationalstaaten gewesen, welche die Interessen ihrer Bürger vertreten und schützen, wie in den folgenden Zitaten beschrieben.—- Rainer Hank hat in der FAZ vom 20.12.2015 unter der Überschrift “Grenzen-Alle Menschen werden Brüder?” geschrieben: “Das Konzept der ‚Volkssouveränität‘ ist eine vernünftige Erfindung der Aufklärung. (...) Nicht nur den Eliten, sondern auch den einfachen Leuten sind Macht und Selbstbestimmungsrecht in ihrem Staat gegeben (...). In Abwandlung eines alten Gewerkschaftsspruches könnte man sagen: Der Nationalstaat ist das Stärkste, was die Schwachen haben.”—- Und in dem Spiegel-Essay „Zur Theorie der Demokratie“ hat Karl Popper am 03.08.1987 geschrieben, dass in einer Demokratie die Bürger die Regierung durch Wahlen loswerden können – wenn das Wahlsystem die Regierung nicht vor einer Abwahl schützt.—- Leider sind die souveränen Nationalstaaten erfolgreich in Verruf gebracht worden und es wird erfolgreich an ihrem Abbau gearbeitet. Und der Schutz der Regierung vor einer Abwahl funktioniert leider sehr gut, genau so, wie Popper es in dem Essay beschrieben hat.

A. Iehsenhain / 11.12.2020

Eine ganz feine Sektion von Herrn Cueni, die Entzauberung des Herrn Schwab. Dabei dürfte es extrem zäh gewesen sein, sich durch die Ergüsse eines selbstverliebten, messianischen Irren zu quälen.

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