Deborah Ryszka, Gastautorin / 11.01.2021 / 16:00 / Foto: Benross814 / 9 / Seite ausdrucken

Kein Glück im falschen Leben

Es ist schon ermüdend. Nicht das ständige Trump-Bashing, sondern die drei kleinen Buchstaben „A“ „H“ „A“. Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen. Als ob Kafkas neuer Roman aus dem Jenseits „Die Pandemie“ erschienen wäre. „Kafkaesk“ erfasst vermutlich die Situation besser als ermüdend oder erschöpft. Oder sonst irgendein Begriff.

Man fühlt sich wie im falschen Leben. Das lässt einen sofort an Adorno und sein bekanntes Bonmot denken. Doch es ist auch Grund genug „Das falsche Leben“ des Psychiaters Hans-Joachim Maaz in die Hände zu nehmen. Dort beschäftigt sich der Bestseller-Autor auf knapp 250 Seiten mit den „Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft“, insbesondere auf die menschliche Psyche.

Normopathie? Das ist nach Maaz „[…] die Anpassung an mehrheitliche Meinungen und Positionen, nicht wenn diese etwa wahr sind oder als beste Möglichkeit das Leben sichern, sondern weil das ‚falsche Leben‘ damit am besten kaschiert und verleugnet werden kann“. Das die steile These eines Mannes, der es wissen muss. Schließlich stellte die menschliche Psyche Jahrzehnte den Mittelpunkt von Maaz‘ Arbeit dar.

Eine journalistische Meisterleistung

Maaz‘ Diagnosen und Beobachtungen können hilfreich sein, wie etwa die Beobachtung, dass „Lügenpresse“ ein Vorwurf gegen eine normopathische Berichterstattung sei. Normopathisch im Sinne von tendenziös, nicht kritisch, reflexhaft, und so weiter und sofort. Oder: „Arabische und afrikanische Migranten überwiegend muslimischen Glaubens, sind kulturell, religiös, erziehungs- und beziehungsdynamisch überhaupt nicht auf die freiheitliche und liberale Lebensform vorbereitet.“

Maaz bleibt stets sachlich, nüchtern, professionell. Mit großem Sachverstand, und weniger mit emotional-ideologischer Verve, beleuchtet der Psychiater in vier Kapiteln das falsche Leben. Von (1) der Analyse des falschen Selbst und des falschen Lebens, über (2) das wahre Selbst und das wahre Selbst bis hin zur (3) Normopathie und den gesellschaftliche Ausformungen des falschen Lebens sowie (4) einer gelungenen Beziehungskultur.

Wiewohl Maaz in fachspezifische psychologische und psychiatrische Phänomene eintaucht, schafft er es , seine Gedanken so zu formulieren, dass auch Fachfremde diese verstehen, nachvollziehen und skeptisch betrachten können. Das ist eine journalistische Leistung.

Wer somit in diesen Zeiten den Luxusfaktor „Zeit“ besitzt und besser verstehen möchte, warum sich etwa mehr und mehr Menschen bedroht fühlen, schnell und leicht gekränkt sind und/oder schwer allein sein können, und welche gesellschaftlichen Folgen das nach sich zieht, dem sei Maaz‘ Buch  empfohlen. Vielleicht öffnet es dem ein oder anderen Leser die Augen, im „falschen Leben“ gefangen zu sein: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen. Denn viele empfinden diesen Ausnahmezustand schon als neue Normalität. Zu viele.

„Das falsche Leben. Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft“ von Hans-Joachim Maaz, 2017, München: C.H.Beck, hier bestellbar.

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Leserpost

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Helmut Löffler / 11.01.2021

Warum “Normopathie”? Ein Blick in die Biologie des Menschtiers erklärt angepasstes Verhalten mit dem Herdentrieb. Menschengruppen sind hierarchisch geliedert. Der Einzelne folgt automatisch der Herde. Keiner will abseits stehen und damit Gefahr laufen, aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden.  Was von oben diktiert wird, wird ausgeführt. Für die Einhaltung der Vorschriften genügen irgendwelche, auch schwache oder sogar absurde Begründungen. Die Menge überwacht sich dann häufig selber und versucht vehement, Quertreiber auszumerzen. Die Biologie wird heute sehr schnell als “Biologismus” verunglimpft und unsere biologische Abstammung und Einordnung als Primaten selten in den Vordergrund gerückt, obwohl gerade dadurch erst viele gruppendynamische oder auch allgemein menschliche Eigenschaften erklärbar werden. Es gibt heute sicherlich noch genügend Leute, die im Glauben sind, wir wären keine Tiere und die vergleichende Verhaltensforschung (Ethologie) des Menschen mit den übrigen Tieren als Kränkung empfinden und ablehnen.

Volker Kleinophorst / 11.01.2021

Da fällt mir der olle Spruch ein: Gut zu leben, ist die beste Rache. Scheint mehr dran, als anfangs geahnt.

M. Hartwig / 11.01.2021

Als die Geliebte beim Koitus stöhnte, “ah - das ist das richtige Leben”, erwiderte Adorno, der Bonmotist in allen Lebenslagen, “es gibt kein richtiges Leben im falschen.” Minima hin, Moralia her, warum Aphorismen schreiben, wenn man die Leute mit einem Bonmot befriedigen kann? Der Empfehlung der Autorin, einen Autor wie Maaz zu lesen, der auf schmaler Spur unterwegs ist, muss hier widersprochen werden. Es gibt im falschen Leben doch besseres zu tun, dachte Franz und verwarf auch den Gedanken, noch einen Roman zu schreiben.

Dirk Piller / 11.01.2021

Wenn man mit Menschen arbeitet und man dann auch noch intensiv ihre Psyche betrachten kann, weiss man mit der Zeit, dass Pauschalaussagen selten so richtig stimmen. Dennoch bleibt gerade der Psychiatrie keine andere Wahl, als Schemata und Schubladen zu kontruieren. Denn sonst hätte man gar kein Koordinatensystem. Dass Menschen sich anpassen, um sich nicht mit dem eigenen Unglück zu beschäftigen, ja vielleicht trifft das auch auf einige in besonderem Masse zu, aber es ist tatsächlich wesentlich komplizierter - würde ich sagen.  Dennoch: Vielen Dank, dass auch solche Texte oder Empfehlungen auf Achse publiziert werden, selten kommt die Psychiatrie zu Wort- finde ich.

Jörg Themlitz / 11.01.2021

„Arabische und afrikanische Migranten überwiegend muslimischen Glaubens, sind kulturell, religiös, erziehungs- und beziehungsdynamisch überhaupt nicht auf die freiheitliche und liberale Lebensform vorbereitet.“; Das wird wohl für diese Lebensform so stimmen. Für Deutschland sind diese Personen vorbereitet bzw. Deutschland hat sich vorbereitet. Das ´falsche Leben` , das Mensch sein, muss! “kaschiert und verleugnet werden”. Wie recht der Herr Maaz schon 2017 hatte. Marcel Reif wird gerade durch die Mangel genommen, weil er Jungtürken gesagt hat. Es finden sich genügend Idioten die die Mangel bedienen. Wolfgang Leonhard: “Die Revolution entläßt ihre Kinder”; Der Abschnitt über das kommunistische Erziehungs-, Schulungs- wie auch immer Lager. Da werden langgediente Kommunisten für ehrlich geäußerte Ansichten gnadenlos fertig gemacht oder gleich ausgeschlossen. Offene, freie, ehrliche Diskussion nicht zugelassen. Alles “alternativlos”! Hab ich kürzlich schon mal gehört.

Rainer Niersberger / 11.01.2021

Wir koennen seit Jahren und aktuell wieder besonders auffällig die Erscheinungsformen einer psychopathologische Gesellschaft und mehrheitlich psychopathologische Individuen beobachten. Die Diagnose von Maaz (das Buch ist lesenswert) ist zutreffend, laesst aber, sicher bewusst, weitere neurotische Aspekte der westlichen Gesellschaften aussen vor, ebenso wie die systematische Verdummung oder genauer vorsaetzliche Entbildung iSe Beschränkung des Wissens und der kognitiven Fähigkeiten auf exakt nur das, was funktional gebraucht wird. Die Beispiele treten uns taeglich qua ÖR vor Augen. Es sind, von charakterlich erwünschten Ausprägungen, wie sie auch in sehr dunklen Zeiten gefragt waren, abgesehen, reine Fachidioten, nicht klassisch dumm, aber kognitiv massiv begrenzt. Das System “spuckt” diese ebenso aus wie Politik und Gesellschaft Psychopathologien stark begünstigt oder sogar erzeugt. Es ist klar, dass totalitaere Regime ein notwendiges Interesse an einem bestimmten Typ Untertan haben, der sich unter anderem durch Entbildung und bestimmte, ausgeprägte kompensatorische Bedürfnisse auszeichnet und sich deshalb leicht taeuschen und fuehren “laesst. Das gilt natuerlich auch fuer Menschen mit einer formal akademischen Ausbildung, ohnehin nicht mit frueherer universitärer Bildung zu verwechseln. Der postmoderne (westliche) Mensch weist mehrheitlich alle konstitutiven Bedingungen fuer Unterwerfung und Manipulation auf. “Besser” geht es nicht, zumal bestimmte, machttaktisch günstige Faktoren aus der Feminisierung (Infantilisierung, Regression) noch dazukommen.  Es laeuft.

Dirk Jungnickel / 11.01.2021

Ja, der Ausnahmezustand wird zur Normalität hochgepuscht. Und sollten einmal die LDs abgeschafft werden, wird der deutsche Michel ihnen nachtrauern. In diesem Kontext: Die Himmlische hat einen Alptraum: In der Morgenlage wird ihr eröffnet, dass Drosten freiwillig aus dem Leben geschieden sei. Bevor über die Staatstrauer entschieden ist, wird sein Abschiedbrief verlesen. Dort steht geschrieben, das er sich beim sogen. Drosten Test (PCR-Test) leider vertan und versehentlich zwei Erlenmeyerkolben vertauscht hätte. Da die WHO sofort den Test genehmigt hätte, konnte er sich keinen Rückzieher mehr erlauben. Es täte ihm leid. Den Prozess, den Dr. Füllmich jetzt gegen ihn anstrenge, würde er nervlich nicht überstehen. Soweit der Abschiedsbrief. Noch bevor die Himmlische ihren Rücktritt verkünden kann, wacht sie auf, macht fröhlich ihre Morgentoilette und geht wie immer mit Elan ihren Regierungsgeschäften nach. AN DIE ADMINISTRATOREN: SEIT KURZEM WIRD BEI MIR JEDES WORT, DAS ICH SCHREIBE, MIT EINER ROTEN WELLENLINIE UNTERSTRICHEN. SEHR NERVEND, BITTE ABSTELLEN !

Klaus Klinner / 11.01.2021

Grundlage funktionierender und guter zwischenmenschlicher Beziehung sind gegenseitiges Vertrauen, sowie emotionale und auch körperliche Nähe. Körperliche Nähe bedeutet in dem Kontext nicht einmal „ununterbrochen aufeinander zu hocken“, sondern die Nähe Anderer überhaupt zu suchen, als angenehm zu empfinden, zu genießen. Genau dies zerstören die sogenannten AHA-Regeln und vor allem der Lappen im Gesicht. Ich behaupte, niemand wird zu einem Anderen Vertrauen und emotionale Nähe entwickeln, wenn er dessen Gesicht nicht sehen, ihn nur verzerrt sprechen hören und ihn im wahrsten Sinn nicht riechen kann. Dies nicht zu erkennen kann nur einem emotionalen Krüppel passieren. Darüber nachzudenken würde aber bedeuten, die Grundlage der bisherigen Strategie in Frage zu stellen. Und das wiederum ist ein Sakrileg.

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