Journalist, sei Partypupser – Blockflöten gibt’s genug!

Ist BILD mitschuldig an 60.000 Corona-Toten? Das behauptete der langjährige CDU-Europa-Abgeordnete Peter Liese, der auch Arzt ist, im Interview mit Bild-Vize Paul Ronzheimer kürzlich. Es ist bezeichnend für die fehlgeleitete Debatte, dass über diesen Vorwurf in den Medien nicht diskutiert wurde. Denn die Aufgabe der Publizistik ist nicht, verantwortungsvoll die Regierungspolitik zu unterstützen, sondern sie zu kritisieren und infrage zu stellen.

Peter Liese hatte sich auf ein kommodes Interview eingerichtet. Dabei berief er sich auf das Vorgespräch vor der BILD-Sondersendung zur letzten virtuellen Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin, bei der der Inzidenzwert von 35 beschlossen wurde. Aber Ronzheimer wollte von ihm nur eins wissen: Warum hat die Europäische Union bei der Beschaffung des Impfstoffes so versagt?

Nach vermehrter Wiederholung verstieg sich das Mitglied des Zentralrates der Katholiken zu der Äußerung „Haben Sie noch alle?!” und erwähnte, dass er sich schon telefonisch beim Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Verlags über die Berichterstattung beschwert habe. Ronzheimer reagierte gelassen und empfahl einen neuen Anruf.

Schließlich verstieg sich der bodenständige Westfale zu der Äußerung, dass „auch die BILD-Zeitung neben vielen anderen eine Verantwortung hat für die 60.000 Toten, die wir jetzt in Deutschland haben“. Hätte BILD nicht die radikalen Vorschläge von Maggus Söder und Angela Merkel kritisiert, wären diese Menschen nicht gestorben, so die perfide Logik.

Großes Missverständnis über die Gewaltenteilung 

Es ehrt die BILD-Leute, dass sie die partielle Entschuldigung Lieses annahmen. Und das ist auch gut so. Vergaloppieren kann sich jeder. Aber das Phänomen ist symptomatisch. Und deshalb hilft die joviale Geste nicht.

Ein anderes Beispiel: Eine gute Freundin hat meine Corona-Berichterstattung kritisiert: Die Verantwortlichen wüssten schon, was sie tun, ich könne ja sonst auch politische Verantwortung übernehmen. Das ist dasselbe Phänomen auf niederer Ebene. Und ein großes Missverständnis über die Gewaltenteilung in einer offenen Gesellschaft.

Dazu eine dritte Anekdote. Im Herbst 2009 soll das Bundeskanzleramt die wesentlichen Chefredakteure des Landes zu einer Krisensitzung geladen haben. Wenn die Kanzlerin lädt, hat man auch zu erscheinen. Das ist in Ordnung. Vorher soll der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der Kanzlerin den Abgrund gezeigt haben, der sich öffnen würde, wenn die Deutschen wie vor 100 Jahren auf die Idee kämen, im Angesicht der Finanzkrise ihre Konten abzuräumen. Schon die Bargeld-Versorgung der Bank-Automaten geriete außer Kontrolle, es hätte bei einem „Bankrun” überhaupt nicht einmal genug gedruckte Banknoten gegeben, die man hätte ausgeben können. Und in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte es das alles ja schon gegeben. Deshalb traten Angela Merkel und ihr seinerzeitiger Finanzminister Peer Steinbrück vor die Kameras und garantierten, was sie nicht garantieren konnten: die Sicherheit der Sparguthaben. 

Presse und Öffentlichkeit als Komplizen der Politik 

Und die Medien mussten auf Linie gebracht werden, damit es kein Störfeuer gäbe, mit dem das große Ganze, die Rettung der Weltwirtschaft, gefährdet werde. Ich war nicht dabei. Es erscheint mir aber plausibel.

Seither scheinen mir allzu viele Medien und Journalisten eher dem eisernen Ziel der Krisenvermeidung und Weltrettung verpflichtet als der Wahrheit und der notwendigen Kritik. Der legendäre Satz des öffentlich-rechtlichen Journalisten Hanns Joachim Friedrichs beweist seine abstrakte Gültigkeit: „Ein Journalist macht sich nicht gemein mit einer Sache, auch nicht mit einer guten”.

Und genau das ist die Aufgabe freier Medien. Ihre Verantwortung liegt in ihrer Verantwortungslosigkeit, ohne Rücksicht auf Verluste der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, zu kritisieren, offenzulegen und die Vielfalt eines Diskurses mit Argumenten zu befeuern. Hayek und Popper finden nur unterschiedliche Ansätze für die gleiche Notwendigkeit: Nur die Vielfalt der Argumente, nur der gepflegte Konflikt, nur der Wettbewerb der Meinungen, nur das Eingeständnis, irren zu können und zu dürfen, schaffen Klarheit und Fortschritt.

Der Arzt Peter Liese hat bei Bild live dokumentiert, wie verkommen die Politik mittlerweile auf diesen Anspruch der offenen Gesellschaft reagiert. Kritik ist nicht nur lästig, sondern gefährlich. Er will die Presse und auch die Öffentlichkeit zum Komplizen der Politik machen. Gerade in Brüssel scheint man weit von einem öffentlichen Diskurs entfernt, weil die Brüsseler Entscheidungen üblicherweise die nationalen Öffentlichkeiten erst erreichen, wenn sie längst gefällt sind. Das ist allerdings die Verantwortung der Medien, die Klickzahlen und Auflagen verfolgen. Die Nutzer und Leser folgen allzu oft dem Impuls der Sensation und erkennen nicht, welche Gefahr aus den scheinbar trockenen Beschlüssen für ihr persönliches Leben entsteht.

Relotius lässt grüßen

Zwischen der Meute der Hauptstadtjournalisten und der Politik besteht ein symbiotisches Verhältnis. Wer zu scharf und zu deutlich kritisiert, wird nicht mehr in die Hinterzimmer der Macht, etwa in die bayerische Landesvertretung zum Weißwurstfrühstück, eingeladen. Wer seine Kritik dagegen moderat gestaltet, darf wieder kommen und wird vom Informationsfluss nicht ausgeschlossen. Lieses Corona-Ausbruch ist ein seltenes öffentliches Dokument, wie jenseits der Argumente auf die Medien Druck ausgeübt wird.

Das Wechselspiel aus Distanz und Nähe ist für alle, die keine Gesinnungstäter sind und davon leben, ein Balanceakt. Und Unabhängigkeit muss man sich auch materiell leisten können. In dem Geflecht kann man die meisten Journalisten kaum unabhängig nennen. Das liegt auch an der eigenen Zunft, die gerne denjenigen, die kritische Meinungen haben, mit Verachtung begegnet, wenn sie dem Mainstream nicht folgen. Deshalb lassen sich viele von den Peter Lieses beeindrucken und haben ihre Unabhängigkeit und Souveränität nicht erst an der Garderobe abgegeben. Aus der veröffentlichten Meinung wird so ein indifferenter Brei, der dem ideellen Auftrag der Presse zuwiderläuft, wie es Rudolf Augstein einst in drei Worten formulierte: „Sagen, was ist.” Dass gerade der Spiegel seit dem erzwungenen Abschied von Stefan Aust so fundamental versagt, ist mehr als ein Symptom. Relotius lässt grüßen.

Paul Ronzheimer hat sich die Chuzpe nicht nehmen lassen. Auch wenn sich BILD gegenüber Liese konziliant gezeigt hat, stellt sich die Frage, warum die Schuldzuweisung, die eine unverhüllte Drohung dargestellt hat, nicht zu einem öffentlichen Diskurs führte. Und auch wenn der Mann hier weitgehend unbekannt ist, offenbart sein Statement doch die Ansicht, wie eine vermeintlich freie Presse das segensreiche Wirken von EU-Parlament und -Kommission zu begleiten hat. Und wie viele andere Politiker zum altbackenen Telefon greifen und Chefredakteure, Verleger und Vorstände anrufen, um unliebsame Berichterstatter ins Abseits zu stellen, kann ich nach diesem „Pandemie-Ausbruch” nicht mehr erahnen. Ich befürchte es. 

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Paul Siemons / 19.02.2021

Die größte Schuld hat BILD immer dann auf sich geladen, wenn sie sich hinter jedes noch so absurde Dekret Merkels gestellt hat. Wäre BILD 2015 nicht auf den “Refugees welcome” Zug aufgesprungen, sähe es in Deutschland heute um einiger stabiler aus.

Frances Johnson / 19.02.2021

“Blockflöten gibt’s genug”: Auch der Papst gehört dazu, und Gott gibt es wohl doch nicht, denn der Papst will allen, die sich nicht impfen lassen wollen im Vatikan, kündigen. Es gibt also kein Vertrauen in Gott statt Impfung und kein Ewiges Leben, der Papst, hardcore-Sozialist, was sich mit Religion an sich schlecht veträgt, lebt es vor.

Frances Johnson / 19.02.2021

Das hier hat eine saumäßige Überschrift, Herr Jancke, ist aber absolut entspannend: Insgesamt weit unter zehn Prozent Ansteckungsgefähr in allem, das gerade geschlossen ist: „Schutz durch 1,5 Meter Abstand in Innenräumen ist eine Illusion“, w-on. Sehr interessanter Bericht hier, den ich ohne Sie nicht mitbekommen hätte, daher danke.

Ricardo Sanchis / 19.02.2021

Die BILD hat soviel Schuld auf sich geladen mit ihrer hetzerischen, diffamierenden und verlogenen Berichterstattung, das es eigentlich nur der Angst vor deren Meinungsmacht geschuldet sei kann, das jemand mit denen spricht. Die haben deutlich meiner Einschätzung nach deutlich mehr als 60.000 Menschen auf dem Gewissen. Wer jemals dort gearbeitet hat oder arbeitet hat sein Gewissen   ( sofern vorhanden ) gegen das Gehalt verkauft. Dieses Blatt sollte man weder kaufen noch zitieren oder gar verteidigen, wie der Autor des Artikels hier tut.

RMPetersen / 19.02.2021

Der BILD-Redakteur weiss offensichtlich den CDU-Abgeordneten vom EU-Parlament richtig einzuschätzen: Als unwichtig. Hätte der Herr Einfluss. wäre er nicht in Brüssel, sondern in Berlin.

Volker Kleinophorst / 19.02.2021

Zur Einordnung der 60.000 Toten: “Halten wir mal fest: Wissenschaftler beeinflusst, um Panik zu erzeugen; Studien gekauft; Falsche Studien zur Diskreditierung in Auftrag gegeben; Arbeitsschutz zu FFP2-Masken ignoriert; - Falsche COVID-Belegungen und Todeszahlen gemeldet.” (Amin Sharaf auf Twitter.)

W. Hoffmann / 19.02.2021

Egal wie, die Medien haben die Verantwortung für weit mehr Tote. Durch überflüssigen Lockdown gestorbene Patienten, die nicht behandelt wurden, durch Suizid Gestorbene, die anders der Panik oder der Pleite nicht entrinnen konnten und viele mehr. Die Todesfälle dadurch, dass lediglich Hysterie geschürt und ein konstruktiver Dialog verhindert wurde, dafür sind die Medien in vollem Umfang mitschuldig. Die Impf-Opfer kommen später noch dazu.

Mathias Rudek / 19.02.2021

“Gerade in Brüssel scheint man weit von einem öffentlichen Diskurs entfernt, weil die Brüsseler Entscheidungen üblicherweise die nationalen Öffentlichkeiten erst erreichen, wenn sie längst gefällt sind.” Genau solche Verhältnisse des Ausschlusses der Bürger von existentiellen Entscheidungen hätten unsere Politik-Darsteller gerne und dazu brauchen sie die Journaille, die sich dieser Machtverhältnisse längst angedient hat. Das ist das größte Versagen der Presse und ich hoffe, daß die notwendige historische Abrechnung noch kommen wird, aber sie muß von der Öffentlichkeit gefordert und gewollt werden. Das ist skandalös und sicher eine Zeitenwende und selbst wenn Bürger sich gegen einen solche Berichterstattung (... oder sollte man mehr von Bericht-Bestattung sprechen?) wehren und sich mit Leserkommentaren höflich aber bestimmt zu Wort melden, dann werden sie meist gesperrt, weil die “woken” Journalisten-Darsteller die Wahrheit nicht hören wollen, aber vielleicht meldet sich ja auch bei einigen das tiefsitzende, schlechte Gewissen.

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