Thilo Schneider / 16.10.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 34 / Seite ausdrucken

Jahrestag: Völkerschlacht bei Leipzig

Heute vor 210 Jahren begann die mehrtägige Völkerschlacht bei Leipzig. Ein Jahrestag, der in den Medien einige Aufmerksamkeit findet. Natürlich erinnert auch Achgut an diese europäische Schicksalsschlacht. Auf die eigene Art unseres Autors.

Franzosen, Russen, Preußen, Österreicher, Sachsen, Schweden, Italiener, Schweizer, Polen, Engländer, Bayern, Hessen, Badener und Württemberger – 560.000 Soldaten so ziemlich jeder europäischen Macht standen sich bei Leipzig an diesem 16. Oktober des Jahres 1813 auf einem schmalen Flecken Land gegenüber, bereit, sich die nächsten 3-4 Tage tüchtig gegenseitig zu massakrieren. 

Zu danken ist dies der Sturheit Napoleons und der Cleverness der Verbündeten, Friedrich Wilhelm III. von Preußen (der mehr oder weniger mitgenommen und nicht ganz ernst genommen wurde), Kaiser Franz I. von Österreich (der schon gar keine Lust hatte, sich aus dem angenehmen Wien ins Feld zu begeben) und Zar Alexander I. (der Feuer und Flamme war, der Welt zu beweisen, dass er der bessere Feldherr als Napoleon war). 

Zur Vorgeschichte: Nachdem Napoleon in Russland den allergrößten Teil seines Heeres verloren hatte und mit den Trümmern, die sich nach Deutschland zurückschleppten, auch nichts anfangen konnte, hatte er hastig neue Truppen in Frankreich und bei seinen in Geiselhaft genommenen Verbündeten ausgehoben, unfähig, sich den neuen Gegebenheiten zu stellen. Während Preußen und Russen die Franzosen 1813 vor sich hertrieben, versuchte es Metternich während eines Waffenstillstandes mit Verhandlungen: Österreich würde neutral bleiben, zögen sich die Franzosen hinter den Rhein zurück – eine Idee, die Napoleon nachgerade lächerlich fand. Er führte die Verhandlungen wohl auch nur, um Zeit zu gewinnen, neue Truppen auszuheben. Was ihm gelang. Die „Marie-Louisen“, so wurde seine Armee, die teilweise aus 15-jährigen Kindern bestand, die gerade mal eine Muskete heben konnten, zärtlich genannt. Aber sie schlugen sich wacker, die Kindersoldaten. Als die Verhandlungen zwischen Napoleon und Metternich ergebnislos blieben, trat Österreich dem Bündnis aus Preußen und Russen bei. 

Hunderttausende sammeln sich zur Schlacht

Die Verbündeten bildeten drei Armeen: Die böhmische Armee unter General Schwarzenberg, bestehend aus 127.000 Österreichern, 85.000 Russen und 45.000 Preußen. Die Nordarmee unter dem schwedischen Kronprinzen Karl Johann (mit bürgerlichem Namen Jean-Baptiste Bernadotte, ursprünglich enger Freund und Marschall von Napoleon) aus 73.000 Preußen, 29.000 Russen sowie 23.000 Schweden und tatsächlich 144 Briten, die eine schicke neue Waffe erproben wollte: ihre Raketenartillerie. Schlussendlich gab es da noch die schlesische Armee, die kleinste der drei Heersäulen, bestehend aus 66.000 Russen und 35.000 Preußen unter Blücher und Gneisenau.

In den dem Waffenstillstand vorausgegangenen Schlachten wie Lützen und Bautzen hatten Russen und Preußen furchtbare Prügel von Napoleon bezogen, der trotz seiner jungen und miserabel ausgebildeten Truppen immer noch ein furchterregender Gegner war – wenn er selbst führte. So verabredeten die Verbündeten, sich immer dann zurückzuziehen, wenn Napoleon gegen einen von ihnen marschierte, während dann die anderen beiden Armeen vorrücken würden. In der Folge rannte Napoleon durch halb Mitteldeutschland, bekam aber seine Gegner nie zu fassen, während seine Marschälle eine Niederlage nach der anderen kassierten. Allerdings waren sowohl Moral als auch Wetter für die Franzosen miserabel. Im August versuchte Schwarzenberg – entgegen dem Kriegsplan, aber gedrängt vor allem von Zar Alexander, endlich halbherzig mit der Hauptarmee einen Angriff auf Napoleon bei Dresden – und verlor krachend. Nur ein gleichzeitiger Sieg über Napoleons General Vandamme bei Kulm verhinderte, dass Napoleon die alliierte Hauptarmee gegen die Hänge des Erzgebirges nagelte und diese sich nach Böhmen zurückziehen konnte. 

Es war ein ziemliches Hin-und-her-Gelaufe in Sachsen, Schlesien und Böhmen in diesem Jahr 1813. Napoleon blieb nicht viel Zeit, auf seinen Sieg bei Dresden zu trinken, denn schon näherten sich die Nordarmee und Blüchers „schlesische“ Halunken seinen rückwärtigen Verbindungen. Bei Hagelberg prügelten im strömenden Regen Blüchers ungeübte Landwehrsoldaten mit ihren Gewehrkolben General Girards französisches Korps im wahrsten Wortsinn zu Matsch, Girards sächsische Truppen wechselten entsetzt die Seite und Blüchers Weg nach Süden Richtung Leipzig, und Napoleons Rücken war frei.  

Die Logistik ist noch miserabel

Entnervt änderte nun auch Napoleon seine Strategie. Er würde sich nach Leipzig zurückziehen und auf die Verbündeten warten – und nebenbei den sächsischen König bei der französischen Fahnenstange halten, der mit einem Übertritt zu den Alliierten liebäugelte und bei der Partnerwahl wankelmütiger als Liz Taylor war. Mochten sie nur kommen, er würde es ein für allemal entscheiden. Außerdem wiegte Napoleon sich, wie zwei Jahre später bei Waterloo, in der hübschen Illusion, Blüchers schlesische Armee und die Nordarmee seien noch weit genug weg und von ihren eigenen Gefechten mit seinen Subalternen noch zu geschwächt, um effektiv eingreifen zu können. Der Fuchs und Schlachtengott würde es ihnen zeigen, den hohen adeligen Herrn, die ihn immer noch und nur als den Emporkömmling betrachteten, der er tatsächlich ja auch war.

Der Feldzug war auf beiden Seiten erbärmlich. Die Logistik des Jahres 1813 sah sich außerstande, hunderttausende von Soldaten effizient zu versorgen. Die Armeen marschierten teilweise ohne Schuhe und ohne Verpflegung. Die Biwaks fanden entweder unter freiem Himmel statt, oder es wurden, wenn vorhanden, die Zivilisten aus ihren Häusern geworfen, um den durchziehenden Truppen Schlafplätze zu verschaffen. Was diese Maßnahmen betraf, nahmen sich Franzosen und die Verbündeten nicht viel. Die Offiziere suchten sich bei den Einquartierungen natürlich die hübscheren Häuser mit den hübscheren Töchtern und den weicheren Betten, dankbar aufgenommen von den städtischen Führungseliten, denn ein Offizier im Quartier verhinderte Plünderungen. Dafür konnte man schon mal ein paar Abendessen, ein paar Flaschen Wein und ein paar Bettgestelle springen lassen! Die Landbevölkerung, die ein- ums andere Mal Plünderungen über sich ergehen lassen durfte, war weit weniger begeistert von ihrer Befreiung, oder, wie es Goethe ausdrückte: Und was ist denn errungen oder gewonnen worden? Sie sagen: die Freiheit … Es ist wahr: Franzosen sehe ich nicht mehr und nicht mehr Italiener, dafür aber sehe ich Kosaken, Baschkiren, Kroaten, Magyaren, Kassuben und Samländer, braune und andere Husaren.“ (Warum schrieb der Mann wie Yoda?)

Die Ouvertüre zur Schlacht bildete das „Reitergefecht bei Liebertwolkwitz“ im Süden von Leipzig am 14. Oktober. General Schwarzenberg, der militärische Führer der Hauptarmee, befahl seinem General Wittgenstein mit 3.000 Mann eine gewaltsame Aufklärung der französischen Stellungen. Diese sollte Wittgenstein schnell finden – denn ihm gegenüber stand der französische General Murat, Schwager des Kaisers und als schneidiger Reitergeneral so eine Art Popstar seiner Zeit, der sich gerne in opulenten Fantasieuniformen zeigte (und später standrechtlich erschossen wurde, aber das ist eine andere Geschichte). Und der war nicht allein, sondern hatte 50.000 Soldaten dabei, die sich in Liebertwolkwitz und den umliegenden Dörfern verschanzt hatten.

Der Strick um Napoleon zieht sich langsam zu

Wittgenstein war um 9.00 Uhr morgens ohne Frühstück und mit Anlauf mitten in den französischen rechten Flügel gekracht. Es gab einige Schießereien, und das Dorf Liebertwolkwitz sollte im Laufe des Tages gefühlt 100 Mal den Besitzer wechseln. Gegen 13.00 Uhr führte Murat eine schneidige Gegenattacke gegen österreichische und russische Kavallerie und entging dabei nur knapp der Gefangennahme. Weswegen er diesen Unsinn für den Rest des Tages ließ. Jeder durfte einmal angreifen und anschließend verteidigen, unterdessen sich immer mehr Truppen der verbündeten Hauptarmee um Leipzig aufstellten. Gegen Abend hatten die Koalitionäre endlich 60.000 Mann um Liebertwolkwitz versammelt – aber keine Lust mehr, anzugreifen. Die Pferde der Kavallerie beider Seiten waren allerdings auch völlig erschöpft. Murat im Gegenzug nahm seine Truppen etwas zurück, und so endete dieses Gefecht mit einem Patt bei leichtem Vorteil Alliierte. Der Strick um Napoleon zog sich langsam zu, zumal die verbündeten Monarchen von den Anmärschen Blüchers und des Kronprinzen Karl-Johann – den wir im Folgenden nun Bernadotte nennen wollen, weil er nicht allzu ernst von den Altadeligen genommen wurde – wussten. 

Während sich also im Süden und Osten von Leipzig die Hauptarmee sammelte, rannte Blüchers Schlesische Armee regelrecht aus dem Norden heran, getrieben von ihrem greisen Feldherrn, der beständig auf Bernadotte und seine „verlausten Schweden“ schimpfte, weil dieser seiner Meinung nach zu zaghaft vorging. Was stimmte. Bernadotte wollte wohl sein schwedisches Kontigent schonen und hatte es nicht allzu eilig, von Nordosten kommend, seinem ehemaligen Gönner, Freund und Ex-Freund seiner Ehefrau Désirée Clairy entgegenzutreten. Auch zur damaligen Zeit gab es interessante Promiskandale. Blücher hatte es dann irgendwann satt und schickte seine Botschaften nur noch an seinen preußischen Generalskollegen von Bülow, der Bernadotte unterstellt war, um wenigstens diesen zu mehr Tempo anzuspornen. Was Moltke Jahrzehnte später bei Königgrätz gezielt geplant hatte – verschiedene Armeen zur gleichen Zeit aufs Schlachtfeld zu führen – hier geschah es, wenngleich mehr aus Zufall, zuerst. 

Der 15. Oktober verging mit elend schlechtem Wetter, kleineren Vorpostenplänkeleien und dem Eintreffen der Verbündeten. Vor Leipzig stellten sich die Verbündeten quasi in einem Halbkreis um Napoleon auf, der mit dem Rücken zur durch die vorangegangenen Regenfälle reißenden Elster stand. Vom Norden ausgehend marschierte der frustrierte und ärgerliche Blücher von Halle aus heran, den zögerlichen Bernadotte im Schlepptau, der es nicht eilig hatte, seine Truppen in den Kampf zu werfen. Im Westen sammelten sich die russischen Reiterkorps und Verstärkungen unter Platow, Schwarzenberg selbst marschierte im Süden und Südwesten Leipzigs mit der Hauptarmee auf. Ganz links von Schwarzenberg aus, schon fast im Osten von Leipzig, rückte General Giulay mit seinen 20.000 Österreichern vor, um, wenn möglich, den Franzosen den Rückzug zu verlegen. Im Nordosten Leipzigs gab es tatsächlich eine Lücke, durch die französische Verstärkungen – was konkret die abgeranzten Reste der vorher besiegten französischen Armeen meinte – heranrücken konnten. Somit war der alliierte Ring um Leipzig nicht ganz geschlossen, sollte sich der kleine Korse zurückziehen müssen, so könnte er dies über die Elster Richtung Westen tun, hier war es – noch – feindfrei, wenngleich russische Kosaken die französisch-sächsische Armee wie Fliegen umkreiste.

Es regnet. Und regnet. Und regnet.

Da ich niemanden langweilen oder mit Expertenwissen prahlen will, verzichte ich auf die detaillierte Aufstellung der Alliierten und Franzosen, für den Verlauf und den Ausgang der Schlacht ist es auch unerheblich, welcher General wo genau auf beiden Seiten postiert war. Wichtig für Sie zu wissen: Die Alliierten fast im Dreiviertel-Kreis um Leipzig, Napoleon mit dem Vorteil der „inneren Linie“ (er konnte also schneller Truppen verlegen, da er kürzere Wege hatte) mittendrin. Am 16. Oktober gab es im Nordosten und im Westen immer noch „Löcher im Sack“ der Alliierten. 

Es regnete. Und regnete. Und regnete. Die Soldaten beider Seiten bauten in den Dörfern alles ab, was sie an Brennholz finden konnten, um sich wenigstens ein wenig zu wärmen, angefangen bei dem kargen Mobiliar der Dorfbewohner und noch lange nicht endend bei den Dachstühlen der Häuser der besetzten Ortschaften. Die vielen hübschen bunten Uniformen dürften so ziemlich einheitlich braun vom Matsch und Schlamm gewesen sein, und nur Kaiser und Generäle dürften wenigstens teilweise das Privileg gehabt haben, ein Dach über dem Kopf zu haben. Der Rest schlief da, wo er gerade hingestellt wurde – wenn er denn konnte. Uniformen und Decken und sonstige Ausrüstungen waren nass und schwer vom Regen und boten alles andere als komfortablen Schutz, die Feldzeugmeister bemühten sich nach Kräften, wenigstens das Pulver trockenzuhalten.

Der alliierte Generalissimus Schwarzenberg hatte den Plan – wenn er denn einen hatte –, die Franzosen an deren rechter Flanke zwischen Connewitz und Wachau zu umgehen und so direkt nach Leipzig vorzustoßen, aber neben der Tatsache, dass er dazu zwischen Elster und Pleiße über sumpfiges Gelände vorrücken musste, hatte er noch drei Monarchen im Rücken, die ihm immer wieder in die Pläne quatschten: Zum einen war da der preußische König, den Napoleon einst als „dumm wie ein Sergeant“ abqualifiziert hatte und der mehr ein lästiges Anhängsel ohne große Einflussnahme war. Dann seinen eigenen Kaiser, Franz I. von Österreich, mit viel Gottesgnadentum gesegnet und Schwiegervater von Napoleon, aber wenig militärischer Ahnung, und den 36 Jahre alten Zaren Alexander I. von Russland, der bei sich selbst „Napoleon-Vibes“ spürte und sich für einen grandiosen Feldherrn hielt. Und Schwarzenbergs Plan rundheraus ablehnte, sodass Schwarzenberg seinen Angriff eher als halbherzigen Kompromiss durchführte, um den Zaren nicht zu verärgern.

Auf 100 Geschütze zumarschieren

Wir beginnen unseren ersten „echten“ Schlachttag, den 16., im Süden. Im Morgennebel, der den Franzosen den Anmarsch der Russen, Preußen und Österreicher verdeckt. Gegen 9 Uhr donnern drei Kanonenschüsse über die Köpfe Napoleons und seines Generals Murat, chic in seiner hübschen Fantasieuniform, hinweg. Es geht los. (Einschub: Die „Völkerschlacht“ war nicht etwa eine einzige Schlacht – sie war vielmehr eine Abfolge von schweren Gefechten mit teils unterschiedlichem Ausgang, und nicht einmal Napoleon dürfte sie alle im Blick gehabt haben.)

Ganz im Süden: Die Preußen sind die ersten, die ins Feuer kommen. Sie erobern das Örtchen Markkleeberg und halten es mehrere Stunden gegen Infanterie, Artillerie und Kavallerie. Rechts neben ihnen stürmen die Russen des Prinzen Eugen unter der Deckung von 48 Geschützen den Ort Wachau. Ein explodierender Munitionswagen löscht die halbe französische Besatzung aus, die andere Hälfte zieht sich zurück, die Russen sind Sieger. Ein paar Minuten lang. Dann lichtet sich der Nebel. Und enthüllt 100 französische Geschütze, die gar nicht groß zu zielen brauchen: Ihre Gegner sind offene Scheunentore. Was sich nun bei Wachau abspielt, könnten vielleicht Veteranen des Ersten Weltkriegs oder der Schlacht um Berlin vorstellen. Die Erde bebt, als Napoleons Batterien einen regelrechten Kugelhagel auf Wachau und die dahinterstehende russische und preußische Artillerie herniederprasseln lassen. Die Russen fliehen, die Preußen probieren ihr Glück und werden grauenhaft zusammengeschossen. Eine Untersuchung, wie viele Mengen Alkohol gebraucht wurden, um Menschen dazu zu bringen, geradeaus auf 100 Geschütze zu marschieren, steht noch aus. Nüchtern und freiwillig dürfte so etwas niemand tun. Es folgt noch ein dritter Versuch, Wachau zu erobern, er scheitert ebenfalls in den Trümmern, die jetzt von den Franzosen besetzt werden. 

Die traurigen Reste der russischen und preußischen Regimenter ziehen sich zurück und schaffen eine Auffangstellung, leicht außerhalb der französischen Geschütze. Bis ungefähr 16 Uhr entwickelt sich hier ein stehendes Gefecht, bei dem keine Seite vorwärtskommt. Ein Patt. 

Schwarzenbergs Plan geht in die Grütze

Weiter rechts versuchen die Russen des Generals Gortschakows gemeinsam mit den Preußen, Liebertwolkwitz einzunehmen, aber der Angriff stockt bereits im ersten Anlauf im Feuer der französischen Artillerie. Hier bleibt es bei einem weitgehend sinnfreiem Artillerie- und Musketenduell bis zum Nachmittag.

Noch weiter rechts. Die Österreicher bemerken, dass die Franzosen die Russen und Preußen vor Liebertwolkwitz festgenagelt haben und greifen das Dorf aus dem Osten an – und nehmen es. Allerdings entwickeln sich die Franzosen nun östlich von Liebertwolkwitz, die Österreicher nehmen Defensivstellungen ein. In Liebertwolkwitz selbst kommt es zu grässlichen Nahkämpfen, die Österreicher werden wieder aus dem brennenden Dorf gedrückt. Auch hier entwickelt sich eine recht sinnlose Schießerei. 

Schließlich erfolgt auf der äußersten rechten Flanke Napoleons der Hauptstoß der Österreicher mit Schwarzenberg selbst. Dummerweise haben die Franzosen die Brücken über die Pleiße abgetragen, der Fluss selbst führt aufgrund der vorangegangenen Regenfälle Hochwasser und hat die Wiesen und Felder überschwemmt. Schwarzenberg ist regelrecht zwischen Elster und Pleiße eingezwängt. Der österreichische Hauptstoß bleibt wortwörtlich stecken. Im Matsch. Zar Alexander hatte ja gewarnt. Lediglich im Westen schaffen es die Österreicher in ihren hübschen, früher einmal weißen Uniformen, Schloss und Dorf Dölitz zu nehmen und gegen halbherzige französische Rückeroberungsversuche zu behaupten. Allerdings verlieren sie ihren General, den Grafen von Merveldt, der in Ermangelung seiner Brille versucht, eine Kompanie Sachsen zu kommandieren, die er aufgrund ihrer weißen Uniformen für Österreicher hält. Folgerichtig wird er vom Pferd gezogen, gefangengenommen und zu Napoleon gebracht.  

Die drei Monarchen beobachten die alliierten Bewegungen vom Wachtberg südlich Güldengossa aus. Alexander und sein Flügeladjutant müssen sich eingestehen, dass Schwarzenbergs Plan nicht ganz so gut war wie gedacht, und Alexander schickt Boten zu Schwarzenberg, um ihn zurückzuziehen. 

Drei Monarchen kommen knapp davon

Die gleiche Situation, nur von der anderen Seite aus, erkennt auch Napoleon: Stehende Gefechte, die alliierte Frontlinie überdehnt und teilweise im Matsch, ohne große Chance, sich weiterzuentwickeln – das versteht er, der alte Fuchs: Auf einen Schlag hört die gesamte französische Artillerie mit ihrer Kanonade auf. Wie ein Rammbock reiten 10.000 französische und sächsische Kavalleristen auf die alliierten Linien zu. Genau mit Zielrichtung auf den „Monarchenhügel“. Nach kurzem Widerstand werden die Infanteristen der Preußen und Russen überritten, die russische Artillerie wird genommen, die Franzosen sehen die Monarchen bereits. Die wiederum sehen, was da auf sie zurollt und besteigen hastig ihre Pferde. Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde sich das Geschick der Welt wenden, wenn es Napoleon gelänge, seine drei erbittertsten Feinde auf einen Schlag gefangenzunehmen. 

Doch dieses welt- und kriegshistorisch einmalige Ereignis wird aus drei Gründen verhindert: ein sumpfiger Teich, ein kleiner Entwässerungsgraben – und die donischen Gardekosaken des Generaladjutanten, des Grafen Orlow-Denisow. Die französisch-sächsische Reiterei steckt in Graben, Sumpf und Teich fest, der tapfere Anritt verwandelt sich in ein stehendes Chaos, russische Artillerie feuert ohne Rücksicht auf die eigenen Truppen in das Knäuel aus Pferden und Menschen. Alles, was an verbündeter Reiterei in der Nähe ist, stürzt sich auf die Franzosen, in kurzer Zeit sieht es auf dem Feld wie in einem Schlachthaus für Menschen und Pferde aus – und es klingt nach Gebrüll, dem Klang von Stahl auf Stahl, Geschrei und Pferdegewieher. Und es riecht auch so. „Heldenhaft“ ist hier, in dieser Hölle, gar nichts mehr. Jeder haut auf jeden ein, die Einheiten lösen sich in Individuen auf. Schließlich fliehen die französisch-sächsischen Kräfte in Richtung ihrer Ausgangsstellungen – oder vielmehr das, was davon übrig ist. Drei Monarchen. Das wäre ihr Preis gewesen. 

Die Mitte wurde also nicht, wie von Napoleon geplant, durchbrochen, aber immerhin hat er mit seiner Infanterie den Kolmberg östlich von Liebertwolkwitz genommen und den kompletten rechten Flügel der Alliierten zum Stehen gebracht. Die rauchenden Reste von Wachau können gehalten werden, und Angriffe aus Dölitz und Markkleeberg wurden abgewiesen. Und das bei Unterzahl und mit unerfahrenen Truppen. Vive le´Empereur!  Dazwischen Verwundete und Tote, die Knochensägen auf beiden Seiten haben jede Menge Arbeit. 

Der Hasardeur setzt alles auf eine Karte

Napoleon weiß natürlich, dass so kein Sieg aussieht, bestenfalls ein Patt besteht, aber er ist clever genug, die Leipziger Kirchenglocken anlässlich seines „Sieges“ läuten und Freund und Feind wissen zu lassen, wer die Oberhand behalten hat. Die Franzosen sind motiviert, der sächsische König in Leipzig mit einer Mischung aus Erleichterung und Verzweiflung, die Moral der Alliierten – nun ja: geht so. Mehr so mittel. Schön war das nicht. Wären jetzt noch die Truppen Neys und Marmonts zur Hand, er könnte gewinnen… Aber beide sind nicht verfügbar. Schuld daran ist ein alter Trinker, Spieler, Haudegen und von den Feinheiten graziler strategischer Planungen völlig unbeleckter General: Gebhardt Leberecht von Blücher, 70 Jahre alt, stoßfest, wasserdicht und als „Papa Blücher“ und „General Vorwärts“ oder „General Pascholl“ außerordentlich ahnungslos, aber ebenso mutig und beliebt. Ein Zocker, der gerne alles auf eine Karte setzt, und dem man, sozusagen als Gouvernante und Handbremse, den kühlen, aber intelligenten General Gneisenau zur Seite gestellt hat.    

Morgens um 9 Uhr, im Norden, bei Blücher. Aus dem Süden ist Kanonendonner zu hören und Blücher hat keine Ahnung, wo die Franzosen sind. Er rückt Richtung Leipzig und Kanonendonner vor. Rechts marschiert das preußische Korps Yorck, links die Russen des Generals Langeron. Hinter ihm als Reserve die Russen des Generals Sacken. Noch weiter links müssten eigentlich die Schweden sein – aber die sind nicht da. Ein Meldereiter überbringt wenigstens eine „Wasserstandsmeldung“: Seine Majestät, der König von Schweden, geruhen, heute nur bis Landsberg zu marschieren und später nachzukommen. Blücher möge doch bitte warten. Blüchers Reaktion ist überliefert – aber nicht druckreif. Es muss ohne die Nordarmee gehen. Ein riskantes Spiel, den damit ist Blüchers linke Flanke offen für Einfälle, und ein komplettes französisches Korps unter General Ney muss in der Nähe sein… Der Spieler und Hasardeur setzt alles auf eine Karte und seine Armee aufs Spiel. 

Ihm gegenüber steht der französische Marschall Marmont, der sich eigentlich gerne mehr auf Leipzig Richtung Wachau ziehen würde, weil da die Schlacht und das Leben und der Tod toben, aber seine Nachhut in Möckern wird von der Vorhut des Generals Yorck aufgescheucht. Relativ planlos prallen beide Heere aufeinander. Nominell hat Blücher 60.000 Mann unter sich, tatsächlich sind es aber nur 20.000, die zum Einsatz kommen. Der Rest ist zu weit zurück, zu weit verteilt. Nur fair: Marmont hat auch nur 20.000 Mann zur Verfügung und schickt Boten mit der Bitte um Verstärkung aus – unter anderem an Feldmarschall Ney, der in der Nähe ist. 

Sieht Napoleon einen Rückzug als Schmach?

Die „Schlacht von Möckern“ besteht eigentlich aus einem Gemetzel um die Dörfer Lindenthal, Wiederitzsch und Möckern, in denen sich Franzosen und Polen verschanzt haben. Vor allem hinter dem Dorf Möckern versteift sich der französische Widerstand. Sechs Angriffe auf Möckern müssen die Preußen durchführen, bevor sie diese Schlüsselstellung erobern. Sechs Angriffe, von denen fünf im schweren französischen Artilleriefeuer liegenbleiben. Die das Dorf Wiederitzsch verteidigende polnische Division Dombrowski wehrt sich mit 4.000 Mann tapfer gegen Langerons fünffache russische Übermacht und wird fast aufgerieben. Von Osten her nähert sich General Ney mit seinen Truppen – greift jedoch nicht ein, da er gleichzeitig eine Depeche von Napoleon erhält, er möge sich nach Wachau begeben. Und weil „Ober“ „Unter“ sticht, dreht Ney um und marschiert nach Süden. Zu dem Gefecht dort kommt er aber auch nicht rechtzeitig. Ney verplempert den Tag mit sinnlosem Hin-und-her-marschieren. Funkgeräte wären jetzt hilfreich, aber die sind noch nicht erfunden. 

Gegenüber Möckern stehen nun 50 französische Geschütze – gedeckt von französischer Infanterie in Quadratformation (sogenannten „Karrees“), die es der Reiterei unmöglich macht, sie anzugreifen. Wenn also die Geschütze ausgeschaltet werden sollen, müssen zuerst die Karrees und einige hastig aufgeworfene französische Schanzen „geknackt“ werden. Das wiederum geht ebenfalls nur mit Infanterie. Zwei preußische Brigaden gehen los, knacken tatsächlich ein paar Karrees – und bleiben einmal mehr im Artilleriefeuer liegen. Es geht nichts mehr. Auf beiden Seiten. Die Toten stapeln sich, die Preußen sind verzweifelt. Ein letzter Angriff mit der Kavallerie und der Reservekavallerie soll es richten – und der Angriff, zur Überraschung der Preußen – er gelingt. Fünf französische Karrees werden überritten, gesprengt, die Franzosen und ihre Verbündeten flüchten, 53 Kanonen, über 200 Wagen, zwei Fahnen, 2.000 Gefangene und – nicht zuletzt – ein Adler fallen den Preußen in die Hände. Der Preis: 172 tote Offiziere, 5.508 Unteroffiziere und Mannschaften. Beide Seiten sind total erschöpft, erst kurz vor Leipzig kann Marmont die Trümmer seiner Armee einigermaßen sammeln. 

Zwischenstand: Napoleon 1. Verbündete 1. 

Die Nacht bricht herein. Es schüttet wie aus Eimern. Es ist kalt. Schwarzenberg gibt den Befehl, die Truppen mögen die Stellungen halten, wo sie sich gerade befinden. In Leipzig besetzen die noch nicht in der Schlacht befindlichen Reserven die Bürgerhäuser. In den Straßen stapeln sich die Verwundeten regelrecht. Napoleon könnte sich jetzt noch einigermaßen stressfrei zurückziehen. Sein Rückzugsweg nach Westen ist noch offen. Sieht er den Rückzug als Schmach? Würde er so nicht seinen Verbündeten, den König von Sachsen, verraten? Dessen Soldaten haben längst die Nase voll davon, sich von dem kleinen Korsen gegen die eigenen Landsleute verheizen zu lassen. Tatsächlich erfährt Napoleon auch von Marmonts Niederlage bei Möckern, aber sieht auch seine Rückzugslinie noch nicht unmittelbar bedroht, obwohl im Südosten von Leipzig bereits ein österreichisches Korps aufmarschiert ist, aber vorerst noch von seinen Truppen unter General Bertrand gestoppt wurde.

Husarenritt quer durch die französischen Linien

Bei den Alliierten, im Süden, treffen laufend Verstärkungen ein. Die Feldposten rufen sich gegenseitig an, gelegentlich kracht ein Schuss – wenn er denn zündet. Schwarzenberg zieht den Ring langsam enger, die Schlinge um Leipzig zieht sich zu. Noch ist nichts verloren. In Leipzig schickt Napoleon den gefangenen General Merveldt unter der Auflage, nie wieder gegen ihn zu kämpfen, ins Lager der Verbündeten. Er ist bereit, alle Friedensvorschläge Metternichs, die der ihm in der letzten Konferenz während des Waffenstillstands gemacht hat, zu akzeptieren. Die haben dazu jetzt aber keine Lust mehr und geben nicht einmal eine Antwort. 

Während auf Leipzigs Straßen im Dauerregen gestorben wird, beschließt man im alliierten Hauptquartier den Generalangriff für den nächsten Tag. Diesmal sollen alle auf einmal angreifen. Nur: Wie soll man Blücher davon in Kenntnis setzen? Bei einem koordinierten Angriff müssen auch er und die Nordarmee dabei sein. Der ungarische Graf István Széchny übernimmt den Job, die Preußen im Norden zu informieren und geht ein irres Wagnis ein: Statt ostwärts um die im Halbkreis aufgestellte Front zu reiten, will er quer durch die französischen Linien zu Blücher. Und: Der Coup gelingt! Unbemerkt von den Franzosen, von denen wohl niemand mit einer derartigen Dreistigkeit rechnet, erreicht Széchny ganz nach Husarenart den alten General. 

Blücher war sofort Feuer und Flamme – aber wo war Bernadotte? Der schwedische Kronprinz und seine entspannte Nordarmee? In Breitenfeld war er, bei lecker Schnittchen und gutem Essen und erklärte dem herbeizitierten Blücher armwedelnd und sehr ausführlich, warum es ihm unmöglich sei, am 18. in die Kämpfe einzugreifen. Die Drohungen des englischen Gesandten Stewart, dass sich Bernadottes Verhalten auf die englischen Subsidien und die Drohungen Blüchers, dass sich sein Zögern auf seine Gesundheit auswirken könnten, setzten den schwedischen Kronprinzen endlich in Bewegung. 

Die Alliierten sortierten ihre Verstärkungen, die Franzosen begannen gegen Abend, ihren Rückzug zu organisieren. Sie verminten die einzige Brücke über die Elster, die noch da war und verbrannten die Wagen, die sie nicht mitnehmen können würden.  

Und es regnete. Und regnete. Und dann regnete es nicht mehr. 

Erbitterter Kampf an allen Fronten

Der Morgen des 18. Oktober sieht mit der endlich wieder einmal aufgehenden Herbstsonne im Norden Blücher, der sich bis Gohlis vorgeschoben hat, Bernadottes Nordarmee, die soeben aufmarschiert, die Reste von Marmonts Korps, hart an den Mauern von Leipzig. In Leipzig schleppen sich die Halbtoten in die Spitäler und Bürgerhäuser oder über die Elster, die ganz Toten werden geplündert. Die Frontlinie ist satte 15 Kilometer lang, 128.000 Franzosen und Sachsen stehen etwa 270.000 Verbündete gegenüber. Zwischen den Frontlinien: Tote und Verwundete und Pferdeleichen, Trümmern von Dörfern und Artillerie und ein bestialischer Gestank aus hunderten, aus tausenden Latrinen. 

Schwarzenberg will es diesmal besser machen: Seine böhmische Hauptarmee soll am rechten Ufer der Pleiße angreifen, Einsatzziele sind Connewitz, Probstheida und Stötteritz. Hier haben die Verbündeten 145.000 Mann, die gegen 85.000 Franzosen antreten werden. Auf dem linken Elsterufer, also im Westen Leipzigs, liegen 20.000 Österreicher vor Lindenau, kommen aber gegen die Franzosen dort nicht weiter. Im Nordosten hat endlich Ney seine Positionen gefunden, ihm gegenüber steht nun Bernadottes Nordarmee, der von Blücher noch ein paar tausend Mann abgezwackt hat, da er sichergehen will, nicht zu verlieren. Blüchers schlesische Armee mit jetzt noch lächerlichen 25.000 Mann hat im Norden Aufstellung genommen. 

Als die russischen Kosaken unter General Platow Fühlung zur Nordarmee aufnehmen wollen, überraschen sie bei Engelsdorf und Paunsdorf den französischen Nachschub, der voller Panik flieht (man kennt sich wohl aus Napoleons Russlandfeldzug) und einige Einheiten mit sich reißt. Der österreichische General von Klenau bemerkt die Panik und lässt angreifen. Was jetzt folgt, ist ein stundenlanges Gemetzel ohne jeden großartigen strategischen Plan. Die Generäle sind ausweislich der schieren Massen der Soldaten völlig überfordert, Befehle, die gegeben werden, sind, bis sie ihre Adressaten erreichen, schon wieder überholt – wenn sie ihre Empfänger überhaupt erreichen. Von der Sonne ist aufgrund des Pulverdampfes überhaupt nichts zu sehen, Landmarken als Orientierung verschwinden. Probstheyda, südwestlich von Leipzig, wird dreimal erobert und geht dreimal verloren, an allen Fronten wird erbittert gekämpft. 

Die Garde zieht sich zurück

Merkwürdige Dinge geschehen: Mitten in einem französischen Angriff drehen die Sachsen um und greifen ihre französischen Verbündeten an. So schildern es französische Quellen. Preußische Quellen schildern eher eine geordnete Übergabe und das Verbringen der Sachsen hinter Blüchers Front. Das Gleiche passiert der mit den Franzosen verbündeten württembergischen Reiterei, schließlich schließt sich im Osten, in Paunsdorf, eine komplette sächsische Division an und ergibt sich den Russen. 

Um das Örtchen Schönfeld, im Norden Leipzigs, entbrennt ein erbitterter Kampf zwischen Neys Franzosen und den Russen des Generals Langeron. Ein komplettes russisches Regiment geht verloren, mittendrin die Bewohner, die in die Kirche geflüchtet sind. Keine gute Idee, denn der Kirchturm brennt und stürzt in sich zusammen und in die ebenfalls brennende Kirche. Es stinkt nach verbranntem Fleisch und Staub. Viermal müssen die Russen die Ruinen erobern, dann halten sie ihn gegen Abend zu einem unglaublichen Blutzoll von 4.000 Mann.

Blüchers geschwächte Preußen greifen die französischen Verschanzungen am Halleschen Tor an. Dabei setzen sie das dortige Lazarett in Brand – 300 Verwundete verbrennen bei lebendigem Leib. Aber auch er geht nicht weiter vor. Unterdessen ziehen sich die ersten Truppen Napoleons aus der Stadt Richtung Westen zurück – natürlich die besten von ihnen, die Garde, die „Unsterblichen“, die stets „schlachtentscheidend“ eingesetzt werden, wenn die Linientruppen bereits die Drecksarbeit erledigt haben. 

Im Westen standen noch die österreichischen Truppen Giulays bei Lindenberg, ihnen gegenüber General Bertrands Franzosen. Die Österreicher greifen zwar nicht an, können aber dort nicht bleiben, weil Bertrand nach Weißenfels abziehen soll, weg vom Schlachtfeld. Nach kurzem Gefecht gelingt es den Franzosen, die Österreicher zum Rückzug zu bewegen, die Lebensader nach Frankreich über die Elster bleibt frei und Napoleon versucht, seine Truppen abzuziehen, sie quasi wie Luft aus dem Ballon Leipzig durch das Nadelöhr einer einzigen Brücke langsam herauszulassen.

Unter den gegebenen Umständen hatten die Franzosen auch diesen Schlachttag unter grauenhaften Verlusten gewonnen: Die Front hatte gehalten, wenngleich einige Dörfer verloren waren. Der Rückzug verlief vielleicht nicht planmäßig, aber die ersten Truppen waren über die Elster und auf dem Weg nach Weißenfels. 

Entkommt Napoleon?

Bei den Verbündeten war man abends im Hauptquartier nicht ganz unzufrieden mit dem Verlauf der Schlacht. Zumindest hatte man nicht verloren und rechnete mit einem Abzug Napoleons. Wozu also am nächsten Tag nochmals angreifen, wenn sich der Feind doch sowieso zurückzog? Die Stadt selbst war im Übrigen komplett dicht. Überfüllt von Soldaten und stockenden oder umgefallen Wagen bildeten sich Stauungen, auf denen es kaum ein Vorwärtskommen gab, ganz Leipzig war ein einziges Chaos aus schreienden und fluchenden Männern, die zu entkommen versuchten. Das typische Bild einer besiegten Armee. Und trotzdem: Nach und nach zogen sich die Franzosen zurück, ließen aber zur Täuschung ihre Wachfeuer an. Sollte es Napoleon wirklich gelingen, zu entkommen?

Als der Morgen des 19. Oktober heraufdämmerte, rieben sich die Vorposten der Verbündeten die Augen, nachdem sich der Nebel gelichtet hatte. Die Franzosen ihnen gegenüber waren – weg. Verschwunden. Wie es die alliierten Feldherren, die ihr Hauptquartier satte 15 Kilometer hinter der Front in Rötha hatten, vorausgesehen hatten. Nur das Stöhnen der Verwundeten war noch zu hören. Aufgrund der durch die Entfernung ausbleibenden Befehle tat die alliierte Armee zunächst einmal – nichts. 

Gegen Mittag machten sich die Monarchen auf den Weg und beschlossen, in Leipzig einzuziehen, sofern möglich. Während des Marsches flogen Beförderungen und Orden wie Kamellen unter Offiziere und Mannschaften, aus Leipzig kam eine Abordnung und bat um Schonung der Stadt, die ihr großzügig gewährt wurde. Im Norden hingegen hatte man für diesen fröhlichen Mumpitz keine Zeit. Blücher und der sich plötzlich seines ursprünglichen Berufs besinnende Kronprinz von Schweden machten sich selbstständig und griffen nun Leipzig an. Die Geschosse aus 60 Geschützen krachten hier in die Mauern der unglücklichen Stadt. Durch ein Loch in der Mauer dringen die Preußen in die Stadt ein und öffnen das Grimmaische Tor. Die Straßen werden im Nahkampf mit dem Bajonett erobert, bis die Franzosen, auf dem Postplatz in der Halleschen Vorstadt zusammengedrängt, sich ergeben. Im Süden haben mittlerweile auch etwa 2.000 Russen ohne weitere Unterstützung die Mauern überwunden und liefern sich harte Gefechte mit den polnischen Einheiten des frischgebackenen Marschalls Poniatowski.

Die Verbündeten fallen reihenweise vom Kaiser ab

Gegen 9:30 verlässt Napoleon den sächsischen Monarchen, dem er um 9.00 Uhr seine Aufwartung gemacht hat und verabschiedet sich von der sächsischen Garde mit den Worten: „Dient Eurem König gut“. Dieser erwartet nun die Verbündeten, die über sein weiteres Schicksal entscheiden werden. Seine eigene Leibgarde haut ihn durch die Körper seiner Soldaten bis über die Elsterbrücke, von da aus reitet der Kaiser nach Lindenau, von wo er die weiteren Schritte dirigiert. Währenddessen steht ein einsamer französischer Korporal mit vier Pionieren an der wichtigsten Brücke im Umkreis von 20 Kilometern und hat die Anweisung, diese zu sprengen, „wenn der Feind erscheint, um sich der Brücke zu bemächtigen“. Da steht er nun, der Korporal und wird in den nächsten Minuten tausende seiner Landsleute seinem Kaiser entziehen. Tatsächlich lässt sich jetzt eine Handvoll, eine kleine Schar russischer Jäger blicken, die schon fast mehr aus Spaß in das Chaos auf der Brücke feuern. Der arme Korporal, in Unkenntnis der wahren Stärke der Russen, will nichts falsch machen und sprengt die Brücke. Mit allem, was sich darauf befindet. Mit einem ohrenbetäubenden Knall fliegt das Bauwerk in die Luft und wird so zum Fanal für den Schlussvorhang des Dramas. 

Was sich von den Franzosen jetzt nicht sofort ergibt und die Gewehre wegwirft, versucht, sich durch die aufgrund der Regenfälle zur Sturzflut angeschwollene Elster zu retten. Nur den wenigsten gelingt das: Marschall Fürst Poniatowski gelingt es nicht, er ertrinkt, Marschall Macdonald hingegen schafft es ans andere Ufer, sein Stabschef nicht. Hunderte ertrinken, tausende Franzosen treten mit dem „Gewehr bei Fuß“ an und warten auf ihre Entwaffnung. Es ist vorbei. 

To cut a long story short: Militärisch gibt es für die Verbündeten ein Happy End, die Monarchen reiten zwischen 15.000 Toten und Verwundeten ein und versichern dem sächsischen König seine Unversehrtheit, Blücher wird Feldmarschall, ja vielen Dank auch. Die Leipziger verbringen die nächsten Monate damit, die den „Heldentod“ Gestorbenen so schnell wie möglich zu verbrennen oder zu verbuddeln und auszuplündern, trotzdem kommt es in der Stadt zu Epidemien. 

Napoleon zieht sich in Richtung Westen zurück. Sein ehemaliger Rheinbund liegt in Trümmern, seine Verbündeten fallen reihenweise von ihm ab. Speziell die Bayern können sich gar nicht schnell genug vom Kaiser lösen, und um ihre neue Loyalität zu beweisen, stellt sich der bayerische General Wrede Napoleon bei Hanau in den Weg. Der tritt ihn zur Seite wie einen räudigen Hund und setzt seinen Marsch fort. 

Der Feldzug gegen Napoleon wird noch einige Monate dauern, in der Silvesternacht 1813/1814 setzen Blüchers Preußen bei Kaub über den Rhein und erreichen als erste Frankreich. Aber das – und der von Napoleon fulminant geführte, aber letztlich aussichtslose Feldzug in Frankreich – ist eine andere Geschichte.  

 

Thilo SchneiderJahrgang 1966, freier Autor und Kabarettist im Nebenberuf, LKR-Mitglied seit 2021, FDP-Flüchtling und Gewinner diverser Poetry-Slams, lebt, liebt und leidet in der Nähe von Aschaffenburg.

 

Foto: Pixabay

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Hans Bendix / 16.10.2023

Nun, soweit mir erinnerlich, war der ambitionierte Korse für mehr Tote verantwortlich als jeder andere vor dem mindestens ebenso ambitionierten Postkartenmaler aus Braunau/Inn. Das ist wie ein Fluch der Geschichte. Auch Caesar fragte sich vor dem Standbild Alexanders, was er denn bislang geleistet hätte, nachdem der Makedonenlümmel die halbe Welt erobert hatte, bevor er alt genug war, sich täglich rasieren zu müssen. Und so mußte dann Gallien romanisiert werden, um Caesars Ehrgeiz zu befriedigen. Auch unser geliebter Führer legte wohl ähnliche Maßstäbe an sich an, nachdem er mit dem Postkartenmalen an der Aufnahme zur Kunstakademie gescheitert war. Der Herr verschone uns vor denen, die sich zu Großem berufen fühlen, denn wahre Größe liegt in der Bewältigung des Alltäglichen. - Wurde Friedrich-Wilhelm III. beim wiener Kongreß nicht als “König Infinitiv” verspottet, weil er er für unter seiner Würde hielt Verben zu beugen? - War Zar Alexander nicht so sehr von dem korsischen Zwerg eingenommen, daß er Friedensverhandlungen auf einer künstlichen Insel in der Memel führte? - Hat Papst Pius nicht aus Furcht die Ehe des Korsen mit der westindischen Josephine annulliert, damit man diesem eine Kaisertochter andienen konnte? - Hat L´Empereur nicht den klugen (und wendigen) Talleyrand als “Scheiße in seidenen Stümpfen” bezeichnet? - Wurde Kanzler Schuschnigg nicht von “größten Feldherrn aller Zeiten” niedergebrüllt, als er es wagte, sich im Berghof eine Zigarette anzustecken? - Hat Olaf le rouge den Terroranschlag auf Israel nicht mit Fischbrötchen abgewehrt? - Menschen mit überbordenden Ambitionen erkennt man meist weit vor der Zeit an ihren schlechten Manieren.

Klaus jürgen Bremm / 16.10.2023

Heute haben wir die von Macron dominierte EU. Da drücken wir unser Geld ganz freiwillig ab und lassen uns von den Franzosen wieder gerne kujonieren.

Holger Kammel / 16.10.2023

Herr Maar, wenn Sie nationalen Größenwahn suchen, werden Sie quer über die Jahrhunderte in Frankreich weit eher fündig,(Grande Nation.) Preussen/Deutschland war die friedlichste Großmacht dieser Zeit. Entgegen der allierten Kriegspropaganda hatte das “militaristische” Deutschland 1914 die kleinste Armee, bezogen auf die Bevölkerung, die geringsten Militärausgaben und vor allem in den Dezennien vorher nur einen Bruchteil der Kriege geführt im Vergleich zu England, Frankreich und Rußland. Es gab auch nur einen Versuch, den Krieg zu stoppen, unternommen ausgerechnet vom vielgescholtenen Wilhelm II (Mein lieber Niki.) Wenn man sich die Rolle Frankreichs in der Vorkriegszeit anschaut, kann man eigentlich nur zu einem Schluß kommen: Diesen Krieg wollte Frankreich als Revanchekrieg für 1870/71 und hat zielstrebig über 40 Jahre darauf hingearbeitet. Es hat unter anderem den russischen Zaren geradezu zur Teilnahme erpresst. Die eigentliche Kriegserklärung war die russische Generalmobilmachung, denn damit stand Deutschland mit dem Rücken zur Wand. Zum eigentlichen Artikel: Die geografischen Angaben sind zeitweise derartig verwirrend, daß ich zwischendurch erwartet habe, Napoleon hätte sich nach der Schlacht nach Warschau zurückgezogen. Der Meinung einiger über den Massenmörder Napoleon schließe ich mich ausdrücklich an. Komisch eigentlich, wenn man sich die Geschichte der französischen Revolution bis an das Ende der napoleonischen Kriege betrachtet, die Zeit des Terrors, die Völkermorde in der Vendee und der Bretagne, später in Spanien und die ewigen Kriege, dann drängen sich schon Vergleiche zum dritten Reich auf.

Xaver Huber / 16.10.2023

Herr Thomas Kache mag - excusez-moi - ansatzweise distinguiert formulieren, inhaltlich muß ihm leider widersprochen werden. Weder der „Georgier“ war paranoid, noch der „Österreicher“ psychopathisch. Vielmehr strebten beide wie jeder Mensch innerhalb ihres sozio-politischen Kontextes danach, zu „optimieren“. Die Umstände brachten bekannte Ergebnisse hervor… - wobei - dieser Nachtrag sei demütigst erlaubt - der General a.D. Gerd Schultze-Rhonhof seine Monographie berechtigt mit „1939 - Der Krieg, der viele Väter hatte“ überschrieb. »Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.« Voltaire (1694 - 1778)

Gerd Maar / 16.10.2023

Die Preussenfanatiker sterben nie aus…

Xaver Huber / 16.10.2023

Allein für das Protokoll: Herrn Gerd Maars historischer Interpretation sei nachdrücklich widersprochen. Preußen, eigentliche handelt es sich um Brandenburg, war wie ALLE anderen europäischen Königreiche weit von der Perfektion entfernt, doch dürfte es schon aus dem Rückblick des 21. Jahrhundert das summa summarum wie auch in toto BESTE STAATSGEBILDE gewesen, was SICHER auf deutschem Boden und WAHRSCHEINLICH auch innerhalb EUROPAS existierte. Insofern kann der gegenwärtige Bundespräsident sein Verdikt, das gegenwärtige Deutschland sei das beste Deutschland, das es je gab, nur satirische gemeint haben; insbesondere in seiner Stellung als Nachfolger des deutschen Kaisers.

Matthias Ditsche / 16.10.2023

Dr. Lucas, Napoleon hatte mit Sicherheit nicht die Freiheit der von ihm unterjochen Völker im Sinne. Französische Besatzung hieß schon immer Zwang, Schikane, Willkür und im Falle Deutschlands die nationale Demütigung zur Folge. Diese steigerte sich bis ins unerträgliche für die deutsche Bevölkerung und hat somit einen Haß erzeugt, über den sich die Franzosen nur wundern konnten. Verstanden haben die das nie, nichtsdestotrotz ist dieser Haß letztendlich Frankreich bei Leipzig und Waterloo auf die Füße gefallen. Auf die Art von Freiheit konnte man getrost verzichten, das sahen die Spanier und Niederländer ganz genauso. Herr Maar, das ist nicht richtig. Preußens Vormachtstellung hatte andere Gründe und notwendig, sonst wäre das Rheinland irgendwann doch französisch geworden, Preußen fungierte hier als Schutzmacht, auch für die anderen deutschen Staaten. Belgien stand unter britischen Schutzstatus, nur so gelang es,, das aggressive Frankreich für gewisse Zeit in Schach zu halten.

Xaver Huber / 16.10.2023

Mindestens ein Textpassus streift den historisch stiefmütterlich behandelten Umstand, in welchem Maße die „Soldaten“ aufgrund mangelnder Logistik heute unvorstellbaren Qualen ausgesetzt waren. Das vielzitierte „schlafen unter der Muskete“ umschrieb eu-phemistisch die physiologisch notwendige tägliche Ruhephase auf nacktem Boden, umschützt von wenig mehr als der tragenden Kleidung, der annähernd wohl nur die der Zivilbevölkerung gleichkam.

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