Blicken wir in ein Buch, in dem die Dogmen deutscher Nahostpolitik widerlegt werden und dessen Rezension eine deutsche Zeitung wegzensierte. Dabei ist es ein gutes Gegengift zu dem verbreiteten Gift des Nichtwissens.
Über einen schockierenden Fall von Zensur in der FAZ berichteten wir im Februar an dieser Stelle: Ein missliebiger Beitrag war dort nach (!) Erscheinen von der Website gelöscht worden. Was war geschehen? Thomas Thiel, Feuilletonredakteur der FAZ, hatte das von den Juristen und Völkerrechtlern Wolfgang Bock, Andrew Tucker und Gregory Rose verfasste Buch Two States für Two Peoples? The Palestinian-Israeli Conflict, International Law and European Union Policy rezensiert. In dem Buch werden Dogmen deutscher Nahostpolitik widerlegt wie das, wonach „die Palästinenser“ ein „Recht“ auf einen „eigenen Staat“ zwischen Jordan und Mittelmeer hätten. Thiels Besprechung fiel insgesamt recht positiv aus. Die Folge: Teile der FAZ-Redaktion tobten. Was dann passierte: Thiels Beitrag wurde von der FAZ aus dem Internet gelöscht; die FAZ entschuldigte sich für Thiels Text und begründete die Löschung mit Fehlern, die der Beitrag angeblich aufweise. Die sogenannte „Korrektur“ wiederum war selbst höchst fehlerhaft und bewies, dass nicht sachliche, sondern ideologische Gründe ausschlaggebend waren für diesen Akt der Zensur.
Dieser Tage feiert die Welt den 75. Geburtstag des Staates Israel. Ein guter Anlass, das von der FAZ verfemte Buch zu würdigen.
Vorweg: Es ist keine leichte Lektüre. Das Buch handelt vom Völkerrecht. Warum sollte das einfach sein? Wohl niemand würde glauben, Versicherungs- oder Luftfahrtrecht wäre eine leichte Angelegenheit, die man lernt, wenn man beim Frühstück ein paar Zeilen darüber in der FAZ liest. Aber wenn es um das Völkerrecht geht, existiert der Irrtum, dass man es lernen könne wie einen Katechismus und dass Politiker und Journalisten berufen seien, die Artikel dieses Katechismus festzulegen.
Waffenstillstandslinien sind keine Grenzen
Wer macht sich, wenn es um Israel geht, die Mühe, in Gesetzen und Abkommen nachzulesen, was dort eigentlich wirklich steht? Wer kennt die völkerrechtlichen Grundlagen der israelischen Staatsgründung, wie die Balfour-Deklaration und die Konferenz von San Remo 1920? Wer weiß, dass 1922 bereits der größte Teil des britischen Mandatsgebiets Palästina – drei Viertel! –, wo laut dem Willen des Völkerbunds eine Heimstätte des jüdischen Volkes gegründet werden sollte, abgespalten und somit dem Vorhaben von Anfang an entzogen wurde und heute Jordanien heißt (obwohl der Staat ebensogut „Palästina“ heißen könnte)? Wer weiß, dass die oft zitierten „Grenzen von 1967“, auf die sich Israel angeblich zurückziehen müsse, in Wahrheit die Waffenstillstandslinien von 1949 sind – und in den damaligen Waffenstillstandsabkommen ausdrücklich steht, dass es sich nicht um Grenzen handelt und die Verträge solche Grenzen auch „nicht vorwegnehmen“?
All das zu wissen, ist nicht nur mit Mühe verbunden, sondern auch mit der Gefahr, sich von der Herde zu entfernen, wenn man durch eigenes Lesen und Nachdenken zu einer anderen Ansicht käme als der, die der Masse gepredigt wird.
Das vorliegende Buch ist das Gegengift zu dem verbreiteten Gift des Nichtwissens. Bei manchen Büchern ist der Preis nicht nur in Form des Kaufpreises im Laden zu entrichten, sondern in Form von Anstrengung beim Lesen. Man bekommt – wie im Leben so oft – das, wofür man arbeitet. Das ist der Unterschied zu Propaganda. Ihr zu folgen, ist leicht. Der Verstand kann ruhen, und wenn man darauf eingerichtet ist, der Propaganda zu folgen, dann erfreut sie das Gemüt und verleiht Behaglichkeit, wie warmer Kakao an kaltem Winternachmittag.
Wolfgang Bock, Andrew Tucker und Greg Rose beginnen ihre Untersuchung mit der Feststellung, dass die Politik der EU gegenüber dem Staat Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde auf drei Dogmen basiere:
- Dass der palästinensisch-israelische Konflikt ein Streit um Territorium sei
- Dass die Westbank den Palästinensern gehöre und diese das Recht hätten, dort einen Staat zu gründen
- Dass ein friedlicher und sicherer palästinensischer Staat in der West Bank möglich sei.
Am Anfang europäischer Nahostpolitik war eine Erpressung
Jedes Mal, wenn die EU zum x-ten Mal wiederholt, wie ihrer Meinung nach „Frieden zwischen Israel und den Palästinensern“ hergestellt werden könne, muss man sich in Erinnerung rufen, dass die Position der EU das Ergebnis einer Erpressung war. Nachdem Ägypten und Syrien am 6. Oktober 1973, unterstützt von einem Block von Diktaturen (Irak, Libyen, Jordanien, Sudan, Algerien, Marokko, Kuba und die UdSSR), während des jüdischen Jom-Kippur-Festes den Staat Israel überfallen und in die Defensive gedrängt hatten, befahl der damalige amerikanische Präsident Richard Nixon, eine Luftbrücke mit Waffen und Munition zu errichten, um Israel vor einer Niederlage, die die Vernichtung hätte bedeuten können, zu retten. Israel wendete das Kriegsglück, ging in die Offensive über und hätte am Ende Kairo und Damaskus erobern können, wenn es gewollt hätte. Aus Zorn über den amerikanischen Beistand verhängte die OPEC einen Ölboykott gegen Unterstützer Israels, darunter die USA, Großbritannien und die Niederlande. So jedenfalls die gängige Erzählung.
Es ist gut möglich, dass es Saudi-Arabien in Wahrheit nur darum ging, höhere Preise für sein Erdöl durchzusetzen. Dies gelang in jedem Fall; Öl und Benzin wurden so teuer wie nie zuvor und in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) machte sich Angst breit. Die damals aus neun Staaten (Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Irland, Dänemark, Belgien, die Niederlande und Luxemburg) bestehende EWG tat das, was sie am besten konnte, sie gab der Erpressung nach. Nur vier Wochen nach dem arabischen Überfall auf Israel legte die EWG ihre Position am 6. November 1973 in einer Erklärung dar, die keine Kritik an der unprovozierten Aggression übte, sondern dem Staat Israel alle Schuld zuschob und die alleinige Verantwortung dafür, etwas zu tun, nämlich „die territoriale Besatzung“ zu beenden, die es „seit dem Konflikt von 1967 aufrechterhält“.
Einen „gerechten und dauerhaften Frieden“, hieß es weiter, könne es nur geben, wenn die „legitimen Rechte der Palästinenser“ „berücksichtigt“ würden. Vertreten, aus der Sicht westeuropäischer Regierungen, wurden die Palästinenser damals wie heute von der genozidalen Terrororganisation PLO, die 1964 (drei Jahre vor der „Besatzung“ von 1967) gegründet worden war. Gegründet, um Israel zu zerstören, nicht um in damals von Jordanien und Ägypten besetzten Gebieten des einstigen Mandatsgebiets Palästina einen „palästinensischen Staat“ zu errichten.
Die Autoren zeigen, wie die EWG nach 1973 und mehr noch nach der Erklärung von Venedig im Jahr 1980 ihre Position in die Sprache des Völkerrechts kleidete; diese juristischen Argumente aber, so die Autoren, „waren vor allem entwickelt worden, um die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Europäer und ihre eigenen Konzepte von Gerechtigkeit voranzutreiben“. Die „Sprache des Völkerrechts“ sei für die EWG/EU ein „Schild“, der einen scheinbar objektiven Grund bietet, sich auf die Seite der arabischen Regimes zu stellen, statt auf die Seite Israels.
Die europäischen Regierungen argumentieren, die von Jordanien und Ägypten im Krieg von 1948 eroberten Territorien – weite Gebiete westlich des Jordans, die Altstadt von Jerusalem mitsamt dem Tempelberg, der Klagemauer und dem jüdischen Viertel sowie der Gazastreifen – gehörten „den Palästinensern“. Das, so wollen sie glauben machen, sei „Völkerrecht“. Basta. Dabei berufen sie sich auf Beschlüsse der UNO und des Internationalen Gerichtshofs, die aber, wie Bock, Tucker und Rose deutlich machen, ebenfalls den politischen Mehrheitsverhältnissen folgen und nur den Interessen einer Seite dienen: also wieder Politik unter dem Deckmantel des Rechts. Wo man Müll reinsteckt, kommt Müll raus.
„Die Palästinenser“ sind kein völkerrechtliches Subjekt
Um zu haltbaren völkerrechtlichen Ergebnissen zu kommen, wer welche Ansprüche geltend machen kann, bedarf es einer Argumentation auf der Grundlage dessen, was auch sonst in der Welt als geltendes Völkerrecht betrachtet wird. Hier zeigt sich, wie hohl das Schlagwort von den „Rechten der Palästinenser“ auf einen „eigenen Staat“ ist: Nirgendwo sonst auf der Welt wird jeder sprachlichen, nationalen oder ethnischen Gruppe das Recht auf einen eigenen Staat zugesprochen. Im Gegenteil war es seit der Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945 deren – von allen Großmächten unterstützte – Politik, genau solchen Tendenzen einen Riegel vorzuschieben. Bis zum Zerfall der Sowjetunion galt es als fundamentaler Grundsatz, dass Grenzen, die aus der Kolonialzeit übernommen worden waren, nicht verändert werden dürfen.
Gerade in Afrika waren und sind Staatsgrenzen kaum irgendwo identisch mit den Grenzen von Siedlungsgebieten von Ethnien und Stämmen. Man würde eine Büchse der Pandora öffnen, wenn man die Staatsgrenzen gemäß einem angeblichen universellen Recht auf „Selbstbestimmung“ neu ziehen würden. Sezessionen wie die der rohstoffreichen Provinz Katanga, die sich 1960 vom Kongo lossagte, wurden von der UNO nicht unterstützt, sondern bekämpft. Es galt Uti possidetis jure: „wie ihr [innerhalb der Grenzen des bislang bestehenden Rechts] besitzt, so sollt ihr in Zukunft besitzen“.
Bock, Tucker und Rose kommen zu dem Urteil, dass dieser Grundsatz des Völkerrechts bezogen auf das einstige Mandatsgebiet Palästina bedeutet, dass der Staat Israel für das gesamte Territorium der Inhaber mit den besten Rechten ist. Denn Israel war der einzige Staat, der 1948 auf diesem Territorium ausgerufen wurde. Dass Jordanien und Ägypten durch einen Eroberungskrieg widerrechtlich einen Teil des Gebiets zeitweilig (bis 1967) besetzten, könne kein neues Recht schaffen.
Das Gebiet kann auch nicht, wie es die Küchenjuristerei gelegentlich behauptet, denjenigen „gehören“, die dort gerade leben. Nur Staaten können völkerrechtliche Subjekte sein, erklären die Autoren; schließlich gehen die völkerrechtlichen Rechte, die Staaten haben, mit Verpflichtungen einher, die nichtstaatliche Subjekte gar nicht erfüllen können – etwa, was den Aufbau und Erhalt von Infrastruktur sowie das Schließen und Einhalten von völkerrechtlich bindenden Verträgen betrifft. Die Autoren schreiben:
„Die territoriale Souveränität ist ausschließlich Kennzeichen von Staaten, da die Souveränität dem Staat die ausschließliche Zuständigkeit für sein Territorium verleiht, so dass es der Ausgangspunkt für die Regelung der meisten die internationalen Beziehungen betreffenden Fragen ist. Nichtstaatliche Akteure können aus Prinzip keine territoriale Souveränität besitzen.“
Die Souveränität diene auch dazu, den Raum menschlicher Tätigkeit zwischen den Nationen aufzuteilen, um Menschen in „allen Punkten den Mindestschutz zu gewährleisten, dessen Hüter das Völkerrecht“ ist.
„Souveränität gewährt daher nicht nur Rechte und Befugnisse über das betreffende Gebiet, sondern erlegt der souveränen Macht auch entsprechende Verpflichtungen auf. So verleiht die Souveränität den Staaten das Vorrecht, ausschließliche und unabhängige Entscheidungen in Bezug auf ihr Hoheitsgebiet zu treffen, und sie macht sie gegenüber anderen Staaten für Handlungen verantwortlich, die auf ihrem Hoheitsgebiet stattfinden.“
Dieses Thema ist höchst aktuell: Obwohl die Osloer Abkommen, wie Bock, Tucker und Rose betonen, nirgendwo die Gründung eines palästinensischen Staates erwähnen, ist die PLO durch diese Verträge teilweise in Verantwortungsbereiche geschlüpft, wie sie sonst Staaten haben. So hat sie sich etwa im Oslo-II-Abkommen von 1995 verpflichtet, auf dem von ihr verwalteten Gebiet alle bewaffneten Gruppen mit Ausnahme der palästinensischen Polizei aufzulösen (Artikel XIV) und etwaige von diesem Gebiet ausgehende Feindseligkeiten gegen Israel zu unterbinden (Artikel XV). Wären die Osloer Abkommen eine Prüfung gewesen, ob die PLO reif für einen eigenen Staat ist, dann hätte sie nur die Note „ungenügend“ erhalten können.
Arafats Oslo-Betrug
Von Anfang an tat Yassir Arafat für alle Welt offensichtlich das genaue Gegenteil dessen, wozu er sich völkerrechtlich verpflichtet hatte. Aus Kalkül: Nach dem Ende der Sowjetunion, die der wichtigste Unterstützer der PLO gewesen war, waren die Osloer Verträge für Arafat offensichtlich nichts anderes als ein Weg, das Ausbleiben sowjetischer Zahlungen und Waffenlieferungen nicht nur zu kompensieren, sondern an mehr Geld und Waffen für den Terror zu gelangen als je zuvor. Vor 1991 gab es in Ramallah, Nablus, Dschenin und Gaza kaum eine Pistole, und Arafat war im Exil in Tunis. Nun saß er in einem Palast in Ramallah und gründete neue Terrorgruppen, die vom Westen finanziert und mit Kalaschnikows und Panzerfäusten bewaffnet waren. Für Israelis begann mit Oslo eine neue Ära des Terrors, Massaker an unschuldigen Zivilisten wie das im Parkhotel, in der Diskothek Delphinarium oder in der Pizzeria Sbarro wurden über Jahre fast alltäglich. Dann kam der Raketenterror aus dem Gazastreifen hinzu.
Das alles hinderte die EU aber nicht daran, immer weiter Israel dazu zu drängen, die Verantwortung für die Verwaltung der umstrittenen („besetzten“) Gebiete abzugeben. Das aber würde die Voraussetzung schaffen nicht für Frieden, sondern für noch mehr Blutvergießen. Die Politik der EU müsste einem völlig irre erscheinen, wenn man nicht wüsste, dass sie ganz anderen Interessen folgt als dem vorgeblichen Einsatz für „Frieden“ und „Selbstbestimmung“.
Weit entfernt davon, demokratisch und lebensfähig zu sein, so Bock und Tucker, „bleibt die Palästinensische Autonomiebehörde abhängig von Israel, Menschenrechte werden mit Füßen getreten“ und seit 18 Jahren hat es keine Wahlen der palästinensischen Institutionen mehr gegeben. „Die palästinensische Wirtschaft hängt fast vollständig von ausländischen Geldgebern ab, und die PLO leugnet weiterhin die legitime Existenz Israels als einem jüdischen Staat“.
Die „Zwei-Staaten“-Schimäre
Das Zwei-Staaten-Dogma der EU ist gescheitert. Da alle der drei eingangs aufgezählten Prämissen sich als ungültig erwiesen hätten, so Bock, Tucker und Rose, sei ein neuer Ansatz erforderlich:
„Die Vorstellung, dass territoriale Zugeständnisse Israels zu Frieden führen werden, ignoriert die Tatsache, dass alle relevanten palästinensischen Organisationen die Existenz Israels als jüdischer Staat in jedweden Grenzen ablehnen. Für sie geht es eben nicht darum, einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu gründen, der an der Seite Israels existiert, sondern darum, den Staat Israel zu zerstören.“
Solange sich die Ziele dieser Organisationen nicht änderten oder sie besiegt würden, würden sie keine Lösung akzeptieren, die dem Staat Israel eine Existenz zubilligen.
„Auch wird Israel keine Lösung akzeptieren, die seine sichere Existenz als jüdischer Staat gefährdet, frei von feindseligen Akten oder Gewaltdrohungen ausländischer Staaten oder nichtstaatlicher Akteure.“
Die „Wurzel des Problems“ anzugehen, müsse darum Priorität haben. Die EU hat sich verrannt, stellt seit 50 Jahren die gleichen Maximalforderungen an Israel, ohne je etwas von den Palästinensern zu fordern. So bestärkt die EU die Führung der PLO in ihrer Intransigenz und lässt mit ihren Geldern die Korruption gedeihen.
Die Vorstellung, dass die West Bank oder die Altstadt von Jerusalem „den Palästinensern gehört“ und Israel verpflichtet sei, sich von dort zurückzuziehen, ist falsch. Die Palästinenser, so die Verfasser, hätten ein Recht auf Selbstbestimmung, das Israel und die internationale Gemeinschaft unterstützen müssten.
„Internationales Recht verlangt jedoch nicht die Schaffung eines völlig souveränen palästinensischen Staates“.
Israel könne legitimerweise darauf bestehen, dass palästinensische Autonomie weniger sei als ein eigener Staat, etwa eine autonome Region oder Teil einer Konföderation. Bock, Tucker und Rose meinen, dass Israel verpflichtet sei, ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern zu führen, aber solange aufgrund des Verschuldens der palästinensischen Führung kein Friedensabkommen möglich sei, sei Israel berechtigt, die Militärverwaltung bis zum Ende des palästinensisch-israelischen Konflikts fortzuführen. Israel dürfe zudem seine Souveränität in der Westbank geltend machen, innerhalb der Grenzen, die die Osloer Abkommen, internationales Recht und ein etwaiger zukünftiger Friedensvertrag setzen. Noch weniger könne Israel gezwungen werden, auf einen Großteil Jerusalems zu verzichten.
„Ostjerusalem ist rechtlich Teil des souveränen Territoriums des Staates Israel. Israel hat in den Oslo-Abkommen zugestimmt, über die Verwaltung Jerusalems zu verhandeln, hat aber nicht seine Souveränität aufgegeben.“
Die Behauptung, dass alle israelischen „Siedlungen“ illegal seien, sei ebenso falsch. Seit jeher hätten Juden in dem umstrittenen Gebiet gelebt, sie hätten sowohl ein historisches als auch ein juristisches Recht dazu. Wenn die IV. Genfer Konvention „Bevölkerungstransfer“ und „Deportationen“ in „besetzte Gebiete“ untersagt, dann ist hierbei an eine Praxis gedacht, die 1949, als das Abkommen verabschiedet wurde, noch in frischer Erinnerung war: Das NS-Regime hatte Juden aus dem Deutschen Reich und den von Deutschland besetzten Ländern in Konzentrations- und Vernichtungslager in Polen und anderen besetzten Gebieten gebracht, in Viehwaggons der Eisenbahn oder, im Fall Norwegens, mit dem Schiff. Mit freiwilliger Übersiedlung, die in der IV. Genfer Konvention erkennbar nicht gemeint ist, hat das nichts zu tun.
Erster Schritt zum Frieden: Kein EU-Geld für Terroristen
Bock, Tucker und Rose appellieren an die EU, sich von ihren Dogmen zu verabschieden. Selbstbestimmung der Palästinenser könne in Form von Autonomie erreicht werden, nicht aber, indem die EU versuche, mit viel Geld ihre Vorstellung eines palästinensischen Staates gegen Israel durchzudrücken. Diese Geldströme fließen auch auf die Konten der Terrororganisationen und stehen somit einer Lösung des Konflikts entgegen.
„Die EU muss ihre internen Prozesse bei der Vergabe von Geldern an palästinensische Entitäten vor Ort kritisch untersuchen und reformieren. Diese Reformen sollten sicherstellen, dass die EU-Kommission und EU-Mitgliedsländer Kriterien aufstellen, die einzuhalten sind, damit gewährleistet ist, dass alle Hilfsgelder Kooperation zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde fördern und nicht den Extremismus unterstützen.“
Die Abraham-Abkommen, in denen vier arabische Staaten – die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Bahrain und der Sudan – Frieden mit Israel geschlossen haben, sehen die Autoren als Gezeitenwende. Sie gäben nicht nur ein Beispiel friedlicher Koexistenz, sondern begrüben auch die in Diplomatenkreisen lange gepflegte Theorie, dass eine „Lösung“ des palästinensisch-israelischen Konflikts die Voraussetzung dafür sei, dass Israel mit anderen Nachbarn Frieden schließen könne. Nun komme es darauf an, andere Irrtümer aufzugeben, an die sich Westeuropa vor 50 Jahre gekettet habe. Es sei eine „Ironie“, dass die „Manipulation des Völkerrechts“, die die EU (bzw. die EWG), im 20. Jahrhundert aus Gründen der Energiesicherheit und außenpolitischer Interessen betrieben habe, im 21. Jahrhundert denselben Interessen entgegenstünde. „Anstatt Frieden mit Gerechtigkeit zu schaffen, schürt dieser Ansatz weiterhin Feindseligkeiten und untergräbt die Legitimität der internationalen Rechtsautorität.“
Was verbindet das Buch mit dem 75. Geburtstag Israels, der dieser Tage gefeiert wird, frage ich Wolfgang Bock. Seine Antwort, per E-Mail:
„Der 75. Geburtstag des Staates Israel ist ein Signal für alle selbständig denkenden Menschen, sich an Hand dieses Buches die Legitimität der Entstehung des Staates Israels sowie seiner bis heute bestehenden rechtlichen Ansprüche vor Augen zu führen.“
Eine zentrale Annahme der EU-Politik gelte es zu revidieren:
„Die Palästinenser dürfen weder politisch noch rechtlich einen eigenen Staat beanspruchen, solange sie den Staat Israel zerstören wollen. Alles andere wäre eine Sache von friedlichen Verhandlungen unter glaubhaftem Verzicht auf eine Fortsetzung des terroristischen Kampfes im Interesse einer positiven Zukunft der Palästinenser.“
Wolfgang Bock, Andrew Tucker, Gregory Rose: Two States for Two Peoples? The Palestinian-Israeli Conflict, International Law and European Union Policy. Sallux Publishing, Amersfoort (Niederlande) 2022, 304 Seiten, 19,50 Euro.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch.