Vera Lengsfeld / 13.11.2022 / 15:00 / Foto: Imago / 29 / Seite ausdrucken

Im Westen nichts Neues! Leider.

Wer sich die Verfilmung des Antikriegsromans anschaut, dem wird deutlich vor Augen geführt, dass eine Gesellschaft Kriegstreiberei nicht hinnehmen darf.

Die Idee, den Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque neu zu verfilmen, entstand deutlich vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Als er im September in die Kinos kam, war der Krieg in vollem Gang. Wer will und die Nerven behält, kann sich anschauen, was ein Krieg wirklich bedeutet. Auch wenn Regisseur Edward Berger sehr frei mit der Romanvorlage umgeht, was manche Kritiker bemängeln, hat er einen eindrücklichen Antikriegsfilm gedreht, genau das, was jetzt gebraucht wird. Berger zeigt den Krieg in seiner ganzen apokalyptischen Härte.

Wer es wissen will, kann beim Anschauen seines Films lernen, welche Arten des Tötens und Sterbens es im Krieg gibt. Dafür ist der Erste Weltkrieg eine Blaupause.

Was an der Westfront von 1914 bis 1918 geschah, ist an Irrsinn kaum nachzuvollziehen. Der deutsche Vormarsch kam im September an der Marne zum Erliegen, zwischen November 1914 und März 1918 erstarrte die Front. Die Soldaten wurden über Jahre in den Kampf um wenige hundert Meter getrieben. Die Bilder sind schwer erträglich. Sie stehen in einer langen Reihe wie erstarrt am Rand des Schützengrabens und warten auf den Befehl, die Leitern zu ersteigen und im Maschinengewehrfeuer der Franzosen deren Stellungen zu stürmen. Sie werden von Granaten zerfetzt, von Kugeln durchlöchert, von Giftgas erstickt, unter einstürzenden Bunkerdecken begraben, von Panzerketten zerquetscht, mit Messer und Bajonetten erstochen, mit Spaten erschlagen, mit Flammenwerfern verbrannt. Dazu der Schlamm, der Regen, die Ratten, die Hungerportionen. All das zeigt Bergers Film in seiner ganzen Brutalität. Später hat sich Ähnliches In Stalingrad und bei anderen Kämpfen wiederholt. Es wird heute an der Front nicht viel anders aussehen.

Ich brauchte zwei Anläufe, um mir den Film zu Ende anzusehen.

Ohne Zustimmung der Bevölkerung wären keine Kriege möglich

Remarque, der selbst 1917 an der Front war, schrieb aus eigenem Erleben. Sein Fazit: Diejenigen, die den Krieg am meisten wollen, sind nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im sicheren Hinterland. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Hoffnungsvoll finde ich, dass der Film von so vielen Menschen angeschaut wird, dass in kurzer Zeit DVDs mit den anderen beiden Verfilmungen auf den Markt geworfen wurden. „Im Westen nichts Neues“ von Lewis Milestone von 1930 war ebenfalls ein eindrucksvolles Antikriegsstück. Milestone bekam dafür zwei Oscars. Seine Wirkung war so stark, dass er mehrfach verboten wurde: zuerst in Italien, 1931 in Österreich, 1933 in Deutschland und 1949 in der Sowjetunion. Außerdem wurde er von den Franzosen und den Deutschen umgeschnitten, bevor er in die Kinos kam.

Die Frage, die sich für mich stellt, ist, wie müssen Menschen konditioniert sein, die das mit sich machen lassen? Im Gegensatz zu Rein in „Finale Berlin“ geben die Filme keine Antwort darauf. Sie beschränken sich auf die Darstellung der Kämpfe.

Es bleibt aber eine Tatsache, dass ohne das millionenfache Mitwirken, nicht nur der Soldaten, sondern der Bevölkerung keine Kriege möglich wären. Das trifft auch auf Diktaturen zu. Deshalb verharmlost die Mystifizierung des Bösen, ob im Krieg, im Nationalsozialismus, im Faschismus oder im Kommunismus, die Überhöhung der Figuren wie Hitler und Stalin die Natur totalitärer Systeme.

Nicht vor den ideologischen Karren spannen lassen

Kriege und Diktaturen funktionieren nur durch die Mitläufer, durch die Billigung der Gesellschaft. Es sind nicht die Extremisten und Fanatiker, auf die allein sich Kriegstreiber und Diktatoren stützen. Sondern es ist die Zustimmung oder zumindest die Hinnahme der Mitte der Gesellschaft, die den nötigen Rückhalt gibt. Mit ihrer Hinnahme wird die Gesellschaft zum Mittäter. Das sind die Lehren, die aus den Kriegen und Diktaturen des 20. Jahrhunderts hätten gezogen werden müssen.

Die Hoffnung für die Zukunft liegt bei den Menschen, die sich nicht vor den Kriegs- oder ideologischen Karren spannen lassen. Im Krieg sind es diejenigen, die sehen, dass sie eine Pflicht zum Überleben haben, um sich und ihre Lebensweis für die Zukunft zu bewahren. Im Krieg und in Diktaturen kommt es auf die Einzelkämpfer an, auf kleine Gruppen, die sich dem Sog der Massenmenschen, wie er durch das 20. Jahrhundert geschaffen wurde und sich im 21. fortsetzt, widerstehen.

Keiner Ideologie verfallen, den eigenen Verstand einsetzen, Entwicklungen und staatliche Vorgaben kritisch hinterfragen, die Freiheit des Denkens, der Meinung und die Unabhängigkeit der eigenen Existenz verteidigen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Homepage der Autorin.

Foto: Imago

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Roland Magiera / 13.11.2022

“Die Frage, die sich für mich stellt, ist, wie müssen Menschen konditioniert sein, die das mit sich machen lassen? Im Gegensatz zu Rein in „Finale Berlin“ geben die Filme keine Antwort darauf. Sie beschränken sich auf die Darstellung der Kämpfe.” Das ist doch eine der wesentlichen Fragen, wie man die Menschen dahin bringt, das über sich ergehen zu lassen? Kann es sein, dass die gegenwärtigen Machthaber überhaupt nicht daran interessiert sind die Völker dahingehend aufzuklären, weil man die selben Mechanismen heute noch anwendet? Im Falle Deutschlands kann ich mir wohl gut vorstellen, dass Rot/Grün/Nichts diesbezüglich unwissend sind, aber insgesamt wissen die Mächtigen, wie man Massen mobilisiert. Fakt ist, dass trotz all der erschütternden Kriegsfilme, der entsprechenden Literatur und all der furchtbaren Augenzeugenberichte, ein Krieg wie der 1. WK auch heute noch möglich wäre. Rein technisch ist zum 1. WK. anzumerken, dass dies nach dem russisch-japanischen Krieg der erste Krieg war, der mit modernen, industriellen Mitteln geführt wurde. Die Kriegsführung und ihre Werkzeuge brauchten einige Zeit, sich darauf einzustellen. Der Grabenkrieg wurde dann auch schon im 1. WK aufgegeben, da man erkannte, dass die komplizierten Schanzanlagen gegen einen herzhaft vorgetragenen Sturmangriff nur scher zu halten waren, was neben den menschlichen Opfern auch stets erhebliche Verluste bzw. Gewinne an Kriegsmaterial verursachte. Zudem werden in den Filmen meist nur die widerlichsten Zustände gezeigt, unter solchen Bedingungen hält es niemand Monate darin aus. Damals hatte sich Deutschland recht gut auf den Grabenkrieg eingestellt, während Frankreich daran zerbrach. Nach deutschen Sturmangriffen wurden teilweise schon mumifizierte französische Gefallene in deren Stellungen gefunden, die in ihren Uniformen da saßen oder lagen, wo sie gestorben waren, wahrhaft apokalyptische Verhältnisse.

Wilfried Düring / 13.11.2022

‘Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind - besonders die, die nicht hinmüssen.’ (Erich Maria Remarque)

Christian Feider / 13.11.2022

Sehr geehrte Frau Lengsfeld: “Remarque, der selbst 1917 an der Front war, schrieb aus eigenem Erleben.” Dieses Zitat aus Ihrem Artikel ist leider eine (unbewusste) Lüge!. Dieser “Author” war genau 1! Monat an der Front, sein Manuskript hat er sich im Lazarett von anderen Soldaten erzählen lassen,bzw in der Rekonvaleszenz in der Etappe/Heimat. Es gab einen sehr guten Grund,warum gerade dieser Author bei den echten Kriegsteilnehmern nicht gerade gut gelitten war. Hätte dieser Regisseur “In Stahlgewittern” verfilmt,waere ein wirklich “ungeschönter” Blick auf diesen Konflikt geworfen worden.

Gudrun Meyer / 13.11.2022

Der Roman “Im Westen nichts Neues” und der bereits großartige Film von 1930 sind auch aus einem Grund wichtig, den Remarque und seine Verfilmer noch nicht kennen konnten. Im 1. Weltkrieg waren Kriegsverbrechen auf beiden Seiten selten und konnten somit nicht die Wahrnehmung des regulären Krieges verzerren und unabsichtlich verharmlosen. All die schrecklichen Todesarten, die Sie aufzählen, entstanden aus dem Krieg selbst, nicht aus Verbrechen. Das ist an Wichtigkeit kaum zu überbieten, aber die jungen ukrainischen und russischen Männer, die sich jetzt gegenseitig umbringen, erfahren das, wie Paul Bäumer und seine Freunde, ZU SPÄT.

finn waidjuk / 13.11.2022

“Was mich hauptsächlich beherrscht - und das verschlingt alles andere -, das ist der Ekel, einer Gesellschaft von Kreaturen anzugehören, die außer den übrigen ihnen von der Natur auferlegten Funktionen, des Futtersuchens, der Fortpflanzung usw. auch die mit elementarischer Stumpfheit befolgt, sich von Zeit zu Zeit gegenseitig zu vertilgen” (Theodor Storm am 3. August 1870 an seinen Sohn Ernst zum Krieg gegen Frankreich). 150 Jahre danach ist die Menschheit immer noch keinen Deut schlauer oder zivilisierter geworden. Ein Narr, der glaubt, das sich das jemals ändern wird.

Holger Kammel / 13.11.2022

Nach Hannah Arendt reicht eine Minderheit, nicht mehr als 10% einer Bevölkerung aus, um die restlichen 90% zu beherrschen. Diese Tatsache beinhaltet übrigens der Begriff “Diktatur,” sonst wäre es nämlich keine. Soviel zur Neuauflage der Kollektivschuldthese durch die Autorin. Nach dem Ende der Steinzeit bestand der Großteil der Menschheitsgeschichte aus mehr oder weniger totalitären Systemen. Das deutsche Kaiserreich gehörte eher nicht dazu. Wenn Frau Lengsfeld wissen will, warum Soldaten das Grauen eines Krieges mitmachen, empfehle ich den Blick auf einen Holzschnitt aus dem dreißigjährigen Krieg “Der Galgenbaum” und einen zweiten in eines der Militärgesetzbücher, um eine Ahnung davon zu bekommen, was dem gemeinen zwangseingezogenen Militärsklaven so bevorstand, wenn er nicht mitspielte. Das galt auch für die aus den “demokratischen” Systemen. Aber immer gab es einen Grund, für den es sich angeblich lohnte zu kämpfen, das Vaterland, die Familie, die Ehre oder wie es John Kerry einmal formulierte, wenn alles andere bedeutungslos geworden ist, ” der Mann zu deiner Linken.” Wer von den Zwängen einer Wehrpflicht nicht betroffen ist/war, kann leicht reden. Von den Millionen gefallenen deutschen Soldaten des 2. Weltkrieges haben sich die wenigsten freiwillig gemeldet.

Wolf Hagen / 13.11.2022

Die Neuverfilmung ist gequirlter Quatsch, eine Aneinanderreihung möglichst blutiger Szenen, ohne jede nachvollziehbare Handlung. Berger ist soweit von der Romanvorlage Remarques entfernt, dass der Film auf mich eher lächerlich gewirkt hat. Alle dargestellten Personen blieben dem Zuschauer seltsam fremd, es fand nicht mal ansatzweise eine Identifikation statt, hinzu kamen historische Fehler, wie etwa, dass ein Frontsoldat DEN Karabiner K98, “DIE” K98 nennt, nur eine von vielen handwerklichen Peinlichkeiten. Der Film kann keinesfalls so mitreißen, wie die früheren Verfilmungen, am Ende des Films bleibt man eher gelangweilt und emotionslos, als Zuschauer, zurück.

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