Ende März 2020 hatte ich in meinem Achgut.com-Artikel „‚Seebrücke‘ vergleicht Migrationskrise mit Holocaust“ davon berichtet, dass es die Flüchtlingsorganisation „Seebrücke“ in zwei Texten vom 12. März 2020 schaffte, die europäische Migrationskrise im Mittelmeerraum in einen Zusammenhang mit dem Holocaust zu bringen. So schrieb damals der Oldenburger Ableger der Seebrücke:
„Zehn Jahre später blickte man […] auf monströses Verbrechen in der Menschheitsgeschichte – auf ein zerstörtes Europa, auf Millionen ermordete und Millionen vertriebene Menschen, auf Millionen toter Soldat*innen und Zivilist*innen in und außerhalb Europas. […] Was wir jedoch aktuell erleben ist, dass […] das Leben von Menschen bestimmter […] Gruppen, als prinzipiell weniger schützenswert betrachtet wird [sic!]. In der konsequenten Vollendung dieser Logik wird das Leben bestimmter Menschen selbst als verzichtbar angesehen [sic!]“
Die Liste der Unterstützer der „Seebrücke“ ist dabei übrigens lang wie szenetypisch. Von der Linkspartei, den Grünen, der „Interventionistischen Linke“ und der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“, über „Pro Asyl“ und den „AWO Bezirksverband Niederrhein e.V.“ bis hin zu 140 „Sicheren Häfen in Deutschland“ (Städte, Gemeinden und Kommunen).
Doch dieser Vorgang soll sich nicht als einmaliger Ausrutscher einer Szene vermeintlicher Menschenrechtler und Flüchtlingshelfer entpuppen. Diese Verharmlosung der Shoah scheint vielmehr systemisches wie systematisches Prinzip zu sein. Denn die „Mission Lifeline“, ein 2016 in Dresden gegründeter Verein, dessen Vereinszweck die Seenotrettung von Menschen im Mittelmeer ist – unter anderem mit dem Schiff Sea-Watch 2, bei dem Carola Rackete Kapitänin war –, hat sich am 8. Mai 2020 eine Holocaust-relativierende Ungeheuerlichkeit geleistet.
„Mission Lifeline“ behauptet, dass wir gar nicht vom Faschismus befreit wären, sondern dieser in der Migrationspolitik weiterleben würde. So stelle demnach die europäische Flüchtlingspolitik die Fortsetzung „von Rassenhass und Nationalwahn“ der Nazis dar, die Flüchtlingslager seien als „Elendslager“ die Nachfolger der Konzentrationslager, die „tausende Menschen fremder Herkunft“ wären die neuen Juden und die „Gräueltaten“ der Nazis würden auf einer Stufe mit der Politik der Europäischen Union stehen.
Und wenn Sie mir all das jetzt nicht glauben, hier folgt der Text im Original, ungekürzt und ohne Ergänzungen:
„8. Mai 2020. 75 Jahre nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus, sterben täglich Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Elend vor den Küsten eines abgeschotteten Europas. 75 Jahre nach Beendigung eines Regimes, das, von Rassenhass und Nationalwahn besessen, Millionen Menschen das Leben kostete, gibt es in Europa wieder Elendslager, in denen tausende Menschen fremder Herkunft, anderer Religionen und Kulturen unter unmenschlichen Bedingungen interniert werden. Der heutige 8. Mai sollte uns alle nicht nur an die Gräueltaten des 2. Weltkrieges erinnern, sondern uns besonders auch dafür die Augen öffnen, was im Hier und Jetzt passiert. Solange wir #Moria zulassen, solange wir die tausenden Toten im Mittelmeer nicht aktiv verhindern, solange haben wir uns nicht befreit. Lasst uns dafür kämpfen, dass ‚Nie wieder Faschismus' nicht nur ein Slogan ist, sondern ein ernst gemeintes bewusstes Bekenntnis.“
Der Menschenrechtler, Flüchtlingshelfer und Achgut.com-Autor Ali Utlu hat diese widerliche Relativierung des industriellen Massenmords an den Juden, diese ungeheuerliche Verharmlosung der faschistischen Höllenmaschinerie von Auschwitz und Treblinka in einem Tweet scharf kritisiert:
„Niemand wird in Flüchtlingslagern vergast. Niemand verhungert in Flüchtlingslagern. Niemand wird willkürlich in Flüchtlingslagern erschossen. Wer an Mission Lifeline Geld gespendet hat, unterstützt Relativerer des Holocausts. So kämpft man nicht für Flüchtlinge!“
Und wer sind bislang die prominenten Unterstützer von „Mission Lifeline“? Unter anderem Prinzen-Frontmann Sebastian Krumbiegel, Bela B von den Ärzten, die UNO-Flüchtlingshilfe, die evangelischen Gemeinde und die Caritas. Ob diese ihre Unterstützung und Solidarität gegenüber der „Mission Lifeline“ nach diesem die Shoah relativierenden Text noch immer so hochhalten werden?