Ginge es nach den Veranstaltern, dürfte ich kein Wort über die Demonstration der „Querdenker“ am vergangenen Samstag in Darmstadt verlieren. Eine vorab verlangte „Erklärung“, in der ich mich „verpflichten“ sollte, „wahrheitsgemäß, unparteiisch und vollständig zu berichten“, war von mir nicht unterzeichnet worden.
Also tummelte ich mich sozusagen illegal in der Menge und bekam gleich zu Beginn der Kundgebung von einem der querdenkenden Hauptleute, dem aus Stuttgart angereisten Michael Ballweg, zu hören, dass er niemandem, der die „Erklärung“ nicht unterschrieben habe, ein Interview geben werde – niemals, nirgendwo. Kein Beinbruch, dachte ich nach dieser mutigen Absage. Was hätte mir einer wie dieser sagen können.
Offenbar braucht noch die sinnvollste Bewegung ihre aufgeblasenen Alpha-Tierchen. Zu melden haben sie viel, zu sagen meist wenig. In Darmstadt jedenfalls sind die Demonstranten Bürger genug gewesen, selbst für ihren Protest einzustehen. Sehr viele Jüngere, Familien mit Kind und Kegel, auch Ältere, ein Querschnitt der situierten Mittelschicht hatte sich auf dem Meßplatz am Rande der Innenstadt versammelt. Manche waren aus Wiesbaden und von weiter noch angereist.
Verlaufen statt unterlaufen
Die Radikalen indes, rechte und linke, von denen es heißt, sie würden die Corona-Proteste unterlaufen und den ideologischen Ton angeben, mussten sich diesmal verlaufen haben. Auf der Darmstädter Kundgebung fielen sie weder optisch noch rhetorisch auf.
Durchweg unmaskiert hatten sich ein paar hundert Männer und Frauen zu einer „Mahnwache für das Grundgesetz“ versammelt. Weil sie die Nase voll haben von der Einschränkung ihrer Grundrechte durch den Staat, sind sie auf die Straße gegangen. Einer trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wir wollen keine DDR 2.0“. Andere hielten Plakate hoch, auf denen stand: „Hände weg vom Grundgesetz“, „Für Meinungsfreiheit und Diskurs“ oder „Zuerst stirbt die Wahrheit, dann die Freiheit“.
Mit lokalem Bezug wurden erstens „Neuwahlen bereits im Oktober 2020“ und zweitens die umgehende „Aufhebung der Einschränkung der Grundrechte durch den hessischen Landtag“ gefordert. Die Demonstranten wussten, wovon sie sprachen. Viele hatten das Grundgesetz unterm Arm, auf mehreren Tischen lag es aus. Jedermann, der nicht politisch betrogen weiterleben wollte, konnte sich ein Exemplar mitnehmen.
Der Protest war so massiv wie eindeutig, die Demonstration so friedlich wie offen. Die Redner entlarvten nicht bloß die Bundesregierung und die Landesfürsten, indem sie aufzeigten, welche Ängste da geschürt wurden, um die Grundrechte auf dem Corona-Altar zu opfern. Sie sahen auch, welches Exempel damit für die Zukunft statuiert wurde.
Ein Hochamt der bürgerlichen Gesellschaft
Der als Gastredner geladene Leipziger Anwalt Ralf Ludwig warnte ausdrücklich davor, die Verantwortlichen jetzt einfach so davonkommen zu lassen. Indem sie sich – aufgeschreckt durch die bundesweit ausgreifende Bewegung der Querdenker – plötzlich beeilten, eine „Lockerung“ nach der anderen zu verkünden, um bald schon das Gras des Vergessens über ihre Machtanmaßung wachsen zu lassen, habe sich die Notwendigkeit des Protestes keineswegs erledigt.
Denn könnten sich die fraglos überforderten Politiker – nicht nur die deutschen – diesmal noch halbwegs unbeschadet aus der Affäre schwindeln, würde es an ein Wunder grenzen, wenn sie bei nächster Gelegenheit, einer Klima- oder sonstigen Naturkatastrophe, nicht wieder auf die Idee verfielen, die Grundrechte kurzerhand über Bord zu werfen, um herrschen zu können, ohne dass man ihnen auf ihre Unfähigkeit kommt.
Wer die Darmstädter Kundgebung der Querdenker besuchte, dem wurde klar: Man muss noch nicht alle Hoffnung auf eine Gesundung der Demokratie fahren lassen, trotz Merkel in Berlin und Bouffier in Wiesbaden. Zu erleben war ein Hochamt der bürgerlichen Gesellschaft. Umso befremdlicher wirkt es dann aber auch, dass sich die Veranstalter berufen fühlten, die Journalisten vorab disziplinarisch zu belehren. Wofür halten sie sich und wofür halten sie uns? Glauben sie wirklich, sie müssten uns das Grundgesetz um die Ohren hauen, damit wir bei ihrer „Wahrheit“ bleiben?
So kann man sich den Weg in die Öffentlichkeit selbst verbauen. Sektierer tun das gerne. Hinter den Querdenkern aber stehen vernünftige Bürger. Und auch ein paar Journalisten, die sich nicht für den verlängerten Arm Gottes halten.