Glaube und Geisteskrankheit

Der Glaube spielt in Hinblick auf unser Seelenleben eine doppeldeutige Rolle. Hat er spirituelle Tiefe, schenkt er uns mentale Stärke. Wird er hingegen dogmatisch gelebt, kann er krank machen. Ein Umstand, der auch beim Hintergrund von Anschlägen oft eine Rolle spielt.

Dr. Hossam Mowafy, Professor für Innere Medizin und Intensivmedizin an der Universität Kairo, behauptet, dass ein Gläubiger nicht an einer Geisteskrankheit leiden könne. Diese Äußerung sorgte unter Atheisten für Empörung. Ich möchte auf die steile These von Dr. Mowafy eingehen, werde allerdings mit meiner Antwort alle weltlich ausgerichteten Menschen wohl nicht zufriedenstellen.

Ich versuche hier, von meiner eigenen Erfahrung auszugehen, weil ich kein Psychiater bin. Psychische Erkrankungen haben meist zwei Aspekte: einen körperlichen Aspekt, wenn die Hirnchemie und die Hormone gestört sind, und einen psychologischen, emotionalen und sozialen Aspekt, der mit der Sicht einer Person auf sich selbst, ihre Umgebung und ihre Umstände zusammenhängt. Ich denke, dass psychische Erkrankungen mit einem Fehlen des Gleichgewichts auf körperlicher, emotionaler und sozialer Ebene beschrieben werden können.

Eine Person mit Depressionen zum Beispiel wird davon überzeugt sein, gefangen zu sein und das Leben größtenteils aus dieser dunklen Perspektive heraus betrachten. Das Gefühl der Belagerung, Hilflosigkeit und Einsamkeit kontrolliert die Sicht dieses Menschen auf sein Leben vollständig. In diesem Fall braucht der Patient zwei Dinge: Antidepressiva, um die Hirnchemie wieder ins Lot zu bringen. Um zu versuchen, aus dem Zustand der Belagerung, Erstickung und Ohnmacht herauszukommen, kommen nun Dinge wie Liebe, Musik, Reisen und Glaube ins Spiel.

Wenn der Glaube das Schuldgefühl eines Menschen nährt

Damit wären wir also beim Glauben. Zu glauben, dass es etwas Größeres als uns selbst gibt, etwas, das uns versteht, uns am Leben hält und Hoffnung gibt, ist etwas, das einer Person in jedem Fall hilft, aus einem Beklemmungs- und Belagerungszustand herauszukommen. Der Glaube gibt einem Menschen das Gefühl, dass er in diesem Leben nicht allein ist und dass es jemanden gibt, der ihn sieht, versteht und ihm hilft.

Wo fängt das Problem an? Wenn der Begriff des Glaubens darauf reduziert wird, bestimmte Rituale zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten durchzuführen. Das heißt, wenn der Glaube mit einer bestimmten Religion und bestimmten Überzeugungen verbunden ist. Das Problem verstärkt sich, wenn der Glaube das Schuldgefühl eines Menschen nährt und ihn als unzulänglich oder ungehorsam beschreibt und wenn er seine Angst vor Strafe oder Hölle fördert.

Außerdem sollte der Glaube nicht auf Religionen beschränkt sein, der Glaube an die Liebe ist auch ein Glaube und hat die Fähigkeit zu heilen. Noch wichtiger als der Glaube an die Liebe ist es für einen Menschen aber, die Liebe im echten Leben zu erfahren und nicht nur in der Theorie über sie zu fabulieren. Denn einem Menschen, der nicht das Gefühl der Liebe selbst empfindet, ist es unmöglich, ihren Wert im Leben zu begreifen. Dasselbe gilt für Gläubige, die an theoretische Worte glauben, ohne jemals wirkliche spirituelle Erfahrungen gemacht zu haben.

Ängste und Hilflosigkeit überwinden

Aber Geisteskrankheiten sind nicht nur auf Depressionen beschränkt, sondern es gibt auch andere Krankheiten wie Psychosen, bipolare Störungen, Paranoia und Schizophrenie. Viele Betroffene hatten einen mehr oder weniger starken Glauben, schöne Beziehungen und Familien, die sich um sie kümmerten, und dennoch wurden sie krank.

Leider verhindert die Religion sogar manchmal die Behandlung dieser Krankheiten, wenn die Ältesten oder Priester diese Krankheiten als vom Teufel gesandt diagnostizieren und Rituale beginnen, um den Kranken durch Schreien und Schlagen böse Geister auszutreiben. Somit wird jede echte Behandlung gestört, sodass sich der Zustand der Betroffenen immer mehr verschlechtert und eine Therapie immer schwieriger wird.

Der Glaube kann also die Behandlung einer Geisteskrankheit unterstützen oder ein Hindernis für ihre Behandlung darstellen. Aber die wirkliche Therapie besteht darin, die Ursachen zu finden und diese sowie ihre Auswirkungen zu verstehen. Die Behandlung sollte einerseits das hormonelle Gleichgewicht und andererseits das eigene Gleichgewicht im Leben wiederherstellen, indem das verzerrte Eigenbild sowie Ängste und Hilflosigkeit überwunden werden.

Der Mensch ist ein komplexes Wesen und hat viele Facetten, wie das Leben selbst, und der psychisch Kranke ist ebenfalls komplex, sodass es sowohl für ihn im Speziellen als auch das Leben im Allgemeinen keine schnellen und einfachen Lösungen gibt. Sich selbst zu verstehen und ins eigene Gleichgewicht zu kommen, erfordert viel Zeit und große Anstrengung. Der psychiatrische Patient muss von seinen Mitmenschen gesehen, verstanden und geliebt werden und darf auf keinen Fall als Ungläubiger abgestempelt werden!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Hamed Abdel-Samads Facebookseite.

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ulrich Trentepohl / 23.06.2022

Das Wissen um die Erlösungsbedürftigkeit hat jeder Mensch, nur dass manche es besser verdrängen können. Dieses Wissen erzeugt den Wunsch nach Erlösung und in Folge dann Religionen und Ideologien aller Art. Sie bleiben aber immer Wege zur Selbsterlösung und somit unwirksam, was den Adepten zwar nicht ins Bewusstsein kommt, sie aber soweit beeinflusst, dass sie sich meist noch stärker damit identifizieren. Jede Ideologie und jede Religion verlangt Opfer um die versprochenen paradiesischen Zustände herzustellen. In letzter Konsequenz Menschenopfer. Man denke nur an Hitler, Stalin, Pol Pot oder die Inquisition. Meines Wissens ist aber der Islam die einzige, die dies explizit fordert. Religion knechtet, nur der Glaube an die Erlösung durch Jesus Christus macht frei.

Michael Hinz / 23.06.2022

Alter Wein in neuen Schläuchen: Religion bzw. der Glaube an einen idealen Gott ist eine Auto-Suggestion. Der Mensch verkennt sich in Gott und spinnt eine #Religion# um diese kognitive Fehlleistung. Alles auf den Punkt gebracht in: Ludwig Feuerbach - Das Wesen des Christentums.

S. Marek / 23.06.2022

Hallo Herr Hamed Abdel-Samad, wüste ich nicht, daß Sie sich so gut im Christentum (Katholizismus) auskennen, da Sie auf Islam nicht eingehen und einzugehen brauchen weil dieser eine äußerst brutale faschistoide Ideologie mit einem Religionsmäntelchen ist. Und dort werden explizit auf die Muslime Handlungen auferlegt,  wie töten von “Ungläubigen” nützen von “Ungläubiger” Frauen als sexuelles Freiwild usw. .  Ich will mich nicht weiter auslassen sonst müßte ich Ihnen die hunderte von entsprechenden Suren-stellen dazu aussuchen die Sie sowieso gut kennen müßten. Das die EU Politik auf diesem Gebiet total fehlgeleitet ist, ist Ihnen klar. Jeder Muslim der Morde, Vergewaltigungen und andre kriminelle Straftaten vergeht ist per se psychisch Krank und unschuldig.  Und Schuldgefühl oder Ängste und Hilflosigkeit wird denen in den Moscheen nicht eingetrichtert sondern das Gegenteil davon. Das massenhafte Abschlachten von Christen in Afrika, Asien Nahost und andren Weltregionen durch Muslime geht ohne Proteste der westlichen Länder freulich weiter.

Klaus Keller / 23.06.2022

Man kann psychische Störungen ganz ausgezeichnet instrumentalisieren. Im Islam ist der Suizid auf Grund einer Depression z.B. ein starkes Tabu. Will man aber mit der Selbstzerstörung gleichzeitig den bösen Feind bekämpfen ist er ein Ticket zu gesellschaftlichen Anerkennung und die Eintrittskarte ins Paradies. Es gibt viele junge Menschen denen das Leben irgendwie misslingt. Kein Job, also kein Einkommen, keine Aussicht auf ein normales Familienleben usw. Die Lösung ist Held zu werden. In vielen Fällen ein toter Held aber doch ein Held. Das kennt man aber auch in anderen Bereichen. Man könnte im Moment zB auch eine Umfrage in der Ukraine machen für was die Leute ihr Leben aufs Spiel setzen. Bzw das Leben anderer um den Sachverhalt zu vervollständigen, den auch dort instrumentalisiert man solche Neigungen. Da geht es auch nicht nur um Religion und Ideologie. PS Ich vermute das es in einigen streng islamischen Staaten keine Suizid-Statistik gibt. PPS Die Überzeugung mancher Politiker das Russland in der Ukraine nicht gewinnen darf hat, m.E. auch etwas wahnhaftes. Nur Wunschdenken wäre ja in Ordnung. Nimmt man aber in massiver Weise die Schädigung des eigenen Landes in Kauf indem man zB kein russisches Erdgas mehr kaufen will, wird es problematisch auch wenn es “nur” um einen wirtschaftlichen Suizid geht. Der Begriff Bilanzsuizid bekommt dann eine ganz neue Bedeutung.

A.S.Sawa / 23.06.2022

Glauben , bedeutet - “Nicht Wissen” - fertig!

Ludwig Luhmann / 23.06.2022

Tjaja, es soll ja ziemlich problematisch sein, den Islam zu verlassen.

Valentin Becker / 23.06.2022

Ich bin in ein streng katholisches Elternhaus hineingeboren worden. Als Kind habe ich unter der Idee der Gedankensünde gelitten: Ich war davon überzeugt, dass unredliche Gedanken über Gott eine Sünde darstellen würden. Sünden würden bestraft werden - das war meine damalige Gewissheit. Ich weiss nicht wie und warum, aber ich konnte mich von dieser Kindheit befreien, zumindest kann ich heute ohne offensichtliche Neurosen oder Zwangsstörungen als Atheist ein zwar nicht gänzlich frei von psychischen Leiden, aber zumindest als sinnvoll empfundenes Leben führen. Ich muß aber zugeben, dass ich nicht frei von Neid bin, wenn ich auf Menschen treffe, die in religiöser Gewissheit frei von jedem Zweifel und unbekümmert durch ihr Leben schreiten. Das kann ich nicht - dieser Weg ist mir verwehrt. Ich muß von Zweifeln und Ängsten geplagt durch meine Existenz stolpern und empfinde das als Zumutung. Gerne würde ich mein Leben tauschen gegen ein Leben in naiver religiöser Gewissheit. Ich vermute aber, dass es bei mir nicht funktioniert hätte. Hätte ich mich nicht befreit, dann wäre ich wohl vom Druck meiner Zwänge in ein enges neurotisches Bewusstsein hineingetreten worden. Deshalb sage ich mir, dass ich zufrieden bin mit dem, was ich geworden bin - aber ich weiss, dass das auch eine Selbstlüge sein könnte.

Franz Michael / 23.06.2022

Es ist mir eine Freude von Hamed Abdel-Samad zu lesen und hoffe das die Religionsfanatiker die Fatwa nicht umsetzen können. Jahrelang diskutierten wir über “Mein Abschied vom Himmel, für die offenen Worte einen Dank und höchsten Respekt. Ich möchte den Begriff Rituale erweitern. Es gibt gute und schlechte Rituale. Wunderbar “Das Buch vom Tee” von einem der letzten Samurai Okakura Kakuzō erklärt es genauer und gibt Einblicke in den “japanischen Teeismus” der ca. 1906 die kulturellen Unterschiede des Wertewesten und Japan, für mich süffisant, erklärt. Monotheistische Religionen sind per Definition menschenverachtend bsp. Psalm 139,19, der Begriff Klerofaschismus des Einen trifft ins Schwarze, der Kohelet bietet Abhilfe und wurde vermutlich genau gegen den Religionsfanatismus geschrieben. Es begeben sie viele Menschen in die freiwillige Skinner-Box um entsprechend der Neuro-Linguistischen Programmierung NLP konditioniert und indoktriniert zu werden. Sie haben nichts anderes gelernt und kommen kaum aus dem Hamsterrad heraus. Letztlich in der Kindheit stecken geblieben, nach Autorität suchend. Allerbeste Wünsche für Sie.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 01.02.2023 / 06:00 / 105

Islam? Keine Debatte, nirgends

„Wie kann eine Islam-Reform stattfinden, ohne eine ehrliche Debatte über die Religion und ohne auf die Argumente der Kritiker einzugehen?“, fragt Hamed Abdel-Samad in seinem…/ mehr

Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 22.12.2022 / 13:00 / 23

Kehrt ein Stück Mittelalter nach Europa zurück?

Irrationalität, Lagerbildung, Sippenmentalität, die Intoleranz und die Verengung des Diskursraums waren einst für Niedergang und Isolation der islamischen Kultur verantwortlich und könnten auch Europa in…/ mehr

Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 04.07.2022 / 11:30 / 51

Ein Brief an Olaf Scholz

Ihre Bundesregierung will Ferda Ataman zur Antidiskriminierungsbeauftragten ernennen. Sie kann den Rassismus im Land nicht bekämpfen, weil sie mit einem rassistischen Weltbild arbeitet. Sehr geehrter…/ mehr

Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 13.09.2021 / 06:10 / 78

Nachwort zu 9/11: Kuscheln mit dem Islamismus

20 Jahre nach dem 11. September ist der Islamismus stärker denn je und die Integration gescheiterter denn je. Aber weder das Thema Islamismus noch das…/ mehr

Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 30.04.2021 / 12:00 / 24

Angst und eigene Demütigungen sind Triebfedern von Rassismus

Ich selbst wurde sehr früh in meinem Leben mit Rassismus konfrontiert, lange bevor ich mein Heimatdorf in Ägypten verließ. In allen arabischen Ländern, die ich…/ mehr

Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 08.01.2021 / 15:30 / 48

Und täglich grüßt die Polarisierung

Die Polarisierung, die sich derzeit in vielen Gesellschaften der Welt abzeichnet, wird in den kommenden Jahren extremer werden. Das, was sich in den Banlieues Frankreichs…/ mehr

Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 14.09.2020 / 15:00 / 46

Meine Liebeserklärung an Deutschland

Vor 25 Jahren kam ich als Student nach Deutschland. Seitdem ist viel passiert. Mit mir, mit Deutschland und mit meiner Beziehung zu diesem Land. Ich wurde…/ mehr

Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 20.06.2019 / 11:27 / 75

YouTube sperrt meinen Kanal!

Bravo, YouTube! Islamisten wollen mich umbringen, um mich zum Schweigen zu bringen, und YouTube erfüllt ihnen den Wunsch! Mein YouTube-Kanal Hamed.TV wurde gestern von YouTube…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com