Georg Etscheit / 09.01.2022 / 12:00 / Foto: Imago / 48 / Seite ausdrucken

Gefährliche Gebete?

Es war ein Bild, wie es die bayerische Landeshauptstadt selten gesehen hatte. „Mit Fahnen und Jubelrufen bereiteten die Menschen in München Papst Benedikt bei seiner Ankunft am 9. September 2006 einen begeisterten Empfang“, erinnert die Erzdiözese München auf ihrer Internetseite an das Ereignis. „Es ist für mich tief bewegend, wieder auf diesem wunderschönen Platz zu Füßen der Mariensäule zu stehen“, sagte der Heilige Vater auf dem Marienplatz, auf dem er sich im Februar 1982 als scheidender Erzbischof von München und Freising von seinem Erzbistum verabschiedet hatte. Das Rosenkranzgebet an der Säule der Patrona Bavariae war einer der Höhepunkte von Benedikts Pastoralreise, die ihn weiter nach Regensburg, Altötting, Freising und seinen Geburtsort Marktl am Inn führte und unter dem Motto stand: „Wer glaubt, ist nie allein.“

Am Abend des 5. Januar 2022 bot sich am gleichen Ort ein anderes Bild. Wieder wollten Gläubige vor der Säule der Gottesmutter den Rosenkranz beten. Doch diesmal war ihnen die Staatsmacht, die sich vor 16 Jahren noch im Glanze des ersten deutschen Papstes seit fast einem halben Jahrtausend geräkelt hatte, nicht freundlich gesonnen. Dutzende schwer bewaffneter Polizisten versuchten, den Marienplatz abzuriegeln und jede öffentliche Glaubensäußerung im Keim zu ersticken. „Der Platz ist heute für Sie tabu“, herrschte ein nervöser Beamter die etwa hundert auf den Beginn des Gebets wartenden Menschen an.

Unsicherheit machte sich breit. Plötzlich hieß es, das Gebet könne stattfinden, nur nicht vor der traditionslastigen Säule in der Mitte des Platzes, sondern vor dem reichlich profanen Eingang des Kaufhauses Beck am Rathauseck. Mit dem Blick zur Mariensäule gewandt, begann der Rosenkranz mit dem uralten Mantra: „Gegrüßt seist Du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.“ Ein Gebet, das einmal selbstverständliche Übung aller gläubigen Katholiken war und heute den meisten, wenn überhaupt, nur noch in Form des etwas kitschigen „Ave Maria“ von Charles Gounod bekannt ist. 

Mit Blaulicht und Sirenengeheul

Nur zehn Minuten später eine neue Ansage der in Kompaniestärke angerückten Ordnungsmacht. Die „unangemeldete Versammlung“ sei für aufgelöst erklärt, Widerstand zwecklos. Mittlerweile donnerte über den Köpfen der Betenden ein Polizeihubschrauber. Im unwirklichen Schein flackernden Blaulichts und begleitet von Sirenengeheul drohte eine martialische Polizeidurchsage jedem, der sich nicht sofort entferne, ein Ordnungsgeld von 3.000 Euro an. Inmitten dieser unwirklichen Szenerie konnte sich das noch verbliebene Häuflein Gläubiger fühlen wie eine von römischen Legionären bedrohte Urchristen-Gemeinde im alten Rom. Mit dem Unterschied, dass man im Jahre 2022 zumindest nicht darauf gefasst sein muss, gekreuzigt oder im Zirkus den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen zu werden.

Das halbstündige Rosenkranzgebet auf dem Münchner Marienplatz, Beginn jeden Mittwoch um 18.00 Uhr, ist Teil einer Bewegung, die sich Anfang Dezember unter dem Motto „Deutschland betet Rosenkranz“ im Internet und auf dem Messengerdienst Telegram formiert hatte und mittlerweile auf rund 500 Gebetsinitiativen in ganz Deutschland angewachsen ist. Sogar vor dem Bundeskanzleramt hat schon eine kleine Gruppe Gläubiger den Segen der Gottesmutter erfleht, die in diesem Fall nicht Angela Merkel hieß. Jeden Tag kommen neue Initiativen hinzu und der Mitbegründer der Plattform, ein früherer Immobilienunternehmer aus Altötting, der auf verschlungenen Wegen zurück zum Glauben fand, wurde nach eigenen Worten selbst überrascht von dem durchschlagenden Erfolg der öffentlichen Rosenkranzgebete, die von der katholischen Wochenzeitung „Tagespost“ als „Leuchtturm“ bezeichnet wurden. „In Zeiten der Verwirrung hebt sich die Initiative wohltuend ab vom innerkatholischen Dauerstreit und der Angst vieler Christen vor einer neuen Weltordnung, in der Gott keine Rolle spielt.“

Natürlich, für manche ist „Deutschland betet Rosenkranz“ sicher auch eine Reaktion auf die gesellschaftlichen Verwerfungen, die der außer Rand und Band geratene und Grundrechte wie Grundfreiheiten stur missachtende Corona-Maßnahmenstaat zu verantworten hat. Doch deren Organisatoren und Teilnehmer leichtfertig unter „Querdenker“ und rechte Wirrköpfe zu subsumieren, dürfte diesmal weniger leicht fallen. Und es ist auch keine Veranstaltung der Traditionskatholiken, repräsentiert durch die den alten, tridentinischen Ritus pflegende (Rom treue) Petrusbruderschaft oder deren vom päpstlichen Primat abgefallenen Pendant, der Piusbruderschaft, auch wenn in München immer wieder Priester der Bruderschaften in Soutane die Gebete anleiten. Die „Tagespost“ attestierte der Initiative sogar freikirchliche und ökumenische Breitenwirkung.

Bei „Deutschland betet Rosenkranz“ handelt es sich um eine Regung längst verschütteter Glaubensbezeugungen in Notzeiten, geboren tief im Herzen der katholischen Laienbewegung mit dem Ziel, „unser Land, das aktuell eine der schwersten Krisen seiner Geschichte erlebt, der Gottesmutter anzuvertrauen, und um sie um Hilfe für alle Bürger zu bitten“, wie es in einer Selbstbeschreibung im Internet heißt. „Wir wollen nicht nur zuhause oder in den Kirchen beten, sondern ein öffentliches Zeichen des Gebetes an jedem Ort setzen. In allen Städten, Gemeinden und Dörfern Deutschlands.“

Die Sprengkraft des öffentlichen Gebets

Ihre politisch-gesellschaftliche Sprengkraft bezieht die Initiative aus eben diesem öffentlichen Charakter des Gebets, das selbst im einst streng katholischen, „ultramontanen“ Oberbayern aus dem Alltag fast völlig verschwunden ist. Wer einmal miterlebt hat, wie befreiend, verbindend und moralisch läuternd es sich anfühlen kann, gegen eine Übermacht von Gegner gewissermaßen anzubeten, bekommt eine Ahnung von der subversiven Kraft des Glaubens, die imstande sein kann, unerschütterlich erscheinende Mächte und Reiche zu Fall zu bringen.

Als originärer Ausdruck der Religions- und Bekenntnisfreiheit tut sich die Staatsgewalt besonders schwer, hart gegen solche Gebete vorzugehen. München scheint dabei mit seinen drakonischen Maßnahmen selbst gegenüber Gläubigen ziemlich alleine dazustehen. Denn in der Provinz werden die Betenden in der Regel in Ruhe gelassen oder von der Polizei sogar wohlwollend begleitet. Und auch in München wurde bis zu besagtem Mittwoch, 5. Januar, nicht versucht, das Gebet mit Hinweis auf die von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erlassene Allgemeinverfügung schon im Keime zu ersticken.

Ein Armutszeugnis für eine Stadt und ihre selbstherrlichen Regenten, die einst Papst Benedikt einen so bewegenden Empfang bereitet hatte. Ein Armutszeugnis auch für die Kirchen beider Konfessionen, die alle Wendungen des staatlichen Corona-Regimes zumindest willig nachvollzogen, wenn ihre Würdenträger nicht selbst Öl ins Feuer gossen und weiter spalteten, statt zu versöhnen. 

Foto: Imago

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Ulla Schneider / 09.01.2022

Das gefällt mir gut, guten Abend Herr Etscheid, ein Gebet aus dem Munde. Man kann es auch singen.  Mein damaliger Kinderchorleiter pflegte stets zu sagen:“Singt die Messe laut und fröhlich, wer singt, betet doppelt!” Für den Norden würde ich Psalmen vorschlagen, z. B. der 23te: “Der Herr ist mein Hirte”. Dieser wäre auch, da aus dem Alten Testament, mit anderen Gläubigen zu sprechen. Möglichst mehrmal wiederholend, wie ein Mantra. Manche Treiber sollen dadurch schon in die geistige Flucht geschlagen worden sein. - Versuch macht klug! Und Achtung, die Jungens in den roten Jacken sind vom Verfassungsschutz.

Hans-Peter Dollhopf / 09.01.2022

Novellierung des IfSG: Im Rahmen der Maßnahmen zur Gewährleistung der moralischen Gesundheit der Exekutive boostern Polizeibeamte jeweils nach Ablauf von drei Monaten ihren Eid auf das Grundgesetz.

R. Reger / 09.01.2022

Wo sollen die Leute denn sonst beten, die Kirchenleute machen doch gemeinsame Sache mit den Regierenden. Der Papst wäscht Gefangenen die Füße, und lässt die eigenen Schafe nicht in die Kirche, weil sie nicht geimpft sind. Nie fällt ein Kirchenaustritt so leicht wie heute. Überhaupt, wo werden denn die Bußgelder festgesetzt? An der Börse? Oder macht das die Stadt ad hoc, je nach Kassenlage? Macht die Stadt sich überhaupt klar, dass die Gelder nicht in 100 Jahren eingetrieben werden können, bei zig Tausenden von Verfahren gegen diese Willkür. Kommen bald noch die Widersprüche gegen die Vorladung zum Impfen dazu…das hält kein Rechtssystem durch. Das Image der Richter geht dabei den Bach runter, genau so wie das unseres Freund und Helfers. Und jetzt will die Grüne die Menschenrechte in China und Russland anmahnen? Die wird doch lauthals ausgelacht.

Karla Kuhn / 09.01.2022

H. Krautner, das DRITTE REICH läßt grüßen.  Gelernt scheint eben gelernt, nur nichts dazu gelernt !! SEIT Beginn des Christentums hat sich die KIRCHE IMMER brutal, empathielos gegenüber dem Volk gezeigt. GNADENLOS diejenigen verfolgt, die nicht ihrer Meinung waren. Ebenso brutal und hemmungslos Menschen in den von der KIRCHE unrechtsmäßig angeigneten Ländern missioniert, Gegner auf entsetzliche Weise hingerichtet. NOCH NIE war die KIRCHE ein HORT der LIEBE. WOHER bitteschön hat der VATIKAN sein unglaubliches Vermögen ?? Wenn es wirklich EHRLICH erarbeitet worden wäre, müßte das italienische Finanzamt darüber Bescheid wissen. Meines Erachtens hat aber der Vatikan ein eigenes Finanzamt, kommt mir GENAU wie die Mafia vor.  Nee , diese Kaste hat offenbar NICHTS aber auch gar nichts mit dem WAHREN Christentum zu tun. Warum noch immer Kirche ? BETEN kann man ÜBERALL.

M. Schumann / 09.01.2022

@W.R.Goetz: Wie recht Sie doch haben. Es gibt eine Doku über Johannes Paul II (leider nur in USA zum Download), aber der Trailer steht bei YouTube: “The Liberation of a continent”. Es sind zwei Minuten, die mich jedesmal wieder faszinieren. Bei seinem ersten Besuch in Warschau 1979 predigte er vor über 1 Million Menschen: “Erhebt Euren Geist!”. Ein hochranginger amerikanischer Militär kommentierte das nach dem Fall der Mauer mit: “Niemal hätte der Kommunismus mit Waffen besiegt werden können ... es war die “Spiritual Power”, die dazu führte, dass die kommunistischen Staaten Osteuropas wie die Dominosteine umfielen.

Paul Salvian / 09.01.2022

Schön, dass Achgut hierüber berichtet! So wie die “Alles-auf-den-Tisch”-Macher die Ehre des Schauspielerstandes gerettet haben, so retten die öffentlichen Rosenkranzbeter die Ehre der katholischen Christen. Ich empfehle übrigens dringend, aus diesem Anlass einmal den Wikipedia-Artikel “Rosenkranz-Demonstration” zu lesen. Leider kann man heute in München, anders als 1938 in Wien, nicht davon ausgehen, dass der ortsansässige Bischof zu den Betern steht. Hat sich doch Kardinal Marx, wie immer ängstlich darum besorgt, den Anschluss an den Zeitgeist nicht zu verpassen, für eine Impfpflicht ausgesprochen. Wenn man Kirchenoberen seines Schlages zuhört, bekommt man den Eindruck, dass sie den Missionsauftrag Christi vergessen haben. Dieser lautet im Original (Markus 16, 15-16): “Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden.” Viel zu viele Kirchenvertreter verkündigen statt dessen eine Art IMPFANGELIUM nach dem Motto: “Wer den Experten glaubt und sich impfen lässt, wird gerettet werden; wer ihnen aber nicht glaubt, wird verdammt werden.”

Dr. R. Möller / 09.01.2022

So sind die Christen. Für 3000 € verkaufen sie ihre Seele und verraten Jesus - Judas läßt grüßen. Wer wirklich gläubig ist steht für seinen Glauben ein. Lieber vom Löwen gefressen werden als Gott verraten. Heute? Bußgeld ? Na dann bete ich eben nicht.

Hans-Peter Dollhopf / 09.01.2022

Menschenrechtsverletzungen sind zu protokollieren und zu dokumentieren, zu sammeln und zu veröffentlichen. Ist Amnesty International nicht mehr bereit dazu, wird es sehr bald mächtig Konkurrenz bekommen!

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