Ramin Peymani, Gastautor / 17.06.2019 / 14:00 / Foto: Sandro Halank / 29 / Seite ausdrucken

Gaucks starker Tobak für die linksdrehende Politszene

Es ist ein bemerkenswertes Interview des Alt-Bundespräsidenten, das die Spiegel-Redaktion mit dem Zitat überschreibt: „Wir müssen lernen, mutiger intolerant zu sein“. Joachim Gauck wirbt darin für eine offenere politische Debatte. Man müsse nicht immer gleich „das Höllentor von Auschwitz“ aufgehen sehen, hatte der frühere Chef der nach ihm benannten Behörde zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts bereits im April anlässlich einer Podiumsdiskussion geäußert. Schon das hatte ihm Kritik eingetragen, weil mancher es als Parteinahme für die ungeliebte AfD auslegte. Nun hat Gauck die Debatte neu angestoßen. Es ist eine überfällige Wortmeldung, deren Bedeutung mit Roman Herzogs „Ruck-Rede“ aus dem Jahr 1997 vergleichbar ist.

Hätte Gauck für eine größere Bereitschaft zum Diskurs mit kompromisslosen Grünen oder mehr Toleranz gegenüber eingefleischten Linken geworben, das links-grüne Journalisten-Kombinat hätte ihm zu Füßen gelegen. So erntet der ehemalige Kirchenfunktionär und Freiheitskämpfer aber vor allem Widerspruch. Dabei weist Gauck zu recht darauf hin, dass die Demokratie durch eine einseitige polit-mediale Verurteilung konservativen Denkens in Gefahr geraten ist. Der 79-Jährige plädiert für „eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ und fordert, „nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten“. Es sei unerlässlich, klar zu unterscheiden, ob jemand rechts im Sinne von konservativ oder rechtsradikal sei. Zugleich verlangt Gauck, eine klare Grenze dort zu ziehen, wo „Menschen diskriminiert werden oder Recht und Gesetz missachten“. Worte, denen sich jeder Demokrat ohne Wenn und Aber anschließen muss.

Dass diese demokratische Überzeugung aber nicht selbstverständlich ist, zeigen die Reaktionen aus den politischen Lagern von ganz links außen bis hinein in die CDU. Vor allem Gaucks Forderung, die CDU müsse wieder zur Heimat für Konservative werden, stieß auf Ablehnung, ebenso der Hinweis des ehemaligen Staatsoberhauptes, „dass gewisse Themen nicht ausreichend von der Regierung versorgt wurden“. Gauck bezog sich dabei explizit auf die Zuwanderung.

Und doch kommen Gaucks Worte viel zu spät

Es mag heute tröstlich sein, dies von einem Mann zu hören, der unserem Land fünf Jahre lang vorstand. Und doch kommen Gaucks Worte viel zu spät. Man hätte sich von ihm erhofft, als Bundespräsident derart klar Stellung zu beziehen. In den Jahren 2015 und 2016 wäre es an Joachim Gauck gewesen, der polit-medialen Kaste die Leviten zu lesen, die sich in einen wilden Blutrausch gegen jeden gesteigert hatte, der es wagte, Fragen zum landesweiten Hissen der Willkommensfähnchen zu stellen. Man hätte sich Gauck als Fürsprecher der politisch Ausgegrenzten gewünscht, die sich nichts weiter hatten zuschulden kommen lassen, als die Bundesregierung zu kritisieren und auf die Risiken einer unkontrollierten Zuwanderung zu verweisen. Sein Wort hätte auch Gewicht gehabt, als es darum ging, die Auswüchse einer politischen Korrektheit anzuprangern, die Meinungsabweichler zunehmend aus dem politischen Diskurs drängt.

Stattdessen gefiel sich Gauck darin, einen Teil der Bevölkerung als „Dunkeldeutschland“ abzuqualifizieren. Zwar verwies er dabei explizit auf „rechtsextreme Anschläge, Gewalt und Hetze“, doch dürfte ihm bewusst gewesen sein, dass der Begriff jahrzehntelang auf das ehemalige Gebiet der DDR gemünzt war.

Joachim Gaucks Interview mit dem Spiegel ist auch deswegen so bemerkenswert, weil er sich nicht am AfD-Bashing beteiligt. Er nutzt seinen Auftritt nicht, um die Rechtskonservativen in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern beklagt den „problematischen Weg“, die Wahl von AfD-Abgeordneten zum Vizepräsidenten des Bundestages immer und immer wieder zu blockieren. Er frage sich, „ob es politisch nützlich ist, jeden Kandidaten der AfD abzulehnen“. Starker Tobak für die inzwischen links der Mitte verankerte Politszene, kaum auszuhalten für die eigentlichen Regierenden des Landes, die in den vielen kleinen und großen Redaktionen sitzen. Es ist ein wegweisendes Interview, das der Alt-Bundespräsident dem Spiegel gegeben hat, und es hätte das Zeug dazu, eine dringend notwendige gesellschaftliche Debatte in Gang zu bringen, wären Medienschaffende und politisch Verantwortliche tatsächlich zu jenem Pluralismus bereit, den sie im Zuge der Ausgrenzung aller Konservativen stets vehement einfordern.

So aber verpuffen die bemerkenswerten Worte eines Mannes, der frei von der Last, „funktionieren“ zu müssen, zur Verteidigung der Demokratie aufruft. Es ist zu befürchten, dass auch nach Gaucks Plädoyer für eine Gesellschaft, die rechten Positionen mit Toleranz begegnet, am Ende nichts bleiben wird als die Erkenntnis, in einem Land zu leben, in dem rechts als rechtsextrem gilt. Linke und grüne Meinungsführer werden ihre Deutungshoheit ebenso wenig aufgeben wie ihren Anspruch, eine linkskonformistische Gesellschaft zu errichten. Joachim Gauck muss man indessen attestieren, seinen Moment für die Geschichtsbücher verpasst zu haben.

Dieser Beitrag erscheint auch auf Ramin Peymanis Liberale Warte

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Lars Schweitzer / 17.06.2019

Ja, wenn sie weg vom Fenster sind, nähern sie sich “mutig” der Wahrheit an. Wie neulich auch Siegmar Gabriel. Als sie noch gestalten konnten, haben sie gekniffen.

Jürgen Schnerr / 17.06.2019

Ja der Herr Gauck. Recht hat er mit seinen Aussagen in seinem Interview. Aber auf ihn trifft auch zu, wie weiland Gorbatschow zu Honecker gesagt haben soll: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben! Und das mit dem rechts und links im politischen Sinne finde auch ich mittlerweile völlig daneben, seitdem die Linken und Grünlinken als SA für die globalen Kapitalisten fungieren.

Werner Arning / 17.06.2019

Man würde sich wünschen, dass einmal jemand, der noch in Amt und Würden steht, den Mut hätte, diese so offensichtliche Wahrheit auszusprechen. Noch zu Amtszeiten hatte Gauck diesen Mut nicht, obwohl er sicher schon damals ahnte, wie fragwürdig das ist, was sich in Deutschland vor unserer aller Augen abspielt. Möglicherweise lag ihm deshalb nicht daran, seine Amtszeit zu verlängern. Er hätte sich weiterhin anbiedern müssen. Und als Mensch, dem die Freiheit doch über alles ging, wäre dieser Seelenverkauf kein gutes Geschäft für ihn gewesen. Besser er sagt jetzt noch etwas zu dem Thema, als dieses gar nicht zu tun. Helfen wird es allerdings vermutlich nicht mehr. 2015/2016 würde es allerdings wahrscheinlich geholfen haben. Leider eine verpasste Chance. Werden Andere diese nutzen?

Hans-Peter Dollhopf / 17.06.2019

Links bist du auf alle Fälle, wenn du glaubst, dass du einen ewigen Feind innerhalb der Gesellschaft hast. Deinen Klassenfeind. Weil du ihn beständig konfrontieren und bekämpfen willst, bist du ein Klassenkämpfer. Da du entweder zu dumm, zu faul oder zu ungebildet bist, oder all das gleichzeitig, hat eine Avantgarde ohne dich bereits absolut klar gemacht, dass der Klassenkampf selbst eine wissenschaftliche und historische Tatsache ist: Führst du ihn nicht, dann macht es dein Feind. Wenn der Krankenpfleger nur einen winzigen Bruchteil des Einkommens der Pharmakonzern-Chefin hat. Wenn der Hambacher Forst-Baumbewohner seine Exkremente über einen Polizisten kübelt. Klassenkampf war, ist und soll immer sein! Klassenkampf ist ja die Anwendung eines geschichtlichen Naturgesetzes. Sobald die Linke Fuß fasst, ist es mit jedem gesellschaftlichen Frieden auf Dauer vorbei. Selbst wenn gegensätzliche Interessen unter Mithilfe der undogmatischen Linken bereits längst gelöst wurden. Interessenkonflikte gibt es wie Sand am Meer. Die Linke interpretiert sie nach für nach um in Aufträge für einzelne Schlachten des universellen Krieges der Klassen, den nur eine Seite gewinnen soll und darf und muss! Die andere Seite hat nur ein Axiom. “We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.” Das ist alles, was sie behalten will. Mehr nicht.

Marcel Seiler / 17.06.2019

Hat er sich explizit für sein “Dunkeldeutschland” öffentlich entschuldigt? Wenn ja, würde ich gern die Quelle wissen. Wenn nicht, dann bleibt der Mann in der Ecke meines Geistes, die ich für verachtete Personen des öffentlichen Lebens übrig habe.

Wolf Köbele / 17.06.2019

“Wem Gott ein Amt nimmt, schenkt er den Verstand” muß es heißen. Inzwischen allzu häufig unter Beweis gestellt von Bosbach, Maaßen, Gauck u.a. Das bisher geltende Sprichwort gehört entsorgt.

Andrea Stehle / 17.06.2019

Er hat auch gesagt: Das gelte für Menschen, für die Sicherheit und gesellschaftliche Konformität wichtiger seien als Freiheit, Offenheit und Pluralität. Bei diesem Satz stockte mir echt der Atem. Konservative vs. Freiheit???? Wiewohl ich den sonstigen Ausführungen durchaus folge, hat dieser Satz diese völlig ad absurdum geführt.

Michael Lorenz / 17.06.2019

“Not my President” galt für mich schon damals für den Verkünder eines Dunkeldeutschlands, und nichts daran hat sich geändert. Dieser Mann ist und bleibt Teil des Problems, nicht der Lösung!

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