Solange nicht klar ist, wie eine bezahlbare und quantitativ auskömmliche Energieversorgung ab dem Jahr 2024 aussehen soll, bleibt die Gaspreisbremse ein Stück interventionistischer Wirtschaftspolitik aus ideologischer Verblendung, für das viel Geld ohne nachhaltige Wirkung ausgegeben wird.
Dass die Experten-Kommission Gas und Wärme sich mit ihren Vorschlägen zur Gaspreisbremse nicht nur Freunde machen würde, war von vorneherein klar. Den einen fällt die Entlastung zu niedrig aus; so beklagen sich zum Beispiel die Kommunen, dass sie weitgehend leer ausgingen; auch die mittelständische Wirtschaft ist unzufrieden mit den Vorschlägen. Andere, wie Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, bemängeln, dass wirtschaftlich stärkere Haushalte mit höherem Einkommen über Gebühr profitieren. Natürlich ist da wieder die Rede von Hocheinkommensbeziehern mit Villen aus den Siebzigern und beheizten Schwimmbädern. Und dann gibt es noch die Fundamentalkritiker eines solchen marktwidrigen Interventionismus wie den Verfasser dieses Beitrages.
Dabei ist dem Gremium eigentlich gar nichts vorzuwerfen. Die Mitglieder der Kommission haben pflichtschuldigst das abgeliefert, was von der Bundesregierung bei Ihnen bestellt wurde. Dass sie damit nur als Feigenblatt wissenschaftlicher, wirtschaftspraktischer und gesellschaftlicher Rechtfertigung des „Doppelwumms“ instrumentalisiert wurden, ist ihnen möglicherweise sogar bewusst, wenn man die gequälten Mienen der drei Co-Vorsitzenden auf der Pressekonferenz vor sich sieht. Es war aber auch eine lange Nacht, wie sonst nur in Brüssel, wenn wieder einmal der Euro gerettet wird. Jetzt geht es darum, „sicher durch den Winter“ zu kommen – auch eine hehre Aufgabe.
Es gibt erst einmal eine Einmalzahlung
Am Ende des Tages hat sich die Kommission sogar vergleichsweise geschickt aus der Bredouille gezogen. Wie eine Quadratur des Kreises mutet die Aufgabe an, eine schnelle Entlastung von Bürgern und Wirtschaft und einen wirksamen Schutz vor finanzieller Überforderung mit klaren Einsparanreizen zu verknüpfen. Blamiert ist erst einmal die Politik als Auftraggeber, die bei der Präsentation des „Doppelwumms“ beim Publikum den Eindruck erweckt hat, der Gaspreisdeckel komme umgehend und würde vielleicht schon in diesem Winter wirksam. Dabei war man ohnehin viel zu spät dran, und die kurzfristige technische und praktische Realisierung einer solchen Lösung stand in den Sternen.
Nach der Wahl in Niedersachsen sieht die Welt auf einmal anders aus. Jetzt soll es für private Haushalte erst einmal eine Einmalzahlung „auf Basis des Verbrauchs, welcher der Abschlagszahlung aus September 2022 zugrunde gelegt wurde“ geben. Die Preisbremse wird auf „nach der Heizperiode“ verschoben. Auch wenn es bei der Umsetzung einer solchen Einmalzahlung nichttriviale technische Probleme geben dürfte, ist das zumindest eine Lösung, welche die Einsparanreize für die Haushalte im Wesentlichen aufrechterhält. Zusammen mit der Verschiebung der Gaspreisbremse ins nächste Frühjahr wird das Ziel einer Reduzierung der Gasnachfrage in der Größenordnung von 20 Prozent nicht ganz aus den Augen verloren.
Jeder Verbraucher erhält im Dezember praktisch eine Gutschrift in Höhe von rund 8 Prozent seiner Gasrechnung, unabhängig davon, ob er bedürftig ist oder nicht. Den Staatshaushalt kostet das schätzungsweise 5 Milliarden Euro. Damit bleibt dieser Vorschlag Subventionspolitik mit der Gießkanne (oder dem Gartenschlauch?) und kann nur dadurch gerechtfertigt werden, dass die Experten-Kommission sich das Motto „quick and dirty“ aus der Welt der Berater zu eigen gemacht hat. Die bessere Lösung wären selbstverständlich haushaltbezogene Zahlungen nur an Bedürftige gewesen. Positiv ist anzumerken, dass der erhaltene Rabatt grundsätzlich bei der Einkommensteuerveranlagung als geldwerter Vorteil zu berücksichtigen ist, auch wenn nach dem Willen der Kommission „möglichst hohe Freibeträge“ gelten sollen.
Gaspreisbremse für Haushalte kostet 66 Milliarden Euro
Mit dem Vorschlag einer (ca. einjährigen) Gas- und Wärmepreisbremse ab März 2023 folgt die Kommission dagegen den bereits im Abwehrschirm formulierten politischen Ideen. Für ein „Grundkontingent“ von 80 Prozent des an September 2022 orientierten Verbrauchs soll ein Preisobergrenze von 12 Ct/kWh gelten. Darüber wird der Preis des jeweiligen Versorgungsvertrages wirksam. Ein zusätzlicher Härtefallfonds und weitere Maßnahmen sollen sozial schwache Haushalte noch stärker entlasten.
Bei einer solchen Regelung bleibt aber keinesfalls „der volle Energiesparanreiz bestehen“, wie der Kommissionsbericht suggeriert. Eine derart konstruierte Gaspreisbremse unterminiert vielmehr die Bereitschaft der privaten Haushalte zum Sparen. Entsprechende Appelle dürften wirkungslos verhallen, wenn für bis zu 80 Prozent des Bedarfs der Preismechanismus außer Kraft gesetzt wird. Erwartungen, dass mit einem solchen Instrument gleichzeitig die Betroffenen entlastet und Preissignale gesetzt werden können, sind fatal und bleiben eine Illusion. Außerdem werden mit einer solchen Lösung in der Breite wieder auch zahlreiche Haushalte entlastet, welche die höheren Gaspreise grundsätzlich verkraften könnten. Die tendenziell höhere Nachfrage der Privaten geht dann zu Lasten der Industriekunden. Werden die avisierten Einsparungen bei den Haushaltskunden nicht erreicht, weil die Preissignale abgeschwächt sind, dürfte es im schlimmsten Fall zu Rationierungen im Bereich der Industrie kommen.
Die exorbitant hohen Subventionen, die so in den Gasmarkt fließen – die Kommission selbst schätzt ein Volumen von 66 Milliarden Euro –, werden zusammen mit der stabilen Nachfrage den Gasanbietern die Chance geben, auf Dauer von hohen Preisen zu profitieren, da die Preiselastizität erheblich gedämpft werden wird. Bereits mit der Ankündigung des Gaspreisdeckels verbessern sich die Möglichkeiten, höhere Preise bei Vertragsanpassungen durchzusetzen. Für die ausländischen Gaslieferanten eröffnet sich somit ein wahrer „Selbstbedienungsladen“ zu Lasten der Staatskasse, da nach dem Winter 2022/23 die deutschen Speicher leer sein werden und wieder aufgefüllt werden müssen.
Außerdem ist eine „wasserdichte“ Umsetzung einer solchen Regelung in der Praxis hochkomplex. Das hat auch die Kommission erkannt, wenn sie davon spricht, dass die Bundesregierung „robuste Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch zu ergreifen“ habe. Findige Experten werden allerdings versuchen, an diesem Big Deal mitzuverdienen und gewaltige Kollateralschäden produzieren. Cum-Ex lässt grüßen.
Keine vernünftige Energiepolitik
Ist das vernünftige Wirtschafts- und Energiepolitik? – wohl kaum, wenn mittelfristig über monetäre Transfers in Form eines zeitlich begrenzten und gegebenenfalls am Einkommen orientierten „Energiegelds“ weniger planwirtschaftliche Lösung zur Verfügung gestanden hätten. Auch die Gaspreisbremse für die gewerbliche Wirtschaft ist nicht das geeignete Mittel, die Probleme tatsächlich zu lösen. Kein Kubikmeter Gas fließt wegen der Preisbremse zusätzlich durch deutsche Gasleitungen. Mit der Deckelung des Gaspreises auf 7 Cent pro KWh für 70 Prozent des Verbrauches von 2021 ab 01. Januar 2023 wird der industrielle Gaseinsatz zeitlich befristet in bis zu 25.000 Unternehmen flächendeckend subventioniert.
Statt dieses Rettungsschirms für alle im Volumen von etwa 25 Milliarden Euro wären differenzierte Maßnahmen sinnvoller gewesen. Zumindest müsste zwischen Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen und industriellen Gasnutzern, die im Wesentlichen auf dem Inlandsmarkt unterwegs sind, unterschieden werden. Individuelle Härtefallregelungen und Liquiditätshilfen zzum Beispiel über die Stundung von Steuerzahlungen ist der Vorzug zu geben gegenüber radikalen Eingriffen in den Preismechanismus.
Auch wenn die Gaspreisbremse die Folgen höherer Inputpreise für die Unternehmen kurzfristig abmildert, ist das drängende strukturelle Problem damit nicht gelöst. Die Gaspreise zum Beispiel für importiertes LNG-Gas werden mittelfristig deutlich über dem Niveau vor der Krise liegen. Eine Dauersubventionierung ausländischer Gasimporte zum Schutz der heimischen Industrie kann aber kein Staatshaushalt stemmen.
Niemand spricht den Elefanten im Raum an
Damit kommen wir aber zur Gretchenfrage, der sich die Experten-Kommission Gas und Wärme leider nicht stellt beziehungsweise stellen darf. Mit ihrem Vorschlägen bleibt sie willfähriger Agent einer verfehlten Energiepolitik der Bundesregierung. Mit viel Geld der Steuerzahler beziehungsweise neuen Schulden, Umverteilung und komplizierten Markteingriffen soll vom Versagen der Energiepolitik der Regierung (und ihrer Vorgänger) abgelenkt und Zeit gekauft werden.
Niemand spricht den Elefanten im Raum an: Das Fehlen einer adäquaten Strategie, um mittelfristig das Energieangebot in Deutschland zu steigern und hierdurch glaubwürdig die aktuelle Preiskapriolen auf den Märkten zu bekämpfen sowie gleichzeitig die Preisentwicklung zu dämpfen. Heute fehlende Elemente einer solchen Strategie wären der politisch unterstützte schnelle Einstieg in die nationale Gasförderung mittels Fracking, die Aussetzung des Braunkohleausstiegs, ein dauerhafter Weiterbetrieb der letzten drei Atomkraftwerke und das glaubhafte Signal, Kernkraft auch langfristig als Backup-Option im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren zu akzeptieren. Eine solche sich auf rationale statt auf ideologische Überlegungen und die Faktenlage anerkennende Angebotsstrategie würde höchstwahrscheinlich die geplanten marktwidrigen Eingriffe in die Energieversorgung obsolet machen. Es bräuchte dann keine Gaspreisbremse, sondern allenfalls Unterstützungen für Härtefälle.
Stattdessen wird im Bericht der Kommission über eine Beschleunigung der Transformation der Wirtschaft philosophiert, und nur ganz verhalten am Schluss erwähnt, dass man sich bei der weiteren Arbeit auch mit „Optionen zur Angebotsausweitung“ beschäftigen will. Solange aber überhaupt nicht klar ist, wie eine bezahlbare und quantitativ auskömmliche Energieversorgung ab dem Jahr 2024 aussehen soll, bleibt die Gaspreisbremse ein Stück interventionistischer Wirtschaftspolitik aus ideologischer Verblendung, für das viel Geld ohne nachhaltige Wirkung ausgegeben wird. Man könnte auch einfach sagen: von Experten beglaubigter Murks.
Alexander Eisenkopf ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.