„Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht“. So lautet die Aufforderung zur Wachsamkeit in Kapitel 24 des Matthäus-Evangeliums. Es geht dort um das Ende der Welt im Zuge der Parusie, und es ist von falschen Propheten und Gesetzlosigkeit die Rede sowie von der großen Drangsal. Auch wenn Inflation nicht gleich das Ende der Welt und nicht für alle Drangsal bedeutet, sollte man doch wachsam sein. Darf man den zahlreichen Crash-Propheten folgen, die seit Jahren den Kollaps der derzeitigen Wirtschafts- und Währungsordnung und ein finanzielles Armageddon vorhersagen, deren Prophezeiungen aber bisher (noch) nicht eingetreten sind? Oder haben die Beschwichtiger recht, die Notenbanken und die Politik, sekundiert vom Mainstream der Wirtschaftswissenschaften? „Es wird noch eine Weile dauern, bis wir uns Sorgen um die Inflation machen“, formuliert die EZB-Präsidentin Christine Lagarde, und der in der Wolle gefärbte Keynesianer Peter Bofinger hält in einem Handelsblatt-Interview die aktuelle Geldpolitik für „gelungen“.
Eine nüchterne und rigorose Bestandsaufnahme, wem zu trauen ist, und ob bzw. wann die Inflation (wieder-)kommt, tut also not. Sie muss mit dem beginnen, was wir mit der sozusagen regierungsamtlich kommunizierten Inflationsrate eigentlich messen. Es geht dabei ausschließlich um die Güterpreisinflation; der von der Österreichischen Schule betonte Ansatz, dass Inflation eigentlich ein monetäres Phänomen ist, also bereits die Vermehrung bzw. wörtlich „Aufblähung“ der Geldmenge Inflation ist, wird in der aktuellen Diskussion vollkommen ausgeblendet.
Erst die in der Folge steigenden Preise für Güter und Dienstleistungen („Teuerung“) werden als Problem angesehen. Mit einem Wachstum der Geldmenge M3 in Euroland um 12 Prozent auf rd. 14.500 Mrd. Euro war 2020 im österreichischen Sinne ein extrem inflationäres Jahr, während die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt im Euroraum nur 0,3 Prozent betrug (!). Festzuhalten ist auch, dass das entsprechende Geldmengenaggregat vor der Finanzkrise 2008/2009 noch rd. 8.600 Mrd. umfasste. Die Geldschöpfung und damit auch M3 nahmen aufgrund der extrem expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mit Nullzinsen und später auch Quantitative Easing Jahr für Jahr stark zu.
Die zentrale Frage ist, ob der durch das anhaltende „Gelddrucken“ entstehende Geldüberhang auch zu einer Güterpreisinflation, also demnächst auch zu einer höheren Inflationsrate führen wird. Diese wird in Deutschland bekanntlich über die Preisänderung von Gütern und Dienstleistungen eines Warenkorbes privater Haushalte gemessen, die in einen Verbraucherpreisindex eingehen. Darunter fallen zum Beispiel Nahrungsmittel, Bekleidung und Mobilitätsdienstleistungen ebenso wie Mieten, Freizeitaktivitäten oder Reparaturen. Der Warenkorb umfasst rd. 650 verschiedene Güter und Dienstleistungen, die in einem empirisch fundierten Wägungsschema, das einen repräsentativen Haushalt abbilden soll, zusammengefasst werden.
Die Inflationsmessung ist nicht aussagekräftig
Man muss kritisch hinterfragen, ob mit diesem Instrument gesamtwirtschaftliche „Teuerung“ korrekt erfasst und abgebildet wird. So wird der zugrundliegende Warenkorb in der Regel fünf Jahre lang konstant gehalten. Seine Repräsentativität nimmt ab, weil sich das Konsumverhalten im Zeitablauf ändert und Nachfrager sich verteuernde Produkte tendenziell durch günstigere Substitutionsgüter ersetzen, also der Inflation auszuweichen versuchen. Außerdem werden Preissteigerungen von Konsumenten entsprechend deren individuellem persönlichem Warenkorb unterschiedlich wahrgenommen („gefühlte Inflation“). Bestimmte Konsumgüter werden möglicherweise überhaupt nicht oder wegen höher Preise nicht mehr nachgefragt. Außerdem bleibt die sogenannte Vermögenspreisinflation völlig außer Betracht; also solche wird der Preisanstieg von Vermögenswerten wie Aktien, Anleihen, Gold und Immobilien infolge expansiver Geldpolitik bezeichnet.
Die Inflation der Geldmengen ist also bereits seit längerem gegeben; auch die Vermögenspreise, insbesondere die Preise von Immobilien, haben in den letzten Jahren stark angezogen. So sind allein im Jahre 2020 laut Berechnungen des Vermögensverwalters Flossbach von Storch die Preise für das Vermögen, das sich in Besitz privater deutscher Haushalte befindet, um 6,3 Prozent gestiegen. Es stellt sich unmittelbar die Frage, ob die beschriebene drastische Aufblähung der Geldmengenaggregate mittelfristig auch auf die Konsumentenpreise durchschlagen wird. Dazu gibt es, wie häufig in der Ökonomie, mindestens zwei Sichtweisen. Die eine hält die aktuelle Geldpolitik für weitgehend unbedenklich bzw. die Zentralbanken für in der Lage, Inflation im Zweifelsfalle wirksam zu bekämpfen – siehe die eingangs zitierte Einlassung von Peter Bofinger. Das dahinterstehende Argument ist die Unterauslastung des Produktionspotentials (Output-Gap), die aktuell durch Corona deutlich verstärkt wurde. Man geht davon aus, dass die derzeitige Arbeitsmarktlage keine starken Lohnsteigerungen zulasse und die Notenbanken im Zweifelsfall in der Lage seien, Inflation wirksam zu bekämpfen, ohne die wirtschaftliche Entwicklung zu gefährden.
Geldüberhang führt unweigerlich zu Inflation
Die andere Position, die eher auf monetaristischem Gedankengut fußt, ist überzeugt, dass das extreme Wachstum der Geldmengen über kurz oder lang zu Inflation führen muss, wenn in einer Welt nach Corona die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen im „normalen Leben“ wieder anzieht. Viele träumen ja bereits vom Wiederaufleben der Roaring Twenties nach den Lockdowns. Hinter dem Inflationspessimismus steht immer noch die Idee der Fisher’schen Quantitätsgleichung. Danach entspricht das nominale Bruttoinlandsprodukt in einer Volkswirtschaft dem Produkt aus Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Steigendes Geldangebot führt bei stagnierender realer Wirtschaftsleistung unmittelbar zu einem höheren Preisniveau, wenn die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes als konstant angenommen wird. Da diese Gleichung immer gelten muss, lässt sich die relativ verhaltene Preisentwicklung der letzten Jahre nur dadurch erklären, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes tatsächlich stark gesunken ist bzw. der Kassenhaltungskoeffizient gestiegen. Um einen keynesianischen Terminus einzuflechten: Das Geld ist sozusagen in der Liquiditätsfalle verschwunden.
Das muss aber nicht immer so bleiben, wenn die Vertreter dieser Denkrichtung Recht behalten. Kommt die Inflation erst einmal in Fahrt, werden die Leute versuchen, ihr Geld auszugeben, bevor es weiter an Wert verliert und damit eine bereits laufende inflationäre Entwicklung weiter anheizen; Wenn dann auch entsprechende Lohnsteigerungen durchgesetzt werden können, nimmt der Inflationszug unweigerlich Fahrt auf.
Man erinnere sich an die durch die Ölkrise 1973/74 ausgelöste Wirtschaftskrise. Damals wurden im öffentlichen Dienst Lohnerhöhungen von 15 Prozent gefordert. Nach einem längeren Streik der Gewerkschaft Öffentliche Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV), einer Vorläuferin von ver.di, kam es einer Tariferhöhung von 11 Prozent; ähnliche Lohnzuwächse erreichten die damals noch wesentlich beschäftigungsintensivere Stahlindustrie und die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG). Bemerkenswert ist, dass damals – ähnlich wie heute in der Corona-Krise – ein Angebotsschock die wirtschaftlichen Verwerfungen auslöste. Auch in den Siebzigern reagierte die Politik darauf mit symbolischen Handlungen wie den legendären Sonntagsfahrverboten auf Autobahnen. Nach einer Inflationsrate von 7 Prozent im Jahr 1974 bildeten sich die Preissteigerungen in Deutschland zwar (etwas) zurück, aber auch die wirtschaftliche Dynamik lahmte. Es kam zu einer sogenannten Stagflation.
Inflation wird kurzfristig anziehen
Wie kann es vor dem Hintergrund dieser Überlegungen in Deutschland beziehungsweise in Euroland weitergehen? Schauen wir uns die einzelnen Einflussfaktoren an. Die aktuelle Situation auf der Angebotsseite ist dadurch geprägt, dass die Ölpreise seit ihrem Tief im Frühjahr 2020 wieder deutlich angezogen haben; hier ist auch für die nähere Zukunft nicht mit einer spürbaren Korrektur zu rechnen, da die Erdöl exportierenden Länder Preise auf dem aktuellem Niveau zur Stabilisierung ihrer Staatshaushalte benötigen.
Auch die Preise für andere industriell relevante Rohstoffe sind in den letzten Monaten von einer fulminanten Hausse erfasst werden. Beispielhaft sei hier der Kupferpreis genannt; da Kupfer für viele Anwendungen im Rahmen der Energiewende bedeutsam ist, zeichnet sich auch hier keine Entspannung ab. Die Frachten in der internationalen Containerschifffahrt sind derzeit auf rekordverdächtigem Niveau, verteuern Importgüter und wirken sich tendenziell belastend auf den internationalen Handel aus. Zahlreiche importierte Vorleistungsgüter werden wegen der Verwerfungen in den internationalen Logistikketten knapper und führen bereits zu stark steigenden Erzeugerpreisen auf den industriellen Vorstufen.
Diese Entwicklungen werden allerdings langfristig zumindest nicht mit der gleichen Dynamik weitergehen. Dagegen sind steigende Preise aufgrund klimapolitischer Maßnahmen bereits angelegt und nicht nur ein temporäres Phänomen, das Bundesverfassungsgericht lässt grüßen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) schätzt den Basiseffekt der über das Brennstoffhandelsgesetz eingeführten CO2-Steuer in Deutschland auf 0,4 Prozent. Bekanntlich werden die Steuersätze weiter steigen; in der CDU gibt es bereits Gedankenspiele, den Steuersatz 2023 auf 60 Euro je Tonne gegenüber der bisherigen Beschlusslage fast zu verdoppeln. In ähnlicher Größenordnung wie die aktuelle CO2-Steuer wirkt die originäre Preissteigerung für Energierohstoffe, während die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer zum 01.01.21 die Inflationsrate im Gesamtjahr um 0,6 Prozentpunkte erhöhen wird.
Auf der Nachfrageseite beobachten wir einen Rückstau von Konsumausgaben infolge der pandemiepolitikbedingten Restriktionen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln schätzt diesen auf 1.250 Euro je Bundesbürger. Insgesamt geht es für 2020 und 2021 um einen Gesamtbetrag von rund 200 Mrd. Euro, rund 10 Prozent der Konsumausgaben eines Jahres. Werden diese (kurzfristig) nachgeholt, sind v.a. Dienstleistungen gefragt und es steht zu befürchten, dass die nach den zu erwartenden flächendeckenden Marktaustritten verbliebenen Anbieter die Gelegenheit nutzen werden, um kräftige Preiserhöhungen durchzusetzen.
Hinzuweisen ist auch auf das inflationäre Potenzial des EU-Corona-Hilfspakets im Volumen von 750 Mrd. Euro und des 1,9 Billionen schweren Hilfspakets von Jo Biden, wo bereits heute hunderte Milliarden US-Dollar darauf warten, verausgabt zu werden. Entsprechend sind die Inflationserwartungen an den Märkten zwar gestiegen, bleiben aber erstaunlicherweise immer noch auf moderatem Niveau. Während die Fünfjahres-Erwartungen für die USA aktuell 2,34 Prozent betragen, sind es für die Eurozone im April 2021 nur 1,56 Prozent. Die Ökonomen des IfW gehen vor allem aufgrund der Sondereffekte für 2021 von einer Konsumentenpreisinflation in Höhe von 2,4 Prozent in Deutschland aus; im Folgejahr soll dieser Wert wieder auf unter 2 Prozent sinken.
Soweit so gut – derartige Inflationsraten wären an sich noch kein Beinbruch, zumal die EZB ja schon langem mit ihrem 2-Prozent-Inflationsziel hausieren geht, den Leuten Angst vor der gefährlichen Deflation einjagt und eine „Teuerung“ von 2 Prozent als Preisstabilität ansieht. Preisstabilität ist das selbstverständlich nicht, denn eine einfache Überschlagsrechnung zeigt, dass die Konsumentenpreise bei dieser Rate nach 20 Jahren um rund 50 Prozent höher liegen. Die Kaufkraft beträgt dann nur noch zwei Drittel des Ausgangswertes, ganz abgesehen von den rasant steigenden Vermögenspreisen, die zumindest was die Immobilien angeht, auch für den Normalbürger relevant sind.
Erhebliches Potential für mittelfristigen Preisauftrieb
Tatsächlich gibt es aber gute Argumente dafür, dass die Inflationsraten in Deutschland auch mittel- bis langfristig deutlich höher liegen können. So werden Dienstleistungen für eine alternde Gesellschaft immer wichtiger; hier ist aber das Produktivitätswachstum sehr begrenzt und Lohnerhöhungen schlagen sehr schnell auf die Preise durch – man denke z.B. an die derzeit häufig beklagte Unterbezahlung der Pflegeberufe und die Unterfinanzierung des Gesundheitssystems allgemein. Die demographische Entwicklung – insbesondere das bis Ende des Jahrzehnts bevorstehende Ausscheiden der Baby-Boomer aus der Erwerbstätigkeit – limitiert zudem das Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials und erzeugt dadurch Inflationsdruck.
Außerdem wirken verschiedene gesellschaftliche Trends und insbesondere die absehbaren Maßnahmen der Klimapolitik tendenziell preissteigernd. So wird es im Zuge der politisch gesetzten und möglicherweise demnächst noch verschärften Klimaziele bis 2030 und darüber hinaus zu massiven Kostensteigerungen für Energie generell, und speziell für Mobilität und Transportdienstleistungen bzw. auch den Gebäudesektor kommen. Die Effizienz von logistischen Prozessen wird mit der Verlagerung auf die Bahn oder der Nutzung von Lastenfahrädern statt motorisierten Transportern sinken und zu Preissteigerungen führen.
Hinzu kommt das gesellschaftliche Unbehagen gegenüber der Globalisierung und deren Verteuerung bzw. Zurückdrängung durch klimapolitisch bedingte Grenzausgleichsabgaben und höhere Transportkosten. So ist in Zukunft nicht mehr damit zu rechnen, dass die Importsubstitution im gleichen Maßstab wie seit dem Millennium die nationale Preisentwicklung dämpft. Auch der Wunsch nach lokal, umweltfreundlich und tierwohlgerecht produzierten Lebensmitteln sorgt für ein höheres Preisniveau.
In einer solchen komplexen Gemengelage sollte der Bürger nicht damit rechnen, dass er ungeschoren davonkommt. Insbesondere sollte er nicht darauf vertrauen, dass die Notenbanken, und hier speziell die EZB, willens und in der Lage sind, eine aufkommende schwere oder trabende Inflation wirksam zu bekämpfen. Bereits 5 Prozent jährliche Inflation bedeuten aber nach 10 Jahren eine Kaufkraftminderung um rd. 40 Prozent. Die US-amerikanische Notenbank hat ja bereits signalisiert, dass sie bereit ist, höhere Preissteigerungsraten zu akzeptieren, ohne an der Zinsschraube zu drehen. Eher wird es zu Staatseingriffen über Höchstpreisregimes in einzelnen Branchen kommen, um dem Unmut der breiten Massen hinsichtlich steigender Preise zu begegnen. Die aktuelle Diskussion um den Mietendeckel in Deutschland gibt einen Vorgeschmack davon, die wirtschaftliche Situation Venezuelas zeigt das dystopische Ergebnis solcher ungebremster Interventionsspiralen.
Notenbanken kommen aus ihrer Ecke nicht mehr heraus
Nüchtern betrachtet haben sich die Notenbanken weltweit mit ihrer fiskalisch dominierten Geldpolitik in eine Ecke hineinmanövriert, aus der sie nicht mehr herauskommen, zumal Inflation (neben ungleich unattraktiveren Steuererhöhungen) das zentrale Instrument zur Entschuldung überschuldeter Staaten ist. Jedes wirtschaftspolitische Problem der letzten Jahre wurde mit einer Geldschwemme gelöst, was nur so lange gut gehen kann, bis der massive Geldüberhang sich aufgrund realwirtschaftlicher Inflationspotentiale in Preissteigerungen manifestiert. Jetzt zeigen sich langsam die Grenzen dieser Politik.
Fritz Machlup hat das, was passieren wird, wenn das süße Gift der ungebremsten Geldmengexpansion zu wirken beginnt, in seiner 1934 noch in Österreich erschienenen, sehr lesenswerten Schrift „Führer durch die Krisenpolitik“ so beschrieben:
„Die Notenbank kann verschiedene Gruppen in der Wirtschaft – den Staat oder die Industrieunternehmen oder die Landwirtschaft usw. – durch die Gewährung von Krediten mit Kaufmitteln ausstatten, die sie bisher nicht hatten. Die Nachfrage dieser kaufkräftig gewordenen Gruppen führt eine Absatzsteigerung in manchen Produktionszweigen herbei. Diese Produktionszweige benötigen zur Ausdehnung ihrer Erzeugung zunächst einmal wieder Kredit, den sie auch von der Notenbank bekommen sollen, und mit diesen neugedruckten Geldern kaufen sie die Produktionsmittel, die zur Herstellung ihrer Erzeugnisse nötig sind. Es strömen die neugeschaffenen Kaufmittel von einer Hand zur anderen, von einer Gruppe zur anderen und schaffen die angenehme Stimmung zunehmenden Reichtums.
Die Bevölkerung, die sich nun für reicher hält, als sie tatsächlich ist, steigert unternehmungslustig alle Arten von Anschaffungen und Anlagen und steigert auch den persönlichen Aufwand. Es ist das bekannte Bild der "Prosperität", der sich Amerika vor allem in den Jahren 1927 bis 1929, Deutschland und Österreich – in anderen Maßen – einige Jahre vorher erfreut haben. Die Prosperität kann eine Zeitlang andauern. Sie dauert so lange, als es möglich ist, die Schaffung zusätzlicher Kaufkraft immer weiter fortzusetzen. Eines Tages muss es sich dann zeigen, dass es mit der Ausdehnung des Notenbankkredits nicht mehr weiter gehen kann, sei es dadurch, dass die Bevölkerung das sich entwertende Geld ablehnt, sei es, dass das Bewusstsein von der übermäßigen Inanspruchnahme von Kredit dem allzu großen Optimismus ein Ende setzt. Was dann nachfolgt, wissen alle. Es ist die Krise mit ihrer Katastrophenstimmung, mit den Verlusten, Schleuderverkäufen, Konkursen und dem Offenbarwerden einer furchtbaren Verarmung.“
Was würde es tatsächlich bedeuten, wenn die EZB ernst machte, eine schmerzhafte Güterpreisinflation über deutlich steigende Zinsen wieder zu zähmen, anstatt die Krise zu perpetuieren? Zu erwarten wäre ein Zusammenbruch des Kartenhauses Euro bzw. der Eurozone: Steigende Zinsen zwingen prekär finanzierte Unternehmen in den Bankrott und überschuldete Staaten in den Staatskonkurs. Private Banken gehen wegen des Zusammenbruchs zahlungsunfähiger Kreditnehmer reihenweise pleite, Pensionskassen und Versicherungen können ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Immobilieneigentum, das mit Nullzinshypotheken bis an die Schmerzgrenze fremdfinanziert wurde, kommt spätestens bei Anschlussfinanzierungen unter den Hammer. Finanzmärkte stürzen in den Abgrund, und die Realwirtschaft wird in den Strudel des völligen Zusammenbruchs gezogen.
Selbst wenn die EZB eine einmal entfachte Inflation also wieder eindämmen könnte – was von Hayek mit dem Fangen eines Tigers am Schwanz verglichen hat – wird sie es nicht tun, solange die Situation irgendwie kontrollierbar und mit finanzieller Repression des Staates beherrschbar bleibt. Die Folgen einer Abkehr von der aktuell praktizierten Geldpolitik wären so apokalyptisch, dass wir sie uns kaum vorzustellen vermögen. Wir werden uns also auf dauerhaft hohe Inflationsraten einstellen müssen – auch weil uns schon länger die Kraft fehlt, die notwendigen grundsätzlichen Reformen des Geld-, Kredit- und Bankenwesens anzugehen, um die mittlerweile in einer perversen Rolle gefangenen Notenbanken endlich zu entmachten.