Für zwei Billionen im afghanischen Kreis gedreht

In einem Fall erfreulicher Kontinuität zwischen den Regierungen Trump und Biden hat der amerikanische Präsident sich darauf festgelegt, bis zum 11. September, dem zwanzigsten Jahrestag der kriegsauslösenden Anschläge, die amerikanischen Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen, was auch das Ende des deutschen Mandats in diesem Land bedeuten dürfte.

Die Motivation für die erste Phase des Krieges direkt nach den Anschlägen war klar, berechtigt und fand die Zustimmung und Mitarbeit einer breiten Staatengemeinschaft. Die damals in Afghanistan herrschenden Taliban boten Osama bin Ladens al-Qaida eine Operationsbasis und Schutz als Gäste. Das konnten die Vereinigten Staaten und die Staatengemeinschaft nicht hinnehmen. Das aus diesem Sachverhalt folgende Ziel, nicht nur der Entmachtung, sondern der Bestrafung oder Vernichtung von al-Qaida und Taliban, wurde im Wesentlichen schon nach starken zwei Monaten erreicht. Mit der Schlacht von Tora Bora im Dezember, auch unter deutscher Beteiligung, waren Qaida und Taliban wesentlich geschwächt und auch ein erheblicher Blutzoll von ihnen gefordert worden.

Ein Äquivalent der Hunnenrede

Der amerikanische Sänger Toby Keith setzte dieser ersten Phase des Krieges, die im Wesentlichen eine erfolgreiche Strafexpedition war, ein musikalisches Denkmal in seinem Lied „Courtesy Of The Red, White And Blue (The Angry American)“, wenn man so will ein musikalisches Äquivalent der Hunnenrede Kaiser Wilhelms II. Das im Lied beschriebene große Feuerwerk fand auch tatsächlich statt, zum Beispiel mit dem im Grunde eher symbolischen, aber trotzdem nicht weniger spektakulären Einsatz der BLU-82 „Daisy Cutter“, einer Bombe, die so lächerlich groß ist, dass sie nur von Transportflugzeugen ins Ziel gebracht werden kann, mit entsprechendem Knalleffekt.

Damit stellte sich allerdings die Frage, was man nach dieser Erledigung der Strafexpedition machen wollte.

„Krieg gegen den Terror“

Einerseits gab es von der amerikanischen Regierung die Vorstellung des „Krieges gegen den Terror“. Die sprachliche Schwammigkeit dieses Begriffs korrespondiert mit der militärischen Schwammigkeit. „Terror“ bedeutet ja „Schrecken“, also eine dem Menschen immanente Gefühlserregung, die sich noch weniger als „Drogen“ und so wenig wie Windmühlen als Gegenstand eines Krieges eignet. Die Fähigkeit, Schrecken zu empfinden, ist dem Menschen eigen, so dass der Krieg gegen den Schrecken kein aus der Mission vorgegebenes begrenztes Ziel und keine räumliche, zeitliche oder inhaltliche Beschränkung hat.

Aus dieser Entgrenztheit der Kriegsziele entstanden dann solche Konstrukte wie die von der Bush-Regierung ins Spiel gebrachte Figur des Taliban als „ungesetzlichen Kombattanten“, der kein eigentlicher Kriegsteilnehmer, sondern lediglich Objekt eines Feindstrafrechts sei. Irgendwann brachte das aber keine Satisfaktion mehr, sondern die Kriegsgefangenenlager und Sondertribunale wurden mehr zu einer Bürde und zu einer Peinlichkeit, ohne dass die Last des Schreckens wirklich von den Menschen abfiel, was sie als Grundkomponente menschlichen Empfindens auch nicht kann.

Brunnen und Mädchenschulen

Andererseits gab es sowohl bei den Amerikanern als noch viel mehr bei deren europäischen Verbündeten und insbesondere bei den Deutschen die Vorstellung, in Afghanistan irgendwie eine Nation aufzubauen, Frieden zu schaffen, und – gerne betont – Frauenrechte einzuführen. Anstatt zu sagen, dass der Einsatz der Bestrafung und Vernichtung der Hintermänner des 11. September und derer, die ihnen Schutz gewährten, diente, stellte man sich die deutsche Mission so vor, dass da Brunnen gebohrt und Mädchenschulen errichtet werden sollen. Es hat nicht nur in der Rückschau eine gewisse Lächerlichkeit, dass es zu einem großen Aufsehen führte, als im Jahre 2009, acht Jahre nach Kriegseintritt, der deutsche Verteidigungsminister von und zu Guttenberg davon sprach, dass er Soldaten „verstehe“, die sagten „das ist Krieg“, selber aber lieber von „kriegsähnlichen Zuständen“ sprach. 

Das Ziel eines Wiederaufbaus Afghanistans, wenn möglich als liberale Demokratie, war einerseits unter den genannten drei Kriegszielen das einzige wirklich politische im Clausewitz’schen Sinne, dem Feind den eigenen Willen aufzuzwingen. Bei der Strafexpedition soll dem Feind Leiden und Sühne auferlegt werden, und ein ‚Krieg gegen den Terror‘ ist schon dem Wort nach eine Art Selbstpsychotherapie, während der Wunsch, dass in Afghanistan eine bestimmte Gesellschaftsordnung herrschen möge, ein genuin politischer ist.

Gleichzeitig war dieses politische Ziel aber vollkommen naiv und mit den begrenzten Kräften, auch dem begrenzten Herrschaftsanspruch der westlichen Kräfte, nicht zu erreichen. Die Probleme der afghanischen Gesellschaft saßen und sitzen tief, der dortige Bürgerkrieg dauerte zum Zeitpunkt des westlichen Kriegseintritts bereits zwei Jahrzehnte, und es sind bereits die Sowjetrussen mit einer viel größeren Truppenstärke, viel größerer Bereitschaft, ihre Soldaten zu opfern, und viel geringeren moralischen Beißhemmungen daran gescheitert, da eine neue gesellschaftliche Ordnung einzuführen. Es war von daher absolut nicht abzusehen, wie eine Präsenz von einigen zehntausend westlichen Truppen das erreichen sollte, und man kann in diesem Plan wohl nur eine maßlose Überschätzung der Strahlkraft westlicher Ideen sehen.

Dreitausendfünfhundert Tote und nichts erreicht

Trotz oder vielmehr wegen der Abwesenheit eines realistischen Kriegsziels kam es dann unter der Obama-Regierung zum „surge“, also „Schwall“, einer erheblichen Aufstockung der Truppen auf bis zu 140.000 anwesende ausländische Soldaten, was aber in Bezug auf das Kriegsziel der Einführung einer neuen Gesellschaftsordnung immer noch unplausibel wenig war. Damit stiegen auch die Verluste der westlichen Truppen massiv an, von zweistelligen Zahlen während der Phase der Strafexpedition auf 710 im Jahre 2010, ohne dass wirkliche Erfolge sichtbar wurden. Auch Präsident Obamas Konzentration auf den Einsatz von Drohnen und Spezialeinheiten änderte daran nichts, außer dass die Zahl der eigenen Verluste immerhin wieder sank.

In der Abwesenheit einer plausiblen Strategie wurde aus Afghanistan Amerikas am längsten währender Krieg. Ein amerikanischer Berufssoldat muss zwanzig Jahre dienen, bis er sich eine Pension verdient hat und in den Ruhestand gehen kann, so dass dieser Krieg ein ganzes Berufssoldatenleben ausfüllen konnte. Gleichzeitig dienen heute junge Männer und auch Frauen in Afghanistan, die zum Zeitpunkt der Anschläge vom 11. September noch nicht einmal geboren waren. Erreicht wurde seitdem nichts, die Lage entspricht wesentlich jener nach dem Abschluss der ursprünglichen Phase der Strafexpedition. Zwischenzeitlich ließen bisher 3.562 Soldaten der Koalition, darunter 57 Deutsche, in Afghanistan ihr Leben, mit einer wesentlich größeren Zahl von an Leib und Seele geschädigten Soldaten und auch Angehörigen. Dazu kommen mehr als zwei Billionen Dollar Kosten alleine auf amerikanischer Seite, während das afghanische Bruttoinlandsprodukt bei ungefähr zwanzig Milliarden liegt – die Amerikaner haben sich den Krieg in Afghanistan also das Hundertfache der dortigen jährlichen Wirtschaftsleistung kosten lassen, eine Summe, von der man sich gutes Betragen vermutlich auch hätte kaufen können.

Ein möglichst schneller Abzug aus Afghanistan ist jetzt natürlich ein Eingeständnis des Scheiterns, und es gibt immer noch Falken wie Senator Mitch McConnell, der Präsident Bidens Abzug damit bezeichnet hat, „das Land [Afghanistan] in Geschenkpapier zu verpacken und ihnen [den Taliban] zurückzugeben“. McConnell hat sicher recht damit, dass ausgerechnet der 11. September als Jahrestag für den Stichtag „bizarr“ sei. Es kann sein, dass Biden aus irgendwelchen Gründen mehr Zeit braucht als Präsident Trumps Stichdatum im Mai, aber die Symbolik, das Scheitern ausgerechnet auf den Jahrestag der Anschläge zu legen, ist schwer verständlich. Der Abzug aber war überfällig, eigentlich schon seit neunzehn Jahren. Ironischerweise war es gerade die Hybris der zu großen politischen und humanitären Mission, die auf die Strafexpedition folgen sollte, welche das Leiden um viele Jahre und viele Tote verlängert hat, ohne aber, und das im Gegensatz zur militärisch plausiblen und erfolgreichen Strafexpedition, ihr Ziel erreichen zu können.

 

Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder. Dieser Artikel erschien zuerst auf seinem Blog mosereien.org.

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Leserpost

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Klaus Klinner / 16.04.2021

Wenn man Afghanistan und Kabul noch aus “Sowjetzeiten” kennt, allein wenn man weiss, dass damals so gut wie keine Frau verschleiert lief, dass sie dort Professorinnen und Ministerinnen waren, dann kann man so ungefähr einschätzen wohin sich die Entwicklung seitdem gewendet hat. Stolz brauchen wir darauf nicht zu sein. Warum haben wir denn alles daran gesetzt genau das abzureißen, was man jetzt vorgeblich wieder erfolglos aufbauen wollte?

Friedrich Richter / 16.04.2021

Die Entscheidung zum Rückzug kommt spät, ist aber konsequent. Es wäre völlig sinnlos, weitere Ressourcen in diesem Land zu verschwenden. Es ist noch nie gelungen, diese archaische Stammesgesellschaft zu befrieden und zu modernisieren, von außen nicht und auch nicht von innen. Selbst die kurzen, eher liberalen Intermezzi in den 60er und 70er Jahren unter dem Schah und mit der Republik haben die Gesellschaft im Kern nicht verändern können. Wer jetzt noch zögert, die eigenen Truppen zurückzuziehen, der hat nur Angst vor dem eigenen Gesichtsverlust und nimmt dafür Opfer unter der Bevölkerung und den eigenen Soldaten billigend in Kauf. Und die von gewissen Leuten jetzt erwartete Flut von Flüchtlingen lässt sich schon dadurch wirksam eindämmen, indem man sich die jungen Männer genau anschaut, bevor man sie in Europa einreisen lässt. Dafür muss man nur geltendes Recht anwenden.

B.Kröger / 16.04.2021

In Russland muss man jetzt sehr vorsichtig sein.

Hartmut Laun / 16.04.2021

Wie in Vietnam: Wir haben verloren, darum haben wir gesiegt und flüchten aus Vietnam so schnelles nur geht. Nebenaspekt:  Wo sind die Klimaschützer, wenn ich den CO2-Fußabdruck des jahrelangen Einsatzes des US - Militärs, nicht nur in Afghanistan, messen würde?

Dr. Jürgen Kunze / 16.04.2021

Zusammenfassend kann also gesagt werden: ob demokratisch oder republikanisch: die beteiligten amerikanischen Präsidenten hatten einen Sockenschuss. Die deutsche Staatsführung natürlich auch. Mir klingen noch die Worte de Maizières in den Ohren, der als Ziel des deutschen Miteinsatzes die Herstellung einer demokratischen Gesellschaft in dem Land propagierte. Bullshit von Anfang an!

Matthias Thiermann / 16.04.2021

Sie haben’s immer noch nicht kapiert. Die Ziele wurden alle erreicht!

Volker Kleinophorst / 16.04.2021

Außer Spesen nix gewesen? Na ja immerhin hat man die neue Völkerwanderung losgetreten, indem man das gesamte Gebiet destabilisiert hat. Mit dem 911-Narrativ und der Massenvernichtungswaffenlüge.

Jörg Themlitz / 16.04.2021

@giesemann gerhard: Niall Ferguson “Der falsche Krieg” (geht um WK I)  legt darin dar, wie hoch die Kosten waren, um einen feindlichen Soldaten zu töten. Die konkreten Zahlen kann ich Ihnen jetzt aus dem Gedächtnis nicht sagen, nur die Größenordnung. Die Britten hatten für den Tod eines deutschen Soldaten dreimal höhere Kosten als die Deutschen für den Tod eines britischen Soldaten.

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