Volker Seitz / 05.07.2017 / 06:17 / Foto: Johann Werfring / 28 / Seite ausdrucken

Familienplanung darf kein Afrika-Tabu bleiben

Von Volker Seitz.

Es ist weltfremd zu glauben, die „Flüchtlingskrise“ 2015 wäre unerwartet über Europa  hereingebrochen. Lange ist bekannt, dass die Bevölkerung in den meisten afrikanischen Staaten unaufhaltsam wächst – und in keinem Verhältnis zur ökonomischen Entwicklung steht. Auch weiterhin werden Tausende Afrikaner in den industrialisierten Norden drängen. (Nach seriösen Prognosen der UN kommen allein 2017 mehr als 300.000 Migranten, meist junge Afrikaner, über die Mittelmeerroute nach Italien.) Deshalb müssen die betroffenen Länder und die Entwicklungshilfegeber endlich den Schwerpunkt auf Familienplanung legen.

Das Bevölkerungswachstum ist mit Sicherheit einer der wichtigsten Faktoren bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Fast alle Länder in Afrika verdoppelten in den letzten vierzig Jahren ihre Bevölkerungszahl alle zwei Dekaden. Der hohe Bevölkerungsanstieg verursacht Konfliktpotential: durch mangelnde Ernährungssicherheit, Wasserknappheit, Druck auf Gesundheits- und Bildungssysteme, Arbeitslosigkeit. Außerdem steigt bei einer höheren Population und Verteilungskämpfen die Aggression. Der Entwicklungsstand eines Landes hängt eng mit dem Bevölkerungswachstum zusammen. Mit einer erfolgreichen Familienplanung hat zum Beispiel in Vietnam der nachhaltige wirtschaftliche Aufstieg begonnen.

Es ist alarmierend, dass die Zahl der Bevölkerung in Afrika doppelt so rasch wächst wie die Wirtschaft. Wer aber die Reduktion der Geburtenzahlen in Afrika fordert, wird bei uns immer noch des Neokolonialismus verdächtigt und in die rechte Ecke gestellt. Obwohl Afrika extrem hohe Geburtenraten hat, kann ich mich in den letzten dreißig Jahren an keine Diskussion über die notwendige Reduktion der Geburtenzahlen erinnern. Es herrscht bei uns weiter Ratlosigkeit. Familienplanung und Empfängnisverhütung sind „kulturell sensible Bereiche“. Viele Kinder zu haben ist in Afrika ein Symbol für Männlichkeit. Die Frauen, je nach Bildung der Familienplanung gegenüber aufgeschlossen, sind dem Willen der Männer ausgeliefert. Für viele Politiker hängt zudem ihre Macht vom Kinderreichtum ihrer Volksgruppe ab.

Die Bevölkerung wächst doppelt so schnell wie die Wirtschaft

Obwohl die UNO eine Prognose veröffentlicht hat, dass es in Afrika in naher Zukunft mehr junge Menschen gibt als in allen G 20 Ländern zusammen, fehlt das Thema auf der Agenda der G 20 in Hamburg. Aber der Kern der vorbeugenden Fluchtursachenbekämpfung liegt in der Reduzierung der Fruchtbarkeit. Großzügige Finanzhilfen im Rahmen einer Vereinbarung könnten möglicherweise helfen. Auch sollte ein arabisches Land, zum Beispiel Tunesien, das durch Frauenbildungspolitik und Aufklärung eine Geburtenreduktion erreicht hat, mit ins Boot genommen werden. Dadurch könnte dem Vorwurf des Neokolonialismus begegnet werden. Warum wird das Naheliegende auf dem Gipfel, dessen Schwerpunktthema Afrika sein soll, so konsequent ausgeblendet?

Stattdessen wird in Politik und den meinungsbildenden Medien fabuliert, dass Afrika die Arbeitskräfte liefern könnte, die das alternde Europa brauche. Derartige Diskussionen werden in Afrika aufmerksam verfolgt und erhöhen die Anziehungskraft Deutschlands auf junge ausreisewillige Afrikaner.

Durch Entwicklungshilfe müssen Regierungen in Afrika durch Koppelung der Hilfsgelder an eine realistische Bevölkerungspolitik gedrängt werden. Sonst droht noch mehr Menschen ein Leben in Armut. Allein in Nigeria werden jedes Jahr mehr Kinder geboren als in der gesamten EU. Kein Arbeitsmarkt der Welt kann solche Mengen auffangen.

Armut und Jugendarbeitslosigkeit produzieren Unzufriedene und führen zu einem ansteigenden Exodus nach Europa. Doch viele afrikanische Herrscher wollen das Problem der Abwanderung nicht sehen, im Gegenteil: sie werden die unruhige Jugend los. Außerdem übersteigen die Rücküberweisungen („remittances“) der afrikanischen Migranten nicht selten die Entwicklungshilfezahlungen.

Die Auswanderung der afrikanischen Jugend löst das Problem ihrer Herkunftsländer nicht, aber sie schafft Probleme in den Ankunftsländern. Insgesamt bleibt Afrika der Kontinent mit dem höchsten demographischen Druck und damit auch großer politischer und sozialer Instabilität. Nirgendwo auf der Welt ist die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie in Afrika. Was es an wirtschaftlichen Fortschritten gibt, wird vom Bevölkerungswachstum wieder zunichte gemacht. Das extrem starke Bevölkerungswachstum ist ein destabilisierender Faktor, der Entwicklungshoffnungen zerstören kann. Der Schlüssel zu einer Reduzierung der Geburtenrate liegt in einer besseren Schulbildung vor allem für die jungen Frauen. „Bildung ist das beste Verhütungsmittel“, sagt Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Mit dem „Marshallplan“ wird Tatkraft simuliert

Mit dem „Marshallplan“ wird Tatkraft simuliert: In den weitaus meisten Ländern Afrikas fehlen sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für solch ein Programm. Die „Compact with Africa“ (CWA) Initiative zur Förderung von privaten Investitionen und Investitionen in Infrastruktur könnte Entwicklungsprozesse unterstützen. Laut Jann Lay vom GIGA Institut in Hamburg kann die CWA-Initiative aber nur dann erfolgreich sein, wenn länderspezifische Entwicklungsstrategien entwickelt und Investitionen in Bildung integraler Bestandteil der Vereinbarungen werden.

Der Entwicklungshilfe-Debatte würde etwas mehr Ehrlichkeit gut tun. Die Hilfsindustrie hat sich so fest etabliert, dass sie gar nicht mehr abgeschafft werden kann. Entwicklungshilfe ist längst ein Geschäft geworden. Der nigerianisch-amerikanische Schriftsteller Teju Cole nennt sie treffend die Weiße-Retter-Industrie (White Saviour Industrial Complex). Die Entwicklungshilfe exportiert westliche Vorstellungen von Armut, Reichtum und Konsum in traditionelle Gemeinschaften und hält Afrika in ungesunden Abhängigkeitsverhältnissen. Die Idee, mit Geld wirtschaftliche Entwicklung zu erzwingen, ist so alt wie falsch. Statt z.B. mit modernen Maschinen gebaute Straßen, Brücken zu finanzieren, wäre es sinnvoller, mit arbeitsintensiven Beschäftigungsprogrammen Tausenden Arbeitslosen Einkommen zu verschaffen.

Die immer größere Hilfsschwemme hat die Selbsthilfekräfte erstickt. Entwicklungshilfe sollte nur unterstützen. Die Initiative und der Hauptanteil müssen bei den Regierenden selbst liegen. (Nur dann kann auch von „Entwicklungszusammenarbeit“ gesprochen werden.) Die Entwicklung Afrikas bleibt Sache der Afrikaner. Afrika wird, so wie viele asiatische Staaten es getan haben, nur Dank eigener Anstrengung und Eigenverantwortung aufblühen. Während in anderen Weltregionen alle wirtschaftlich erfolgreichen Entwicklungsländer ihre Massenarmut mit Kampagnen zur Verringerung der Kinderzahl beseitigt haben, wächst auf dem afrikanischen Kontinent alle zwei Wochen die Bevölkerung um etwa eine Million. Der gebetsmühlenartige Ruf nach der „Ursachenbekämpfung“ impliziert, dass die Probleme Afrikas von außen gelöst werden können. Wo bleiben die Ansätze afrikanischer Politiker, das drängendste Problem, das ungezügelten Bevölkerungswachstum, wirksam anzugehen?

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Johann Werfring CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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JF Schroeder / 05.07.2017

Jeder wirtschaftliche Fortschritt in Afrika wird vom ungebremsten Bevölkerungswachstum aufgefressen. Mit jeder neuen Generation werden die landwirtschaftlichen Betriebe wegen Realteilung kleiner und unwirtschaftlicher. Jeder der Afrika kennt weiß das und trotzdem wird es in der Entwicklungsindustrie als Tabuthema gehandelt. Aus eigenem Erleben weiß ich, dass afrikanische Regierungen intern Bevölkerungswachstum als Ziel formulieren und betreiben. Gegenüber den internationalen Geldgebern wird das Gegenteil geheuchelt.  Aber niemand will das wissen.

Th.F. Brommelcamp / 05.07.2017

Grundsätzlich ist Afrika in den Islam-Gürtel (Nafris) und in Subsahara Kulturell zu unterscheiden. Im Islam- Gürtel ist die hohe Geburtenrate mit dem politischen Auftrag des Islam versehen. Eine Expansion durch den Islam ist vorgesehen und findet auch statt.  Eine Geburtenkontrolle ist nur durch Änderung des Islam zu erreichen und höchst unwahrscheinlich. (Boumediene: Die Bäuche unserer Frauen werden uns den Sieg schenken!) In Afrika sollen weniger Kinder Wohlstand bringen und bei uns sollen es mehr sein die uns vor Überalterung retten? In Afrika immigrieren die Bildungsfernen Schichten und hier sollen benötigt sein? Hilfe ist in Afrika nur in den Subsahara Regionen möglich und zwar nur durch Bildung DORT. Verhindert die Illusion hier zu Reichtum zu kommen! In unseren Sozialsystemen werden sie unzufrieden, sind aber nicht so duldsam wie Deutsche.

Tomas Reiffer / 05.07.2017

Schön, dass die Problematik einmal wenigstens erwähnt wird. Bezeichnend ist natürlich “..kann ich mich in den letzten dreißig Jahren an keine Diskussion über die notwendige Reduktion der Geburtenzahlen erinnern..” Das heisst, dass da ideologisch verblendete Weltenretter am Werk waren- dreißig Jahre lang. Meines Wissens sprach der ehem. Präsident Nigerias das Thema (wohl auf Anraten Chinas) einmal an und wurde selbstredend von religiösen Anfühern des Landes zurückgewiesen - Christen und Moslems einmal in seltener Einigkeit. So lange in Afrika nicht begriffen wird, dass Qualität zählt und nicht die Quantität wirds wohl nichts mit dem Kontinent und wir sollten gefälligst die Tore zuhalten. Wobei das wie auch eine den Umständen angemessene Demografieentwicklung wohl Wunschdenken bleibt - bis wir irgendwann dann weggeschwemmt werden. In 50 Jahren. Oder in fünf.

Martin Wessner / 05.07.2017

Die Etablierung eines privaten oder/und staatlichen Rentenversicherungsystems und die Schaffung von genossenschaftlichen “Volksbanken” in den afrikanischen Staaten ,wo jedermann ein sicheres Konto eröffnen und Geld für’s Alter ansparen kann, wäre auch eine gute Idee. So verringet sich die Abhängigkeit von einer großen Kinderschar, die einem später, als Senior, ernährt, wenn man es selbst nicht mehr kann.

Bernward Credo / 05.07.2017

Zwei kritische Ergänzungen muss ich zum Beitrag des von mir geschätzten Volker Seitz machen: zum einen der Hinweis auf die Bevölkerungsdichte, die in Europa oder Asien viel höher ist als auf dem afrikanischen Kontinent, und zum anderen der Hinweis auf den ökologischen Fußabdruck, der bei einen Afrikaner viel kleiner ist als bei unsereinem. Beides als Ergänzung, nicht als Widerspruch zu Volker Seitz’ im Kern zutreffende Aussagen. Bernward Credo, Erfurt

Klaus Elmar Müller / 05.07.2017

“Wachset und mehret euch”, sagt Gott im Buch Genesis. Es kann nicht falsch sein, Gott zu gehorchen. Herr Volker Seitz widerspricht sich: Die Afrikaner müssten ihre Probleme selber lösen, und dann gibt er einen Rat, der auf dem Boden westlicher Luxusmentalität gewachsen ist: Kinder verhüten (wie Pest und Atomkrieg).

Wilhelm Entenmann / 05.07.2017

“G-20-Gipfel: Deutscher Masterplan soll Flucht in Afrika bekämpfen”, titelt aktuell DIE WELT, denn der “Kontinent soll Existenzperspektiven bekommen”. Es fehlt das Pendant, ein “OAU-53-Gipfel: Afrikanischer Mitwirkungsplan soll Hilfe auf fruchtbaren Boden fallen lassen”. Jeder Sozialpädagoge wird bestätigen, dass Hilfe nur funktioniert, wenn beim Klientel eine Bereitschaft zur Mitarbeit, ein Wille, eine Motivation besteht.

Jo Wolf / 05.07.2017

Ich zitiere die allseits geschätzte Menschenkennerin, Mariae Gloria Prinzessin von Thurn und Taxis, aus der allseits beliebten Fernsehsendung “Friedmann” vom 9. Mai 2001 : >„Afrika hat Probleme nicht wegen fehlender Verhütung. Da sterben die Leute an AIDS, weil sie zu viel schnackseln. Der Schwarze schnackselt gerne.“< Es trifft die Sache zwar nicht zu 100% im Kern, aber ich mußte daran denken, als ich den Artikel laß ;-)

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