Peter Grimm / 19.12.2016 / 06:15 / Foto: Ralf Roletschek / 9 / Seite ausdrucken

Mal eben das Falsche verbieten

Die schöne neue Welt ist eigentlich ganz leicht zu schaffen. Man muss nur das Böse einfach verbieten. Beispielsweise kann man das Lügen einfach per Gesetz unter Strafe stellen und schon ist der Wahrheit zum Durchbruch verholfen.

Bei einer solchen Formulierung weiß natürlich jeder, der noch über einen Restbestand gesunden Menschenverstandes verfügt, dass diese Aussage ziemlich unsinnig ist. Doch wenn deutsche Politiker ankündigen, die Verbreitung falscher Nachrichten unter Strafe stellen zu wollen, dann wird darüber berichtet, als handele es sich um eine sinnvolle Initiative.

Wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann in dieser Frage sogar eine „härtere Gangart“ androht und einen Gesetzentwurf verspricht, der gleich nach der Weihnachtspause in Windeseile erarbeitet wird, und sogar schon weiß, wie die Lüge zu verbieten ist, wäre etwas Alarmstimmung durchaus angebracht. Doch stattdessen wird weitgehend zurückhaltend berichtet, dass die Große Koalition nach Oppermanns Worten Internetplattformen wie Facebook gesetzlich verpflichten will, rund um die Uhr zur Anzeige von Falschnachrichten erreichbar zu sein.

„Wenn Facebook nach entsprechender Prüfung die betroffene Meldung nicht unverzüglich binnen 24 Stunden löscht, muss Facebook mit empfindlichen Bußgeldern bis zu 500.000 Euro rechnen“, erläuterte der SPD-Fraktionschef. Zudem müsse es einen Anspruch auf „Richtigstellung mit der gleichen Reichweite geben“. Oppermanns Kollege Kauder bestätigte: „Jetzt werden wir in der Koalition gleich zu Beginn des kommenden Jahres handeln.“

Falsche Nachrichten gibt es seit Menschengedenken. Sie sind manchmal ärgerlich, manchmal beruhigend, manchmal beunruhigend und eigentlich möchte ihnen niemand auf den Leim gehen. Deshalb waren die Menschen immer wieder gezwungen, zu lernen, wie man falsche von wahren Botschaften unterscheidet.

Die Menschen mussten immer lernen, falsche von wahren Botschaften zu unterscheiden

Bei den Medien zeigte die Erfahrung, wer vertrauensvoll ist und wer nicht. Es braucht natürlich lange, sich den Ruf der Glaubwürdigkeit zu erarbeiten und man hat ihn schnell verspielt, wenn man einiger Falschmeldungen überführt wird. Der Vertrauensverlust, den viele etablierte Medien derzeit verzeichnen müssen, ist aber nicht die Folge böswillig gestreuter Falschmeldungen, sondern des Eindrucks vieler Medienkonsumenten, die Redaktionen würden ihnen ein geschöntes Bild der Wirklichkeit zeichnen, wenn bestimmte heikle Themenfelder berührt werden. Mündige Leser und Zuschauer wollen über ihre Informationsquellen selbst entscheiden und sie können zumeist relativ sicher bewerten, bei welcher Medienquelle sie welche Tendenz mit einzurechnen haben.

Über das Grundproblem beim Vorgehen gegen „Fake News“, wie falsche Nachrichten inzwischen neudeutsch genannt werden, wird ohnehin wortreich hinweg argumentiert: Wer entscheidet darüber, was wahr und was gelogen ist? Besser eine Facebook-Agentur oder eine Behörde? Oder vielleicht lieber ein Verein engagierter Berufsdenunzianten, um „externen Sachverstand“ einzubinden?

Warum stellt sich niemand zuerst die Frage, wieso Falschnachrichten, die quellenlos über Netzwerke verbreitet werden, trotz anderslautender Nachrichten etablierter professioneller Medien so wirkmächtig werden können? Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass viele Redaktionen hierzulande zugelassen haben, dass die professionellen Standards immer mehr geschliffen wurden. Welcher Kollege hat denn noch die Möglichkeit zu eigener gründlicher Recherche? Wer steht hinter einem Autor, der sich beispielsweise islamkritisch äußert, bei Gegenwind? Warum solidarisiert sich niemand mehr öffentlich mit Publizisten, die aus diesem Grunde in Deutschland unter ständigem Polizeischutz stehen, weil sie wegen ihrer Arbeit an Leib und Leben bedroht sind?

Propaganda kann man in einem freien Land nicht verbieten

Und vor allem, warum haben sich beinahe alle Redaktionen offenbar davon verabschiedet, eine Trennung zwischen Berichterstattung und Kommentar wenigstens noch anzustreben? Wo professionelle journalistische Standards nichts mehr gelten, schlägt die Stunde der Amateure und der Propagandisten. Dass letztere keine Freunde der Wahrheit sind, ist nicht verwunderlich. Doch auch Propaganda kann man in einem freien Land mit dem Recht auf freie Rede und eine freie Presse nun einmal nicht verbieten. Die Bürger müssen halt lernen, Propaganda zu erkennen.

Das, was Oppermann und Kauder jetzt ankündigen, sollte uns protestierend aufschreien lassen, denn es ist die schleichende Einführung der Zensur, ohne sie so zu nennen. Auch die Zensoren aller Welt rechtfertigen ihr Tun damit, dass sie nur falsche Berichte und schädliche Aussagen verhindern würden.

Vielleicht hilft ein Beispiel, um zu verstehen, was die neue Zensur-Initiative praktisch bedeutet: Hätte es das Oppermann-Kauder-Gesetz im Januar 2016 schon gegeben, dann hätten wir womöglich von den Geschehnissen der Kölner Silvesternacht nie etwas erfahren. Am Neujahrstag gab die Polizei eine offizielle Pressemitteilung heraus, wonach es in Köln eine ruhige Silvesternacht gegeben habe. Das wäre eindeutig die amtliche Wahrheit. Erst durch die Berichte von Opfern und Augenzeugen im Netz wurden erst die Öffentlichkeit und bald danach auch die Medien darauf aufmerksam, was in dieser Nacht eigentlich Ungeheuerliches passiert ist. Doch mit dem neuen Gesetz wären diese ersten Berichte eindeutig als Fake-News einzustufen gewesen, denn sie widersprachen ja der offiziellen Wahrheit der ersten Polizei-Pressemitteilung. Noch bevor jemand mit der Recherche begonnen hätte, wären die anderslautenden Berichte wieder gelöscht worden. Und wenn etwas einmal mit Strafandrohung als Fake-News klassifiziert wurde, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass eine Redaktion entscheidet, genau dort zu recherchieren, ob die „Fake-News“ nicht vielleicht doch stimmen?

Hätte es das geplante Gesetz schon gegeben, dann gäbe es für die, die nicht dabei waren, keine Möglichkeit, etwas vom Staatsversagen in der Kölner Silvesternacht zu erfahren. Kein Untersuchungsausschuss des Landtags wäre in Aktion getreten, um sich um Aufklärung zu bemühen. Ganz im Sinne des Bundesinnenministers, der ohnehin glaubt, dass es Nachrichten gibt, die man den Bürgern lieber nicht zumutet, weil es sie ja unnötig verunsichern würde.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz.

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Peter Kastner / 19.12.2016

Ich bin in der DDR großgeworden. Damals wurde schon in Berlin entschieden, was erlaubt war und was nicht. Ich erkenne das Muster ganz genau wieder. Wenn in Deutschland das Verbreiten von falschen Nachrichten von einer zentralen Behörde überwacht, verfolgt und unter Strafe gestellt wird, wird es ein leichtes sein, kritische Stimmen mundtot zu machen. Firmen, die nicht kooperieren, werden mit Zwangsgeldern belegt, die ihre Existenz in Frage stellen. Geschäft wird dann nur möglich sein mit einem Schwur zur ewigen Treue zu Merkel. Aber Vorsicht bei der Schaffung solcher Instrumente. Man weiß nie, wem diese mal in die Hände fallen. Wünsche allen eine schöne Woche.

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