Mag sich Anspruch und Auftritt der EU-Kommissionspräsidentin auch immer mehr einer königlichen Herrscherin angleichen, die Vorstellung ihres Fünfjahrplanes weckte auch andere Assoziationen.
Die erneute Wahl der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihr liebgewonnenenes Spitzenamt war wahrscheinlich das, was ihre große Förderin "alternativlos" nennen würde. Eigentlich ist es schon vermessen, von einer Wahl zu sprechen, denn wählen durften die Abgeordneten nicht, sie durften der Amtsübernahme der alten und neuen Amtsinhaberin nur zustimmen oder sie ablehnen.
Es war auch niemandem sonst gestattet zu kandidieren. Auch den vom gemeinen Volk gewählten Abgeordneten war es kaum möglich, Einfluss darauf zu nehmen, wer ihnen denn zur Abstimmung präsentiert wird. Allein ein Kronrat aus den EU-Staats- und Regierungschefs darf bekanntlich entscheiden, wer für dieses Amt, das trotz seiner weitreichenden Vollmachten der demokratischen Kontrolle ziemlich weitgehend entzogen ist, nominiert wird.
Bei reduzierten parlamentarischen Rechten gegenüber einer mächtigen Exekutive ähnelt das EU-System ohnehin mehr einer Monarchie als einer parlamentarischen Demokratie. Nur eben müssen König bzw. Königin alle fünf Jahre neu bzw. wieder im Amt bestätigt werden. In dem Moment, in dem die EU-Parlamentarier darüber abstimmen, wer gekrönt werden soll, ist die Macht der Abgeordneten wahrscheinlich so groß, wie in den folgenden fünf Jahren nicht mehr.
Die Medien bauten vor der gestrigen Abstimmung noch etwas Spannung auf. Aus den Fraktionen der EVP, der Sozialisten, der Liberalen und der Grünen, deren Fraktionsspitzen die Zustimmung zu Ursulas erneuter Krönung zugesichert hatten, könnte es so viele Abweichler geben, dass die eigentlich alternativlose Herrscherin keine Mehrheit bekommt, hieß es.
Planwirtschaftliche Träume
Eigentlich wäre das kein Wunder. Ursula von der Leyen hat selbstherrlich und instransparent regiert, beispielsweise beim Abschluss milliardenschwerer „Corona-Impfstoff“-Geschäfte, bei der die Herstellerfirmen de facto zu Lasten der Steuerzahler von der Produkthaftung befreit wurden. Noch am Tag zuvor hatte der Europäische Gerichtshof geurteilt, dass von der Leyens Kommission mit der Geheimhaltung von Informationen zu den entsprechenden Verträgen gegen EU-Recht verstoßen habe.
Auch darüber hinaus ist die gegenwärtige Verfassung der EU und ihr Agieren in den letzten Jahren eigentlich kein Ausweis für eine erfolgreiche Führung. Viele wohlklingende Vorhaben und hochfliegende Pläne gab es. Europa soll zum ersten „klimaneutralen“ Kontinent werden. Überhaupt steht die Klimarettung und Nachhaltigkeit über allem. Sie begründet selbstverständlich immer neue Regeln und Beschränkungen. Dort, wo die Wirtschaft droht, daran zusammenzubrechen, sollen staatliche Hilfen und Investitionen einen Ausgleich schaffen. Planwirtschaftliche Träume gibt es in der EU-Führung bekanntlich reichlich, bis hin zu Vorstellungen, im Bedarfsfall Firmen vorschreiben zu können, was sie zu produzieren haben.
Eigentlich hätte es vielen Abgeordneten doch in den Fingern jucken müssen, gegen die Kommissionspräsidentin zu votieren. Doch am Ende stimmte eine deutliche Mehrheit für sie. Über die Gründe kann man nur spekulieren.
Wäre Ursula von der Leyen gescheitert, dann hätte der Kronrat …, Verzeihung, die EU-Ratsversammlung der Regierungschefs natürlich, innerhalb von vier Wochen einen neuen Kandidaten nominieren müssen, denn es gibt keinen zweiten Wahlgang. Das wird man aber vielleicht noch ändern, um sich künftige Unsicherheiten zu ersparen.
Als eines der Argumente, für von der Leyen zu stimmen, auch wenn man mit ihrer Politik nicht zufrieden ist, galt eben jene Unsicherheit, in die eine führerinnenlose EU geraten könnte. Ausgerechnet jetzt, wo doch Putin Krieg führt, Donald Trump demnächst zum US-Präsidenten gewählt wird und dann keiner außer der Europäischen Union noch daran denkt, das Weltklima zu retten. Darf die EU in einer solchen Zeit auf eine starke Frau an der Spitze verzichten, selbst wenn es nur für vier Wochen ist?
Versorgung statt Verantwortung?
Haben solch ängstliche Fragen wirklich Abgeordnete dazu bewegt, für Königin Ursula zu votieren? Echte Parlamentarier hätten doch in der Phase einer schwachen Exekutive vielleicht eine Chance sehen können, endlich die Macht des Parlaments zu stärken, wie es zwar schon viele Jahre lang versprochen, aber dann von der Obrigkeit doch nicht umgesetzt wird. Am Hof der EU-Kommission hat daran verständlicherweise keiner ein Interesse, denn das würde nur beim Administrieren stören. Aber Parlamentarier müssten doch eigentlich ein Interesse an eigenem Verantwortungszuwachs haben oder reicht den meisten die eigene üppige Versorgung zum Ausgleich völlig aus?
In einem so großen Parlament gibt es auf solche Fragen viele Antworten. Eines aber scheint kaum glaubhaft, auch wenn es von einigen behauptet wird, nämlich dass Ursula von der Leyens Rede, mit der sie ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre ihrer Regentschaft vorstellte, eine nennenswerte Zahl von Abgeordneten zur Zustimmung überzeugt hat.
Denn auch wenn die Vorstellung des neuen Fünfjahrplans der Kommissionspräsidentin vielleicht manchmal majestätische Anmutungen hatte, so erinnerte er oft doch eher der Fünfjahrplan-Vorstellung auf Parteitagen herrschender kommunistischer Parteien in den Staaten des verblichenen Sowjet-Imperiums. Nein, hier sollen keine Systeme gleichgesetzt werden, aber die Performance, wie man neudeutsch sagt, erinnerte weniger an eine Königin Ursula, sondern mehr an eine Genossin Uschi.
Wie weiland die alten Männer an der Spitze ihrer Parteien, entwarf die Frau an der Spitze der EU ein Bild von ihrem Herrschaftsbereich in den schönsten Farben, pries die eigenen Erfolge und präsentierte realitätsferne Pläne. Die Textbausteine waren bekannt: Grün, sauber und nachhaltig soll alles sein, egal ob Industrie oder Landwirtschaft, ob Stadt oder Land. Es werde mehr Investitionen geben, mehr Programme, aber auch mehr Grenzschutz und ein besseres Management der Massenmigration. Und 2050 sind alle glücklich und klimaneutral, vielleicht mit neuen EU-Mitgliedsstaaten. Konkretes versprach sie auch, nämlich neue EU-Kommissare, beispielsweise einer für Bauen und Wohnen.
Aber nicht nur die Realitätsferne erinnerte an die Vorstellung der Fünfjahrpläne in alter Zeit. Auch ihre medialen Ausdeutungen erinnern irgendwie an das, was man damals Kreml-Astrologie nannte. Seinerzeit wurde versucht aus Veränderungen in der Formulierung eines Halbsatzes in der Parteitagsrede eines führenden Genossen politische Kursänderungen heraus zu lesen.
Hohe Interpretations-Kreativität
Manche Kollegen lasen aus den Fünfjahresplänen von der Leyens ein Zugehen auf die bürgerlich-konservativen Kräfte heraus, eine leichte Abkehr vom strikten klimaideologischen Kurs. Vielleicht war ja die Art des Vortrags zu einschläfernd für mich und mir sind die entscheidenden Stellen entgangen, ansonsten muss ich neidlos zugestehen, dass meine Interpretations-Kreativität für eine solche Deutung nicht gereicht hätte.
Reicht es wirklich, dass in den politischen Leitlinien von der Leyens für die kommenden fünf Jahre steht, dass das Verbrenner-Aus für sogenannte E-Fuels ein wenig aufgeweicht wird? Dass es dort jetzt heißt, ein technologieneutraler Ansatz wäre erforderlich, um die EU-Klimaziele zu erreichen, bei dem die synthetischen Kraftstoffe eine Rolle spielten? Dass es heißt, der Klimaschutz und eine florierende Wirtschaft müssten in Einklang gebracht werden? Sind Hoffnungen, die man in solch modifizierte Textbausteine setzt, nicht etwas übertrieben?
Egal: Damals hat die Planwirtschaft in den Ostblock-Staaten gezeigt, dass sie nicht funktioniert, allen schönen Fünfjahrplänen zum Trotz. Je planwirtschaftlicher die Vorhaben der EU für die nächsten fünf Jahre sind, desto geringer sind auch hier die Aussichten auf Erfolg. Zumindest, wenn man Erfolg in Lebensstandard und Lebensqualität der Bürger misst und nicht nach ideologisch festgelegten Maßstäben.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com