Die „junge Welt“ wird seit langem als linksextrem klassifiziert. Diese Einschätzung hat das Berliner Verwaltungsgericht gestern bestätigt. Muss sie jetzt auch verboten werden?
Warum ist es für die „junge Welt“ ein Problem, von den Bütteln des Klassenfeinds „linksextrem“ genannt zu werden? Die „junge Welt“ wird bereits seit 1998 im jährlichen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewürdigt, heißt es in Medienberichten. 2023 habe es geheißen, die Zeitung strebe „die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischem Verständnis an“ und wäre „das bedeutendste und auflagenstärkste Medium im Linksextremismus“.
Gegen diese Einstufung hatte die „junge Welt“ geklagt und ist vor dem Berliner Verwaltungsgericht damit gescheitert. Die Meldung über dieses Urteil hätten viele Medienkonsumenten vor Kurzem sicher noch mit achselzuckendem Desinteresse abgetan. Wen interessiert es, wenn Linksradikale, die vielleicht auch linksextrem sind, Linksextremisten genannt werden? In den eigenen Reihen und in der eigenen Zielgruppe ist das doch bestimmt nicht rufschädigend.
Dass die „junge Welt“ selbst nach ihrer Niederlage vor Gericht auf der ersten Seite mit der Schlagzeile „Anschlag auf die Pressefreiheit" aufmacht, hätten die meisten Beobachter vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls als übliche hysterische Übertreibung von Möchtegern-Revolutionären abgetan. Doch inzwischen könnten sie mit dieser Einschätzung recht haben. Immerhin wurde bekanntlich gerade das Magazin „Compact" des ehemaligen „junge Welt"-Redakteurs Jürgen Elsässer von Innenministerin Nancy Faeser per Ministererlass verboten. Und weil die Ministerin keine Presseerzeugnisse verbieten darf, verbot sie Elsässers Verlag, weil sie meint, ein Unternehmen in diesem Falle wie einen Verein behandeln zu können. Und als Begründung diente unter anderem die Einstufung durch den Verfassungsschutz als - in diesem Falle - „gesichert rechtsextrem".
Auf diesem Wege kann die Verfassungsschutz-Einstufung zur Einschränkung von Grundrechten, hier konkret der Pressefreiheit, führen. Insofern ist es verständlich, dass die „GenossInnen" der „jungen Welt" in der Verfassungsschutz-Einstufung jetzt einen Anschlag auf die Pressefreiheit sehen.
Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht, das auch Extremisten jeder Couleur in Anspruch nehmen können. Und wenn sie strafwürdige rechtswidrige Inhalte verbreiten, dann ist das ein Fall für die Justiz. Das muss selbstverständlich Konsequenzen haben und dann kann unter Umständen auch die konkrete Publikation verboten werden. Aber erst nach einem Verfahren vor einem ordentlichen Gericht und nicht per Anordnung einer Innenministerin.
Es fällt sicher vielen nicht leicht, ausgerechnet dann für Pressefreiheit einzutreten, wenn es um die Publikationen strammer Ideologen geht. Aber, ich wiederhole mich, die Angriffe auf die Pressefreiheit beginnen oft am Rand, bei denen, mit denen sich kaum einer gern gemein macht. Doch wenn sie erfolgreich sind, fressen sie sich immer weiter in Richtung Mitte vor.
Es gibt einige streng ideologisch riechende Publikationen, denen ich keine Träne nachweinen würde, wenn sie eingingen. Aber wenn, dann sollen sie eingehen, weil ihnen die Leser fehlen, weil nicht mehr genug Menschen ihr Denken ideologisch betreuen lassen wollen, aber nicht aufgrund eines Verbots per Ministererlass.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com