Die EU will sich um die Ukraine, Moldau und die Westbalkan-Staaten erweitern. Und wie kann das funktionieren? Das Brüsseler Rezept, also die EU-Reformen zur EU-Erweiterung: eine Stärkung des EU-Apparats und eine Entmachtung der Mitgliedstaaten. Die sollen leichter überstimmt und zu einer ungewollten Politik gezwungen werden können.
Eine der wenigen konkreten Aussagen, die Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union am 13. September im EU-Parlament in Straßburg tätigte, betraf die angestrebte Erweiterung der EU. Wörtlich sagte die Kommissionspräsidentin: „Ich glaube, dass Europa auch mit mehr als 30 Staaten funktioniert.“ Am 19. September stellte nun eine deutsch-französische Expertengruppe am Rande des Rats für Allgemeine Angelegenheiten in Brüssel einen Bericht vor, in dem auf rund 50 Seiten Reformen erörtert werden, die als Voraussetzung für die EU-Erweiterung nötig seien. Dieser Bericht mit dem Titel „Sailing on High Seas – Reforming and Enlarging the EU for the 21st Century“ soll „wichtige Impulse für die aktuelle europäische Debatte“ bieten, wie „die EU fit für die Erweiterung gemacht werden kann“. Die Expertengruppe war von Europa-Staatsministerin Anna Lührmann und ihrer französischen Amtskollegin Laurence Boone im Januar 2023 einberufen worden.
Anna Lührmann ist seit Dezember 2021 Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt sowie Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Sie gehört der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag an und kann u.a. auf ein Masterstudium „Gender and Peace Studies“ an der Ahfad Universität im Sudan und eine Promotion in Politikwissenschaft zum Thema „Demokratieförderung“ an der Humboldt-Universität Berlin zurückblicken. Ihrer Website stellt sie das Bekenntnis voran: „Nur gemeinsam können wir globale Krisen lösen. Wir brauchen ein geeintes Europa als Garant für ambitionierte Klimapolitik.“ Auf dem deutsch-französischen Internetportal, das gemeinsam vom deutschen Auswärtigen Amt und dem französischen Ministère des Affaires étrangères gestaltet wird, wird sie zitiert mit der Aussage: „Die Europäische Union muss sich auf die Erweiterung vorbereiten. In der nächsten Legislaturperiode müssen wir die notwendigen internen Reformen der EU umsetzen.“ Mit anderen Worten: Bis 2030 soll die EU so weit sein, dass sie Beitrittskandidaten wie die Ukraine und ihr kleines Nachbarland Moldawien aufnehmen kann.
Mit dieser Forderung steht Lührmann allerdings nicht allein. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel plädiert dafür, dass die Europäische Union bis zum Ende des Jahrzehnts alle Weichen stellen soll, um neue Mitglieder aufnehmen zu können. Und Bundeskanzler Olaf Scholz ließ schon vor einem Jahr verlautbaren, dass eine EU mit 36 statt 27 Mitgliedern und mit mehr als 500 Millionen Bürgern ihr Gewicht in der Welt stärker zur Geltung bringen könnte. Ähnlich klingt es bei Lührmann, wenn sie sagt, dass die EU handlungsfähiger werden müsse, „damit wir global mit einer Stimme sprechen können.“ Neben der Ukraine und Moldawien warten derzeit noch sechs Westbalkanstaaten auf eine Aufnahme in die EU: Albanien, Bosnien-Herzegowina, das Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien.
Abschied von der Einstimmigkeit?
Damit sich eine EU mit über 30 Mitgliedsstaaten nicht lähmt und sich etwa durch die Ausweitung des Vetorechts auf bis zu 10 neue Mitgliedstaaten nicht selbst blockiert, zielt einer der zentralen Vorschläge im Experten-Bericht darauf ab, generell vom Prinzip der Einstimmigkeit abzurücken und stattdessen nahezu ausschließlich auf qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zu setzen. Qualifizierte Mehrheit bedeutet im Moment: Stimmt der Rat über einen Vorschlag der Kommission oder des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ab, so gilt dieser Vorschlag als angenommen, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten (also derzeit 15 von 27) für den Vorschlag stimmen und er von Mitgliedstaaten unterstützt wird, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Im vorgestellten Bericht wird nun empfohlen, die Stimmanteile neu zu berechnen, sodass jeweils 60 Prozent erforderlich wären. Außerdem könnten die Beitrittsrunden neuer Mitgliedstaaten in kleinere Ländergruppen aufgeteilt werden („Regatta“).
Die von Lührmann einberufene Expertengruppe setzte sich aus zwölf Mitgliedern zusammen („Group of Twelve“), die überwiegend in Denkfabriken und Stiftungen tätig sind wie etwa bei der Bertelsmann Stiftung, der Fondation Jean-Jaurès – einer französischen Denkfabrik, die mit der Sozialistischen Partei verbunden ist –, dem Jacques Delors Centre, der Stiftung Wissenschaft und Politik mit Sitz in Berlin oder der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (German Council on Foreign Relations). Von deutscher Seite wirkte beispielsweise Franz Mayer von der Universität Bielefeld mit, der gelegentlich in „ZDF heute“ zu erleben ist und etwa 2021 damit auffiel, dass er die Beendigung der epidemischen Notlage nationaler Tragweite kritisierte.
Die derzeitige Lage der EU beschreibt die „Group of Twelve“ in der Zusammenfassung ihres Berichts wie folgt: „Die Europäische Union (EU) befindet sich in einer kritischen Phase, die durch geopolitische Verschiebungen, transnationale Krisen und interne Komplexität gekennzeichnet ist. Aus geopolitischen Gründen steht die EU-Erweiterung ganz oben auf der politischen Agenda, aber die EU ist noch nicht bereit, neue Mitglieder aufzunehmen, weder in institutioneller noch in politischer Hinsicht.“ Der Bericht gliedert sich in drei Hauptabschnitte, die sich mit der Rechtsstaatlichkeit, den institutionellen Reformen und dem Prozess zur Erweiterung der EU befassen. Die Experten diagnostizieren durchaus zutreffend, dass es den derzeitigen EU-Institutionen an Agilität mangele und dass sie durch Komplexität und eine Fülle von Akteuren belastet seien. Daher wird empfohlen, auch bei einer Erweiterung der EU die Anzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments nicht über die derzeitige Zahl von 751 hinaus zu erhöhen. Außerdem wird ein neues Systems für die Sitzverteilung vorgeschlagen, „das auf einer mathematischen Formel basiert, die das Recht jedes Mitgliedstaates auf eine Vertretung und die Notwendigkeit, demografische Verzerrungen zu verringern, in Einklang bringt“.
Auch die EU-Kommission solle entweder verkleinert werden, oder es solle eine Hierarchie innerhalb des Kollegiums eingeführt werden, sodass es „Commissioners“ und „Lead Commissioners“ geben würde, wobei die entsprechende Rolle jeweils nach der Hälfte der Amtszeit getauscht werden könnte. Im Rat solle das Trio-Format auf ein Quintett von fünf Präsidentschaften ausgeweitet werden, die jeweils die Hälfte eines institutionellen Zyklus abdecken. Bislang wird der Vorsitz im Rat, der alle sechs Monate wechselt, von je drei Mitgliedstaaten übernommen, die als sogenannter Dreiervorsitz eng zusammenarbeiten. Ein künftiger Fünfervorsitz würde eine längerfristige Festlegung der Agenda und eine Koordinierung über Entscheidungszyklen hinweg ermöglichen. In einer erweiterten EU würde dies auch sicherstellen, dass jedem Quintett mindestens ein größerer Mitgliedstaat mit größerer Verwaltungskapazität und Erfahrung angehört.
Größere Macht am Geldhahn
Außerdem sollen leichter Sanktionen verhängt werden können, falls ein Mitgliedstaat schwerwiegend gegen die in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) verankerten „europäischen Werte“ der Union verstoße. Dafür solle Artikel 7 Absatz 2 des EUV dahingehend geändert werden, dass die Einstimmigkeit durch eine Mehrheit von vier Fünfteln im Europäischen Rat ersetzt wird. So leitete die EU-Kommission beispielsweise gegen Ungarn aufgrund seines Anti-LGBTIQ-Gesetzes ein Verfahren vor dem EuGH mit der Unterstützung des Parlaments und von 15 Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen Artikel 2 des EUV ein. Künftig sollen also derartige Sanktionen, die beispielsweise finanzielle Nachteile nach sich ziehen, leichter möglich sein. Wörtlich wird vorgeschlagen: „Die Kommission sollte die Befugnis haben, die Bewilligung von EU-Mitteln zu verweigern (anstatt sie auszusetzen), wenn rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten werden.“
In diesem Zusammenhang weist die Expertengruppe darauf hin, dass einige EU-Mitglieder den Vorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht und die gemeinsamen Werte des EU-Vertrags infrage stellen würden. Und nicht alle Regierungen seien sich einig darin, dass die Erweiterung der EU auf den westlichen Balkan, die Ukraine und Moldawien wirklich eine geopolitische Notwendigkeit darstelle. Daher gehe es darum, zu zeigen, „wie Fortschritte erzielt werden können, ohne dass ein Mitgliedstaat unter Druck gesetzt wird, einer EU anzugehören, die ihm nicht gefällt.“ Umgekehrt solle aber auch kein einzelnes Land oder eine kleine Minderheit von Ländern in der Lage sein, „den Fortschritt aufzuhalten, wenn andere vorankommen wollen“.
Darüber hinaus müsse Kritikern begegnet werden, die argumentieren, dass die EU ihre Kompetenzen zu weit ausgedehnt habe und nicht weiter in die nationale Souveränität eingreifen solle, da ihr die Voraussetzungen für eine klassische Demokratie fehle. Dazu müsse vor allem das EU-Parlament weiter gestärkt werden. Bislang habe sich die EU in den Bereichen Gesundheit, Energie, Migration oder Finanzkrisenmanagement auf Notstandsbefugnisse oder auf zwischenstaatliche Vereinbarungen berufen müssen, da europäische Instrumente fehlten. Während diese Ad-hoc-Ansätze durch den Zeitdruck gerechtfertigt gewesen seien, solle die EU aus den zahlreichen Krisen lernen und ihre Strukturen verbessern, „damit sie innerhalb des EU-Rahmens wirksame Maßnahmen ergreifen kann, die letztlich mehr demokratische Beratung und Kontrolle ermöglichen“. Nachdrücklich weist die Expertengruppe allerdings den Vorwurf zurück, dass die EU ihre Zuständigkeiten überschreite und das Subsidiaritätsprinzip missachte. Mehrere Überprüfungen der Zuweisung von EU-Kompetenzen hätten letztlich keinen Hinweis auf eine Anmaßung von Kompetenzen ergeben, die über das hinausgehen, was in den Verträgen vorgesehen sei. Im Gegenteil: In mehreren aufeinanderfolgenden Krisen seit Mitte der 2000er Jahre habe die EU den bestehenden Kompetenzrahmen erfolgreich genutzt, um auf Notfälle und völlig neue Situationen zu reagieren.
Als Begründung für die Dringlichkeit von EU-Reformen gibt die „Group of Twelve“ hingegen an: „Transnationale Herausforderungen wie der Klimawandel, Sicherheitsbedrohungen sowie Lebensmittel- und Gesundheitskrisen erfordern dringend kooperative Lösungen. Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine hat sich die geostrategische Rolle der EU durch die umfangreiche militärische, humanitäre, finanzielle und diplomatische Unterstützung, die sie leistet, dramatisch verändert. Die Debatte über die Handlungsfähigkeit der EU und ihre allgemeine Souveränität hat sich verschärft, und die Architektur des Kontinents sowie die Beziehungen der EU zu ihren Nachbarn im Osten und Süden müssen angesichts der schwerwiegenden Bedrohungen der europäischen Sicherheitsordnung gründlich überdacht werden.“ Die Themen Klimawandel sowie Lebensmittel- und Gesundheitskrisen stehen gerade auch auf UN-Ebene hoch im Kurs, wie etwa dem „Lancet Countdown“ zu entnehmen ist. Und auf der Website „Pharma Fakten“ ist zu lesen, dass die COVID-19-Pandemie dazu geführt habe, dass rund 30 Prozent der Städte die Gelder reduzierten, die für Klimaschutz gedacht waren. Das könne jedoch nach hinten losgehen, wenn durch den Klimawandel die Entstehung von neuen Pandemien begünstigt werde. In die selbe Kerbe schlägt auch das Robert Koch-Institut (RKI) mit seinem aktuellen „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit“, der wiederum Vorlagen der WHO aufgreift.
Rasche Entscheidungen in allen Politikbereichen
Die EU müsse vorrangig drei Kernziele erreichen: Erstens müsse sie ihre Fähigkeit verbessern, rasche Entscheidungen in allen Politikbereichen zu treffen und umzusetzen, die aufgrund der verschiedenen Krisen de facto ohnehin in die Zuständigkeit der EU übergegangen seien. Zweitens müsse der Schutz der Rechtsstaatlichkeit, der Grundwerte und der demokratischen Legitimität der EU gestärkt werden. Drittens sei es nötig, die Institutionen der EU „erweiterungsfähig“ zu machen. Beispielsweise wird die Schaffung einer „Joint Chamber of the Highest Courts and Tribunals of the EU“, also einer gemeinsamen Kammer der obersten Gerichtsinstanzen der EU, empfohlen, die als nicht bindender Dialog zwischen den europäischen Gerichten und den Gerichten der Mitgliedstaaten fungieren soll.
In Hinblick auf die Finanzen empfiehlt die „Group of Twelve“: „Die EU sollte die Grundlage sowohl für eine stärkere steuerpolitische Harmonisierung der Mitgliedstaaten als auch für einen größeren Pool gemeinsamer EU-Ressourcen schaffen, der zur Finanzierung einer erweiterten EU erforderlich wäre.“ Und weiter: „Die Regierungen der Mitgliedstaaten und die nationalen Parteien sollten die Bedingungen, unter denen die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden, harmonisieren, um zumindest für die Wahlen im Jahr 2029 und danach einen transnationalen Wahlraum zu schaffen. Hierüber sollte im nächsten Legislaturzyklus eine Einigung erzielt werden.“ Umfassend thematisiert werden auch verschiedene Verfahren zur Ernennung des Kommissionspräsidenten. Diese müssten „dem einzigartigen institutionellen Rahmen der EU“ gerecht werden, in dem sowohl die Regierungen der Mitgliedstaaten (vertreten durch den Rat) als auch die Bürger (vertreten durch die Mitglieder des Europäischen Parlaments) der EU Legitimität verleihen. Als „partizipatorisches Instrument“ für die Bürger sollten die „Europäische Bürgerinitiative“ sowie die von der Kommission durchgeführten Bürgerpanels gestärkt werden. Hier mischt sich sogar leise Kritik an der EU-Kommission in den Bericht, wenn es heißt: „Es scheint, dass die Kommission die Panels eher dazu nutzt, um abzusegnen, was sie bereits geplant hatte, als um die Entwicklung innovativer politischer Ideen zu fördern.“
Digitale Werkzeuge und aufkommende Technologien wie künstliche Intelligenz könnten zukünftig jedoch neue Möglichkeiten für einen mehrsprachigen europaweiten Austausch der Bürger schaffen. Zusätzlich wird die Einrichtung eines neuen Amtes für Transparenz und Rechtschaffenheit (Office for Transparency and Probity, kurz: OTP) empfohlen, das für die Überwachung der Tätigkeiten aller in den EU-Institutionen oder für sie tätigen Akteure zuständig ist. Dazu wird angemerkt: „Das OTP sollte mit ausreichenden rechtlichen, budgetären und personellen Ressourcen sowie mit wichtigen Kompetenzen in den Bereichen Kontrolle, Untersuchung und Sanktionierung ausgestattet werden, damit seine Maßnahmen effizient und abschreckend sein können.“ Ferner solle die EU im Falle von formalen Vertragsrevisionen eine klarere Rechtsgrundlage für die EZB im Zusammenhang mit der Bankenunion beschließen sowie mehr gesundheitspolitische Kompetenzen für die EU oder der Integration von Krisenreaktionsinstrumenten festlegen, die aus zeitlichen und politischen Gründen außerhalb des formellen Vertragsrahmens geschaffen wurden (wie der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz: ESM).
Unmittelbar zur Finanzpolitik der EU stellen die Experten fest, dass nicht nur der Erweiterungsprozess, sondern auch der Wiederaufbau der Ukraine, die gestiegenen Sicherheits- und Verteidigungsbedürfnisse, die Energiewende, der Klimawandel sowie die Tatsache, dass jährlich 600 Milliarden benötigt werden, um die Emissionsminderungsziele der EU zu erreichen, einen erheblich größeren EU-Haushalt erfordern. Hinzu komme, dass die im Rahmen des NextGenerationEU-Programms aufgenommenen Schulden ab 2027 schrittweise zurückgezahlt werden müssen. Dieses befristete Programm wurde im Mai 2020 auf eine deutsch-französische Initiative hin von der EU-Kommission vorgeschlagen und stellte finanzielle Mittel in Höhe von 750 Milliarden Euro zur Verfügung, mit denen die Mitgliedstaaten bei ihren Maßnahmen für einen nachhaltigen Aufschwung unterstützt werden sollten. Die Experten-Gruppe rät der EU nun dazu, die Möglichkeit zu etablieren, in Zukunft gemeinsame Schulden zu machen.
Ein paar Reformen noch schnell vor der Wahl?
Insgesamt hält die „Group of Twelve“ fest: „Einige Reformen können kurzfristig ohne Vertragsänderung in einer ersten Phase ab Herbst 2023 und vor den Europawahlen 2024 durchgeführt werden. Reformen, die eine Vertragsänderung erfordern, sollten während des nächsten institutionellen Zyklus (2024–29) in Angriff genommen werden. Eine weitere Reihe von Reformen wird nach der nächsten Erweiterung erforderlich sein.“ Dazu stellt sie sich die Zukunft der europäischen Integration vierstufig vor: Neben einem inneren Kreis mit einer vertieften Integration sieht sie die EU als Union von Mitgliedstaaten, die sich an Artikel 2 EUV halten und von Umverteilungsmaßnahmen profitieren. Eine erste äußere Stufe könnte eine Vereinfachung der verschiedenen Formen der Assoziierung mit den Ländern des Europäische Wirtschaftsraums (EWR), der Schweiz oder sogar dem Vereinigten Königreich ermöglichen. Eine zweite äußere Ebene wie etwa die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) würde keine Form der Integration mit verbindlichem EU-Recht oder spezifischen rechtsstaatlichen Anforderungen beinhalten und keinen Zugang zum Binnenmarkt eröffnen. Stattdessen würde sie sich auf politische Zusammenarbeit in Politikbereichen von gegenseitiger Bedeutung und Relevanz wie Sicherheit, Energie, Umwelt und Klimapolitik konzentrieren.
Zwar ist der Bericht „Sailing on High Seas – Reforming and Enlarging the EU for the 21st Century“ nur ein Einzelbeitrag zur Erweiterungs- und Reformdebatte der EU, doch es ist zu vermuten, dass er als deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt durchaus einflussreich sein wird. Er ist auch sicher nicht zufällig terminiert, denn am 6. Oktober kommen die Staats- und Regierungschefs der EU unter spanischer Ratspräsidentschaft zu einem informellen Gipfeltreffen in Granada zusammen, um u.a. über die Erweiterung und Reform der EU zu diskutieren. Während gerade die aberwitzigen Vorschläge von Karima Delli, ebenfalls Grünen-Politikerin und Vorsitzende des Verkehrsausschusses des EU-Parlaments, zur Überarbeitung der EU-Führerschein-Richtlinie mediale Aufmerksamkeit erhält und Emotionen aufkochen lässt, steht mit den Reformenplänen ein Vorhaben an, das weit tiefgreifendere Auswirkungen auf die Zukunft der EU haben wird.
Falls wesentliche Vorschläge der „Group of Twelve“ aufgegriffen werden, wovon auszugehen ist, würde die EU-Erweiterung mit Reformen einhergehen, die eine noch größere Zentralisierung zur Folge hätten. Es könnten gemeinsame Schulden gemacht, leichter Sanktionen gegen aufmüpfige Staaten verhängt, die Bewilligung von EU-Mitteln verweigert, das Prinzip der Einstimmigkeit vollständig abgeschafft und eine Vereinheitlichung der Steuerpolitik, der Gerichtsinstanzen sowie der Wahlvorgänge der Mitgliedstaaten etabliert werden. Dabei wird der Vorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht schon längst als gegeben vorausgesetzt. Es geht jetzt nur noch darum, die Kompetenz der EU immer weiter zu stärken, sodass sie raschere Entscheidungen in allen Politikbereichen treffen und umsetzen kann. Und über allem schwebt die „transnationale Herausforderung“ des Klimawandels.