Ramin Peymani, Gastautor / 18.11.2020 / 11:00 / Foto: Löwe 48 / 32 / Seite ausdrucken

Eine Regierung und ihr antidemokratischer Schutzwall

Das deutsche Infektionsschutzgesetz ist keinesfalls neu. Es trat vor 20 Jahren in Kraft – lange vor Corona. Mehr als ein halbes Dutzend Gesetze wurden seinerzeit gebündelt und der Infektionsschutz als spezielles Gebiet der Gefahrenabwehr verankert, mit der Konsequenz, dass für die Anwendung des Infektionsschutzgesetzes die Grundsätze des Polizeirechts gelten. Anordnungen unterliegen der gesetzlichen Pflicht zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Ermessens sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies sehen Rechtsexperten inzwischen infrage gestellt.

Kurze Rückblende: Aufgeschreckt durch Bilder, Berichte und Zahlen aus europäischen Nachbarländern mit anfälliger Gesundheitsinfrastruktur sah sich der Bundestag im März veranlasst, das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zu verabschieden. Mit diesem wurde auch das bestehende Infektionsschutzgesetz geändert. Die Neuerungen eröffnen erheblichen Interpretationsspielraum bei der Feststellung einer Epidemie. Das vermutete Vorhandensein einer Bedrohung reicht hierfür aus. Schon dies hatte im Frühjahr für reichlich Unmut gesorgt.

Nun geht die Bundesregierung einen Schritt weiter: Das Infektionsschutzgesetz soll erweitert werden, um die parlamentarische Mitsprache noch mehr einzuschränken. Im Zentrum der Kritik von Rechtsexperten steht der neu eingefügte Paragraph 28a. Dieser genüge den Vorgaben von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz nicht, so die Juristin Dr. Andrea Kießling von der Ruhr Universität Bochum. Die Vorschrift lasse keinerlei Abwägung der grundrechtlich betroffenen Interessen erkennen.

Auch bei den Oppositionsparteien regt sich Widerstand. Doch wird dies am Ende genügen, um die weitgehende Einschränkung von Grundrechten zu verhindern, die ausschließlich mit Inzidenzwerten, also der relativen Zahl Infizierter, begründet wird? Nicht ohne Grund fordert der Epidemiologe Gérald Krause vom Braunschweiger Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, auf derlei Schwellenwerte zu verzichten und stattdessen mehrere Indikatoren zusammen zu betrachten, zu denen vor allem die Auslastung der Intensivbettenkapazitäten gehöre. „Kein Grenzwert ist der Richtige“, sagte er bei der Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags am vergangenen Donnerstag.

Nicht interessiert, die Gesetzesänderung demokratiefest zu machen

Tatsächlich handelt es sich bei den Beschränkungen, die der Paragraph 28a ermöglicht, um nicht hinnehmbare „Eingriffe in grundgesetzlich geschützte Rechte wie die Berufsausübung und Gewerbefreiheit“ – wie nicht nur der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband beklagt. Als Bürger, der mit Unbehagen auf das Gebaren der Regierungskoalition schaut, kommt man nicht umhin, sich der Forderung nach einer politisch unabhängigen Expertenkommission anzuschließen, die mittels objektiver Kriterien festlegt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Bundestag überhaupt eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ beschließen kann. Ebenso muss dem Parlament ein Strategiepapier vorgelegt werden, das unterschiedliche Szenarien der epidemischen Entwicklung beinhaltet, klare epidemiologische Zielwerte definiert und Bedingungen für das Inkraft- und das Außerkrafttreten von Maßnahmen festlegt. Nur auf diese Weise kann dem Eindruck der Willkür entgegengewirkt werden.

Die Bundesregierung hat klargemacht, dass sie nicht daran interessiert ist, ihre Gesetzesänderung demokratiefest zu machen. Nur geringfügig war man bereit, auf die Kritik einzugehen, und etwa die Definition der epidemischen Notlage nachzuschärfen. Doch selbst diese Nachbesserung erfüllt den Zweck nicht. Es ist daher zu befürchten, dass schon in wenigen Tagen, der „Willkürparagraph“ 28a des sogenannten Bevölkerungsschutzgesetzes verabschiedet wird. Er soll den Rügen von Richtern Rechnung tragen, die angezweifelt hatten, dass das Infektionsschutzgesetz in seiner aktuellen Form die weitreichenden Grundrechtseingriffe rechtfertigt. Tatsächlich scheint er aber eher als Schutzwall gegen die Gerichte zu dienen, die Corona-Beschränkungen bislang immer mal wieder kassieren.

Die Gesetzesänderung stellt den Regierenden einen Blankoscheck aus, sobald sie mit ihrer Mehrheit im Bundestag die Feststellung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ erwirkt haben. Es gab eine Zeit, in der die Abgeordneten einer deutschen Regierung ähnlich weitgehende Befugnisse eingeräumt hatten. Eine Ausstellung in den Katakomben des Reichstags zeugt von diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte. Getragen war dies damals von der verbreiteten Überzeugung, es gäbe „Not von Volk und Reich“ als Folge einer beispiellosen politischen Propaganda. Wir alle wissen, wie dies ausging. Die bevorstehende Änderung des „Bevölkerungsschutzgesetzes“ ist ein Dammbruch. Es steht mehr auf dem Spiel, als viele glauben. Gewusst haben wollen es irgendwann dann wieder einmal die wenigsten.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Ramin Peymanis BlogLiberale Warte“.

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Irmgard Grünberg / 18.11.2020

CDU und SPD haben zusammen 398 Sitze im Bundestag , bekamen aber für “ihr Gesetz” 415 Stimmen, also noch 37 von der Opposition, vermutlich von den Grünen, die eigentlich dagegen stimmen wollten, wenn ihr Änderungsantrag abgelehnt würde, was der Fall war. Diese haben 67 Sitze. Es ist notwendig, sich auf jeden Fall die Namen der CDU/SPD -Abgeordneten dieses Bundestages zu merken, später will es wieder keiner gewesen sein. Die bekanntlich “eigentlich” immer “Dagegen-Gewesenen” der Nazi-Zeit sind Legion.  Für mein Entsetzen über diese Abstimmung im Bundestag habe ich keine Worte. Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien, aber diese Regierung verhält sich in der Tat so, als hätte sie etwa zu verbergen, sonst wäre das Gesetzesvorhaben anders gelaufen.

Lutz Herrmann / 18.11.2020

Habe zu meiner Schulzeit noch gelernt, dass Gewaltenteilung und Kontrolle der Herrschenden eine gute Sache darstellt. Was wird man meinen Kindern demnächst erzählen?

Werner Liebisch / 18.11.2020

Lieber Herr Frank Walter Steinmeier, wenn sie das neue Super-Gesetz im besten Deutschland, dass es jemals gab, nicht unterzeichnen, dann wären sie auch noch der beste Bundespräsident den Deutschland jemals hatte. Das ist doch eine Überlegung wert, oder?

E. Müsch / 18.11.2020

Polen und Ungarn werden wegen Rechtsstaatsverstöße, von der unter deutscher Ratspräsidentschaft stehenden EU, unter Druck gesetzt und erpresst. Aber wie steht es mit der Rechtsstaatlichkeit und vor allem der Gewaltenteilung in unserem Land. Von den Medien und dem Regime ist keine kritische Selbstreflexion zu erwarten.  Die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts wird von den Regierungsparteien ausgekungelt, nach Parteibuch.  Abstimmung der Legislative im Parlament folgen immer den Vorgaben der Regierung durch parteiabhängige Abgeordnete, von Unabhängigkeit kann durch den Fraktionszwang bei den Abgeordneten der Altparteien keine Rede sein. Urteile der Judikative gegen die Legislative bleiben folgenlos.  Stellt sich die Frage nach der 3. Säule der Exekutive? Mit Verfassungsschutz und Polizei wird Machtmissbrauch durch die Regierung betrieben z.B. um gegen Oppositionelle vorzugehen, wie gerade brutal gegen den Bundestagsabgeordneten der AFD Carsten Hilse, der von seinem Demonstrationsrecht gebrauch machen wollte und der eigentlich Immunität genießt. Die 3. Säule ist völlig abhängig und weisungsgebunden an dem Innenminister der Regierung.  Hier von Unabhängikeit zu sprechen wäre ein Witz.  Kommen wir zur sogenannten 4. Säule den Medien. Hier reibt man sich nur noch fassungslos die Augen, ob der Jubelperser der Regierung. Eine Unabhängigkeit der MSMedien ist nicht erkennbar. Sie werden z.T. als sogenannte Rechercheverbunde mit der GEZ Zwangsabgabe querfinanziert, wahrscheinlich bekommen sie inzwischen auch direkt Staatsgelder und damit Steuergelder und haben die Funktion Regierungspropaganda zu verbreiten. Objektivität sieht anders aus. Polen und Ungarn sind wahrscheinlich rechtstaatlicher als diese BRD unter der Genossin Erika. Und was heute verabschiedet wurde ist ein Anschlag auf das Grundgesetz.

Thomas Brox / 18.11.2020

@ Gudrun Meyer. Obwohl ich ihren Kommentar gut finde, möchte ich noch etwas hinzufügen. Die Einführung des Euro als Buchwährung (und damit faktisch als Währung) im Jahr 1999 war m.E. bereits ein krasser Fehler; eine Volksabstimmung wurde noch nicht einmal ansatzweise in Erwägung gezogen. Das EEG Gesetz im Jahr 2000 war der Einstieg in die Energiewende: Massive Subvention von Windrädern und Photovoltaik. Was wir jetzt erleben, hat schon viel früher als 2010 begonnen. Der Damm von dem Sie sprechen (Demokratie, Verfassung, Staatsrecht, Institutionen), war in Deutschland noch nie sonderlich stabil.

Marc Greiner / 18.11.2020

Auf youtube mal wieder den Film “Der Mann auf der Mauer” von 1982 schauen. Nicht weil der Film so super ist, aber man sieht wieder mal die DDR live, man sieht wie es 1982 im Westen war (ungezwungener und freier) und grotesk ist der Film auch. Ich meine ja nur, um mal wieder das eigene Urteilsvermögen zu justieren. Dann sieht man auch klarer wo man im Jahr 2020 gelandet ist. Weit weg von Zuhause.

Hans-Peter Dollhopf / 18.11.2020

Herr Milgram, Sie schreiben: “‘Gewusst haben’ es viele Tausende, aber die werden gerade in Berlin mit Wasserwerfern weggeräumt.” In Berlin sind Polizeiwasserwerfer SEDGRÜN!

S.Niemeyer / 18.11.2020

Zur gleichen Zeit am 18. November 2020 um 13.00 Uhr: Bundestagssitzung zur großen Ermächtigung der Exekutivgewalt. Am Brandenburger Tor Wasserwerfer und Reizgas gegen die protestierenden Demonstranten. An der Charlottenburger Hochmeisterkirche eine endlose Schlange wartender Menschen jeden Alters in der Hoffnung auf Überlebensmittel von der Tafel.

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