Könnte es sein, dass sich das Land Baden-Württemberg einen „antisemitischen Antisemitismus-Beauftragten" leistet? „Nein!", sagt die Regierung von BW, das sei „absurd und niederträchtig". Tatsächlich gibt es inzwischen so viele Antisemitismen wie Biermarken in einem Getränkegroßhandel. Es muss ja nicht immer der Klassiker („Die Juden sind unser Unglück!“) sein.
Nachdem eine Kammer des Hamburger Landgerichts in einem Verfügungsverfahren entschieden hatte, die Behauptung, das Land Baden-Württemberg leiste sich „einen antisemitischen Antisemitismusbeauftragten“, sei eine „zwar scharfe, aber noch zulässige Meinungsäußerung“, für die „hinreichende Anknüpfungstatsachen“ vorliegen, brauchte die Regierung von BW eine Weile, um sich zu positionieren und eine „Richtigstellung“ zu veröffentlichen. Darin heißt es: „Die Vorwürfe sind absurd und niederträchtig. Fakt ist, Herr Blume ist kein Antisemit.“
Fakt ist, dass es bis jetzt kein Verfahren gibt, mit dessen Hilfe man feststellen könnte, ob eine Person ein Antisemit bzw. eine Antisemitin ist oder nicht. Keine Blut- oder Speichelprobe, keine Spektralanalyse, kein Elektroenzephalogramm. Man ist auf Erfahrungen und Indizien angewiesen. Wenn es aber inzwischen einige Dutzend „nicht-binäre Geschlechtsidentitäten“ gibt, zwischen denen man sich entscheiden und auch hin- und herwechseln kann, dann könnte es auch eine Anzahl von „antisemitischen Identitäten“ geben, ein Repertoire von verschiedenen Melodien in derselben Tonart. Warum sollte ausgerechnet ein so fluides Phänomen wie der Judenhass von Diversität verschont bleiben?
Fakt ist, dass auch in der Forschung verschiedene Formen des Antisemitismus diskutiert werden. Am Anfang war der Vorwurf des „Gottesmordes“. Aus dem Setzling erwuchs im Lauf der Jahrhunderte ein großer, starker Baum mit vielen Ästen und Zweigen. Inzwischen zählt man so viele Antisemitismen wie Biermarken in einem Getränkegroßhandel. Den christlichen, den muslimischen und den säkularen Antisemitismus; den Antisemitismus in der Kultur, in der Politik, in der Wirtschaft; den Antisemitismus der intellektuellen Kreise und der dummen Kerls, den primären und den sekundären Antisemitismus, den Antisemitismus der Worte und den der Taten.
Wer es einfacher mag, tauscht die Kategorien gegen Namen aus: Henry Ford und Charles Lindbergh, Richard Wagner und Martin Luther, Wilhelm Marr und Karl Lueger, Voltaire und H.G. Wells, Günter Grass und Roger Waters, Karl Marx und die progressiven Kuratoren der letzten documenta.
Seit 2000 Jahren verfolgt und immer ohne Grund?
Allen gemeinsam ist, dass sie sich von den Juden angezogen und zugleich abgestoßen fühlen, dass sie die Juden bewundern und verachten, beneiden und bemitleiden – und dass sie es auf ihre Art gut mit den Juden meinen, die sich ihrerseits als undankbar, unbekehrbar und unbelehrbar erweisen. Der Antisemit als solcher ist ein Wesen voller innerer Widersprüche. Lässt man sich auf eine Diskussion mit ihm ein und zerlegt eine seiner Legenden – z.B. die der Brunnenvergiftung – zieht er gleich die nächste Trumpfkarte, die er den Protokollen der „Weisen von Zion“ entnommen hat. Und wenn ihm nichts mehr einfällt, dann besinnt er sich auf die Mutter aller Fragen, auf die noch kein Historiker eine überzeugende Antwort gegeben hat: „Was denn, was denn, seit 2000 Jahren verfolgt und immer ohne Grund?“
Fakt ist ebenfalls, um im Jargon der Regierung von BW zu bleiben, dass es in der Geschichte des Antisemitismus eine tiefe Zäsur gegeben hat: Auschwitz. Vor 1933 war Antisemitismus eine weit verbreitete Haltung, eine Option unter vielen der Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs. Antisemitische Parteien und Prediger traten unmaskiert auf. Nach 1945 war der Antisemitismus diskreditiert, kein Argument, keine Meinung, kein politisches Statement, nur eine späte Bejahung des größten Pogroms der Neuzeit. Der Antisemitismus hatte sich verflüchtigt, aber nicht erledigt. Aus guten Gründen wollte niemand mehr Antisemit sein, nicht einmal die Leser der Deutschen National- und Soldatenzeitung, die in fast jeder Ausgabe die „Auschwitz-Lüge“ als Propaganda-Märchen entlarvte.
Aber Geschichte kennt keinen Stillstand, und zum Wesen von Untoten gehört, dass sie irgendwann wieder zum Leben erwachen. Der Antisemitismus mag rechtlich so off limits sein wie Vergewaltigung in der Ehe, dass es aber inzwischen in jedem Bundesland einen Antisemitismus-Beauftragten gibt und in der ganzen BRD mindestens zwei Dutzend solche „Beauftragte“, ist eher ein Indiz für die Langlebigkeit des Phänomens als für dessen erfolgreiche Überwindung.
Neu ist nur das Label, unter dem die Neuen Deutschen Antisemiten ihr Programm präsentieren: „Antizionismus, Israelkritik, Kampf dem Postkolonialismus, Imperialismus und Solidarität mit dem globalen Süden.“ Auch dafür ist die letzte Kasseler documenta ein schönes Beispiel, die mit einem Wumms begann und einem Doppel-Wumms endete, nämlich der Berufung zweier Kuratoren als Gastprofessoren an die Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Was werden die beiden ihren Studenten beibringen? Wie man antisemitische Botschaften in einem Kunstwerk versteckt? Wie man mit Kapitalismuskritik Millionen erwirtschaftet? Oder wie man die Riege der ratlosen Antisemitismus-Beauftragten der Lächerlichkeit preisgibt?
Für diesen Job braucht man keine Qualifikation
Zurück zu der Frage, ob Michael Blume, der Antisemitismus-Beauftragte des Landes BW, ein Antisemit ist. Die Stellenbeschreibung ist ja zumindest zweideutig. „Antisemitismus-Beauftragter“ könnte man auch so verstehen, dass er für die Verbreitung von Antisemitismus zuständig ist. Aber so ist es bestimmt nicht gemeint. Außerdem braucht man für diesen Job keine Qualifikation, außer dem Segen der jüdischen Gemeinden von Baden und von Württemberg, die es irgendwie hilfreich finden, dass jemand da ist, an den sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Dass die Einrichtung einer Antisemitismus-Beauftragten-Stelle eine Form der positiven Diskriminierung darstellt, fällt ihnen vermutlich nicht einmal auf. Auch nicht, dass trotz der Präsenz des Antisemitismus-Beauftragten die Zahl der „judenfeindlichen Straftaten“ in BW im Jahre 2021 „sprunghaft angestiegen“ ist, nämlich um 50 Prozent.
Wenn das mal kein Beleg für die Entbehrlichkeit der Planstelle ist. Wobei man rein theoretisch nicht ausschließen kann, dass ohne den Antisemitismus-Beauftragten der Anstieg noch größer ausgefallen wäre.
Fakt ist, Michael Blume ist kein Antisemit der alten Schule. Er hat den Holocaust weder geleugnet noch verharmlost. Er hat nicht zu Gewalt gegen Juden aufgerufen. Er ist bei keiner Anti-Israel-Demo mitgelaufen. Einerseits. Andererseits: Sein Verhältnis zu Juden ist, freundlich gesagt, ambivalent. Er versteht sich als Behüter und Beschützer von Juden, aber eben nicht aller Juden, sondern nur der, die er als gute Juden anerkennt. Diejenigen, die es wagen, ihn zu kritisieren, sind „rechtsextreme Menschen in den jüdischen Gemeinden“ oder verbreiten „rassistische & demokratiefeindliche Positionen“ – Tatbestände, die er für so evident hält, dass er sie mit keinem Beispiel belegt.
Die Reise zu den Juden in Wien
Völlig aus dem Häuschen gerät der Antisemitismus-Beauftragte des Landes BW, wenn er aus dem „Bundeskanzleramt zu Wien“ eine Einladung zum „Nationalen Forum gegen Antisemitismus der Republik Österreich“ bekommt. Kaum an der blauen Donau angekommen, nutzt er die Gelegenheit, um „für den guten Namen von Simon Wiesenthal einzutreten und ihn (ebenso wie Karl Popper, Martin und Paula Buber) namentlich zu würdigen“.
Gut so, Simon Wiesenthal, Karl Popper, Martin und Paula Buber haben lange darauf gewartet, dass der Antisemitismus-Beauftragte des Landes BW bis nach Wien reist, um ihren Ruf zu retten, weswegen und vor wem auch immer. Damit nicht genug, gibt der Gast anschließend zu Protokoll, er habe „aus Respekt für unsere guten Beziehungen“ – Blume meint vermutlich die zwischen BW und Österreich – „an diesem Wiener Sommertag komplett Fliege“ getragen. Und damit man ihn nicht für einen Hochstapler hält, illustriert er den Tagebucheintrag mit einem Foto, auf dem zu sehen ist, wie er hinter einem Rednerpult steht, im weißen Hemd, dunklen Anzug und einer schwarzen Fliege unterm Kinn. Respekt! Respekt!
„Am Folgetag“ besuchte er dann die Israelitische Kultusgemeinde Wien, plauderte mit dem „engagierten IKG-Präsidenten Oskar Deutsch“, dem Geschäftsführer Benjamin Nägele und dem „seit 2020 amtierenden Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer“, diesmal ohne Fliege, mit offenem Hemdkragen. Zum „Vortrag beim echten, österreichisch-europäischen, seriösen und demokratischen Wiesenthal-Institut in Wien“ posierte er bereits hemdsärmelig, das Sakko leger über den linken Arm gelegt. Hier konnte Blume „über unsere demokratische und rechtsstaatliche Arbeit gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg berichten und den Namen gegen jeden Missbrauch in Schutz nehmen“. Wessen Namen?
Den von Wiesenthal? Von BW? Seinen eigenen?
Der Besuch im „echten“ Wiesenthal-Institut muss den Gast aus BW dermaßen beflügelt haben, dass er bei dieser Gelegenheit mit dem „unechten“ Wiesenthal-Center in Los Angeles abrechnete. Dessen Namensgeber, „Nazijäger“ Simon Wiesenthal, sei „schon zu Lebzeiten mit dem zunehmenden Rechtsdrall des nach ihm benannten Centers“ dermaßen „unzufrieden geworden“, dass er „seinen Nachlass dem von ihm mitbegründeten Institut in Wien“ vermachte. Wer hat Blume diese Info zugesteckt? Der Geist von Simon Wiesenthal? Kann Blume Zeitreisen unternehmen?
Eine echte Weaner G’schicht
Was man dazu wissen muss: Das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles wurde 1977 gegründet; Simon Wiesenthal starb im Jahre 2005 in Wien; das Simon Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien in Wien wurde 2009 gegründet und nahm 2012 den „Vollbetrieb“ auf. Seitdem stolpert es von einer organisatorischen Krise in die nächste. Zuletzt berichtete der „Standard“ im Mai 2021, die Israelitische Kultusgemeinde Wien habe das Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien kritisiert, weil es sich „in eine Richtung entwickelt, wofür es nicht gegründet worden war“. Statt sich als „Kompetenz-Zentrum mit dem Schwerpunkt Genozidforschung (zu) profilieren“, sollte es „die ständig steigenden antisemitischen Vorfälle in Österreich“ ins Visier nehmen. – Eine echte Weaner G’schicht, wie aus dem Tagebuch von Anton Kuh.
Das alles muss dem Antisemitismus-Beauftragten von BW bei seinem dreitätigen Wien-Besuch im Juni 2022 entgangen sein. Alles, was zählte, war, dass er den bösen, rechtslastigen Juden vom Holocaust Center in Los Angeles eine Watschn mitgeben konnte, als Dank dafür, dass sie ihn auf Platz 7 der führenden antisemitischen Aktivisten des Jahres 2021 gesetzt hatten, worauf sich die jüdischen Landesverbände in Baden und in Württemberg, der Zentralrat der Juden und die Orthodoxe Rabbiner-Konferenz schützend vor Blume stellten. Blume sei mitnichten ein Antisemit, vielmehr ein „Brückenbauer zwischen Baden-Württemberg und Israel“. (Mit Hilfe einer solchen Brücke hätten die Israeliten mühelos und trockenen Fußes das Rote Meer überqueren können. Aber da war Michael Blume noch nicht als Brückenbauer tätig.)
In einem Interview mit dem SWR betonte der passionierte „Brückenbauer“, an den „Vorwürfen“ des Wiesenthal Center in L.A. gegen ihn wäre „nichts dran“; Er werde „seit über drei Jahren von einem Troll belagert, beschimpft und angegriffen, und jetzt hat dieses sogenannte Wiesenthal-Center das einfach übernommen“. Mehr noch: Zwar habe Simon Wiesenthal selbst „einen guten Ruf“. Das Zentrum in Los Angeles aber, an dessen Gründung der Namensgeber gar nicht beteiligt war, missbrauche Wiesenthals Namen. Deshalb spreche er vom „sogenannten Wiesenthal-Center“. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der echte Simon Wiesenthal solche Aktionen gut gefunden hätte.“
Wer Jude ist, bestimme ich!
Was sich der Antisemitismus-Beauftragte des Landes BW vorstellen kann und was jenseits seines Vorstellungshorizonts liegt, ist eine Sache. Eine andere ist, dass er eine bewährte antisemitische Position übernimmt: „Wer Jude ist, bestimme ich!“, in Umlauf gebracht durch den Wiener Bürgermeister und bekennenden Antisemiten Karl Lueger (1844 – 1910). Die Nazis machten sich die Losung partiell zu eigen und erklärten einige Juden und „jüdische Mischlinge“ zu „Ehrenariern“, die sich im Sinne der Nazis um Volk und Vaterland verdient gemacht hatten.
Hitler hielt seine schützende Hand über einen jüdischen Arzt in Linz, der die Mutter des Führers behandelt hatte. Himmler protegierte einen halbjüdischen Lebensmitteltechniker, der das Geliermittel Opekta erfunden hatte. Ein bekannter jüdischer Historiker, der gerne der NSDAP beigetreten wäre, wenn die Parteistatuten es erlaubt hätten, durfte samt Familie nach Schweden ausreisen, wo er den Krieg überlebte. Nach dem Krieg behauptete jeder Ex-Nazi, er habe mindestens einem Juden das Leben gerettet. Bei immerhin 7,5 Millionen eingeschriebenen NSDAP-Genossen, Stand Anfang 1945, mutet es seltsam an, dass nicht ebenso viele Juden die „Endlösung“ überlebt haben.
Blume macht es halblang. Ihm geht es darum, den „guten Ruf“ von Juden zu retten, die ihm genehm sind. So wie Lueger sich anmaßte, darüber zu entscheiden, wer Jude ist, traut sich Blume zu, darüber zu urteilen, wer ein guter, „koscherer“ Jude ist. Und er merkt nicht, in wessen Fußstapfen er wandelt. (Sollte er das Cafe Prückel an der Ecke Stubenring und Dr.-Karl-Lueger-Platz im 1. Wiener Bezirk besucht haben, wäre ihm wohl das große Dr.-Karl-Lueger-Denkmal direkt vor dem Beisl aufgefallen.)
Mit Blumes Superego als Treibstoff könnte jeder Heißluftballon in die Stratosphäre aufsteigen. Kaum hatte er Wien, „diese großartige und geschichtsträchtige Stadt“, Richtung Stuttgart wieder verlassen, kündigte er eine weitere Expedition an: „Selbstverständlich möchte ich zu gegebener Zeit auch international und auf Englisch gegen den v.a. US-amerikanischen Missbrauch des Namens von Simon Wiesenthal vorgehen.“
Diese Drohung dürfte alle Alarmsysteme im Simon Wiesenthal Center in Los Angeles zum Glühen gebracht haben, wie sonst nur bei schweren Erdbeben, zuletzt 2019. Michael Blume ante portas! Rette sich, wer kann!
Das Herdenverhalten von Elefanten und Giraffen
Wäre Dr. Blume ein Comedian, könnte er die Pausen zwischen Cindy aus Marzahn und Atze Schröder füllen. Er ist aber kein Pausenclown, sondern der Antisemitismus-Beauftragte von BW. Wie bereits angedeutet, schwebt über all seinem Tun die Frage, wie er mit einer solchen Aufgabe betraut werden konnte. Man könnte natürlich sagen, in einem Land, in dem Claudia Roth zur Kulturstaatsministerin und Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister avancieren konnten, ist nichts unmöglich, es gibt auch keine Untergrenze der Befähigung. Aber das wäre zu einfach.
Blume ist vermutlich deswegen zum Antisemitismus-Beauftragten von BW ernannt worden, weil er vom Gegenstand seiner Bestimmung keine bis gar keine Ahnung hat. Sein Auftreten erinnert an den alten Witz von einem Studenten, der sich auf ein Examen im Fach Geschichte zum Thema „Die jüdische Frage in Politik und Kultur“ vorbereitet hat. Im letzten Moment tauscht die Prüfkommission Fach und Thema aus. Der Student soll jetzt über das „Herdenverhalten von Elefanten und Giraffen“ referieren. Darauf hatte er sich nicht vorbereitet. Er bittet um eine Minute Zeit zum Nachdenken und legt dann los: „Über die jüdische Frage im Zusammenhang mit dem Herdenverhalten von Elefanten und Giraffen ist bis jetzt wenig geforscht worden. Neuere Studien zeigen aber, dass es eine Verbindung zwischen dem einen und dem anderen Phänomen gibt…“
Und schon ist er bei der „jüdischen Frage“, deren Strukturen auch im Tierreich vorgegeben sind, vor allem bei Elefanten und Giraffen, die sich allein durch ihr Aussehen von allen anderen Spezies unterscheiden. Das treffe auch auf Juden zu. Man könne sie an ihrem Habitus erkennen, den Schläfenlocken der Männer und den Perücken der Frauen. Und auch daran, dass sie „mit den Händen reden“. So gleitet der Student durch die Prüfung und verlässt den Raum mit einem „Bestanden“.
Blume macht es ähnlich. Er verwandelt ein Handicap – seine tiefgründige Ahnungslosigkeit – in eine Art von Kapital, ein Sondervermögen. Es kommt ihm zugute, dass „Antisemitismusbeauftragter“ keine geschützte Berufsbezeichnung ist wie Dipl.-Kaufmann oder Klempnermeister, eher ein freier ungeschützter Beruf wie Privatdetektiv oder Yoga-Lehrer.
Alles hängt mit allem zusammen
Für Blume freilich ist es das Fenster zur Welt. Er stößt es weit auf und stellt fest: Alles hängt mit allem zusammen. Im letzten Kapitel seines ersten Berichts zur Antisemitismus-Lage in BW hält er ein „Plädoyer für vernetztes Denken“. Da erfährt man u.a. Folgendes:
Wenn wir den Antisemitismus global und glaubwürdig bekämpfen, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einstehen wollen, dann muss dies auch stärkere Anstrengungen für die Wende zu erneuerbaren Energien und die Dekarbonisierung bedeuten. Die Verfeuerung fossiler Rohstoffe vergiftet nicht nur Umwelt und Klima, sondern verformt auch Gesellschaften, Staaten und religiöse Lehren ins Autoritäre. Gleichzeitig droht schon die Ausweitung neuer Abhängigkeiten etwa bei Seltenen Erden oder Coltan.
Irre, nicht wahr? Aber eben nicht irre gut oder irre originell, sondern irre neben der Spur. Blume simuliert Wissen und Kompetenz, indem er Textbausteine verwendet, die auch in jedem anderen Kontext stehen könnten, in einem Beitrag über sozialen Wohnungsbau oder nachhaltige Klimapolitik. Die besondere Note bekommt sein „Plädoyer für vernetztes Denken“ durch das eingestreute Reizwort „Antisemitismus“, den Blume „global und glaubwürdig“ bekämpfen will. Alles andere wäre unter seinem Niveau. Im nächsten Absatz verpasst Blume seinem weißen Schimmel eine weitere Portion Haferbrei:
Mit jedem Schritt zur Dekarbonisierung, der Förderung erneuerbarer Energien, von Bildung und der Verbesserung von Recycling können Akteure in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nicht nur den Umwelt- und Klimaschutz fördern, sondern auch Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Frieden und die Überwindung antisemitischer Propaganda. Idealerweise können wir baden-württembergisches Engagement mit globaler Verantwortung verknüpfen und auch damit für eine Welt mit weniger Zerstörung, Hass, Antisemitismus und Rassismus wirken.
Der Judenhass der New School of anti-Semitism
Ja! Draußen gibt’s nur Kännchen, in Einbahnstraßen darf nur tagsüber geraucht werden, die Basis ist die Grundlage des Fundaments und Michael Blume leistet einen Beitrag zur Überwindung antisemitischer Propaganda, indem er seinen Abfall recycelt. Und weil „wir“ in BW Engagement mit globaler Verantwortung verknüpfen, könnte man auch die Kehrwoche durchaus als „unseren“ Anteil am globalen Kampf für eine Welt mit weniger Zerstörung, Hass, Antisemitismus und Rassismus verstehen.
Wer sich so global spreizt, ist natürlich überfordert, wenn es darum geht, das Große im Kleinen zu erkennen. Blume unterstützt Boykott-Aufrufe, deren antisemitisches Hintergrundrauschen ihm auffallen müsste, wenn er begriffen hätte, dass auch der Antisemitismus mit der Zeit geht. Die Zeiten des Old-School-Judenhasses, der unter der Parole „Die Juden sind unser Unglück!“ auftrat, sind vorbei. Der Judenhass der New School predigt nicht die physische Vernichtung, sondern die soziale Aus- und Abgrenzung von Juden, die sich der Inklusion verweigern.
Die bürokratische Einteilung in mehr oder weniger „koschere“ Juden und jüdische Institutionen ist so willkürlich wie die Unterscheidung zwischen „Volljuden“ und „jüdischen Mischlingen“. Möglich, dass in BW andere Regeln gelten. Immerhin hatte das Land noch in den 70er Jahren einen Ministerpräsidenten, der als NS-Marinerichter an vier Todesurteilen gegen „Wehrkraftzersetzer“ beteiligt war. Was einen seiner Nachfolger nicht davon abhielt, in der Trauerrede auf den „furchtbaren Juristen“ (Rolf Hochhuth) zu behaupten:
„Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes. Allerdings konnte er sich den Zwängen des Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen andere.“
Was Blume angeht, ist er weder ein „klassischer“ noch ein „furchtbarer“ Antisemit. Der Antisemitismus, den Blume praktiziert, ist ein „naiver“, ein gut gemeinter, man könnte auch sagen, ein selektiver. Er richtet sich nicht gegen „die Juden“, sondern nur gegen Juden, die Blume als „rechts“ klassifiziert. Und was „rechts“ ist, bestimmt ebenfalls der Antisemitismusbeauftragte von BW. „So denkt es in ihm“, würde Fassbinder sagen.
Es ist, zugegeben, eine schlaue Methode der Diskriminierung und Disziplinierung ohne unmittelbare Gewaltanwendung. Keine Frage, Dr. Michael Blume ist der richtige Mann am richtigen Ort zur rechten Zeit.