Doktor Seltsam, oder wie ich lernte, AstraZeneca zu lieben

Einer meiner Lieblingsfilme ist „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ von Stanley Kubrick. Noch bezeichnender ist der englischsprachige Titel, der ergänzt how I learned to stop worrying – wie ich lernte, mir keine Sorgen mehr zu machen. Im Film geht es um die Auslösung eines atomaren Weltkriegs durch eine verzettelte, rein an politischen Vorgaben, Einsatzplänen und Algorithmen orientierte Automatik; und als die Verantwortlichen gerade beginnen, sich darüber Sorgen zu machen, ist es bereits zu spät. Immerhin, es handelt sich um eine Komödie. Ihr Titel ist natürlich rein sarkastisch. Und genau diese Mechanismen lerne ich jetzt auch lieben.

Da schickt mir doch am 13.04.2021 das Paul-Ehrlich-Institut, immerhin die oberste deutsche Aufsichts- und Sicherheitsbehörde für Impfstoffe, schriftlich einen sogenannten „Rote-Hand-Brief“ zum Impfstoff von AstraZeneca, folgenden Inhalts: Ich solle als Impfarzt darauf achten, dass in seltenen Fällen tödliche Hirnvenenthrombosen aufgetreten seien; eine eindeutige Risikogruppe dafür habe bislang nicht definiert werden können. Auffällig sei das Auftreten bei Personen unterhalb des sechzigsten Lebensjahrs, und daher laute die Empfehlung, den Impfstoff oberhalb dieser Altersgrenze einzusetzen.

Wenige Tage später setzt Großbritannien, Entwicklerland des genannten Impfstoffs, die Impfung für Personen unterhalb des vierzigsten Lebensjahres aus, und zuletzt verbietet Norwegen sie ganz. Dänemark hatte bereits auf sie verzichtet. Währenddessen übernimmt Schleswig-Holstein 55.000 AstraZeneca-Impfdosen aus Dänemark.

Am Ende einer seltsamen Meldekette

Eine geradezu niederschmetternde Übersicht über den verzettelten, widersprüchlichen, von offensichtlich politisch motivierten Automatismen begleiteten und damit letztlich verantwortungslosen Umgang der Verantwortlichen mit der Vektorvakzine von AstraZeneca liefert die Pharmazeutische Zeitung, deren auch journalistisch ausgezeichnete, frei zugängliche Lektüre ich allen Interessierten nur dringend empfehlen kann. Eine kleine Auswahl zum Impfstoff von AstraZeneca mag an dieser Stelle genügen: Thrombosen sind auch erst nach der zweiten Dosis möglich, auch bei älteren Frauen, aber der Nutzen überwiegt in allen Altersklassen laut EMA, nur wurden die Lieferungen an Arztpraxen gekürzt, eigentlich sollte es seit 26. April gar keine mehr an Hausarztpraxen geben, während andererseits Hausärzte die Annahme von AstraZeneca nicht verweigern dürfen – und natürlich gilt dabei der oben erwähnte Rote-Hand-Brief. Alles klar? Ja, genau so: Am Ende dieser famosen Melde- und Lieferkette hängt, Sie ahnten es, Ihre Hausarztpraxis.

Im selben Zeitraum erteilt der deutsche Bundesgesundheitsminister, seines Zeichens Bankkaufmann und Politologe, dem AstraZeneca-Impfstoff die Freigabe „für alle“. Ich wundere mich über gar nichts mehr, denn fünf Wochen zuvor klang auch er noch etwas anders. Das muss dann wohl der medizinische Fortschritt sein, der binnen fünf Wochen möglich ist, auf gesicherter Grundlage von Studien natürlich, die laut Paul-Ehrlich-Institut nicht existieren.

Die Europäische Arzneimittelbehörde gibt derweil weiterhin die Auffrischimpfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff bereits nach vier Wochen frei, während Experten in ausgewiesenen medizinischen Fachzeitschriften wie Nature mit gutem Grund davon abraten, den Impfstoff vor Ablauf von drei Monaten erneut zu verabreichen: Bildet doch das Immunsystem auch Antikörper gegen den „Vektor“, das als harmlos bezeichnete Hüllvirus des eigentlichen Impfstoffes, was bei zu früher Zweitimpfung den Impfstoff zerstören und den gesamten Erfolg der zweiten Impfung gefährden könne.

Aber, „auf Wunsch“ geht jetzt dennoch alles, verspricht die Politik, jedenfalls die deutsche, und dieser Wunsch brandet nun tagtäglich auch an die Türen meiner Praxis. Sie, die Politik, hat nur leider die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Erstens – und das ist noch das harmlosere Problem – wird noch gar nicht genügend Impfstoff geliefert, als dass ich „auf Wunsch“ tätig werden könnte. Zweitens ist völlig ungeklärt, wer denn das Risiko für mangelnde Wirksamkeit und für Komplikationen bei dieser widersprüchlichen bis verworrenen Lage trägt. Nach dieser Vorrede dürfte klar sein, dass ich es jedenfalls nicht sein kann. Drittens: Welche Motive hat ein Impfling überhaupt für die Impfung mit AstraZeneca? Hausärzte werden zurückhaltend, berichtet die WeLT.

Handeln im Nichtwissen soll ich so weit wie möglich vermeiden

Denn um eines kann es sich bei der politischen Ankündigung aus dem Ministerium ebenfalls nicht handeln: um eine Weisung an mich. Ich erfülle zwar einen Auftrag zur kassenärztlichen Versorgung der Bevölkerung, stehe dabei aber unter Therapiefreiheit und Sorgfaltspflicht und bin an keinerlei Weisungen gebunden – nur an meine Pflicht, meine Kenntnisse über die Sachlage in jedem Einzelfall umfassend und angemessen einzusetzen. Handeln im Nichtwissen soll ich so weit wie möglich vermeiden, für mich und für Sie.

Beispielsweise muss ich mich auch über Ihre Motive orientieren, erst danach Sie über alle mir bekannten Komplikationen aufklären, umfassend und in verständlicher Form, nötigenfalls schriftlich. Ich kann also „auf Wunsch“ keineswegs tun und lassen, was Sie als der oder die Betroffene wollen oder gar ich allein will, ohne mich selbst aktuell zu informieren, Sie umfassend aufzuklären und zu beraten – und mich dabei abzusichern. Und auf welcher Grundlage soll ich das jetzt tun? Auf jener der Empfehlung eines Bankkaufmanns und Politologen oder auf der einer Expertengruppe von Immunologen, Virologen und Epidemiologen beim Paul-Ehrlich-Institut? Aufgrund der offiziellen Vorgehensweise der Europäischen Arzneimittelbehörde oder der Meldungen über das Aussetzen oder Einschränken der Impfungen anderswo in Europa? Wenn ich mich daran orientiere, was zum Beispiel die exzellent recherchierte Pharmazeutische Zeitung meldet, dann ist das alle paar Tage etwas anderes, und eins garantiere ich: Fortsetzung folgt.

Machen Sie sich also auf eine geharnischte Impfberatung gefasst, wenn Sie von mir AstraZeneca „auf Wunsch“ haben wollen, und werfen besser auch Sie einen Blick in die Pharmazeutische Zeitung. Es ist ja eigentlich gar keine Impfberatung, die Sie von mir zu erwarten haben, denn was soll ich zu Ihrem Vorteil aus völlig widersprüchlichen Empfehlungen von Seiten der Politik, einer maßgeblichen deutschen Expertengruppe, der Europäischen Arzneimittelbehörde und der Vorgehensweise anderer namhafter Industrie- und Wissenschaftsnationen machen?

Dann bin ich als Hausarzt fein raus

Ich kommuniziere exakt das in der Praxis völlig offen, nämlich dass deutsche Hausärztinnen und Hausärzte permanent solchem Widersinn ausgesetzt werden, bevor Studien zum Thema auch nur ansatzweise abgeschlossen sind. Und gleich danach sichere ich mich ab, nicht Sie, indem Sie mir genau das unterschreiben, nämlich dass ich es Ihnen gesagt habe. Und nun geschieht alles Weitere auf Ihr Risiko.

Noch einmal: Es ist völlig unklar, ob eine nun wieder vorgezogene Zweitimpfung mit einem Vektorimpfstoff gegen Covid-19 dieselbe Wirkung entfaltet wie die von Experten zwischenzeitig definierte zeitgerechte Zweitimpfung nach drei Monaten. Es ist völlig unklar, wie hoch das Risiko einer potenziell tödlichen Nebenwirkung durch Anwendung des Vektorimpfstoffs in Ihrem Fall ist, zumindest unterhalb des sechzigsten Lebensjahrs. „Auf Wunsch“ heißt ferner, dass Sie von mir darüber aufgeklärt werden, und dass Sie die Vorgehensweise dennoch ausdrücklich wünschen, und Sie bestätigen mir das mit Ihrer Unterschrift. Pieks. Nicht mehr rückgängig zu machen. Das ist die Vorgehensweise, die mein Gesundheitsminister propagiert. Dann bin ich als Hausarzt fein raus. Es war doch Ihr Wunsch! Nicht meiner, noch nicht einmal der des Bundesgesundheitsministers; er hat nur gesagt: Sie können. Und ich darf.

Inwiefern das, wozu die Politik Sie und mich drängt, in seiner Konsequenz noch sauberes ärztliches Handeln ist, nein, gutes gemeinsames Handeln von Arzt und Patient, weil Sie es wünschen, und nachdem die Kommunikation von meiner Seite ehrlich, umfassend und – in meinem Fall – drastisch erfolgt ist und Sie das unterschreiben, oder ob auch ich in die Rolle des Doktor Seltsam gerate, der am Ende das propagiert, was er bei seiner Regierung gelernt hat – das möchte ich hier ausdrücklich zur Diskussion stellen.

Foto: Columbia Pictures/Dr. Strangelove via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Andreas Bitz / 15.05.2021

Ganz unabhängig von der Diskussion um Nebenwirkungen: Es geht um die Zeitverzögerung bis der von (deutschen und den bekannten philanthropen) Investoren (aus der Politik) herbeigesehnten Zulassung des Impfstoffs von CureVac / Tübingen. Wer macht dann die Folgegeschäfte nach den Peanut-Geschäften mit Masken, Tests? Es geht um die Etablierung von Routine-Dauerimpfungen: Immerhin hat die EU ja gerade bis Ende 2023 über 1,8 Milliarden (!!!) Impfdosen geordert oder Optionen darauf. Also für jeden EU-Bürger (450 Mio) ca. 4 Folgeimpfungen allein von BioNTech.

Frances Johnson / 15.05.2021

@ H. Nietsche: AK-Tests werden spätestens 3 Monate nach überstandener Infektion negativ. Wenn der Test negativ zurückkommt, können Sie das dennoch im November durchgemacht haben. Ich habe letztes Jahr zusammen mit meinem Sohn einen gemacht. Seiner war gerade noch positiv, meiner nicht. Er wusste, wo er sich das reingezogen hat, und die Person, die dabei war, war auch positiv. Danach war er bei mir. Ich habe mich nicht infiziert, weil ich den Kram mutmaßlich im Dezember ‘19 schon hatte oder durch etwas anderes Dez. 19 Kreuzimmunität. Sie kommen bei negativem Bescheid daher um eine Entscheidung für/wider nicht herum.

Christina S. Richter / 15.05.2021

@Lilith Diess: Ich wollte das sehr lange nicht wahrhaben aber jetzt ein klares JA -  traurig aber wahr!

PALLA Manfred / 15.05.2021

+ + + Lese-Link : - unter “Mehr Fluch als Segen” findet man eine von Dr. Gerd Reuther gut lesbare Abhandlung der über hundert-jährigen “Impf-Praxis” auf RUBIKON ;-)

Matthias Pietzner / 15.05.2021

Die Pharmazeutische Zeitung, mit journalistisch ausgezeichneter Lektüre in Verbindung zu bringen, halte ich für einen Witz. Oder handelt es sich hier um Satire? In diesem Blatt, dass sich anscheinend ausschließlich durch Werbung zu finanzieren scheint (mein Kammerbeitrag ist wohl kaum kostendeckend), wird die sog. C-Pandemie auf Regierungslinie breitgetreten. Masken sind toll, die “Impfung” hat kaum Nebenwirkungen (man soll sich auch keine Sorgen machen, wenn man keine Nebenwirkungen verspürt) und durch die “Maßnahmen” wurde die Grippe besiegt

Bernd Meyer / 15.05.2021

Die neue Währung der BRD sollen also Privilegien sein, die ein normaler Mensch gar nicht haben will? Weil er seine Freiheit und die seiner Verbündeten am meisten liebt? Weil er eine Regierung gewählt hat, die diese Freiheit und Sicherheit bestmöglichst sicherstellen soll und er deshalb der Souverän ist? Der Westen hat ein Problem, aber das ist nicht neu. Diese fette linke Regierung auf willigen Minipferden wischt sich mit ihren Leistungsträgern den Arsch ab.

S.Müller-Marek / 15.05.2021

@Hartmut Laun: Oder jeder ließe sich von den amazon Fahrern impfen, dann sind übermorgen alle geimpft, mit amazon prime sogar schon morgen! Nur ein kleiner Spaß am Rande,  schönes Wochenende!

Ilona Grimm / 15.05.2021

@lutzgerke: Ach ja, das waren noch Zeiten, als Max Planck sagen konnte, »Die Wissenschaft schreitet mit einer Beerdigung nach der anderen voran«, und damit meinte, auf der Suche nach der Wahrheit werde eine Theorie nach der anderen beerdigt. Heute beerdigt man die Wahrheit auf die von Ihnen geschilderte Weise.

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