Cora Stephan / 27.07.2023 / 14:00 / Foto: Manfred Haferburg / 30 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Stadtluft macht nicht mehr frei

Derzeit erleiden Städte einen heftigen Imageverlust. Wer Videos von der jüngsten Randale in Paris gesehen hat, will dort nicht mehr sein, noch nicht einmal als Tourist. Unter Paris als Stadt der Liebe stellt man sich was anderes vor. Die Touristikbranche klagt über massenhafte Stornierungen.

Stadtluft macht frei! Oh ja. Weg aus der miefigen Enge der Provinz, aus dem Kontrollbereich der Nachbarschaft, hinaus in die Ferne und ins Freie. Ist schon eine Weile her, dass ich geflohen bin, und ich erinnere mich geradezu nostalgisch verklärt an Hamburg und Frankfurt am Main im vergangenen Jahrhundert, an die Musik- und Kneipenszene, an Gegenkultur und Eroberung der Nacht. Da, wo die Bürger ihre Stadt aufgegeben hatten, in den zum Abbruch bestimmten Altbauvierteln, war Platz für Alternatives.

Heute sind die verbliebenen Altbaubestände oft liebevoll restauriert und teuer vermietet, mancherorts, wie in Frankfurt am Main, wurde ein ganzes Altstadtviertel nachgebaut. Und doch scheinen viele Städte ihre Seele nicht wiedergefunden zu haben, vor allem nicht, nachdem die Coronapanikpandemie Kneipen und Kleingewerbe ruiniert hat. Und die Gegenkultur findet mittlerweile in No-Go-Areas statt, in der Zugezogene ihre eigene Kultur aggressiv gegen die einst angestammte abschotten.

„Stadtluft macht frei“ galt früher ganz wörtlich: Leibeigene konnten sich durch Flucht in die Stadt von ihrer Dienstherrschaft befreien. In einer Stadt lässt sich leichter in der Menge untertauchen, und man kann sich gegebenenfalls in größerer Zahl zusammenrotten. Aufstand, Revolution und Randale sind städtisch. Keine Freiheit ohne Risiko.

Wieder einmal ist die Provinz fein raus

Doom and Gloom! Werden Städte nun wieder zu jenem Sündenpfuhl, vor dem die Altvorderen einst gewarnt haben? Zu einem heruntergekommenen Tummelplatz für Ali the Ripper? Was Neues wäre das nicht. Und es muss auch nicht so bleiben. Derzeit aber erleiden Städte einen heftigen Imageverlust. Wer Videos von der jüngsten Randale in Paris gesehen hat, will dort nicht mehr sein, noch nicht einmal als Tourist. Unter Paris als Stadt der Liebe stellt man sich was anderes vor. Die Touristikbranche klagt über massenhafte Stornierungen.

Wieder einmal ist die Provinz fein raus. Paris ist weit weg vom Vivarais, einem Landstrich, der einst den gallischen Krieg erleben durfte. Und das ist auch gut so: Paris ist hier nicht sonderlich beliebt, was auch damit zu tun haben dürfte, dass sich die Hugenotten des Vivarais bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts erfolgreich gegen die königlichen Armeen behauptet haben. Mag sein, dass Frankreich zentralistisch ist – es gibt nur wenige Großstädte neben Paris, während in Deutschland dank der guten alten Kleinstaaterei viele mehr oder weniger große Städte miteinander konkurrieren, ein kraftvoller Motor für Innovation und Wirtschaftswachstum.

Aber Paris geht den Bewohnern der Provinz am Allerwertesten vorbei, selbst belgische oder holländische oder englische Touristen zieht manch einer den Parisern vor. Vor allem aber gönnt man den größeren Städten ihre Anziehungskraft auf jene, die Paris jüngst in Schutt und Asche zu legen versuchten – nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen jungen Mann mit Hintergrund. In der Provinz gibt es eher selten derartige Zusammenballungen zorniger junger Männer, die offenbar wenig halten von dem, was das Land ihnen zu bieten hat.

Kein Ersatz für eine lebendige städtische Öffentlichkeit

Dass die Gendarmerie in Frankreich sonderlich beliebt wäre, kann man allerdings auch nicht behaupten. Kaum ein deutscher Polizist ist vergleichbar autoritär und aggressiv – und mit einer Maschinenpistole bewaffnet. In voller Montur überwachten Gendarmen die Ausgangssperre während der Panikpandemie, das vergisst man nicht. Umso überraschender und bezeichnender also, dass in kürzester Zeit 1,5 Millionen Euro an Spendengelder für die Familie des wegen des Schusses auf den 17-jährigen Nahel in Untersuchungshaft genommenen Polizisten zustandegekommen sind. Da dürften nicht nur „Rechtsextreme“ Geld gegeben haben, wie in Deutschland insinuiert wird, da der Initiator der Aktion einst Sprecher von Eric Zammour gewesen ist, den unsere Medien in bekannter Manier nicht nur als rechts, sondern als „rechtsextrem“ verorten. Wenn schon, denn schon.

Die Spendenbereitschaft dürfte vor allem einen Hinweis darauf geben, wie leid viele Franzosen die Migrationspolitik der Vergangenheit und der Gegenwart sind. Wie sehr sie die jungen Männer satt haben, denen beinahe jeder Anlass recht ist, zu randalieren, zu zerstören, zu plündern. Doch die Flucht aufs Land, in die weitläufige französische Provinz, beschleunigt nur die Zerstörung der Stadt – und für eine lebendige städtische Öffentlichkeit gibt es keinen Ersatz.  

Wer rettet die Stadt, in der die Luft frei macht?

Foto: Manfred Haferburg

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Leserpost

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W. Renner / 27.07.2023

Wer will schon nach Paris? Völlig overrated. Um wirklich gut französisch zu essen, fährt man nach Lyon oder ins Elsass. Für schönes Frankreich in die Provence oder die Bretagne. Und um eine wirkliche Weltstadt zu erleben, nach London oder New York.

Alexander Rostert / 27.07.2023

Ist das so? Meine Tochter kehrte vor wenigen Tagen mit ihrem Französisch-LK von der Parisreise zurück. Nach Aussage der begleitenden Lehrerin hatte diese Paris noch nie so voll erlebt, und das zu einer Zeit, da die Pariser am Meer sind.

Xaver Huber / 27.07.2023

An den Zeitgeist im allgemeinen als auch die von Herrn Boris Kotchoubey im besonderen zitierten „damaligen Herren (Fürsten), die der ‘Bürgergarde mit Halle-barden und Musketen, dicke Mauern und gut beschützte Stadttore’ entgegenstanden”: gleichermaßen dürften ein absolutistischer Finanz- als auch Innenminister des 18. Jahrhunderts angesichts gegenwärtiger Abgabenbelastung wie Freiheitseinschränkungen im Grabe rotieren. \\\ „Der moderne Mensch ist ein Gefangener, der sich frei vorkommt, weil er darauf verzichtet, die Wände seines Kerkers abzutasten“ - Nicolás Gómez Dávila. Eigener Zusatz: Und dafür wurde 1918 die Monarchie abgeschafft! - Una salus victis nullam sperare salutem.

Manni Meier / 27.07.2023

@Bernhard Ferdinand Kann ihre Empfehlung “Jean Raspails 1973 !! erschienen Roman ” Le Camp des Saints” lesen, auf deutsch unter dem Titel “Das Heerlager der Heiligen” erschienen” nur wärmstens unterstützten.

Karl Vogel / 27.07.2023

Einst bereisten wir fast Sommer für Sommer das schöne Frankreich und konnten schon damals nicht irgnorieren, wie es im malerischen Süden des Landes wirklich aussah: Bereits vor Sonnenuntergang beherrschten Schwärme junger Männer mit aggressivem Auftreten die Städte und auch wenn man sich in einem dörflichen Weinort privat einquartierte, bemerkte man, wie sorgfältig die Bewohner ihre Anwesen mit hohen Mauern und starken Schlössern gesichert hatten. Irgendwann fanden wir das nicht mehr so toll, zumal die Provinz - außerhalb gewisser, angesagter Hotspots - immer mehr verödete. Wenn ich heute ab und und durch deutsche Klein- und Mittelstädte laufe, die ich in manchen Fällen schon seit meiner Kindheit kenne, habe ich ein Déjà-vu: Es ist hier jetzt so, wie es bereits damals dort war, abzüglich eines gewissen Charme-Faktors. Tatächlich hat sich die deutsche Provinz seit 2015 dramatisch verändert (besichtigen Sie mal das einst malerische Bad Sobernheim oder sehen Sie sich auf dem Bahnhof von Gießen um), während es in meinem Wohnort Frankfurt eigentlich so ist, wie es schon war, die Verschlechterung ist hier lediglich eine graduelle. Trotzdem will ich hier weg: Die Cafes, die Buchhandlungen…, so viel ist dahin, nur die Antifa und die Klimaspinner wollen nicht weichen. Ich werde mal die sächsische Provinz erkunden, die lebendige Öffentlichkeit findet ohnehin längst im Internet statt und nicht mehr in den Städten, deren woke Bewohner voll damit ausgelastet sind die Realität wegzublenden.

Thomin Weller / 27.07.2023

Viele Städte haben ihre Seele mit Haut und Haaren verkauft. Alle Großstädte werden massiv transformiert. Dazu gehört die Gentrifizierung(Yuppisierung) gleichzeitig Verdrängung der seit langem dort Wohnenden, aus der Stadt jagende Politik, für die “Kreative Klasse” die allerdings gesamt die Stadt ablehnen und Gesellschaft negieren. Den Beamten, Politiker ist es egal, hauptsache Umsatz und Gewinn.“Du machst kein Sinn, nur Geld”. Das Rathaus ist dank SPD Politik mit Bertelsmann ein Profit Center geworden. “NPM, New Publik Management”, der privatisierte Staat, entmündigte Politiker ohne Gestaltungsraum. Bertelsmann und die Verwaltungsreform der 90er Jahre. Mehr Infos hat Prof. Dr. Ingrid Lohmann. Wer aktuell sehen will wie dystopisch Städte in Europa schon sind, sollte sich in YT die Arte TV Doku “Wem gehören unsere Städte” ansehen. 6FPUboLbtKU. Aktuelle Nachrichten, die Bevölkerung zieht sich ins Private zurück. Das haben die politischen Verbrecher durch den Staatsterror super hinbekommen.

Christel Beltermann / 27.07.2023

Wenn diese Zornigen und ihre Anverwandten nicht begreifen, dass sie ohne Bildung und wertschöpfende Arbeit dieses durchaus erfolgreiche europäische Modell nicht mit voranbringen werden,  sondern ruinieren ... wer zahlt dann mal ihren Lebensunterhalt? Intelligente und Tüchtige werden dann das Land in noch größerer Zahl verlassen als jetzt schon. Zeit für Gegensteuern.

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