Die Hetzjagd-Hysterie wächst mit der Entfernung

Nachdem Chemnitz oder der Einfachheit halber gleich mal ganz Sachsen seit dem vergangenen Wochenende in den Genuss kommt, verbaler Müllabladeplatz der Republik und der großen weiten Welt zu werden, lässt ausgerechnet der Chefredakteur der Chemnitzer „Freien Presse“, Torsten Kleditzsch, andere Töne vernehmen. Nicht gänzlich anders, aber in Anbetracht des vorher sonst Einströmenden nahezu revolutionär.

Dass ein Mensch zu Tode gekommen ist und zwei weitere schwer verletzt sind, interessiert hier leider auch nicht weiter. Aber die beiden letzten Minuten des am Dienstag, dem 28. August, im Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlten Interviews lassen aufmerken. Den vorher – vor allem von den beiden beteiligen Damen – geredeten Unsinn (Stichwort „Haltung“), kann man getrost überspringen. Kleditzsch, weit davon entfernt, irgendetwas an den auf den Mord und die beiden Niedergestochenen folgenden Versammlungen, Aufmärschen, Demonstrationen etc. gut zu finden, gibt erstaunliche Eindrücke wieder: In Chemnitz sei noch jeder Stein auf dem anderen. Zustände wie zu G20-Zeiten in Hamburg seien es nicht gewesen.

Auf die Frage, ob die überregionalen Zeitungen das Geschehen adäquat abbildeten, antwortet Kleditzsch zunächst vorsichtig, dass er das nur „mit Abstrichen bejahen“ könne – verneint es aber letztendlich deutlich. Erzählungen seien „weitergeschrieben“ worden, übertrieben in der Art und Weise. Was „Hetzjagden“ am Sonntagnachmittag betreffe: „Das haben wir hier so nicht beobachtet.“ Aus der Demonstration habe es „Angriffe“ auf Migranten, Polizisten und auf Linke gegeben, allerdings: „Das waren aber sehr vereinzelte Fälle.“ Mit einer „Hetzjagd“ habe das nichts zu tun gehabt. Beschönigen wolle er nichts, danach habe es Vorfälle gegeben, die zu drei Anzeigen geführt hätten.

Wenn Medien Begriffe wie „Hetzjagd“, die „vielleicht ein Blog mal hochgepustet habe“, weitertrügen und auch die Bundesregierung diese in ihrem Statement verwende, die Leute vor Ort allerdings eine andere Wahrnehmung hätten – „dann trägt das nicht dazu bei, die Lage zu deeskalieren, sondern trägt weiter dazu bei, dass auch das Vertrauen in die etablierten Medien eher nicht gestärkt wird“. Nicht, dass man das nicht schon irgendwie so vermutet hätte – aber es tut ganz gut, wenn Chefredakteur Kleditzsch es im Deutschlandfunk ausspricht. Man hört es auch gern zweimal.

Pogrom in Sachsen?

Weniger Zeit zum Radiohören hat die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Die redet lieber selber, zum Beispiel in besagtem Zusammenhang über „pogromartige Ausschreitungen“. Vielleicht findet sich ja ein Geschichtskundiger in ihrer Umgebung, der die gute und in puncto Bildungshintergrund völlig überforderte Frau auf die Ungeheuerlichkeit ihrer Ausführungen hinweist.

Wolfgang Thierse, ein dem Vernehmen nach einst produktiver Wissenschaftler, der sich dann aber – schweren Herzens – für die Politik aufopferte, spricht ebenfalls lieber selbst. (Auch Gedichte. Wenn er hört, hört er Musik. Zum Beispiel auf CD, man kann mithören: Wolfgang Thierse liest seine Lieblingsgedichte und hört Musik). Da den Ex-Bundestagspräsidenten offenbar passive Wahrnehmungsprobleme plagen – man interessiert sich nicht mehr so recht für ihn – äußert auch er sich über die Vorgänge in Chemnitz. Nicht über den Toten, nicht über die beiden Schwerverletzten. Nein, über die Demonstrationen. Schon vorher habe es „Ausschreitungen“ gegeben, „dass es jetzt noch einmal eine solche Steigerung gibt, mitten in einem Stadtzentrum einer großen sächsischen Stadt, mit einer Jagd auf Menschen, die anders aussehen – das ist entsetzlich“. Ein „Angriff auf unsere rechtsstaatliche und liberale Demokratie“ seien die Demonstrationen. „Und die unzufriedenen Bürger, die nicht einverstanden sind mit Flüchtlings-, Sozialstaats- und Mietenpolitik, sollen wissen, wenn sie an diesen Aufmärschen teilnehmen, dass sie sich an diesem Angriff beteiligen.“ Genau, Herr Bundestagspräsident a.D.! Und so geschickt haben Sie gleich noch die materiell abgehängten Blödis mit eingeschlossen!

Ein großer „Blattmacher“, der eher noch zur guten alten Bundesrepublik zu zählen ist, wurde unter anderem mit dem Werbespruch „Fakten, Fakten, Fakten“ bekannt. Der „Freie-Presse“-Chef scheint das zu kennen. Schwesig, Thierse und Dutzende weitere Chemnitz-Sachsen-Ferndiagnostiker haben es nicht so mit der lästigen Wirklichkeit. Macht Arbeit. Man müsste denken. Und, am Schlimmsten: Differenzieren!

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Leserpost

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Axel Heinz / 30.08.2018

Ach, wie wünsche ich mir, man könnte die Plattmacher (äh - ich meine die “Blattmacher”) dazu vergattern, sich für das Weitertragen der politisch korrekt gebogenen “Wahrheit” zu verantworten, mindestens aber ihre Falschdarstellungen zu widerrufen. Es ist schlimm wie diese angepasste Presse ihre mediale Reichweite missbraucht und vollkommen unreflektiert (oder gar absichtlich?) “Stille Post” spielt. DAS ist für mich Hetze !

Petra Wilhelmi / 30.08.2018

Wir Sachsen sind IMMER die Buhmänner Deutschlands. Sachsen dürfen gemobbt, diffamiert, Dunkeldeutsche genannt werden, dürfen im verbalen Sinne (hoffe ich) verbrannt werden, getötet werden, weil alle Nazis sind. Sachsen darf verbal aus Deutschland rausgeschmissen werden. Sachsen sollte Autobahnschilder aufstellen wie “Willkommen in SAchsen”. Über Sachsen darf sich lustig gemacht werden, sind ja alles braune, dickewänstige, pappnasige, dumpfbackige Nichtmenschen, die nichts in Deutschland verloren haben und die zu doof sind, Demokratie zu verstehen. Das findet die linksgedrehte Kamarilla richtig, fällt nicht unter Volksverhetzung, wurde ja von Links festgestellt, also stimmt es. Dieses Linke Ge…. nimmt uns immer noch übel, dass von uns der Funke für die Wiedervereinigung ausging, die Linksgrünen nie haben wollten. In Sachsen soll ein Exempel statuiert werden, was Ausstrahlung auf ganz Deutschland haben soll. Deshalb ist jede Lüge über uns willkommen. Nur würde ich gern wissen wollen, wie der Ministerpräsident von Sachsen Kretschmer, es anstellen will, wieder gewählt zu werden, wenn auch er sich gegen die Sachsen stellt. Das wird der CDU in Sachsen Punkte kosten, falls es eine Wahl geben wird und falls sie nicht gefälscht werden wird.

Udo Kalipke / 30.08.2018

Ich stelle mir in diesem Zusammenhang interessant vor, was die Bundesregierung und die anderen von den “Vorgängen in Chemnitz” (also nicht von dem Abstechen und den schweren Körperverletzungen, sondern von den viel schlimmeren “pogromartigen Ausschreitungen”) Geschockten, denn in einer dafür anberaumten aktuellen Stunde im Bundestag antworten würden, wenn die Opposition (also momentan diese eine verfemte Partei dort) fragen würde: - Wieviele Verletzte oder Tote haben die “pogromartigen Ausschreitungen” unter den gejagten Opfern gefordert? - Wie hoch ist ungefähr der Sachschaden zu beziffern, der durch die Ausschreitungen in Chemnitz verursacht wurde? (...und wieviele Jahre wird es wohl dauern, Chemnitz wieder halbwegs aufzubauen…) Na dann los; eine aktuelle Stunde würden die Etablierten zu diesem Thema mit Sicherheit gerne anberaumen.

Markus Linden / 30.08.2018

Wenn sich Leute zusammenrotten und Autos und Läden verwüsten, nennt man es Krawall. Wenn sie es tun, um gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen vorzugehen, Pogrom. Da gibt es in beiden Fällen nix zu beschönigen. Weder in Hamburg noch in Chemnitz muss ich daneben gestanden haben. Das sehe ich auch im Video.

B.Kröger / 30.08.2018

Vielleicht ist es aber auch so, dass nicht nur die östliche Spitzenfunktionärsriege generell Probleme mit der Demokratie und dem Recht auf freie Meinungsäußerung hat.  Mit der Ermordung durch Messerschwinger haben diese Leute ja offensichtlich weniger Probleme. Das scheint ja nicht so schlimm zu sein. Alles sehr merkwürdig.

Frank Box / 30.08.2018

Die Berichte in den Merkelmedien über die Vorgänge in Chemnitz gleichen in Art und Weise frappierend dem, wie 1989 die DDR-Medien berichteten. Aus der damaligen Zeit wissen wir: Je dreister die Medien (gezwungen sind zu) lügen, um so weniger Menschen glauben es. Durch beständiges Lügen kaufen sich die Herrschenden nur etwas Zeit. (Zur Flucht?)

Peer Munk / 30.08.2018

Von Wolfgang Thierse hörte ich vor einigen Jahren ein Radiointerview, in dem er erklärte, dass nicht der Staat dafür sorgen müsse, dass z.B. Frauenrechte in muslimischen Familien Beachtung finden, sondern man solle als Nachbar dann mal klingeln und mit den Leuten sprechen. Dies empfand Thierse offenbar als sehr kluge und moralisch überlegene Idee. Schon damals dachte ich, der Mann muss debil oder sonstwas sein - wie stellt er sich das vor? Ich als eher kleiner, schmaler Mann stehe dann einem Schrank gegenüber und erkläre ihm, er solle seine Frau besser behandeln? Abgesehen davon hat Thierse wohl das Prinzip Rechtsstaat und Gewaltmonopol des Staats nicht verstanden, wenn er die Klärung solcher Probleme dem Privatmenschen überlassen will. Insofern wundern mich seine neuesten Einlassungen nicht.

Gottfried Meier / 30.08.2018

Wahrscheinlich hat die Berichterstattung über die Vorfälle on Chemnitz mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Der AfD wirft man vor, den Tod des 35-jährigen politisch zu instrumentalisieren. Wenn hier jemand etwas instrumentalisiert, dann sind es die Medien und die grün-roten Politiker. Die erfinden dann um die Geschehnisse, die auch mir nicht gefallen, eine richtige Räuberpistole dazu. Wenn hier jemand die Demokratie gefährdet, dann sollte man nicht zuallererst bei der AfD zu suchen anfangen.

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