Glücklicherweise ist der Corona-Virus kein Weltuntergang, aber man fragt sich schon, wie furchtbar die EU versagen würde, wenn mal ein echtes Problem auftauchte. So wie eine Flüchtlingswelle. Pardon, das hatten wir ja schon. Also ein militärischer Angriff. Das hatten wir noch nicht, aber es ist zu hoffen, dass genügend weisse Fahnen vorrätig sind.
Mal ernsthaft, da gibt es einen verschärften Grippe-Virus, dessen Verbreitung und Ansteckung absehbar war. Wo, wenn nicht hier bräuchte es eine Koordination der Massnahmen, eine Abstimmung unter den EU-Staaten, eine gemeinsame Task Force zur Bekämpfung und Milderung der Folgen?
Genau, und weil nun wirklich keiner der EU vertraut, vielleicht mit Ausnahme der Bundeskanzlerin, kümmert sich jeder EU-Staat um sich selbst. Macht die Grenzen dicht, lässt den Schengenraum in die Luft fliegen, pulverisiert einen angeblichen Grundpfeiler der EU, die Personenfreizügigkeit. Jeder für sich und Brüssel gegen alle, das scheint die neue Strategie zu sein. Der sich nun auch Deutschland angeschlossen hat und die Grenzen dichtmacht. Als ob der Besitz eines deutschen Reisepasses den Virus abschrecken würde, während ein Schweizer oder österreichischer Pass nicht vor Befall schützt.
Im Heidi-Bilderbuch der Schweiz ist es so, dass jeder Eidgenosse einen Luftschutzbunkerplatz auf sicher hat, wo er sich dann vom Notvorrat einige Wochen ernähren kann, wenn er nicht das Sturmgewehr aus dem Schrank zu Hause nimmt und an die Grenze eilt, um wehrhaft die Schweiz gegen mögliche Eindringlinge aus dem Norden, Süden oder Osten zu verteidigen. Aus dem Westen droht seit Napoleon nicht mehr wirklich Gefahr.
Das stimmt natürlich alles nur bedingt. Was aber wirklich stimmt: Die Schweiz ist ein Bundesstaat, eine Konföderation. Das bedeutet, dass die einzelnen Kantone bis zur Lächerlichkeit autonom und souverän in ihren Entscheidungen sind. Das bedeutet auch, dass jede Gemeinde, jeder Kanton die Höhe der Steuereinnahmen autonom bestimmen kann. Genauer, der Stimmbürger hat auch da das letzte Wort.
Ohne Federlesens und langes Gemurkse
Aber in Krisensituationen hört’s dann mit der Souveränität auch einmal auf. Bislang beschlossen die Kantone, ob die Schulen geschlossen werden oder nicht, wie viele Eidgenossen sich auf einem Platz versammeln dürfen und ab wann das verboten ist. Das ist nun vorbei, denn der Bund, also die eidgenössische Regierung namens Bundesrat, hat das Zepter in die Hand genommen und eine besondere Lage erklärt.
Das gibt ihr das Recht, ohne Federlesens und langes Gemurkse allgemeingültige Regeln zur Bekämpfung der Ansteckung zu erlassen. Das bedeutet zum Beispiel, dass nun überall Ansammlungen von mehr als 50 Personen verboten sind. Ausser bei wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel geöffnete Geschäfte oder im Öffentlichen Verkehr. Und natürlich in den Parlamenten. Das bedeutet schmerzliche Verluste für Skigebiete, Hotels, Restaurants, Clubs, Kinos, und so weiter.
Zur Abfederung der schlimmsten Auswirkungen hat die Landesregierung mal 10 Milliarden Franken, also zurzeit noch etwas mehr als 9 Milliarden Euro, zur Verfügung gestellt. Die Veranstalter von Grossanlässen, Festen und Sportereignissen pfeifen natürlich schon aus dem letzten Loch, oder tun wenigstens so. Aber eigentlich geht alles seinen normalen Gang. Sollte sich das ändern, kann der Bundesrat auf Notrecht zurückgreifen, was ihm am Parlament vorbei weitgehend Entscheidungsfreiheit geben würde.
Inzwischen gibt es in den Regalen der beiden Grossverteiler Migros und Coop immer grössere Lücken, von denen allerdings die Filialen von Aldi und Lidl in der Schweiz auch nicht verschont bleiben. Aber deswegen gerät eigentlich niemand in Panik, denn das Vertrauen in die funktionierende Infrastruktur ist gross genug, dass die Konsumenten verstehen, dass es zwar genügend Produkte gibt, aber angesichts von Hamsterkäufen nicht plötzlich die doppelte Menge von Lastwagen die Versorgung der Verkaufsstellen sicherstellen kann.
In Deutschland hingegen greift die Regierung schon zu den ganz grossen Worten, vergleicht die Krise mit der Finanzkrise eins des Jahres 2008, stellt für die Wirtschaft Liquidität in unbeschränkter Höhe in Aussicht, und ausserdem ist von sozialen Kontakten so weit wie möglich Abstand zu nehmen. Also nach "die Rente ist sicher" und "die Spareinlagen sind sicher" nun "die Wirtschaft ist sicher".
Und der Deutsche? Der hat Angst
Währenddessen machen in der Bundesrepublik die Bundesländer so ziemlich genau das, worauf sie lustig sind und wann sie lustig sind. Auch hier hätte die Bundesregierung die Möglichkeit, durchzugreifen. Dafür gibt es schliesslich die 1968 gegen den erbitterten Widerstand der Ausserparlamentarischen Opposition erlassenen Notstandsgesetze, verabschiedet von einer grossen Koalition aus CDU und SPD. Allerdings wurde schon damals die Befürchtung geäussert, dass es sich um eine Neuauflage des Ermächtigungsgesetzes handle.
Für alle, die nun schulfrei haben oder schon vorher im Geschichtsunterricht pennten: Das war in der Weimarer Republik im Schwang, um der Regierung in Notfällen besondere Rechte zu übertragen, was insgesamt seit 1914 elfmal der Fall war. Besonders in Erinnerung ist natürlich das "Ermächtigungsgesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24. März 1933. Damit wurden der Regierung nicht nur Sonderrechte übertragen, sondern das parlamentarische System schlichtweg abgeschafft.
Vielleicht darf man noch erwähnen, dass es nicht nur von der NSDAP angenommen wurde, sondern von ihrem Koalitionspartner DNVP, dem Zentrum, der Bayerischen Volkspartei und der Deutschen Staatspartei. Richtig, alles Vorläuferorganisationen von CDU, CSU und FDP. Wobei sich das katholische Zentrum nach dem Zweiten Weltkrieg sogar links von CDU/CSU ansiedelte. Aber genug der Geschichtskunde. Den Rest erledigen dann die Oberlehrer in den Kommentaren.
Von der finsteren Vergangenheit zurück in die finstere Gegenwart im europäischen Haus. Krisenzeiten sind immer auch Tests, auf welche Strukturen und Gebilde vertraut wird. Das ist hier offensichtlich nicht die EU, sondern höchstens der Nationalstaat. Dänemark lässt nur noch Dänen rein, Österreich nur noch Österreicher, Ungarn nur noch Ungarn. Allenthalben wird der Notstand ausgerufen, die Strassen leeren sich, in Spanien ist der Spanier gehalten, seine Wohnung nur für den Gang zum Einkaufen oder zum Arbeiten zu verlassen. Italien, Überraschung, nachdem es im Kampf gegen die Verbreitung des Virus versagt hat, stellt ganze Gebiete unter Quarantäne.
Und der Deutsche? Der hat Angst, will es sich aber nicht anmerken lassen. Und möchte es wie immer genau wissen. Wer zahlt die Betreuung der Brut, wenn Schulen und Kindergärten geschlossen sind? Wer zahlt, wenn er nach einem Aufenthalt im Ausland besser mal zwei Wochen zu Hause bleibt? Wer zahlt, wenn er im unter Quarantäne gestellten Hotel bleiben muss? Und wenn wir schon dabei sind: Kann man sich über Banknoten anstecken? Und wer zahlt dann?
Sterben und sich scheiden kann man noch früh genug
Natürlich muss auch alles seine Ordnung haben, wo kämen wir sonst hin. Während eigentlich die USA für absurde Regelungen zuständig sind – so zum Beispiel, dass Alkohol nur verschlossen und im Papiersack im Auto mitgeführt werden darf –, bemüht sich Deutschland, aufzuholen. In Berlin müssen Gaststätten einen Abstand von 1,5 Metern zwischen Tischen und Gästen einhalten. Die sicherlich ein Messband mitbringen, denn keiner zu klein, Kontrolleur zu sein. Schleswig-Holstein empfiehlt, Trauerfeiern oder Hochzeiten zu verschieben. Macht auch Sinn, sterben und sich scheiden kann man noch früh genug.
Der Kölner Dom bleibt nur noch für Betende geöffnet, was wohl verhindern dürfte, dass es vor ihm zu Übergriffen kommt. Im Saarland sind auch in Bordellen grössere Menschenaufläufe untersagt, im Kino ist ein Abstand von zwei Metern zwischen den Besuchern einzuhalten, was Pärchen sicher nicht so schätzen.
Angst haben, Vorschriften erlassen, Abstand halten, was macht der Deutsche noch so? Richtig, jammern. Wofür sonst ist alles und jedes in einem Verein, Verband oder sonstwie organisiert? Stellvertretend für alle sei hier der Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft zitiert. Wenn das mit den Verboten so weitergehe, würden sich "zahlreiche Firmen davon nicht erholen können".
Aber immerhin, auch die Schweiz leistet einen Beitrag dazu, dass sich Deutsche mal 14 Tage auf die faule Haut legen können. Denn wie das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (gibt’s die wirklich?) mitteilt, werden auch Rückreisende aus der Schweiz gebeten, "sich 14 Tage zu Hause aufzuhalten, unabhängig davon, ob ein konkreter Corona-Verdachtsfall vorliegt". Also, liebe Deutsche, kommt zu Hauf. Skifahren ist zwar nicht mehr so, aber es gibt ja viele andere Attraktionen. Man kann zum Beispiel mal wieder sein Bankkonto in der Schweiz streicheln. Und dann 14 Tage zu Hause darauf warten, ob die Steuerfahndung klingelt.
Aber Kopf hoch, es geht vorbei. Ohne Weltuntergang und ohne EU. Aber gell, die Schweiz liebt Deutsche als Touristen (mehr oder weniger), als Bestandteil der ständigen Wohnbevölkerung entschieden weniger.