Amos Zweig, Gastautor / 12.09.2019 / 06:09 / Foto: André Karwath / 42 / Seite ausdrucken

Die Auferstehung sozialistischer Mythen (1)

Von Amos Zweig.

Kürzlich, in einem sehr spannenden Gespräch, kamen ich und mein Gesprächspartner auf den Sozialismus zu sprechen. Ich meinte dann, dass bei Gesellschaftssystemen, die zu stark nach Sozialismus klingen, bei mir immer die Alarmglocken losgehen, da der Sozialismus, überall dort, wo er versucht wurde, in totalem Desaster geendet hat. Arbeitslager, Massenmord an der eigenen Bevölkerung, Armut, Hungersnot, Tyrannei und Unterdrückung.

Mein Gesprächspartner meinte daraufhin: „Man kann nicht sagen, dass der Sozialismus schlimmer ist als der Kapitalismus. Kapitalistische Länder führen auch ständig Kriege, und das sind Kriege um Ressourcen, oder solche, die von der Rüstungsindustrie gepusht werden, also kapitalistische Kriege. Außerdem führt der Kapitalismus zum Verhungern von Tausenden“ – (wenn ich ihn richtig verstand, meinte er hiermit Drittweltländer) – „und die Pharmafirmen blockieren das Erforschen von neuen, günstigeren und effektiveren Medikamenten, damit sie ihre eigenen, suboptimalen Medikamente zu teureren Preisen verkaufen können. Und wenn man so alle Todesopfer des Kapitalismus zusammenzählt, kann man nicht so einfach sagen, dass der Sozialismus mehr Menschenleben gekostet hat als der Kapitalismus.“

Dieses Argument hat mich seit diesem Gespräch sehr beschäftigt. In diesem Artikel will ich nun versuchen, ihm, so gut ich kann, auf den Grund zu gehen. Wenn man solche Argumente angeht, dann kommt es immer sehr darauf an, was man genau womit vergleicht. Man muss „gleiches mit gleichem“ vergleichen, zumindest, so gut man das kann. Natürlich ist jeder Mensch und sein Erleben einzigartig, und so gesehen könnte man sagen: „Man kann gar nichts vergleichen, da jeder Mensch einzigartig ist. Wie kannst du das Leiden eines Menschen in einem Arbeitslager mit dem Leiden eines Vaters vergleichen, dessen Kind gerade langsam und qualvoll an Leukämie stirbt.“ Und diese Aussage hat etwas Wahres an sich, aber sie hilft einem nicht dabei, sich in der Welt zu orientieren und zu entscheiden, welches Gesellschaftssystem man nun anstreben soll.

Andererseits könnte man sagen: „Am Ende stirbt jeder an irgendwas, also sind alle Gesellschaftssysteme gleich gut.“ Dies ist aber eine sehr kalte und zynische Aussage, und auch eine, die nicht wahr ist. Ich denke, jeder Mensch würde, zumindest für sich und seine Liebsten, ein Leben mit weniger unnötigem Leiden und Schmerzen bevorzugen.

Ein nützliches Abstraktionslevel

Irgendwo zwischen diesen zwei extremen Aussagen gibt es die Möglichkeit, Dinge miteinander zu vergleichen. Nicht perfekt, aber auf einem nützlichen Abstraktionslevel. Ich werde den Vergleich in dieser Reihe folgendermaßen untergliedern: Wirtschaftliche Produktivität und Gewalt und Zerstörung. Die Thematik um Hungersnot und Pharmabranchen wird im ersten und zweiten Teil behandelt, die Thematik um Krieg und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung im dritten Teil.

Bevor wir in den eigentlichen Vergleich einsteigen, brauchen wir noch ein paar Definitionen: Kapitalismus ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem materielle Güter in Privatbesitz sind und die Produktion und Verteilung von Gütern durch den freien Markt bestimmt wird. Sozialismus ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem die Produktionsmittel von der Gesellschaft als Ganzes verwaltet werden. Die Idee ist, dass jeder das produziert, was er kann und das kriegt, was er braucht. Kommunismus ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem es kein Privateigentum gibt, und alle alles teilen.

Die USA und die UdSSR hatten eine ähnliche Bevölkerungszahl und waren zu ihrer Zeit die prominentesten Beispiele einer kapitalistisch respektive sozialistisch organisierten Gesellschaft. Daher werde ich der Einfachheit halber einige Vergleiche in diesem Artikel auf diese zwei Länder beschränken.

Immense Reduktion der Produktivität

Das Hauptproblem des Sozialismus ist, dass er ökonomisch nicht funktioniert. Sozialismus als Wirtschaftssystem ist dem Kapitalismus als Wirtschaftssystem deutlich unterlegen. Sozialistisch strukturierte Gesellschaften produzieren deutlich weniger und auch weniger hochwertige Güter als kapitalistische Gesellschaften. So war zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der UdSSR stets um einen Faktor 3 bis 4 tiefer als in den USA. Dies ist ein immenses Problem, das in den meisten Diskussionen viel zu wenig Beachtung erhält. In diesem Abschnitt werde ich zuerst die zwei Hauptgründe hierfür erörtern und anschließend auf den Einfluss, den dies auf die Lebensqualität an einem Ort hat, eingehen.

Der erste Hauptgrund ist, dass in sozialistischen Systemen der Anreiz fehlt, sich selbst zu verbessern. Wenn jedermanns Lohn ausschließlich von seinen Bedürfnissen abhängt, wieso sollte er sich dann besonders anstrengen? Wieso sollte er sich bemühen, härter, länger, oder effizienter zu arbeiten, wenn er am Ende genau gleich viel davon hat? Wieso nicht später kommen, früher gehen, und eine längere Mittagspause machen? Menschen beginnen also in die andere Richtung zu optimieren. Anstatt zu versuchen, möglichst viele, möglichst begehrte Güter zu produzieren, versuchen sie nun, möglichst wenig in ihrem offiziellen Job zu arbeiten, und daneben, in ihrer Freizeit, möglichst viel für sich selbst zu produzieren. Ein Beispiel hierfür ist, dass in vielen sozialistischen Ländern die Bauern in ihren eigenen, privaten Gärten ein Vielfaches an Lebensmitteln pro Fläche produzierten wie auf den kommunalen Feldern. Ein weiterer Hinweis auf dieses Problem ist der vielsagende Witz aus der Sowjetära: Sie tun so, als ob sie bezahlen, und wir tun so, als ob wir arbeiten.

Da niemand einen Anreiz hat, gut (oder überhaupt) zu arbeiten, muss der Staat also jetzt jeden überwachen und die Faulenzer bestrafen. Dies führt zu einer immensen, unproduktiven Arbeitslast. Hunderttausende sind damit beschäftigt, die Anderen zu überprüfen und zu bestrafen, und all die Wächter produzieren selber nichts. Man kann das Problem ein Stück weit auslagern, indem die Menschen sich gegenseitig überprüfen und denunzieren, aber beide Kontrollmechanismen sind anfällig für Missbrauch. So oder so ist der Effekt, dass die meisten Menschen ihren Job nur noch so gut wie nötig machen, um nicht bestraft zu werden, und nicht so gut wie möglich, um einen Bonus oder eine Promotion zu erhalten. Über die Wirtschaft als Ganzes führt dies zu einer immensen Reduktion der Produktivität.

Gewinnmaximierung gibt es nicht

Das zweite große Problem ist, dass sozialistische Systeme keinen Preisbildungsmechanismus haben. Wie soll eine Schraubenfabrik wissen, ob sie mehr Außensechskant-, Innensechskant-, Torx-, Kreuz- oder Schlitzschrauben herstellen soll? Wie viel Getreide braucht das Land? Und wie viele Tomaten? Wie viele USB-Sticks, Wanderschuhe, Motorblockgießereien oder Talkshows? Es gibt unendlich viele Güter, die produziert werden könnten, also wie soll jetzt jeder wissen, was er produzieren soll? In kapitalistischen Systemen löst der Preis dieses Problem. Da jeder seinen Gewinn maximieren will, wird jeder versuchen ein Gut zu produzieren, bei dem die Marge besonders hoch ist. Wenn die Leute Torx-Schrauben bevorzugen, werden sie bereit sein, etwas mehr für Torx-Schrauben zu bezahlen, und daher wird die Schraubenfabrik beginnen, mehr Torx-Schrauben herzustellen. Sozialistische Systeme haben diesen Mechanismus nicht. Jeder kriegt ja das, was er braucht, Gewinnmaximierung gibt es nicht. Also gibt es auch keinen Mechanismus mehr, durch den der Markt die Menschen informiert, was sie jetzt am besten herstellen sollten, und wie viel davon.

Aber irgendwie muss ja trotzdem entschieden werden, wer jetzt was macht. In sozialistischen Systemen übernimmt dies dann meistens wieder der Staat, zum Beispiel mittels eines Fünfjahresplans. Der Staat schätzt also ab, wie viel von jedem einzelnen Gut das Land braucht, wer es zu produzieren hat, und wie viele Mittel sie dafür brauchen dürfen. Ferner definiert der Staat auch, wer wie viel Lohn kriegt und was wie viel kostet. Aber natürlich kämpfen sie einen unmöglichen Kampf. Ich weiß nicht einmal selber, was ich in den nächsten fünf Jahren alles brauchen werde.

Wie kann also jemand in Moskau auch nur grob abschätzen, wie viel von welchem Gut die Menschen in Nischnewartowsk oder in Njurba in den nächsten fünf Jahren brauchen werden? Und wie teuer es sein wird, dies zu produzieren. Und dort hin zu transportieren. Es ist eine unmögliche Aufgabe. Bereits eine Handvoll unerwarteter politischer oder natürlicher Ereignisse reichen, um den gesamten Plan über den Haufen zu werfen. Zentralplanung führt, je länger sie dauert, zu immer schlimmerer Fehlallokation von Ressourcen und somit zum Mangel von essenziellen Gütern und zu Armut.

Wirtschaft nach wie vor Tauschhandel

Gemäß einem Bericht der Heritage Foundation zur wirtschaftlichen Freiheit ist der durchschnittliche Lebensstandard von Menschen in wirtschaftlich freien Ländern über achtmal so hoch wie der von Menschen in unfreien Ländern.

Die Heritage Foundation misst die wirtschaftliche Freiheit anhand der folgenden vier Kategorien, die jeweils aus drei Subkategorien bestehen:

- Rechtsstaatlichkeit – Eigentumsrecht, wirksames Justizsystem, integre Regierung

- Größe der Regierung – Steuerlast, Regierungsausgaben, gesunde Geldpolitik

- Regulationen – Unternehmensfreiheit, Arbeitsfreiheit, monetäre Freiheit

- Offener Markt – Handelsfreiheit, Investitionsfreiheit, finanzielle Freiheit

Aufgrund der massiven staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft schneiden sozialistische Staaten in diesem Index deutlich schlechter ab als kapitalistische Staaten. Sozialistische Staaten definieren ihre wirtschaftliche Produktivität ebenfalls deutlich schlechter als diejenige von kapitalistischen Staaten. Soweit stimmt die Theorie also mit den Fakten überein.

Je mehr und je bessere Produkte eine Gesellschaft produziert, umso höher wird der materielle Lebensstandard in dieser Gesellschaft sein.

Die Lebensqualität an einem Ort hängt aber sehr stark von der wirtschaftlichen Produktivität ab, da fast alle Produkte, die Menschen begehren, zuerst produziert werden müssen, bevor sie konsumiert werden können. Ich verwende Produkt hier als Sammelbegriff für jegliche Güter und Dienstleistungen. Essen, Wohnungen, medizinische Versorgung, Heizungen, Autos, Fernsehshows – je mehr und je bessere Produkte eine Gesellschaft produziert, umso höher wird der materielle Lebensstandard in dieser Gesellschaft sein. Export und Import ändern an dieser Tatsache nichts. Export bringt Fremdwährungen ein, mit deren Hilfe man dann wiederum fremde Güter importieren kann. Am Ende ist Wirtschaft nach wie vor Tauschhandel.

Ein weiterer Grund zur Hoffnung

Natürlich, und dies ist das Argument der Sozialisten, kommt es auch darauf an, wie die Güter verteilt sind. Es nützt der breiten Masse nichts, wenn viele hochwertige Güter produziert werden und sie selber von einem Hungerlohn leben muss. Allerdings suggeriert eine Statistik von Econlib wie erwartet, dass ein armer Mensch in einer reichen Gesellschaft einen viel höheren Lebensstandard hat als ein armer Mensch in einer armen Gesellschaft.

Einen weiteren Grund zur Hoffnung gibt folgende Statistik der Heritage Foundation: In den vergangenen 24 Jahren hat sich das weltweite Bruttoinlandsprodukt verdoppelt, und der Prozentsatz von Menschen, die in Armut leben, hat sich um einen Faktor 3 reduziert. Es scheint also doch, dass die gesteigerte wirtschaftliche Produktivität auch den Lebensstandard der Ärmsten weltweit anhebt.

Ein armer Mensch in einer reichen Gesellschaft hat einen viel höheren Lebensstandard als ein armer Mensch in einer armen Gesellschaft. Aber sogar, wenn wirtschaftliche Freiheit alleine nicht reichen sollte, um den Ärmsten der Gesellschaft ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, können wir mit Sicherheit sagen, dass der Sozialismus dies noch viel weniger tut! Die verringerte Produktivität führt generell zu mehr Armut, und die Tatsache, dass sozialistische Staaten oft sehr schnell zu zentralistischen Diktaturen verkommen, verschlimmert die Lebensumstände noch um ein Vielfaches.

Sozialismus verschlimmert Hunger

Wenn wir einmal einen Blick auf die globale Hungerkarte werfen und diese mit der Karte für wirtschaftliche Freiheit vergleichen, dann sehen wir eine sehr starke Korrelation zwischen Unterdrückung und Hunger. Es gibt zwar ein paar Ausnahmen, aber es stellt sich jeweils die Frage, wie lange diese Ausnahmen stabil bleiben werden. Venezuela zum Beispiel hatte 2018 noch ein mäßiges Hungerproblem, jedoch hat sich dieses bis 2019 gravierend verschlechtert.

Wenn es ums Verhungern geht, ist also sicher nicht der Kapitalismus schuld. Im Gegenteil, es scheint, dass der Kapitalismus einer der besten Schutzmechanismen gegen das Verhungern ist! Nach den Erklärungen im ersten Teil zu wirtschaftlicher Produktivität und Lebensstandard sollte dies nicht verwunderlich sein. Verhungern ist ein Ausdruck des tiefst möglichen Lebensstandards. Sozialistische Staaten schneiden oft viel schlechter im wirtschaftlichen Freiheitsindex ab. Somit trägt der Sozialismus viel mehr zum Welthunger bei als der Kapitalismus. Eine Recherche der großen Hungersnöte in Kambodscha, der UdSSR, der Volksrepublik China, Nord-Korea, und als neustes Beispiel Venezuela, bestätigt diesen Punkt.

Viele Kritiker des Kapitalismus sagen, dass die ärmeren Länder so wenig zu essen haben, weil die reicheren Länder sie ausbeuten. Zu diesem Punkt muss man zwei Dinge sagen. Erstens sind es oft in erster Linie lokale Despoten und Gewaltherrscher, welche die lokale Bevölkerung ausbeuten. Wenn westliche Firmen mit den lokalen Despoten zusammenarbeiten, um von der Ausbeutung der lokalen Bevölkerung zu profitieren, ist dies zwar moralisch verwerflich, aber nicht der Grund der Unterdrückung. Der Grund der Unterdrückung ist die lokale Gewaltherrschaft. Zweitens stimmt es allerdings auch, dass westliche Länder andere Länder aus materiellen Interessen militärisch besetzen. Ich werde versuchen, im nächsten Teil auf diese Problematik einzugehen.

Lesen Sie morgen: Die Macht der Korruption.

Den zweiten Teil dieses Beitrages lesen Sie hier.

Amos Zweig hat an der ETH Zürich Ingenieurswissenschaften mit einem Schwerpunkt auf Robotics und Artificial Intelligence studiert und beschäftigt sich auf einem eigenen Blog mit philosophischen und ethischen Fragen.

Quellen

https://www.heritage.org/index/book/chapter-4

www.econlib.org/library/Enc/EconomicFreedom

https://www.globalhungerindex.org/de/results/

https://www.heritage.org/index/heatmap

SOVIET HEALTH CARE FROM TWO PERSPECTIVES by Diane Rowland and Alexandre V. Telyukov

Soviet Health Care System - DAVID S. FRIEDENBERG

https://www.reddit.com/r/AskHistorians/comments/73aiiu/what_was_healthcare_like_in_the_soviet_union/

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kriegen_und_Schlachten_im_20._Jahrhundert

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Milit%C3%A4roperationen_Russlands_und_der_Sowjetunion

https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_concentration_and_internment_camps#United_States_of_America

https://en.wikipedia.org/wiki/Internment_of_Japanese_Americans

https://en.wikipedia.org/wiki/Internment_of_German_Americans

https://en.wikipedia.org/wiki/Internment_of_Italian_Americans

https://de.wikipedia.org/wiki/Gulag

https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Terror_(Sowjetunion)

https://de.wikipedia.org/wiki/Hungersnot_in_Sowjetrussland_1921%E2%80%931922

https://de.wikipedia.org/wiki/Holodomor

https://de.wikipedia.org/wiki/Entkulakisierung

A. Solschenizyn – Der Archipel Gulag – 1973

https://youtu.be/oo1WouI38rQ

https://en.wikipedia.org/wiki/Mao_Zedong

https://en.wikipedia.org/wiki/Khmer_Rouge

https://en.wikipedia.org/wiki/Pol_Pot

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https://pixabay.com/de/photos/kommunismus-kommunist-hammer-moskau-17071/

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Leserpost

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Robert Krischik / 12.09.2019

Aber die Chinesen scheinen mit ihrer Art des Sozialismus wirtschaftlich dem Kapitalismus ebenbürtig zu sein. Daher stellt sich doch heute eher die Frage nach der Freiheit der Menschen als nach den Hungersnöten.

B. Ollo / 12.09.2019

Soweit alles richtig. Anzumerken wäre: Sozialismus erfordert immer einen Einparteien-Staat, während der Kapitalismus eine bestimmte Herrschaftsform nicht zwingend voraussetzt. Idealerweise und logischerweise sind Kapitalismus und Demokratie aber eng verbunden, wo der Wettbewerb der Ideen das Maß stellt. Ich fürchte daher, für einen funktionierenden Kapitalismus und mittelbar Demokratie braucht ein Land, eine Gesellschaft auch eine bestimmte Kultur, die von Kindesbeinen an aufgesogen wird und am Gemeinwesen auch dann orientiert ist, wenn das Gemeinwesen über den Grad der (Bluts-)Verwandtschaft hinaus geht. In einer afrikanischen oder muslimischen Gesellschaft könnte es beispielsweise so sein, dass durch die gelebten Clan-Strukturen und Wertvorstellungen überhaupt keines der Systeme Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus, Demokratie ohne Gewalt von oben möglich ist. Die Kulturen sind hier zu überhaupt nicht kompatibel. Während umgekehrt in einem demokratischen Land mit demokratischer Kultur in der (vermeintlichen) Not ein Umsturz des Systems gefordert wird, weil man meint, gerade dadurch am Gemeinwesen orientiert zu sein.

Herbert Otten / 12.09.2019

@ Andreas Spata: Ich stimme Ihnen voll zu. In “Kreide für den Wolf - Die tödliche Illusion vom besiegten Sozialismus” (1991) schrieb Roland Baader u.a.: “Es ist eine durchaus realistische Schätzung, zu sagen: Wenn die Sowjetunion - und damit auch Osteuropa - nach dem Zweiten Weltkrieg eine kapitalistische Wirtschaftsordnung angenommen hätte, so wäre das materielle Existenzniveau der Menschen dort um das sechs- bis zehnfache höher als heute (von den Segnungen der politischen und individuellen Freiheit ganz zu schweigen), aber auch: dann wäre unser eigener Wohlstand um fünfzig bis hundert Prozent höher als er ohnehin schon ist. Die Verteidigungskosten von vierzig Jahren weggedacht, käme man sogar auf mehrere hundert Prozent.”

Robert Schleif / 12.09.2019

Gut und schön soweit! Der Sozialismus ist vor 30 Jahren gescheitert und der Kapitalismus hat gesiegt. Welches ein Kunststück, wenn das gegnerische Flaggschiff „Sowjetunion“ hieß! Und der alternativlose Kapitalismus wird auch bis zu seinem Tode weitersiegen: Er besiegt die Dritte Welt, dann uns und die uns vertraute Natur und schließlich sich selbst. Er ist erfolgreich und lässt uns Normalverbraucher gut leben, so lange er wie ein bösartiger Tumor wuchern und fressen kann. Aber wenn er nicht genügend Futter bekommt, dann wehe, dann gibt es Krieg, Inflation, organisiertes Berauben der eigenen Bevölkerung oder den Untergang funktionierender Staaten. Dass unendliches Wachstum auf einer endlichen Erde unmöglich ist, wurde bereits 1972 durch die Studie von Meadows festgestellt. Versuche, die Megamaschine sozial verträglich und ordnungspolitisch zurückzubauen, gibt es von der Politik absolut nicht. Im Gegenteil: Noch mehr Globalisierung, Freihandel, EU, technologische Aufrüstung und Konjunkturprogramme. Wo der Motor ins Stocken gerät, wird der Moloch mit seinen eigenen Abfällen gefüttert und die durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt „freigesetzten“ Menschen von den Bütteln des Staates zu Dumpinglöhnen, unter Androhung von Hartz IV, an die Werkbänke zurückgetrieben. Ausstiegsangebote und Konzepte für ein Leben jenseits der Spirale unserer Selbstzerstörung? Fehlanzeige! Man pinselt die von Natur aus unökologische und asoziale Megamaschine rotgrün und regenbogenfarben an, damit die Großstadthipster, Medienleute und Gutmenschen glücklich sind und die Party auf der Titanic doppelt so fröhlich weitergehen kann.

Ferdinand Plönnigs / 12.09.2019

Der Autor zitiert: “Das Hauptproblem des Sozialismus ist, dass er ökonomisch nicht funktioniert. Sozialismus als Wirtschaftssystem ist dem Kapitalismus als Wirtschaftssystem deutlich unterlegen. Sozialistisch strukturierte Gesellschaften produzieren deutlich weniger und auch weniger hochwertige Güter als kapitalistische Gesellschaften.” - Laut einer aktuellen Progrose der Weltbank liegt die Wirtschaftskraft Chinas bereits vor der Eurozone und ist nicht mehr weit entfernt von den der USA, sie ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. China hat sich als sozialistischer Staat partiell volkswirtschaflich geöffnet, die Mittelschicht wächst und konsumiert.

F. Lutz / 12.09.2019

@Dietmar Schubert Ich empfehle Ihnen sich über den Unterschied relative Armut und absolute Armut zu informieren. Und nur weil sie das Glück haben in einem sozialistischen Land gelebt zu haben, in welchem das System zu keiner Hungersnot geführt hat, sagt das noch lange nichts über die generelle Versorgungsfähigkeit aus. Im übrigen ist Ihre Haltung eine Frechheit den Millionen von Hungertoten gegenüber, die durch sozialistische Systeme elendig verendet sind. “Damit ist die Aussage des Autors widerlegt, im MINT-Bereich reicht eine Aussage aus, um die Behauptung zum Fallen zu bringen.” Wer so dämlich argumentiert, arbeitet bestimmt nicht im MINT-Bereich. Die Aussage war im Artikel nämlich nie “Der Sozialismus führt immer zu Hunger” oder “Im Sozialismus sind alle immer absolut arm”. Aber bei einem der dem Sozialismus nachweint, erwarte ich da wohl zu viel Denkleistung…

Michael Anton / 12.09.2019

Gebt den Wilden die Freiheit und sie fressen einander auf. Der Kapitalismus produziert mehr und besser, der Sozialismus predigt ein Omelett der Klassenlosigkeit, für das erst nach Eier zu zerschlagen sind. Viele Erklärungsansätze haben nicht auf der Rechnung, daß sich Menschen gerne auf dem Altar höherer Zwecke opfern wollen, und auch gerne Anderen die Notwendigkeit einhämmern, bestimmte Gruppen, wenn nicht auszuradieren, so doch drakonisch zu bestrafen oder umzusiedeln. Es ist ja für etwas ganz Großes. Die heute beschworene Vielfalt steht im Widerspruch des Universalen. Sie ist die Widerkehr der klassenlosen Gesellschaft, die Abwesenheit jeder Diskussion und ihre stündliche Beschwörung ist verdächtig. Kein universales Prinzip steht im “Einklang” mit Vielfalt, nie würde ein Anhänger einer Religion solche Abstriche an Deutungshoheit machen. Der Sozialismus ist ein Sinnangebot für religiös Entwurzelte, die sich für einen guten Zweck gerne ereifern.

Rupert Reiger / 12.09.2019

Dann solls so sein: Gespräch im Cafe, am Nebentisch: „Wenn wir mal das sagen haben, dann fährst du keinen Mercedes mehr“, darauf der andere: „Dann fährst du auch keinen Opel mehr sondern auch einen Trabant“, der eine wieder: „ja aber du fällst tiefer“. Darauf beruhen dann auch Wege zur Macht, so wie auch darauf, 90% darüber abstimmen zu lassen, 10% zu enteignen. Dass es dann allen schlechter geht, ist akzeptiert.

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