Thomas Rietzschel / 12.01.2022 / 17:00 / Foto: Achgut.com / 45 / Seite ausdrucken

Deutschland, eine kulturelle Großmacht

Es gibt manches, auf das kommt unsereiner auch nach dem dritten Schoppen nicht, obwohl es politisch ernsthaft erwogen wird. Wenn stimmt, was dpa meldet, dann denkt man in Berlin über die „Berufung einer Parlamentspoetin oder eines Parlamentspoeten“ nach.

Angesichts der Tatsache, dass sich die meisten Parlamentarier auf dem sprachlichen Niveau von Grundschülern bewegen, gar keine so schlechte Idee. Geboren wurde sie von der Krimi-Autorin Simone Buchholz, der Schriftstellerin Mithu Sanval, ausgestattet mit einer Promotion über die Kulturgeschichte des „weiblichen Genitals“, und dem Quotenmann Dmitrij Kapitelman, Autor zweier Romane. Gemeinsam wollen sie den Bundestag „für Sprachpoesie“ öffnen. Die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt hat ihre Hilfe bereits zugesagt. Sie unterstütze es, „einen neuen diskursiven Raum zwischen Parlament und lebendiger Sprache zu öffnen. Poesie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten“.

Wie dieser „Beitrag“ aussehen soll, steht freilich noch in den Sternen. Ist das Amt erst einmal geschaffen, versehen mit der nötigen Technik und besetzt mit einem Mitarbeiterstab, wird man über den Zweck beraten. Bis dahin dürfen wir spekulieren: Soll der Parlamentspoet respektive die Poetin vor der Tribüne des Präsidenten sitzen mit der Lyra im Arm wie in der Antike, da die Poeten als „Seher“ galten?

Wer hat noch Goethe gelesen?

Oder soll er, wenn der Streit hochkocht, die Gemüter beruhigen, indem er zwischen den Wortmeldungen der Abgeordneten das eine oder andere Gedicht vorträgt, vielleicht etwas von Goethe, dem Anlass entsprechend verformt: "Ich sprach so für mich hin / und nichts zu denken / das war mein Sinn." Das wäre schon passend, doch welcher Abgeordnete hat noch seinen Goethe gelesen? Wer würde den „Parlamentspoeten“ verstehen? 

Sehr viel praktischer wäre es, die Bundes-Dichter würden dazu herangezogen, alle Redebeiträge, bevor sie verlesen werden, literarisch zu verdichten. Neben dem stilistischen Gewinn hätte das den großen Vorzug, dass niemand mehr für das Gesagte einstehen müsste, da es doch nur Dichtung wäre, keine Wahrheit. Das ist zwar jetzt schon vielfach der Fall, doch poetisch aufgemöbelt besäßen die Reden, möglichst im Versmaß des fünffüßigen Jambus verfasst, von vornherein einen gesteigerten Unterhaltungswert. Man könnte sich amüsieren, ohne sich über den Inhalt zu erregen. Deutschland würde in der Welt, so wieder dpa, nicht nur als „wirtschaftliche und politische Kraft“ wahrgenommen, das Parlament mutierte zur „kulturellen Instanz“.

Katrin Göring-Eckardt spricht bereits von einem „tollen Vorschlag“. Als Vizepräsidenten des Hohen Hauses weiß sie, was ihm nottut: mehr Poesie und weniger Faktengedöns. 

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S.Buch / 12.01.2022

Das Parlamentsvolk, dass sich wegen Selbstentmachtung schrecklich langweilt, braucht mehr Bespaßung. Da kommt ein Poet gerade recht.

Petra Wilhelmi / 12.01.2022

Der 1. April ist doch noch nicht. Oder? Ich habe das Ganze überhaupt nicht wirklich verstehen können. Parlamentspoet. Wer soll denn da ein schönes Pöstchen bekommen? Da wird man doch hoffentlich nicht nur an Weiße denken, sondern auch Queere, POC, Trans und irgendwie Behinderte in die Wahl einbeziehen oder auch gleich einen ganzen Querschnitt der Minderheitengruppen nehmen. Ein Muslim dürfte nicht fehlen. Und wenn es ein Muslim gibt, am besten eine Muslima, wenn der Mann es gestattet, sollte unsere ethnische Minderheit der Sorben auch nicht vergessen werden. Oder gibt es nicht auch eine dänische Minderheit, friesische, Sinti- und Roma-Minderheit, auch wenn sie zu einem anderen Stamm als den Sinti und Roma gehören? Die darf man natürlich auch nicht einfach so umgehen. Natürlich müssen dämliche Frauen wieder so einen Vorschlag machen. Die Männer muss man nicht mitzählen, da die bestimmt zu diesem Zeitpunkt sich als Frau gefühlt haben müssen. Auf die ominöse “Schriftstellerin” Mithu Sanval würde ich nun gar nicht eingehen wollen.

Ludwig Luhmann / 12.01.2022

Ich empfehle immer Goethes “Italienische Reise”. Dieser Trunkenbold hatte stets ein oder zwei Reisepistolen bei sich und er sprach Italienisch korrekter als die Italiener. Sehr sympathisch!

Roland Stolla-Besta / 12.01.2022

Man hat ja mittlerweile den Eindruck, unsere Parlamentierenden der schillernden Ampel seien ja nicht ganz dich. Da hilft doch wirklich nur ein Dichter resp. eine Dichtende.

Harald Unger / 12.01.2022

“Diese Naturunterschiede müssen nun zuvörderst auch als besondere Möglichkeiten angesehen werden, aus welchen sich der Geist hervortreibt, und geben so die geographische Grundlage. Es ist uns nicht darum zu tun, den Boden als äußeres Lokal kennen zu lernen, sondern den Naturtypus der Lokalität, welcher genau zusammenhängt mit dem Typus und Charakter des Volkes, das der Sohn solchen Bodens ist. Dieser Charakter ist eben die Art und Weise, wie die Völker in der Weltgeschichte auftreten und Stellung und Platz in derselben einnehmen. – Die Natur darf nicht zu hoch und nicht zu niedrig angeschlagen werden; der milde jonische Himmel hat sicherlich viel zur Anmut der homerischen Gedichte beigetragen, doch kann er allein keine Homere erzeugen; auch erzeugt er sie nicht immer; unter türkischer Botmäßigkeit erhoben sich keine Sänger.” F. Hegel, 1805.

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