Immer, wenn man denkt es geht nicht mehr, kommt die nächste Peinlichkeit daher: Deutsche Journalisten, unter anderen Claus Kleber und Anne Will, fordern den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz zur Zurechtweisung seines Vizes Heinz-Christian Strache auf, so DIE WELT. Der sei nämlich auf Facebook „die Öffentlich-Rechtlichen hart angegangen“. Konkret mit diesem Satz: „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF.“ Der Eintrag soll mit einem Smiley und „Satire!“ gekennzeichnet gewesen sein; inzwischen ist er gelöscht. Ein weiterer Anstoß: Die Gleichsetzung des „ZiB 2“-Moderators Armin Wolf mit Propaganda. Der Sender klagt jetzt gegen Strache und Facebook. Die deutschen TV-Moderatoren nutzen ihren Brief an Kurz gleich zum politischen Rundumschlag: „Der Vorgang gleiche den Methoden der ungarischen und polnischen Regierung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk diffamieren zu wollen.“
Ob die Schreiber des seltsamen Briefes ein Bezeugnis der Dankbarkeit von Sebastian Kurz erwarten, weil sie ihm eine Plattform zum öffentlichen Auftritt zugestanden, ist unklar: „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben sich in Deutschland mit Ihren offenen Worten in Interviews und Fernsehdiskussionen einen Namen gemacht. Umso mehr verwundert uns Ihre Zurückhaltung in diesem für die Meinungs- und Pressefreiheit eines europäischen Landes so wichtigen Fall.“ Es fehlt jedenfalls die Erklärung, warum die beiden Aspekte im Zusammenhang stehen sollten. Als Politiker offener Worte war Kurz schon vorher bekannt.
Interessant zu wissen: Heute.at berichtete im Oktober, dass mit der schwarz-blauen Regierung auf den ORF einiges zukomme. Die FPÖ (Strache) habe „bereits ein Dossier mit Umbauplänen für den ORF in der Schublade“. Personelle Konsequenzen beträfen vor allem die „im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk breit vertretenen" Sozialdemokraten. Allen voran ORF-Generaldirektor und SPÖ-Mitglied Alexander Wrabetz, der bisher trotz Gegenstimmen von FPÖ und ÖVP (Kurz) auf diesem Posten sitzt. Wie demokratisch diese Personalie tatsächlich ist, zeigt eine TV-Studie 2017: „Ein klares Meinungsbild gibt es in Bezug auf den wiedergewählten ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz: Nur zehn Prozent begrüßen seine Kür im August letzten Jahres. Fast die Hälfte lehnen diese ab. Und gar nur 4 % gestehen dem ORF völlige Unabhängigkeit von Politik und Interessensgruppen zu.“
Der Wolf und seine 19 Getreuen
Erhellend auch, was aktuell die Wiener Zeitung zum Brief der deutschen Kollegen schreibt: „Unterzeichnet wurde das Schreiben unter anderem von den bekannten TV-Moderatoren Maybrit Illner, Anne Will, Marietta Slomka und Frank Plasberg. Insgesamt setzten 19 Personen ihre Unterschrift unter den am Donnerstag verbreiteten Brief. Sie alle sitzen im Vorstand des Vereins Hanns Joachim Friedrichs Preis für Fernsehjournalismus, den 2016 ausgerechnet ZiB 2-Anchorman Armin Wolf erhalten hatte.“
Dem oben erwähnten Beitrag in DIE WELT waren in kurzer Zeit über 600 Leserzuschriften zugeschaltet. Etwa:
„Was glauben die Herren und Damen soll Kurz tun? Im Gegensatz zu Merkel regiert er nicht per Dekret … in Österreich herrscht Rechtsstaatlichkeit. Fühlt sich jemand verleumdet oder sonst in seinen Rechten beeinträchtigt, wendet er sich nicht an den Bundeskanzler, sondern an die Gerichte.“
„Das Ganze ist eine bodenlose Frechheit und de facto eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Die Damen und Herren sollten mal darüber nachdenken, ob sie da die Meinung der Bürger diese Landes vertreten, die sie mittels GEZ fürstlich bezahlen.“
„Ich denke, er (Kurz) wird sich nicht äußern. Er ist ja nicht der Erziehungsberechtigte des Herrn Strache.“
„Ich denke, dass es den Herren und Damen Journalisten aus Deutschland gar nicht um Österreich geht, sondern um die Beutegemeinschaft aus öffentlich-rechtlichen Medien und Politik in den deutschsprachigen Ländern. Zerbricht die in Österreich, ist auch die in Deutschland gefährdet.“
„Dieses Wochenende stimmen wir hier in der Schweiz über eine Initiative (No-Billag: Billag ist die Firma, die die Zwangs-TV-Gebühren einzieht) ab, ob der Gebührenzwang abgeschafft werden soll oder nicht. Es würde möglicherweise das Ende des Schweizer Fernsehens in der heutigen Form bedeuten. Wann dürfen wir einen Brief aus Deutschland erwarten? Wir Schweizer lieben Einmischungen aus dem Ausland...“
Übrigens: Die Plattform Addendum hat im Rahmen seines Projektes „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk“ festgestellt: „Der Begriff ‚Staatsfunk‘ mag polemisch sein, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich zählt tatsächlich zum Sektor Staat – nach Kriterien des Europäischen Systems der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.“ Infos dazu hier.
Dieser Beitrag erscheint auch auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel