Dirk Maxeiner / 16.06.2019 / 06:12 / Foto: Tim Maxeiner / 40 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: ICE 709, Wagen 14, Tal des Todes

Viele sagen, der vergangene Freitag sei ein besonders heißer Tag gewesen. In Berlin so 35 Grad. Gleichsam ein Vorgeschmack auf die Klimakatastrophe. Aber alles ist relativ. Temperaturen sowieso. Ich denke da beispielsweise an Death Valley. Am 10. Juli 1913 sollen im Tal 56,7 Grad gemessen worden sein. Das galt damals als Weltrekord, konnte zum Leidwesen der Tourismusmanager aber seitdem nicht mehr übertroffen werden.  Libysche und iranische Wüsten sind wohl noch ein paar Grad wärmer, aber da ist man nicht so auf Gäste eingestellt. 

Erstaunlicherweise lebten im Tal des Todes auch vor der Erfindung der Klimaanlage schon Menschen. Eine Stammesgruppe der Timbisha Shoeshone-Indianer siedelte in der feindlichen Umgebung. Auch 400 Tier- und 900 Pflanzenarten haben sich den Verhältnissen angepasst. Im 19. Jahrhundert kamen weiße Minenarbeiter, die Borax für die Seifenproduktion aus dem Boden holten. Mit großen Wagen, die mit 20 Maultieren bespannt waren, wurde die Fracht aus dem Glutofen des Tales über die umgebenden Bergpässe geschafft. Das muss wirklich das Fegefeuer gewesen sein. Es ist immer wieder verblüffend, welche klimatischen Anpassungsleistungen nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen vollbringen können.

Und das nicht nur im Death Valley. Sondern auch mitten in Berlin, auf Gleis 1 unter dem Hauptbahnhof. Dort kommt am letzten Freitag der ICE 709 pünktlich von Hamburg an, zur Weiterfahrt nach München um 15:37. Ich habe eine Reservierung für Wagen 14, doch in dem ist die Klimaanlage ausgefallen. Ich fühle mich sofort wie ein Minenarbeiter auf einem Borax-Transport am 10. Juli 1913 im Tal des Todes. Wer sich da nicht hineinversetzen kann, stelle sich eine mit zwei Reisegruppen aus Shanghai und Hamburg Altona vollbesetze gemischte Sauna vor, die man in Berlin betritt und erst in München wieder verlassen kann. Denn der Zug ist voll besetzt. Doch keiner will mit den Verdammten der Erde in Wagen 14 tauschen. 

Im Sinne von sozialer Gerechtigkeit und Inklusion

Ich plädiere gegenüber den anderen Sauna-Insassen für ein Rotationssystem wie auf einem U-Boot, wo die Kojen im Wechsel beschlafen werden. Also ungefähr so: Berlin bis Halle – die Insassen von Wagen 1 tauschen mit denen von Wagen 14, Halle bis Erfurt – jetzt ist Wagen 2 dran und so weiter bis nach München. Im Sinne von sozialer Gerechtigkeit und Inklusion müsste das doch Akzeptanz finden. Andererseits handelt es sich bei Wagen 14 um die erste Klasse. Da könnte in der klimatisierten zweiten Klasse der Gedanke aufkommen, dass die reichen Säcke in der ersten Klasse ruhig mal bis München im eigenen Saft schmoren sollen, damit sie wissen, wie das ist. 

Wir bleiben also vorsichtshalber sitzen und schmoren in der Klimahölle. Still tropft der Schweiß von der Stirn. Im Wagen verbreitet sich eine recht herbe Geruchsnote. Ich persönlich rieche wie ein nasses Muli und sehe auch so aus. Der Bordtechniker hat seine Versuche, die Klimaanlage zu „rebooten“, aufgegeben und verteilt stattdessen Wasser in Tetrapack-Behältern – damit keiner aus den Latschen kippt. Er ist wirklich sehr nett und ich warte nur noch darauf, dass er mir den Puls fühlt und das Essen auf Rädern bringt. Ich sehe offenbar aus wie der nächste Kandidat für die Geriatrie im Uniklinikum Halle.

Dann kommt tatsächlich der Schaffner und begehrt die Fahrkarten zu sehen. Ich erkäre ihm, dass mir kein Fahrschein, sondern versehentlich eine Dauerkarte für die DB-Sauna Berlin-München ausgestellt worden sei. Galgenhumor macht sich breit. Vor ein paar Jahren haben die Fahrgäste der Bahn ihren Frust noch an den Bediensteten ausgelassen. Das ist kaum noch der Fall. Wer öfter fährt, respektive nicht fährt oder sonstwie unsachgemäß transportiert wird, hat eher Mitleid mit dem Personal. Es bricht sich eine unausgesprochene Solidarität Bahn, ich habe da ja schon öfter drüber geschrieben

Manchmal ist es sogar richtig lustig

Das schulterzuckende Akzeptieren von Verfallserscheinungen ist hierzulande relativ neu, breitet sich aber rasant aus. Ich wünsche mir so einen verranzten alten Schnellzug-Waggon zurück, in dem man noch die Fenster öffnen konnte. Vielleicht lässt sich sowas ja noch in Afrika auftreiben. Dann gäbe es wieder frische Luft und man könnte mit Winnetous Silberbüchse sogar einen Angriff der Timbisha Shoeshone-Indianer zurückschlagen.

Manchmal ist der Übergang zum Mut der Verzweifelten sogar richtig lustig. Die Kinder in Wagen 14 spürten das jedenfalls genau. Sie kramten irgendwelche Karnevals-Tröten aus dem Gepäck und formierten einen Spielmannszug, der den Wagen rauf und runter marschierte. Keiner beschwerte sich, die üblichen Anstandstanten hingen stattdessen ermattet in den Sitzen und gaben sich fiebrigen Tagträumen hin. So auch ich. Zwischen Erfurt und Erlangen verwandelte sich Waggon 14 endgültig in einen Zirkuswagen. Der Schaffner trug plötzlich eine rote Basecap mit einem von einer Solarzelle betriebenen Ventilator. Über den Bordlautsprecher erklang „Heatwave“ von Martha & the Vandellas. In Augsburg begrüßte mich eine Giraffe auf dem Bahnsteig und ich ritt auf einem Elefanten nach Hause. Der betätigte mit seinem Rüssel den Klingelknopf und sagte meiner Frau, sie solle gut auf mich aufpassen. Danke deutsche Bahn, dass ich das erleben durfte!

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Tim Maxeiner

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Claudius Pappe / 16.06.2019

Wer Bahn fährt ist selbst schuld. Mit dem Auto wäre sowas nicht passiert, und vielleicht sogar noch billiger gewesen.

Wolfgang Kaufmann / 16.06.2019

Zu ihrem Geld kursiert das geflügelte Wort: „Es ist vollkommen egal wofür, es kann auch radikal verschwendet werden; Hauptsache, die Deutschen haben es nicht. Schon ist die Welt gerettet.“ – Es ist doch nicht Aufgabe eines sozialistischen Staatsbetriebs, einem schnöden Kapitalisten wie Sie einer sind, für seinen Mammon eine wohldefinierte Gegenleistung zuzusichern. Das wäre ja kapitalistische Marktwirtschaft der übelsten Sorte. – Haben Sie beim Einsteigen nicht die Linie auf dem Bahnsteig gesehen? Das ist ähnlich wie im Görli und heißt: Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands.

Wieland Schmied / 16.06.2019

*** In Augsburg begrüßte mich eine Giraffe auf dem Bahnsteig und ich ritt auf einem Elefanten nach Hause. Der betätigte mit seinem Rüssel den Klingelknopf und sagte meiner Frau, sie solle gut auf mich aufpassen. Danke deutsche Bahn, dass ich das erleben durfte!*** Gebens Sie es doch zu Herr Maxeiner, Sie haben doch gar nicht im Wagen 14 verharrt, Sie waren wenigstens die Hälfte der Strecke Gast im Bordrestaurant. Wofür Ihnen Verständnis entgegengebracht werden würde. Ist doch so - das Leben ist nur im Suff zu ertragen. Und das in Merkelonien ganz besonders.

Volker Voegele / 16.06.2019

ICE, Wagen 15, Tal des Todes, das ist wahrscheinlich der Wagen mit dem Greta Thunberg durch Deutschland reisen musste. Kein Wunder, dass das arme Mädchen Klimaalpträume bekommen hat. Treffend die Bemerkung des Reisenden – sinngemäß, man fährt nicht mit der Bahn, sondern man wird „sonstwie unsachgemäß transportiert“. Und man sollte sich vergewissern, dass man spätabends nicht in Tübingen aussteigt und grünen Gestalten wie Herrn Palmer begegnet. Aber dafür kann die DB nun wirklich nichts.

Arnd Siewert / 16.06.2019

Das ist das beste was Deutschland zu bieten hat/DB und zukunftsorientiert! Die Züge sind schon selbstreinigend und werden bald autonom fahren! Danke Angela - wir lieben Dich! Ps. Wenn ich Kanzler könnte, würde jeder Hartz4ler einen Job bei der Bahn kriegen 20std. pro Woche 800€ netto für Service, Reinigung und Sicherheit. Voll flexibell ! Wir könnten das….

Friedel Brasseur / 16.06.2019

Toll!!! Was für ein Spass diese Zeilen!!!

Dr. Freund / 16.06.2019

Sänk ju vor trewelling mit Deutsche Bahn! Wir faffen daff! Seit beinahe 5 Jahren bin nur noch auf privaten Rädern, fast immer den eigenen, unterwegs. Was mir da alles entgeht…

Gabriele Schulze / 16.06.2019

Ja, ich fürchte mich vor eventuell anfallenden Bahnreisen im Sommer! Eine Idee für deutsche Ingenieurskunst wäre doch ein batteriebetriebenes Kühlaggregat, am Körper zu tragen. Dazu Sauerstoffmasken im Tornister…Cool!

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