Dirk Maxeiner / 25.10.2020 / 06:20 / 42 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Garagenvolk

Garagen haben mich schon immer fasziniert. Sehr gerne erinnere ich mich an eine riesige Lastwagen-Garage in Stuttgart-Echterdingen, die ich im zarten Alter von 25 Jahren von einem örtlichen Supermarkt gemietet hatte. Sie lag in einem Industrieareal, nicht weit von meiner damaligen Arbeitsstelle und entwickelte sich in kurzer Zeit zu meinem Lebensmittelpunkt. Sämtliche damals für mich wesentlichen Tätigkeiten konnten dort ungestört ausgeführt werden. An Autos schrauben, laute Musik hören, mit Freunden saufen und auf den Rest der Welt pfeifen. Auch die Frage „zu mir oder zu dir?“ stellte sich in dieser Zeit nie, schließlich war ein alter Wohnwagen mit meiner Briefmarkensammlung in der Garage abgestellt. Bill Gates und Steve Jobs sollen das Fundament ihrer Imperien ja ebenfalls in einer Garage gelegt haben, da kann ich leider nicht mit. Ich garantiere dem Publikum aber: Bei mir war es lustiger.

Seitdem weiß ich: Garagen sind Orte der Freiheit und Kreativität, vorausgesetzt ihre Lage befindet sich weit genug entfernt vom nächsten Denunzianten. Inzwischen hat sich diese Spezies in Deutschland aber vermehrt wie ein Stall voll Wildkaninchen. Nachdem man den Schrottplätzen ja schon den Garaus gemacht hat, wird jetzt das Garagenleben von Betschwestern, Ökopolizisten und Lastenfahrradfahrern flächendeckend bekämpft. Als Ort toxischer Männlichkeit sieht die Garage in Deutschland also schweren Zeiten entgegen. Das allseits sichtbare Zeichen der Degeneration ist der Car-Port, ein Bauwerk von ähnlicher Intimität wie eine Corona-App. 

Es ist also an der Zeit, sich nach in sicherer Entfernung vom Zeitgeist liegenden Alternativen umzusehen. Und, wie so oft im Leben, bewahrheitet sich der Spruch: "Wenn Du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her". In diesem Falle aus einer russischen Bergarbeiterstadt im fernen Nordosten. Da ist es zwar ziemlich lange ziemlich dunkel, und doch wird dem Garagenfreak angesichts der dort noch lebendigen Tradition ziemlich warm ums Herz. 

Soziotop der widerständischen Individualität

Die Berlinerin Natalija Yefimkina, die in Kiew und der sibirischen Taiga aufgewachsen ist, hat soeben ihren Debutfilm vorgestellt. Sein Titel: „Garagenvolk“. Das Erstlingswerk hat sogleich den Werner-Herzog-Preis 2020 bekommen. Endlich mal eine Preisvergabe im deutschen Kulturbetrieb, mit der ich mich identifizieren kann.

Russische Garagen wurden entsprechend der Monotonie der dazugehörigen Wohnblocks etwas entfernt in langen Reihen errichtet, haben mithin mit der deutschen Einfamilienhaus-Idylle nichts zu tun. Was als schnöder Abstellplatz für Ladas oder Wolgas gedacht war, hat sich inzwischen aber zu einem Soziotop der widerständischen Individualität entwickelt, oder auch, wie Natalija Yefimkina sagt, „der letzte Ort, an dem sich der russische Mann absolut frei fühlen kann“. Die Garage ist die Bärenhöhle des russischen Mannes. Man zieht sich zurück, man kann Herr seines Königreichs sein, und da hat keiner was zu sagen außer dem Besitzer. Und das unterscheidet sie vom deutschen Kleingartenverein: Nichts wird kontrolliert, so gut wie alles toleriert.

Natalija Yefimkina verzichtet in ihrem Film auf Kommentare und Erklärungen, sie lässt den russischen Mann den russischen Mann sein. Sie verkneift sich die Volkspädagogik oder Ironie auf Kosten ihrer Darsteller. Yefimkinas Garagen-Besitzer haben oft ziemlich ausgefallene Vorstellungen davon, was im Leben Spaß macht, das heißt, sie scheinen nur verrückt, sind aber in Wahrheit Boten der analogen Welt. Sie lieben die Arbeit mit ihren Händen, können noch eine Benzinleitung reparieren und eine Landkarte lesen. Wenn sie aus dem Garagentor schauen, wissen sie, wo Osten, Westen, Süden und Norden sind. Wenn es mal einen globalen Blackout geben sollte, wird man den Restverstand nicht bei Google finden, sondern in einer russischen Garage. Das Angebot an Originalen reicht vom Schrottsammler über Ikonen-Schnitzer bis zu Hundefreunden, Wachtelzüchtern, Bodybuildern, Hobby-Gebirgsjägern und einer Rockband.  

Besonders gefällt mir Victor, ein 73-jährigen Rentner, der von seiner Garage aus fünf Stockwerke mit einem Spaten und einem Eimer tief in die Erde gegraben hat. Er sagt zu seiner jahrzehntelangen Maulswurfsarbeit: "Ich habe keine Ahnung, warum ich gegraben habe." Natalija Yefimkina. „Man fragt mich immer nach der Seele Russlands. Das ist eine komische Frage. Aber wenn man Viktor im Film sieht, ist er die zentrale Figur. Er hat ja auch noch alles unterirdisch mit Gleisen ausgestattet. Er hat Tonnen von Gleisen dort verbaut und damit seinem Leben einen Sinn gegeben“. 

Die Film-Beschreibung von Wikipedia weckt übrigens sofort den Russen in mir, denn sie scheint auch für Deutschland von bestechender Gültigkeit: „Der Film erzählt in witzigen, skurrilen, unvorhersehbaren Szenen tragische und zugleich heitere Geschichten aus dem Eigenleben russischer Männer, die in Nischen den mafiösen Strukturen und dem Regelungsdrang der Politik entfliehen und sich dem Individualismus und dem Konsum zuwenden“. Merke: Nirgendwo ist man sicherer vor Angela Merkel und Robert Habeck als in einer Garage in Novosibirsk.

Hier und hier finden sie zwei Interviews mit Natalija Yefimkina, die man schon wegen ihres rollenden „R“ gerne haben muss.  

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Tamtam Film GmbH

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Karsten Dörre / 25.10.2020

Noch gibt es viele solcher Garagenkomplexe in Ostdeutschland. Diese werden systematisch plattgemacht, weil kaum wer noch sein Auto in die Garage stellt. Diese Garagen sind weitestgehend Treffpunkt gesellschaftlicher Randgruppen.

M. Brüggemann / 25.10.2020

Echt goldig Herr Maxeiner. Ich kenne das Gefühl: In meiner Kellerwerkstatt bin ich auch König und Abenteurer. Hier gibt’s die Musik die nur ich mag und “Tür zu“

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