Das Kernstück meiner Modelleisenbahn war ein grüner Transformator. Ich lernte: Bei zentraler Steuerung durch einen großen Transformator ist immer Vorsicht geboten. Robert Habeck hat vermutlich nie eine Modelleisenbahn besessen.
Es gibt Geschenke, über die freut man sich selbst genauso wie der Beschenkte. Bei meinem Vater war das die Modelleisenbahn, die er für meinen Bruder und mich vor Weihnachten im abgeschlossenen Wohnzimmer aufbaute – inklusive einer kleinen bürgerlichen Welt mit Bahnhof, Geschäft, Tankstelle, Einfamilienhäuschen und Kühen auf der Weide, made bei Faller. Zu meinem Leidwesen hatte mein Vater sich für das Modellbahnsystem von „Fleischmann“ entschieden, er sah es als naturgetreuer und technisch innovativer an als die weit verbreitete Konkurrenz von „Märklin“. Beide Marken hatten feste Glaubensgemeinschaften hinter sich, die Märklinianer besaßen im Kreise meiner Freunde aber das Monopol.
Meine Zugehörigkeit zum Fleischmann-Lager galt geradezu als Ketzertum, was meinem kindlichen Harmonie- und Konformitätsbedürfnis arg zuwiderlief. Zumal es sich schon um die zweite Glaubensgemeinschaft handelte, bei der ich verschissen hatte. Wir lebten in der damals tiefschwarzen Eifel, die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche war obligatorisch und die Voraussetzung für Akzeptanz in meiner Peergroup. Doch in der Schule gab es eine separate Klasse für die evangelischen Abtrünnigen, die sich im Pausenhof in einer Ecke versammelten wie eine Herde Schafe. Eines davon war ich. Evangelisch alleine war schon schlimm, evangelisch und Fleischmann aber ging gar nicht. Ungeimpft war zum Glück noch nicht so ein Thema.
Immer wenn ich heute das astrein fortschrittliche Wort „Transformation“ höre, muss ich an meine Fleischmann-Welt denken. Es war mir damals gar nicht klar, zu welchen Lehren fürs Leben mir meine Modelleisenbahn verhalf. Und ich vermute, dass die derzeit herrschende Klasse offenbar nie mit einer Modelleisenbahn Erfahrungen gesammelt hat, sonst würden sie mit dem Wort „Transformation“ vorsichtiger umgehen.
Das Kernstück meiner kleinen Fleischmann-Welt war nämlich ein grüner Transformator. Der bestand aus einem schweren Kasten, dessen Eingangskabel man in die Steckdose steckte und dessen Ausgangskabel an die Stromversorgung der Gleise angeschlossen wurde. Obendrauf befand sich ein großer Drehknopf aus schwarzem Bakelit. So ein Ding ist so schwer, weil sich darin dicke Spulen aus Kupferdraht befinden. Damit werden die 220 Volt aus der Steckdose in den kleineren Spannungsbereich um die 12 Volt transformiert – und mit dem Drehknopf kann der diensthabende Lokführer die Geschwindigkeit der Lokomotive regulieren.
Als handele es sich bei Deutschland um eine Modelleisenbahn
Das tat ich ausgiebig und lernte sogleich: Wenn man mehrere Lokomotiven zugleich fahren lässt, wie es im richtigen Leben ja vorkommen soll, entstehen schnell sogenannte Zielkonflikte, weil sich ja alle mit der gleichen vom Trafo bestimmten Geschwindigkeit bewegen. Während die eine Lokomotive mit Hochgeschwindigkeit elegant übers Gleisbett saust, fliegt die andere in einer engen Kurve schwungvoll aus der Bahn. Ich lernte: Bei zentraler Steuerung durch einen großen Transformator ist Vorsicht geboten.
Und doch verhalten sich die Herrschaften in den politischen Stellwerken als handele es sich bei Deutschland um eine Modelleisenbahn. Der Strom kommt aus der Steckdose und ein großer Drehknopf reicht, um das Universum zu steuern. Da wird die Welttemperatur geregelt, als handele es sich um einen Trans-Europa-Express der Spur H0 – egal wer und wo deshalb aus der Kurve fliegt. Sie nennen das „Große Transformation“. Sie sitzen am Transformator und fahren nacheinander die Atomkraftwerke, die Automobilindustrie, die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen, die Bauwirtschaft, die Heizungshersteller und viele andere Branchen gegen die Wand. Klein-Robert hat Deutschland auf das Format einer Faller-Welt geschrumpft und macht Kleinholz, wie der Bauer auf der Almwiese vor dem Holzhäuschen. Das nennen sie „Degrowth“ oder auch „Postwachstum“.
In ihrer Verachtung für den westlichen Lebensstil können sie alle im selben Sandkasten spielen, da nimmt keiner dem anderen die Schippe weg. Katrin Göring-Eckardt etwa hielt schon vor fünf Jahren im Radio eine Morgenandacht und schlug dabei mühelos den Bogen vom kleinen Kaffeemilch-Döschen zum Großen und Ganzen, nämlich dann, „wenn aus einem kleinen Symbol großer Ernst wird: Ölpest, Atomkatastrophe, Klimawandel“. Jetzt will man sogar Kaffeekapseln verbieten, damit ich gleich nach dem Aufstehen daran erinnert werde, wohin es es mich verschlagen hat.
Ich finde es sehr erstaunlich, wie Erwachsene dieses doch sehr schöne Land zerstören, als seien es schlecht erzogene 13-Jährige, die aus Frust oder Langeweile ein Massaker im Kinderzimmer anrichten und das Spielzeug kaputtmachen. Frühe Vorboten zeigten sich schon vor über 10 Jahren, als der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) seinen Bericht „Welt im Wandel“ veröffentlichte, in dem es nur so wimmelt von „partizipativer Forschung“ und „transformativer Wissenschaft“. Es handelt sich laut Autoren um einen „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“, die wir uns als Ende des „fossilen industriellen Metabolismus“ und als „Übergang zur Nachhaltigkeit“ vorzustellen haben.
Den schwarzen Bakelitknopf auf Dauervollgas gestellt
Die neue „Weltgesellschaft“ sollte mit deutschem Know-how verwirklicht werden, und zwar durch „tiefgreifende Änderungen von Infrastrukturen, Produktionsprozessen, Regulierungssystemen und Lebensstilen.“ Bedauerlicherweise verhinderten – so hieß es – „politische, institutionelle und ökonomische Pfadabhängigkeiten, Interessenstrukturen sowie Vetospieler“ den Übergang zur „nachhaltigen Gesellschaft“. Der Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber freute sich allerdings schon damals auf eine nachhaltige Zukunft jenseits unserer gegenwärtigen „Mitläuferdemokratie“. Das war 2011. Inzwischen sitzen diese Leute an den Trafos der Macht. Und sie haben den schwarzen Bakelitknopf auf Dauervollgas gestellt.
Statt Modelleisenbahnen benutzen die großen Konduktoren Modellrechungen, mit denen sie ihre Entscheidungen letztendlich allesamt begründen und mit denen sie vorgeben, die Zukunft im Computer errechnen – und so die Welt retten zu können, respektive zu müssen. Das Klima, die Wirtschaft, die Welternährung, die Weltgesundheit, was auch immer: Man nehme ideologische Wunschvorstellungen, gebe ein paar ausgewählte Zahlenreihen und Formeln hinein – und heraus kommt ein Weltmodell, das man für verbindlich erklärt.
Dann zeigt man schöne bunte Kurven wie die Gewinnerwartungen auf der Jahresbilanzkonferenz von Volkswagen oder BASF. Doch wie jeder Anleger weiß, neigt die Realität dazu, von diesen Vorgaben plötzlich scharf abzubiegen wie ein Formel-1-Rennwagen, dem in der Parabolica-Kurve der Reifen platzt. Zuletzt geschah dies bei aberwitzigen Hochrechnungen durch das Imperial College in London zu Corona-Toten, die sich rasch als komplett falsch erwiesen. Auch die Bilanzkurven der Credit Suisse änderten kürzlich sehr abrupt und so nicht vorhergesehen die Richtung. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen "Garbage in, Garbage out", wer einen Computer mit Schrott füttert, muss sich nicht wundern, wenn dabei auch wieder Schrott herauskommt.
Der Glaube an eine mathematische Modellwelt hat übrigens nichts mit künstlicher Intelligenz und viel mit natürlicher Dummheit zu tun. Künstliche Intelligenz und natürliche Dummheit für sich genommen sind beherrschbar, lediglich die Kombination von beiden führt direkt in die Hölle. Die Wissenschaft und die von ihr beratene Politik fährt inzwischen jedenfalls auf der Spur H0 – genau so wie meine schöne Fleischmann Lokomotive Typ DB 221, mehr Schmalspur geht fast nicht. „Kommunismus, das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung", sagte Lenin, zum Projekt der nachholenden Industrialisierung der Sowjetunion, analog könnte man das aktuelle Projekt der nachholenden Deindustrialisierung Deutschlands so beschreiben: „Große Transformation, das ist grüne Ideologie plus Modelleisenbahn."
Hinweis in eigener Sache: Der Sonntagsfahrer will nach langer Zeit mal auftanken und verabschiedet sich für die nächsten drei Wochen irgendwohin an den Atlantik. Danach geht's mit dieser Kolumne in gewohnter Manier weiter, die ein oder andere Geschichte bringe ich im Kofferraum mit. Halten Sie mir über die kleine schöpferische Pause hinweg die Treue.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber der Achse des Guten.Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.