Heute ist ein ganz besonderer Tag. In Deutschland wird die Zensur wieder eingeführt, denn ab sofort gilt das „Netzwerkdurchsetzungegesetz“ des Heiko Maas. Man kann das ganz ernsthaft betrachten, wie beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung, für die inzwischen auch der Terminus „Westpresse“ geläufig ist. Ein Kommentator schrieb dort:
„Aus den besten Absichten werden allerdings oft die schlimmsten Taten begangen, und so ist auch in diesem Fall die Gefahr gross, dass die vom Gesetz aufgebaute Drohkulisse Facebook, Twitter oder Youtube zu einer vorsorglichen Löschung inkriminierter Inhalte veranlassen wird. ‘Overblocking‘ nennt sich das auf Neudeutsch und ist in sozialen Netzwerken bei blanken Brüsten bereits heute gängige Praxis“.
Das war noch vor dem Inkraftreten des Gesetzes, inzwischen ist Overblocking Realität. Und Noch-Minister Maas stellt noch schnell 50 Leute ein, Zensur ist eine echte Wachstumsbranche in diesem Land.
Man kann – schließlich ist heute Sonntag – aber auch versuchen, die Sache mit Humor zu nehmen. Womöglich bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, denn in totalitären Systemen ist der Humor die letzte Waffe der Zweifelnden. Politische Witze beispielsweise können kaum unterbunden werden. Insofern ist das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ zugleich ein Dummheitsdurchsetzungsgesetz.
Der Widerstand, das Subversive, die Kritik wird natürlich nicht verschwinden, das alles wird sich nur andere Kanäle suchen. Ein Beispiel gab während der Zeit des Nationalsozialismus der Berliner Kabarettist Werner Finck, der in der „Katakombe“ einmal, als er im Publikum einen „Protokollanten“ der Nazis entdeckte, gesagt haben soll: „Bin ich auch nicht zu schnell? Kommen Sie mit, oder soll ich mitkommen?“
Auch im ehemaligen Ostblock erlebte der politische Witz eine Blüte. Dann verschwanden sie weitgehend aus dem Humor-Repertoire. Gut möglich, dass es bald eine Renaissance gibt. Sehr schön ist auch dieser DDR-Witz: Erich Honecker fragt Mao am Rande seines Besuches in Peking: „Genosse Mao, wieviel Kriminelle gibt es bei Euch?“ Mao antwortet: „16 Millionen.“ Honecker staunt: „So viel wie bei uns in der DDR.“ Seit der Bundestagwahl könnte man den Witz leicht modifiziert so erzählen: Heiko Maas fragt Kim Jong Un: „Genosse Kim, wieviel Kriminelle gibt es bei euch?“ Kim: „12,6 Prozent“. Maas staunt: „So viele wie bei uns in Deutschland“.
Als kleine kreative Anregung hier eine Sammlung mit DDR-Witzen. Die Ostdeutschen waren damals schon einmal erheblich weiter als wir heute, ich bin aber zuversichtlich, dass wir aufholen. Besonders in Sachsen sehe ich großes kreatives Potenzial. Im Westen waren wir übrigens auch schon mal weiter. Ich denke da an Klaus Kinski, der die Typen im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen aufmischte, dass mir heute noch das Herz aufgeht. Siehe hier und hier und hier und hier. Typen wie Kinski sind in einer deutschen Talkshow anno 2017 undenkbar. Welcher Rückschritt.
Vibratorspiele mit Schwiegermutter und Schäferhund
Waren einst die Kirchen Ton angebend in Tugendfragen, so sind es heute Umweltaktivisten, Tierschützer, Gender-Beauftragte, Kampf-gegen-rechts-Dumpfgummis und zahlreiche weitere Agenturen des Guten. Der Wertewandel in den westlichen Gesellschaften entthronte die alten Instanzen. Die gute alte Bigotterie wurde durch moderne Political Correctness ersetzt. Entsprechend wechselten die Themenfelder. Solange die Kirchen die Wacht hielten, ging es meistens um Sex. Die „Aktion saubere Leinwand“ stand Mahnwache vorm Kino, als Hildegard Knefs Busen für eine Nanosekunde sichtbar wurde. Statt der Aktion saubere Leinwand gibts jetzt die Aktion sauberes Internet.
Heute geht es immer wieder auch um Sex (das ist eine anthropologische Konstante), doch die moralischen Orientierungsfragen sind spezifischer geworden, zum Beispiel in den nachmittäglichen Betroffenheitsshows. Dort kann man erfahren, ob Vibratorspiele mit Schwiegermutter und Schäferhund erlaubt sind. Solches blieb früher zumeist unerörtert.
Doch jenseits von komplizierten Detailfragen hat sich der sittliche Diskurs vom Sex wegbewegt und anderen Alltagsphänomenen zugewandt: Essen (besonders wenn es dick macht), Kindererziehung, Autofahren, Mülltrennen und den allgemeinen Umgang mit der Natur und den Mitmenschen (besonders wenn sie anderen Kulturen angehören). Letzterer sollte stets sanft und verständnisvoll sein.
Und inzwischen sind auch die Kirchen wieder als Anstandstanten an Bord, nur im Bett ist alles erlaubt, immerhin. Sie sind gleichsam von der sauberen Leinwand zum sauberen Internet gewechselt und wachen streng darüber, was der Mensch beispielsweise in Migrationsfragen so spricht und denkt.
Die Wege der Erkenntnis sind manchmal verschlungen. Ich bin jedenfalls auf eine tolle Website gestoßen, die ich vorher nicht kannte. Auf der Suche nach mustergültig dämlichen Zensurversuchen fiel mir natürlich gleich Rudi-Carrells „Tagesschau“ ein, in der er die iranischen Ajatollahs mit einem Büstenhalter verhohnepiepelte, bis denen der Turban auf Körbchengröße 90 F anschwoll. Ich habe es hier und hier aufgestöbert.
Wer auf der Suche nach einer komprimierten Sittengeschichte der Bundesrepublik ist, wird auf der Seite „Zensur-Wiki“ geradezu fantastische Weise fündig (leider nicht mehr ohne Passwort erreoichbar). Akribisch aufgelistet finden sich sämtliche Sendungen und Informationen, die den Menschen in diesem Lande in den vergangenen 60 Jahren nicht zugemutet werden sollten. Die Liste dürfte jetzt noch viel viel länger werden.
Bedauerlicherweise gibt es sie nur für den Westen Deutschlands, für den Osten wäre der Vollständigkeit halber auch sehr schön. Allerdings wohl nicht praktikabel, denn die Liste müsste dann von hier bis ins nächste bekannte Sonnensystem reichen. Dennoch lässt sich aus den westlichen Zensurversuchen und tatsächlichen Zensurakten so etwas wie ein Psychogramm des geborenen Zensors herleiten. Ganz grob sind mir folgende Gruppen aufgefallen:
Da wären zunächst mal jene Konservativen, deren Fantasie hinter jedem Freibad und jedem Bikini ein Sodom und Gomorra wähnt und hinter jedem linksglühenden Jugendlichen die kommunistische Weltverschwörung. Es genügt aber, sich auf den unpolitischen Teil der Zensurversuche zu beschränken, um ein gleichsam zeitloses Muster zu entdecken. Stets führen Hedonismus, Vergnügungssucht und Konsumterror geradewegs in den ästhetischen und kulturellen Verfall um schlussendlich im Weltuntergang zu enden. Grand finale.
Die Anstandstanten von heute sind nicht schwarz, sondern grün
Das ist auch heute noch so, wenn sich Leute über Loveparades und ähnlich karnevaleske Sausen echauffieren, denen sie doch relativ einfach fernbleiben können. Die meisten der historisch belegten Zensurakte auf diesem Felde wirken heute geradezu drollig. Wahrscheinlich wird es künftigen Generationen mit unseren heutigen Sittenwächtern ähnlich gehen, es sei denn das Kalifat siegt doch, was ich nicht glaube, weil Sex für junge Menschen im Diesseits doch eine sicherere Bank ist als 72 Jungfrauen auf Pluto. Die Durchsetzung des Gedankens kann jedoch dauern. Zumal er im Internet wohl unter "Hatespeech" verortet und geschwärzt wird.
Die Anstandstanten von heute sind auch nicht mehr schwarz, das neue Konservativ trägt die Farbe grün - und damit meine ich nicht die Farbe des Propheten, obwohl es sich in beiden Fällen um Religionen handelt. Frühere Anstandstanten regten sich über Kondome auf, ihre aktuellen Nachfolger über Nespresso-Kaffeekapseln, die aufgrund ihres Ressourcen-Verbrauches den Planeten verschlingen werden. Nackt darf heute jede und jeder rumlaufen, in Neukölln aber vielleicht besser nicht. Im Rest von Berlin ist es hingegen degoutant in einen Nerzmantel herumzulaufen. Das wiederum ist in Neuköln kein Problem. Man muss sich halt öfter mal umziehen in der Zensurrepublik.
Die Grünen, die Ajatollahs und der gegenwärtige Papst können in ihrer Verachtung für den westlichen Lebensstil alle im selben Sandkasten spielen, da nimmt keiner dem anderen die Schippe weg. Katrin Göring-Eckardt etwa hält schon mal im Radio die Morgenandacht und schlägt dabei mühelos den Bogen von kleinen Kaffeemilch-Döschen zum Großen und Ganzen, nämlich dann, „wenn aus einem kleinen Symbol großer Ernst wird: Ölpest, Atomkatastrophe, Klimawandel“. Nun resultieren daraus in der Regel nur Verbotsphantasien. Aber was heißt hier nur. Die sprachliche Zensur ist hingegen mit Genderplatt und Korrektsprech längst durchgesetzt und alltägliche Praxis.
Vorhang auf für unseren kleinen Zensurausflug
Aber ich schweife ab. Deshalb jetzt Vorhang auf für unseren kleinen Zensurausflug
Jugendsendungen: „Beat-Club“, „baff“, „p“, sechziger Jahre
Die Jugendsendungen gerieten immer wieder als „Nuditätensendungen“ in das Visier, schließlich seien dort „ungepflegte Heuler, Schreier und hopsenden Brüller“„Kommunistenagenten“ und „Gossendreck“ am Werk. Der Südfunk kürzte 1973 eine Sendung des Jugendmagazins um sieben Minuten: Der geplante Auftritt des Aufklärungs-Autors Günter Amendt entfiel, weil seine Ratschläge zur Selbstbefriedigung von Stuttgarter TV Direktor Horst Jaedicke als „Aufruf zur Onanie“ abgelehnt wurden.
Peter Maffay: „Und es war Sommer“, ZDF 1976
Als Maffay diesen Titel in der „ZDF-Drehscheibe“ vorstellen wollte, wurde er abgeblockt. Die Zeilen „Ich war 16 und sie 31, und über Liebe wusste ich nicht viel, sie wusste alles und sie ließ mich spüren, ich war kein Kind mehr“, führten zu einem Verbot: Das ZDF: „Der Text ist eindeutig zweideutig und passt deshalb nicht in unsere Sendung.“ (Bravo-Archiv 1976)
Fußballer Ewald Lienen mit Anti-Atom-Pullover, WDR 1985
Die Sportschau beschied den Fusbballer Ewald Lienen, dass er leider nicht mit seinem geliebten Anti-AKW-Pullover auftreten dürfe. „Herr Lienen, was wollen Sie denn am Sonntag anziehen?“, war die Frage, die dem Fußballer Lienen telefonisch gestellt wurde, nachdem er vom WDR als „Torschütze des Monats“ zur Sportschau eingeladen worden war. Der zuständige Redakteur erklärte, dass dem WDR sein Oberbekleidungsstück mit dem Abrüstungssymbol und der Aufschrift „Sportler gegen Atomraketen – Sportler für den Frieden“, den er bei den letzten Sendungen getragen habe, missfalle.
Rosa von Praunheim: „Axel von Auersperg“, 1974
Das ZDF beschnitt den Film um die erste halbe Stunde, weil der Filmer darin „den religiösen Glauben verächtlich“ gemacht habe. U .a. wurde der Bischof von der Schauspielerin Evelyn Künneke gespielt.
Kommissar kränkt türkische Diplomaten, 1975
Deutschlands TV-„Kommmissar“ verärgerte die Türken in Wien. In dem auch vom Österreichischen Rundfunk (ORF) regelmäßig ausgestrahlten ZDF-Krimi war, in der Folge „Das Goldene Pflaster“, ein Angehöriger der türkischen Botschaft in Wien in dunkle Geschäfte verwickelt. Diesen Makel wollten die Diplomaten nicht auf sich sitzen lassen. Der Botschafter persönlich ließ beim ORF ausrichten, die Sendung hätte „allen Türken in Wien sehr weh getan“. Vergebens versicherte der zuständige Abteilungschef Lorentz, es habe sich schlicht um Krimi-Fiction gehandelt. Dennoch: Vor dem nächsten „Kommissar“ wurde im ORF eine Ehrenerklärung für die Türken verlesen.
Herrenpflege mit „Care“ und einem nackten Mann, 1980
Bayerns Werbefernsehchef Wittmann lehnte einen Spot für „Care“ ab, weil dabei mit einem nackten Mann geworben wurde, der seine Blöße jeweils nur haarscharf mit einem Aktenkoffer oder einem Theaterprogramm bedeckt hielt. Im Werbefernsehen von NDR und WDR war der Nackte nur „von fern und von hinten“ zu sehen.
Satire-Bundesadler: abgesetzt, 1990
Die Zeichentrickfigur, die seit 1983 die „Aktuelle Stunde“ (WDR 3) mit ironisch-spöttischen Kommentaren begleitete, wurde Ende Januar 1990 abgesetzt. Bereits 1989 war es zu einem Eklat gekommen, als der Adler DDR-Flüchtlingen neben Freiheitsdrang auch die „Sehnsucht nach Feinkost“ unterstellte, woraufhin unterschiedliche Gruppen intervenierten.
„Zimmer-frei“-Folge mit Ex-„Titanic“-Chef Martin Sonneborn, 2009
Die Sendung wurde kurzfristig abgesagt. Sonneborn hatte in der Sendung Werbung für seine „Partei“ gemacht, J.B. Kerner u.a. als "überbezahlt“ bezeichnet und die Zuschauer aufgerufen, seinem Beispiel zu folgen und keine Gebühren mehr an die GEZ zu zahlen. Offiziell wurde die Absetzung aber damit begründet, dass Sonneborn nicht „lustig“ gewesen sei.
„Bärbel, für Geld würde ich alles tun“, RTL 2000
In der Live-Sendung wollte ein Frührentner eine Sex-Nacht mit seiner Frau für 1 Million Mark anbieten. Aufgrund von Warnungen der Niedersächsischen Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk (NLM) und einer Bußgeldandrohung von 500 000 Mark wurde die Sendung zunächst verschoben (unseres Wissens nach wurde sie auch später nicht ausgestrahlt). Stattdessen wurde eine Sendung unter dem Titel „Mit Dir schlafen? - Da vergeht mir die Lust“
Fußball-WM 2010: Katrin Müller-Hohenstein und der „Reichsparteitag“, TV 2010
In der Halbzeit des Spiels Deutschland gegen Australien hatte die Journalistin formuliert, es sei nach dem Tor des lange glücklosen Stürmers Klose für ihn wohl wie ein „innerer Reichsparteitag“ gewesen. Im Internet kam es daraufhin zu heftigen Proteststürmen. ZDF und Journalistin entschuldigten sich.
ARD: „Der Drückerkönig und die Politik - Carsten Maschmeyer“, 2011
Die Dokumentation „Der Drückerkönig und die Politik - Carsten Maschmeyer“ konnte 2011 mit Ach und Krach, wenn auch nur gekürzt gezeigt werden. Der Hauptprotagonist ging mit allen möglichen juristischen Mitteln gegen die Sendung vor. Der gute Mensch von Hannover war in dieser Beziehung dem guten Menschen von Ankara durchaus ebenbürtig.
HB-Männchen Bruno, 1974
Das HB-Männchen wird hier zum Schluss genannt, weil es sich so schön aufregen konnte. Zunächst durfte das HB-Männchen in der „Werbung noch „in die Luft gehen“. Die Werbung wurde nach und nach zurückgefahren und verschwand 1974 im Fernsehen mit dem allgemeinen Werbeverbot für Zigaretten dann gänzlich.
Und mit dem HB-Männchen schließt sich irgendwie der Kreis zu Heiko Maas.